Zum ärztlichen Sorgfaltsmaßstab bei Verordnung von Magensäurehemmern

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.09.2015 – 8 U 115/12

Zum ärztlichen Sorgfaltsmaßstab bei Verordnung von Magensäurehemmern

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 18.5.2012 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.

Das angefochtene Urteil und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt 241.357.- €.

Gründe
I.

Die Kläger fordern als Erben der am ….2007 verstorbenen Frau A wegen behauptet fehlerhafter ärztlicher Behandlung und Verletzung von Aufklärungspflichten von den Beklagten aus eigenem und aus übergegangenem Recht Schmerzensgeld. Des Weiteren verlangen sie Ersatz der Kosten der Beerdigung; sie machen Unterhaltsschäden sowie vorprozessual entstandene Rechtsverfolgungskosten geltend und begehren die Feststellung der Einstandsplicht der Beklagten für künftige Schäden.

Der Kläger zu 1. war der Ehemann der Verstorbenen, die Klägerin zu 2. ist das gemeinsame Kind des Klägers zu 1. und der Frau A (nachfolgend: Patientin).

Am ….11.2007 wurde die Patientin mit einem Ikterus im B-Krankenhaus O1, dessen Trägerin die Beklagte zu 1. ist, aufgenommen. Die Patientin berichtete anamnestisch u. a. über eine seit etwa 2 Wochen bestehende Schwäche und Appetitminderung sowie zweimaliges blutiges Erbrechen und Teerstuhl in den Tagen vor der Aufnahme. Am ….11. 2007 (Folgetag) erfolgte eine Sonographie des Abdomens; am ….11. 2007 (vier Tage nach Aufnahme) führte der Beklagte zu 2. eine Gastroskopie durch. Es zeigten sich eine vergrößerte Leber mit Zeichen der Leberzirrhose, freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle, Ösophagusvarizen mit ausgeprägten roten Flecken auf der Oberfläche und eine durch Erhöhung des Blutdrucks im Pfortaderkreislauf bedingte Stauung der Magenschleimhaut. Die Diagnose lautete: Dekompensierte Leberzirrhose mit dem Bild einer zusätzlichen akuten Hepatitis äthyltoxischer Genese. Am …11.2007 (10 Tage nach Aufnahme) wurde eine Ösophagusvarizenligatur durchgeführt.

Die Beklagten zu 2. und 3. verordneten u. a. den Protonen – Pumpen – Hemmer Pantoprazol (Handelsname: Pantozol) in einer Dosierung von 2 x 40 mg täglich, Nystatin und das Antibiotikum Ciprobay.

Ab dem zweiten Halbjahr 2003 wurde in der Packungsbeilage zu Pantoprazol als sehr seltene Nebenwirkung auf das Lyell – Syndrom, auch toxische epidermale Nekrolyse (TEN), hingewiesen. Es handelt sich hierbei um das Syndrom der verbrühten Haut, eine epidermale Einschmelzung mit generalisierter subepidermaler Blasenbildung der Haut, auch der Mund-, Nasen- und Genitoanalschleimhaut. Inzwischen ist das Medikament rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Seit Juli 2008 wird TEN in den Fachinformationen über Pantoprazol nicht mehr in der Tabelle mit definierten Häufigkeiten geführt, weil sich aufgrund der Seltenheit des Auftretens keine Häufigkeit berechnen lässt. Eine Auskunft der Herstellerin des Medikaments (C GmbH) ergab, dass bisher weltweit etwa 800 Millionen Patienten mit Pantoprazol behandelt wurden und etwa 100 Meldungen von TEN, SJS (Stevens – Johnson – Syndrom) oder Lyell – Syndrom eingingen, wobei diese Zahl auch Mehrfachmeldungen umfasste.

