LG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 07.02.2013 – 5 S 595/12
Die Beleidigung eines Polizeibeamten durch einen alkoholisierten Radfahrer (1,49‰) gebietet nicht die Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes, insbesondere wenn eine Genugtuung durch einen Strafbefehl erfolgt ist.(Rn.5)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
I.
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Für den Kläger dürfte es sich empfehlen, das Rechtsmittel zurückzunehmen, um unnötige Kosten zu vermeiden.
Es wird Gelegenheit gegeben, zu diesem Hinweisbeschluss binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
II.
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Die Kammer lässt sich bei ihrer Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
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Die zur Entscheidung stehende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Urteilsentscheidung ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO.
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Dem Kläger steht schon nach seinem eigenen Vorbringen kein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 2 BGB, 185 StGB, Art. 1, 2 GG zu. Die allein auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichtete Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger, welcher Polizeibeamter ist, hatte den alkoholisierten Beklagten zur Blutentnahme mit auf die Dienststelle genommen. Hierbei beleidigte der Beklagte den Kläger mit Äußerungen wie “Wichser”, “Scheiß Bullenschwein”, “Arschwichser” und “dummes Arschloch”. Dabei handelt es sich unzweifelhaft um Eingriffe in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.
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Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet aber nur dann einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann. Das hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ, 128, 1 (12), 132, 13 (27)).
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Bei der Anwendung der für einen Anspruch auf Geldentschädigung maßgeblichen Tatbestandsmerkmale einer schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der mangelnden Möglichkeit anderweitiger Genugtuung haben die Gerichte die Fundierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Würde des Menschen zu beachten (BVerfGE, Beschluss vom 04.03.2004, Az. 1 BvR 2098/01).
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Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde zu schützen; der Schutz der Menschenwürde ist absolut und erstreckt sich auf alle Lebensbereiche (BVerfGE, aaO.).
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Der sich aus der Menschenwürde ergebende Achtungsanspruch kann verletzt werden, wenn die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen. Die Feststellung einer solchen Verletzung durch eine Äußerung setzt eine deren Wortlaut und Begleitumstände berücksichtigende Deutung voraus.
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Die Kammer teilt die Würdigung des Amtsgerichts, dass unter Berücksichtigung des objektiven Angriffs und des subjektiven Verschuldens kein schwerwiegender Eingriff vorliegt.
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Bei Beleidigungen wie “Scheiß Bullenschwein” oder “dummes Arschloch” handelt es sich um Beschimpfungen, die sich im Wesentlichen nicht gegen den Kläger als Person, sondern in seiner Eigenschaft als Polizist gerichtet haben. Solche Beschimpfungen, die nicht an die individuellen Eigenschaften des Verletzten anknüpfen und bei denen keine weiteren Elemente hinzutreten – wie etwa Anspucken – reichen für eine eine Geldentschädigung rechtfertigende schwerwiegende Beeinträchtigung grundsätzlich nicht aus (vgl. LG Münster, Urteil vom 29.08.2002, 8 S 210/02), insbesondere unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Begleitumstände und des Verschuldens des Beklagten. Es handelte sich lediglich um spontane Äußerungen eines alkoholisierten Tatverdächtigen, die nicht geeignet waren, eine schwerwiegende Beeinträchtigung hervorzurufen. Denn nach dem Vortrag des Klägers beschimpfte der Beklagte ihn, als er den Beklagten zur Dienststelle zur Blutentnahme mitnahm, nachdem er ihn Rad fahrend angetroffen und in seiner Atemluft Alkoholgeruch festgestellt hatte. Nach dem weiteren Vortrag des Klägers wurde bei dem Beklagten eine BAK von 1,49 Promille festgestellt. Mithin machte ein alkoholbedingt enthemmter Tatverdächtiger seinem Ärger über eine polizeiliche Maßnahme Luft. Nach dem eigenen Vortrag behauptet der Kläger im Übrigen auch keine schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen auf Grund des Vorfalls.
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Konsequenz aus einer Verneinung einer Geldentschädigung in Fällen der vorliegenden Art ist auch nicht, wie der Kläger meint, dass Polizeibeamte beliebig vulgär beleidigt werden dürften. Denn Äußerungen der vorliegenden Art stellen den Straftatbestand einer Beleidigung dar. Vorliegend ist der Beklagte auch mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 27.12.2010 zu einer Geldstrafe von 800 EUR verurteilt worden. Zudem besteht ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch.
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Der Kammer ist bei dieser Entscheidung klar, dass es Gerichte gibt, die bei Beleidigungen auch ein Schmerzgeld zusprechen. So hat das AG Böblingen einer Polizeibeamtin ein Schmerzensgeld von 300 € zugesprochen, die von einem angetrunkenen Randalierer auf das Übelste sexuell beschimpft worden war (Urt. vom 16.11.2006 – 3 C 1899/06 – zitiert bei Juris).
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Die Kammer entscheidet bei Schmerzensgeldern differenziert und zwar auch unter Berücksichtigung der gesamten Rechtsordnung.