Die Patientin wurde am ….11.2007 (14 Tage nach Aufnahme) aus der stationären Behandlung entlassen. Die Medikamentengabe erfolgte nunmehr durch ihren Hausarzt, der an Stelle von Pantoprazol das Medikament Omeprazol verordnete. Am ….12.2007 litt die Patientin unter Fieber, Atemnot und Husten, weshalb ein Notarzt hinzugezogen wurde. Sie wurde nach Hausbesuchen am …. und ….12.2007 von ihrem Hausarzt zur stationären Aufnahme in das D-Krankenhaus, O2, eingewiesen. Dort wurde sie am ….12.2007 zur Abklärung einer äthyltoxischen Leberzirrhose aufgenommen. Die Behandlung mit Pantoprazol wurde zunächst fortgesetzt. In den Krankenunterlagen wurde für den ….12.2007 als Ergebnis eines dermatologischen Konsils dokumentiert; am Vorabend (….12.) sei ein schweres generalisiertes Exanthem mit massivem Juckreiz aufgetreten. Der dermatologische Konsiliar stellte die Diagnose eines Erythema exsudativum multiforme (entzündliche Rötung der Haut mit Austritt von Sekret) mit den ätiologischen Differentialdiagnosen „infektallergisch, DD medikamentös“ und empfahl, alle nicht unbedingt notwendigen Medikamente abzusetzen. Dieser Empfehlung folgten die Internisten/Gastroenterologen zunächst nicht.

Am ….12.2007 litt die Patientin unter einer Blasenbildung mit großflächiger Ablösung der Epidermis; im Verlauf des Tages wurde das Lyell – Syndrom diagnostiziert. An diesem Tag wurde u. a. das Medikament Pantozol abgesetzt. Die Patientin wurde am ….12.2007 in das E-Krankenhaus O3, dort in eine Spezialabteilung für Verbrennungsopfer, verlegt, wo sie am ….2007 verstarb.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht O4 leitete auf die Anzeige der Kläger gegen Ärzte, die die Patientin in dem D-Krankenhaus behandelt hatten, ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Der von der Staatsanwaltschaft mit der Erstattung eines Zusammenhangsgutachtens in der Todesermittlungssache z. N. A beauftragte Facharzt für Rechtsmedizin, F, gelangte in seinem Gutachten vom 17.4.2008 zu dem Ergebnis, die Patientin sei an den Folgen eines Multi-Organ-Versagens nach fast vollständiger Ablösung der Oberhaut (Lyell-Syndrom) verstorben.

Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Des Weiteren erstatteten die Kläger bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht O5 Strafanzeige gegen die Beklagten zu 2. und 3. Dieses Verfahren wurde vorläufig bis zum Abschluss des vorliegenden Zivilrechtsstreits eingestellt.

Die Kläger haben behauptet:

Die medikamentöse Therapie habe nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen, denn es hätten auch andere Medikamente verabreicht werden können; auch wäre eine konservative Behandlung in Betracht gekommen.

Das Medikament Pantoprazol bzw. Omeprazol sei in einer Überdosierung (80 mg/Tag anstatt 20 mg/Tag bei Leberfunktionsstörungen) gegeben worden, was bei dem Erkrankungsbild der Patientin kontraindiziert gewesen sei.

Im Hinblick auf eine ätiologisch unklare Hepatitis und eine angeblich „atypische“ Lungenentzündung habe eine diagnostische Abklärung erfolgen müssen. Die Diagnostik sei indessen verzögert betrieben worden, was zu einer toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN; Hautablösung) geführt habe. Ein Hautarzt sei nicht rechtzeitig hinzugezogen, die Medikamente, insbesondere Pantoprazol, seien nicht rechtzeitig abgesetzt worden, obwohl bereits während des stationären Aufenthalts in der Klinik der Beklagten zu 1. erste Anzeichen für eine allergische Hautreaktion vorgelegen hätten.

Eine immunologische Nebenwirkung des verabreichten Magenschutzpräparats Pantoprazol sei ursächlich für das Auftreten des Lyell – Syndroms gewesen. Weitere in der Klinik der Beklagten zu 1. verabreichte Medikamente könnten ebenfalls schwere allergische Hautreaktionen auslösen. Dies gelte auch für die auf Empfehlung der Beklagten von dem Hausarzt gegebenen wirkungsgleichen Medikamente.

Des Weiteren sei die Patientin im Zusammenhang mit der Medikamentengabe nicht über mit der Einnahme des Medikaments Pantoprazol verbundene Risiken informiert worden. Dies gelte hinsichtlich sämtlicher in der Klinik der Beklagten zu 1. verabreichter Medikamente.

Im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung hätte die Patientin sich in einem ernsthaften Entscheidungskonflikt befunden, ob sie der Einnahme von Pantoprazol zustimmen solle. Sie sei gegenüber jeglicher ärztlicher Behandlung und Medikamenteneinnahme skeptisch eingestellt gewesen, was durch ihre zunächst ablehnende Haltung gegenüber der Magenspiegelung belegt werde. Gerade nach der Erläuterung der Nebenwirkungen von Medikamenten habe sie auf die Einnahme verzichtet. Im Hinblick darauf, dass beim Auftreten des Lyell – Syndroms mit einem letalen Ausgang gerechnet werden könne, hätte sie über alternative Methoden oder Medikationen nachgedacht bzw. auf die Einnahme verzichtet. Sie hätte nach Aufklärung über die sehr seltenen Risiken das Medikament nicht eingenommen.

Die Kläger haben ein Schmerzensgeld aus dem Recht der Patientin mit 100.000.- € und aus eigenem Recht mit jeweils 15.000.- € beziffert. Sie seien durch den Krankheitsverlauf und Tod der Ehefrau und Mutter traumatisch geschädigt; eine Gesundheitsverletzung mit Krankheitswert sei jeweils erkennbar. Die Klägerin zu 2. sei psychisch beeinträchtigt.

Die Kläger haben Beerdigungskosten mit einem Pauschalbetrag von 15.000.- € angesetzt.

Auf der Grundlage eines behaupteten Bruttoeinkommens des Klägers zu 1.von 125.000.- €/Jahr und eines mtl. Bruttoeinkommens der Patientin von 2.500.- € betrage ein mtl. Barunterhaltsschaden der Klägerin zu 2.497.- €; für die Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.5.2009 ergebe sich ein Rückstand von 8.449.- €. Entsprechend dem Lebensplan der Eheleute hätte die Patientin einer mit mtl. 2.500.- € brutto zu vergütenden Beschäftigung nachgehen können. Sie habe überwiegend den Haushalt geführt und hätte dies auch künftig getan. Der dem Kläger zu 1. zu ersetzende Geldwert der häuslichen Arbeitsleistung der Patientin betrage auf der Grundlage eines Drei – Personen – Haushalts, eines Aufwands von 121,24 Stunden/Monat und eines Stundenlohns von netto 9.04 € 1096,50 €/Monat, der Rückstand für die Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.5.2009 18.632.- €.

Des Weiteren sei dem Kläger zu 1. ein Steuerschaden von 703,80 € entstanden. Vorgerichtlichen Anwaltskosten sei ein Wert von 280.000.- € und ein Gebührensatz von 2,5 zu unterlegen. Für die Einholung der Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers als eigener Angelegenheit sei eine gesonderte Geschäftsgebühr anzusetzen.

Die Parteien haben die in dem Urteil des Landgerichts wiedergegebenen Anträge gestellt.

Die Beklagten haben behauptet:

Pantoprazol sei für den Einsatzzweck der Hemmung der Magensäuresekretion das gängigste Medikament mit den geringsten sowie mildesten Nebenwirkungen und auch im Hinblick auf erhöhte Leberwerte nicht kontraindiziert gewesen. Auffällig und gefährlich sei hingegen nach Erbrechen mit Blutbeimengung und Teerstuhl das Risiko erneuter Blutungen im Magen und/oder in der Speiseröhre gewesen. Dem mit 70% zu veranschlagenden Risiko einer Rezidivblutung und einer sich daraus ergebenden Sterblichkeitsrate von 30% bei erneuter Krampfaderblutung habe durch die Gabe von Pantoprazol vorrangig begegnet werden müssen. Während des Aufenthalts der Patientin in der Klinik der Beklagten zu 1. seien keinerlei für ein TEN oder Lyell – Syndrom spezifische Symptome, wie Rötungen der Haut oder Hautablösungen aufgetreten. Ein Juckreiz sei schon bei der Aufnahme der Patientin vorhanden und durch den Ikterus bedingt gewesen. Ein Anlass für eine differentialdiagnostische Abklärung habe nicht bestanden.