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So setzt die Kammer bei körperlichen Verletzungen das vom Gesetzgeber bei der Bemessung von Schmerzensgeldern ins Auge gefasste Ziel um, die verfügbaren Mittel mehr als bisher auf die Fälle schwererer Verletzungen zu konzentrieren (BT-Drs. 14, 7752 S. 25). Nach den Überlegungen des damaligen Gesetzgebers sollten keine Schmerzensgelder zugesprochen werden bei Schäden, die unter Berücksichtigung ihrer Art und Dauer unerheblich sind. Dazu sollten zählen einmal die Bagatellverletzungen, die einen geringen, nur vorübergehenden Einfluss auf das Allgemeinbefinden haben, wie z. B. Kopfschmerzen oder Schleimhautreizungen sowie im Regelfall auch leichtere oberflächliche Weichteilverletzungen, wie Schürfwunden, Schnittwunden und Prellungen, sowie leichtere Verletzungen des Bewegungsapparates, wie Zerrungen und Stauchungen und auch nicht objektivierbare leichte HWS-Verletzungen ersten Grades. Im Gespräch war eine Schwelle von 1.000 DM (BT-Drs., aaO., S. 25, 26).
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Dass die ursprüngliche Fassung des § 253 BGB mit der ausdrücklichen Ausnahme von Bagatellfällen letztlich nicht verkündet wurde lag an dem Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages. Dieser verwies darauf, dass die ausdrückliche Festschreibung einer Bagatellschwelle nicht erforderlich sei, da die Rechtsprechung bereits auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Rechts zu angemessenen Ergebnissen käme. Den Gerichten solle die Möglichkeit gegeben werden, die Bagatellschwelle über die Auslegung des Begriffs “billige” Entschädigung in Geld fortzuentwickeln (BT-Drs 14, 8780 S. 21).
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Die Kammer spricht daher Schmerzensgelder unter 500 € nur in besonderen Einzelfällen zu.
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Diese Überlegungen gelten auch dann, wenn bei Beleidigungen ein eher geringfügiges Schmerzensgeld in Rede steht.
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Zur Rechtsnatur eines Schmerzensgeldes bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, hat der Bundesgerichtshof entschieden (BGHZ 128, 1):
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Bei einer Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich im eigentlichen Sinn nicht um ein Schmerzensgeld nach § 847 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht.
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Die Zubilligung einer Geldentschädigung beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde.
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Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund; hieran hält der Senat trotz der im Schrifttum geäußerten Vorbehalte fest.
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Außerdem soll der Rechtsbehelf der Prävention dienen (jew. BGH, aaO.).
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Soweit bei einem Vergleich der zugesprochenen Entschädigungen ein Ungleichgewicht bei Schmerzensgeldern wegen Körperverletzungen und einer Entschädigung wegen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts festgestellt werden könnte, hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass bei Körperverletzungs- bzw. Schockschadensfällen im Zusammenhang mit der Haftung für Verkehrsunfälle der Gedanke der Gewinnerzielungsabsicht keine Rolle spielt, somit ein auf Prävention zielender Ansatzpunkt für eine entsprechende Berücksichtigung als Bemessungsfaktor der Schmerzensgeldhöhe nicht gegeben ist (VersR 00, 897).
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Bei Beleidigungen ist daher genauer zu differenzieren, ob die Rechtsverletzung insgesamt sanktionslos bleiben würde, dem Verletzer Vorteile verblieben, wie der Presse bei Rechtsverletzungen zur Gewinnerzielung oder eine tiefgreifende Verletzung der Menschenwürde vorliegt, weil die Diffamierung einer Person Ausdruck ihrer Missachtung ist, etwa durch Leugnung oder Herabsetzung der persönlichen Eigenschaften und Merkmale, die das Wesen des Menschen ausmachen (BVerfG, aaO.).
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Im Gegenzuge ist sogar zu berücksichtigen, dass Unmutsäußerungen eines Bürgers über staatliche Maßnahmen nicht einmal eine Beleidigung sein müssen (BVerfG AfP 09, 361 – “durchgeknallter Richter”; NJW 07, 2839 – “Sie sind eine Schande für die deutsche Richterschaft”). Das Bundesverfassungsgericht geht daher davon aus, dass sich Staatsbedienstete heftige, auch persönlich gemeinte Kritik gefallen lassen müssen, die sogar die Fähigkeit zum Beruf abspricht.
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Unter diesem Blickwinkel sind die hier vorliegenden Fäkalausdrücke gegenüber einem seinen Dienst ordnungsgemäß ausübenden Polizeibeamten nicht nur einfach ungehörig, sondern auch nicht hinnehmbar und zivil- und strafrechtlich verfolgbar. Die Verhängung eines Schmerzensgeldes ist jedoch nicht geboten. Auch wenn in diesen Fällen der Gedanke der Genugtuung bedeutsam ist, im Vordergrund steht die Prävention. Danach gewährt ein – geringes – Schmerzensgeld nicht mehr Schutz vor Wiederholungen als die zivilrechtliche Unterlassungsklage oder die strafrechtliche Verfolgung. Ein höheres Schmerzensgeld bei bloßen Beleidigungen ist ohnehin nicht angezeigt.