Das Lyell – Syndrom könne durch Bakterien verursacht worden sein (staphylogenes Lyell – Syndrom). Auch seien der Patientin im Anschluss an ihren Aufenthalt in der Klinik der Beklagten zu 1. weitere Medikamente verordnet worden, welche häufig schwere Hautreaktionen auslösten. Des Weiteren sei für allergische, medikamentös bedingte Hautreaktionen ein Auftreten innerhalb kürzester Zeit nach der Einnahme typisch. Vorliegend habe die Patientin aber erstmals am ….12.2007 über Hautveränderungen geklagt.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, das Risiko einer schwerwiegenden Hautreaktion, darunter des Lyell – Syndroms, sei nicht aufklärungspflichtig gewesen. Es handele sich nicht um ein spezifisches Risiko, sondern um eine Komplikation, deren Eintritt ganz entfernt und unwahrscheinlich sei. Symptome einer Überdosierung des Medikaments Pantoprazol bei Menschen seien nicht bekannt. Überdies habe die Beklagte zu 3. die Patientin bei der Aufnahme darüber aufgeklärt, dass die Einnahme von Medikamenten zu allergischen Reaktionen führen könne. Jedenfalls sei angesichts der Gefährlichkeit von Rezidiv – Blutungen auf der einen Seite und der extremen Seltenheit des Auftretens eines Lyell – Syndroms bei Einnahme des Rezidiv – Blutungen verhindernden Medikaments auf der anderen Seite davon auszugehen, dass die Patientin sich bei entsprechender Aufklärung für die Einnahme des säurehemmenden Arzneimittels entschieden hätte.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des G vom 3.8.2010 nebst Ergänzung vom 25.5.2011. Der Kläger zu 1. ist informatorisch angehört worden.

Die Klage ist durch Urteil vom 18.5.2012 abgewiesen worden. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil wird Bezug genommen.

Die Kläger verfolgen mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Rechtsschutzziele weiter.

Sie beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Gabe von Pantoprazol nicht indiziert gewesen und auch in einer Überdosis verabreicht worden. Die Gabe von Pantoprazol sei nicht lebensnotwendig gewesen; andere Medikamente zur Hemmung der Magensäuresekretion hätten zur Verfügung gestanden. Das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, die mündliche Erläuterung des Gutachtens anzuordnen.

Der erstinstanzlich tätige Sachverständige, dem die Originalkrankenakten nicht vorgelegen hätten, sei hinsichtlich der pharmakologischen Wirkungen von Pantoprazol, auch hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens des Lyell – Syndroms, nicht hinreichend sachkundig.

Bei der Patientin habe sich das aufklärungspflichtige, nämlich typische Risiko einer arzneimittelinduzierten Nekrolyse – sei es durch Pantoprazol oder Nystatin – verwirklicht. Des Weiteren verweisen die Kläger auf eine „Fachinformation Ciprobay“ (Bl. 455 d. A.). Die Patientin habe keine anderen Arzneimittelpräparate als die im Krankenhaus der Beklagten zu 1. verabreichten eingenommen.

Die Kläger wenden sich gegen die Auffassung des Landgerichts, die Patientin hätte sich nach vollständiger Aufklärung der mit der Gabe von Pantoprazol einhergehenden Risiken nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden, sondern hätte der Einnahme des Medikaments zugestimmt. Die Kläger rügen, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft eine Parteianhörung unterlassen.

Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, wonach nach Angaben des Herstellers von Pantoprazol bei weltweit 800 Millionen behandelten Patienten in etwa 100 Fällen eine schwere Hautreaktion als Nebenwirkung gemeldet worden sei, beruhten nicht auf eigener Sachkunde des Landgerichts.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des 1. instanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:

1.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nach A von 100.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen;
2.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 1) ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld in Höhe von € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen;
3.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin zu 2) ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld in Höhe von € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen;
3.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger Beerdigungskosten in Höhe von € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen;
4.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin zu 2) rückständige monatliche Unterhaltsrente (Barunterhaltsschaden) ab 1.1.2008 bis 31.5.2009 in Höhe von 8.449,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen
5.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 1) rückständige monatliche Unterhaltsrente (Betreuungsunterhaltschaden) ab 1.1.2008 bis 31.5.2009 in Höhe von 18..6342,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen
6.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin zu 2) ab 1.6.2009 eine laufende monatliche Unterhaltsrente (Barunterhaltsschaden) in Höhe von 497,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
7.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin zu 2) ab 1.6.2009 eine laufende monatliche Unterhaltsrente (Betreuungsunterhaltschaden) in Höhe von 1096,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen
8.
Die Beklagten werden verurteilt, gesamtschuldnerisch vorgerichtliche Kosten in Höhe von 7252,24 EUR an die Kläger nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9.
Die Beklagten werden verurteilt, gesamtschuldnerisch Kosten in Höhe von 1493,21 EUR an die Kläger nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, den Klägern sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte stationäre Behandlung zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, oder noch übergehen werden.
Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

Sie halten daran fest, das Lyell – Syndrom sei keine typische oder spezifische Nebenwirkung von Pantoprazol.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Pharmakologie, Toxikologie und Klinische Pharmakologie H vom 19.2.2014 nebst mündlicher Gutachtenerläuterungen in den Sitzungen des Senats am 9.9.2014 und am 4.8.2015. Der Kläger ist wiederholt informatorisch angehört worden.

II.

Die Berufungen der Kläger sind zulässig, aber nicht begründet.

A. Die Beklagten sind nicht verpflichtet, den Klägern aus dem Recht der Patientin, Frau A, oder aus eigenem Recht gemäß §§ 630 a Abs. 2, 630 d Abs. 1 Satz 1, 2, 630 e Abs. 1 – 4, 280 Abs. 1, 278, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 Satz 1, 249, 253, 840, 843, 844, 1922 BGB wegen fehlerhafter Heilbehandlung und/oder wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten Schadensersatz zu leisten.

a) Nach den entscheidungserheblichen tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind den Beklagten zu 2. und 3. – auch als Haftungsvermittler zu Lasten der Beklagten zu 1. – während des stationären Aufenthalts der Patientin in der Klinik der Beklagten zu 1. keine Behandlungsfehler unterlaufen. Diese Tatsachenerfassung und – bewertung hat der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung nach § 529 Abs. 1 Ziffer 1. ZPO zugrunde zu legen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen, die eine erneute Feststellung gebieten, sind nicht ersichtlich und von den Klägern in der Berufungsbegründung auch nicht aufgezeigt worden.

aa) Ein Verstoß gegen den im Jahre 2007 geltenden ärztlichen Sorgfaltsmaßstab liegt nicht darin, dass die Beklagten zu 2. und 3. der Patientin im Zusammenhang mit der bei dieser aufgetretenen Gastrointestinalblutung den Magensäurehemmer Pantoprazol in einer Dosis von 80 mg täglich verordneten.

Die Beklagten zu 2. und 3. durften der Patientin, die unter einer erheblich fortgeschrittenen Lebererkrankung mit Ausbildung einer Leberzirrhose litt (GA G vom 3.8.2010, S. 6), nach Gastrointestinalblutung (GA G vom 25.5.2011, S. 10) und Ösophagusvarizenligatur zur Hemmung der Magensäuresekretion den Protonenpumpenhemmer Pantoprazol verabreichen, denn das saure Milieu des oberen Gastrointestinaltraktes verzögert die Blutstillung und erhöht die Rezidivblutungsrate (GA G vom 3.8.2010, S. 8, 9); das Ausmaß der durch die Ligaturbehandlung in der Speiseröhre in der Nähe der ehemaligen Varizen entstehenden Geschwüre, welche ihrerseits eine Blutungsquelle darstellen, wird durch die Gabe von Pantoprazol reduziert (GA G vom 3.8.2010, S. 10). Als weitere Blutungsquelle war die portal gestaute Magenschleimhaut in Betracht zu ziehen, die durch die Varizenbehandlung nicht beeinflusst, der aber mit Pantoprazol begegnet werden konnte (GA G vom 25.5.2011, S. 10). Da jede relevante Gastrointestinalblutung durch den konsekutiven Blutdruckabfall zu einer weiteren Verschlechterung der Leberfunktion und damit zu einer Progredienz des Krankheitsbildes führen musste, waren in der Situation der Patientin alle Maßnahmen zur Blutungsprophylaxe indiziert (GA G vom 25.5.2011, S. 10). Auch ist nach den Feststellungen des Sachverständigen G eine bestehende Lebererkrankung zumindest bei Patienten, die sich einer Ösophagusvarizenligatur unterzogen hatten, kein Ausschlusskriterium für den Einsatz des Protonenpumpenhemmers (GA G vom 3.8.2010, S. 8, 10).

Die in der Berufungsbegründung wiederholte, aber nicht sachlich begründete Behauptung der Kläger, die Gabe von Pantoprazol sei nicht indiziert gewesen, veranlasst keine neue Begutachtung. Die Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor. Das Gutachten des Sachverständigen G ist sorgfältig, in sich widerspruchsfrei und auf dem Fachgebiet der Innere(n) Medizin/ Gastroenterologie überzeugend erstattet.

Auch ist dem Landgericht bei der Beweiserhebung kein Verfahrensfehler unterlaufen. Es war nicht gehalten, von Amts wegen eine mündliche Erläuterung des Gutachtens anzuordnen (§ 411 Abs. 3 ZPO), denn das schriftliche Gutachten vom 3.8.2010 nebst Ergänzung vom 25.5.2011 ist nicht unzulänglich (s. o.). Auch war das Landgericht nicht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO auf der Grundlage der §§ 402, 397 ZPO zur Vorladung des Sachverständigen verpflichtet, denn die Kläger haben nach der Vorlage des Ergänzungsgutachtens keinen Antrag auf mündliche Erläuterung gestellt.

Des Weiteren kann der Einwand der Kläger, dem Sachverständigen hätten die Originalkrankenakten nicht vorgelegen, nicht nachvollzogen werden. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 3.8.2010 ausgeführt, er entnehme den Krankheitsverlauf der Patientin den Gerichtsakten und dem Zusammenhangsgutachten des F vom 17.4.2008, da ihm die Originalkrankenakten nicht vorlägen. Dies haben die Kläger mit Schriftsatz vom 30.10.2010 beanstandet, weshalb das Landgericht durch Beschluss vom 30.11.2010 angeordnet hat, der Sachverständige solle sein Gutachten nach Beiziehung der Originalkrankenakten ergänzen und zu den in dem vorgenannten Schriftsatz der Kläger formulierten Fragen Stellung nehmen. So ist dann verfahren worden. Der Sachverständige G hat zu Beginn seines Ergänzungsgutachtens ausgeführt, er nehme zu den im Erstgutachten gestellten Fragen nach Kenntnisnahme der Originalkrankenunterlagen nochmals Stellung. Nachfolgend hat er dann die sich aus diesen Akten ergebenden Anknüpfungstatsachen dargestellt und diese einer fachlichen Bewertung unterzogen.

Der Sachverständige G hat als Internist/Gastroenterologe die zur Beantwortung der Beweisfragen notwendige Sachkunde. Es war dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung geschuldet, einen Sachverständigen aus diesem Fachbereich zu beauftragen. Beweiserheblich ist, ob der Patientin, die unter einer erheblich fortgeschrittenen Lebererkrankung mit Ausbildung einer Leberzirrhose litt, nach Gastrointestinalblutung und Ösophagusvarizenligatur zur Hemmung der Magensäuresekretion der Protonenpumpenhemmer Pantoprazol verabreicht werden durfte. Die Therapie einer solchen Erkrankung, auch die medikamentöse Therapie, ist dem Fachgebiet des Internisten/Gastroenterologen, nicht dem der Pharmakologie/ Toxikologie zuzuordnen.

bb) Ein Verstoß gegen den ärztlichen Soll-Standard liegt nicht deshalb vor, weil andere Medikamentenwirkstoffe zur Verfügung standen, die eine Senkung der Magensäure bzw. deren Neutralisation im Magen bewirken konnten (GA F vom 17.4.2008, S. 29). Die Wahl der richtigen Behandlungsmethode liegt primär beim Arzt (vgl. Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 60 Rn 4). Die Beklagten zu 2. und 3. verordneten ein Arzneimittel, dessen Indikation in der konkreten Situation durch Überlegungen zur Pathophysiologie der oberen Gastrointestinalblutung und durch eine wissenschaftlich kontrollierte Studie abgesichert war (GA G vom 3.8.2010, S. 14); auch schätzt der Sachverständige die Sicherheit und therapeutische Breite des Medikaments als hoch (GA G vom 3.8.2010, S. 11) und das Risiko, eine schwerwiegende Hautreaktion zu entwickeln, als extrem gering ein (in der Größenordnung von 1 zu mehreren Millionen, GA G vom 3.8.2010, S. 13, 14, 15).

cc) Die Gabe des Medikaments Pantoprazol erfolgte nicht behandlungsfehlerhaft in einer Überdosierung. Der Sachverständige hat das Konzept der hochdosierten Therapie mit potenten Magensäureblockern bei gastrointestinaler Blutung damit begründet, dass im sauren Milieu des oberen Gastrointestinaltraktes die Blutstillung verzögert und die Rezidivblutungsrate erhöht ist. Eine primäre Hämostase (Prozess der Beendigung einer Blutung) beginne bei einem pH-Wert von 6,8, wobei ein zuverlässiges Anheben des intragastralen pH auf Werte in diesem Bereich ein Mehrfaches der Standarddosis erfordere (GA G vom 3.8.2010, S. 8). Für das Patientenkollektiv mit Leberzirrhose bzw. schwerer Leberfunktionsstörung oder für gesunde Personen mit genetisch bedingt identisch reduzierter Metabolisierungskapazität für das Präparat Pantoprazol existierten ausreichend Daten über die Langzeitgabe höherer Dosen als die der Patientin verabreichte Dosis von 80 mg/Tag, weshalb sich die Dosierung im konkreten Fall nach der sachverständigen Bewertung in einem vertretbaren Bereich bewegte (GA G vom 3.8.2010, S. 15).

dd) Ein Behandlungsfehler der Beklagten ist nicht aus der Gabe des Medikaments Nystatin (Candio Hermal) herzuleiten. Solches behaupten auch die Kläger nicht.

Nystatin wurde bei der Patientin eingesetzt, weil sich bei der Endoskopie ein Verdacht auf eine Mykose (Infektion durch Pilzbefall) des Ösophagus ergab.

ee) Die Behandlung der Harnweginfektion der Patientin mit Ciprobay verstieß nicht deshalb gegen den im Jahre 2007 maßgeblichen Facharztstandard, weil die Patientin zunächst zur Blutungsprophylaxe mit Pantoprazol behandelt worden war. Der Sachverständige H hat anlässlich der mündlichen Gutachtenerläuterung in der Verhandlung des Senats am 9.9.2014 dargelegt, die Gabe von Pantoprazol mit Antibiotika sei gängige Praxis. Er hat seine Ausführungen in dem weiteren Senatstermin am 4.8.2015 vertieft und erklärt, auch bei der vorangegangenen Gabe von Pantoprazol sei die Verabreichung von Ciprobay nicht kontraindiziert gewesen. Den sachverständigen Feststellungen und Bewertungen ist zu folgen; der Sachverständige hat die Beweisfragen vollständig beantwortet; das Gutachten ist in sich widerspruchsfrei, sorgfältig und überzeugend erstattet. Auch die Kläger haben keine Einwendungen gegen das Gutachten erhoben.

ff) Den Beklagten ist kein Diagnosefehler unterlaufen. Eine Fehlinterpretation vorliegender Symptome einer schweren Hautreaktion durch die Beklagten zu 2. und 3. ist nicht ersichtlich. Die Behauptung der Kläger, bereits während des stationären Aufenthalts in der Klinik der Beklagten zu 1. hätten erste Anzeichen vorgelegen, die ein Absetzen des Medikaments Pantoprazol geboten hätten, ist ins Blaue hinein, wenn nicht sogar unter Verstoß gegen ihre Verpflichtung zu wahrheitsgemäßem Vortrag (§ 138 Abs. 1 ZPO) aufgestellt worden. Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 11.4.2014 (S. 6, Bl. 454 d. A.) vorgetragen, die ersten Anzeichen des Lyell-Syndroms seien am 9.12.2007 entstanden. Auch hat der Kläger zu 1. gegenüber dem von der Staatsanwaltschaft O4 mit der Erstattung des Zusammenhangsgutachtens beauftragten Sachverständigen F erklärt, während des Aufenthalts der Patientin in dem D-Krankenhaus seien Veränderungen an der Haut aufgetreten. Des Weiteren ist durch die Krankenunterlagen belegt, dass die Patientin erstmals in dem D-Krankenhaus in O2 am ….12.2007 Hautveränderungen feststellte und hierüber am ….12.2007 berichtete (GA F vom 17.4.2008, S. 18; GA vom 25.5.2011, S. 8).

b) Die Beklagten sind den Klägern nicht wegen eines Aufklärungsverschuldens zum Schadensersatz verpflichtet.

Die Aufklärung über die Risiken einer Medikation ist ein Fall der Eingriffs- oder Risikoaufklärung, nicht der Sicherungsaufklärung. Es geht hierbei nicht um Hinweise für die richtige Einnahme des Medikaments, sondern um die Unterrichtung des Patienten über das Risiko des beabsichtigten ärztlichen Vorgehens, damit dieser sein Selbstbestimmungsrecht ausüben kann (vgl. BGH, Urteil vom 14.9.2004, VI ZR 186/03, juris Rn 13, NJW 2004, 3703 ff; Urteil vom 15.3.2005, VI ZR 289/03, juris Rn 13, 14, NJW 2005, 1716 ff [BGH 15.03.2005 – VI ZR 289/03]).

Der Patientin waren die dem Eingriff typischerweise anhaftenden, diesen eigentümlichen Risiken so zu verdeutlichen, dass sie die Belastungen für ihre weitere Lebensführung im Falle der Verwirklichung des Risikos einschätzen konnte.

aa) Die Patientin ist unstreitig nicht über das noch im Jahr 2007 in der Packungsbeilage zu Pantoprazol als sehr seltene Nebenwirkung bezeichnete Lyell-Syndrom, auch toxische epidermale Nekrolyse (TEN), aufgeklärt worden. Die Frage, ob das Lyell-Syndrom als allergische Reaktion bei entsprechender Disposition des Immunsystems des Patienten ein typisches und damit aufklärungspflichtiges Risiko der Einnahme von Pantoprazol ist, kann offen bleiben. Denn der von den Beklagten bereits im ersten Rechtszug erhobene Einwand der sog. hypothetischen Einwilligung ist begründet. Sie haben vorgetragen, die Patientin hätte sich im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Rezidiv-Blutungen einerseits und die extreme Seltenheit des Auftretens eines Lyell-Syndroms bei Einnahme des Rezidiv-Blutungen verhindernden Medikaments für die Einnahme des die Magensäuresekretion hemmenden Arzneimittels entschieden.

Die Beklagten sind des Beweises enthoben, dass die Patientin sich nach ordnungsgemäßer Aufklärung für die Einnahme von Pantoprazol entschieden hätte, denn die Kläger haben nicht plausibel gemacht, dass die Patientin, wäre ihr das Risiko einer schweren Hautreaktion, welches sich bei ihr verwirklicht hat, rechtzeitig verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, ob sie das Medikament nehmen soll oder nicht.

Feststellungen dazu sind grundsätzlich nicht ohne Anhörung des Patienten zu treffen. Ist eine persönliche Anhörung nicht mehr möglich, weil der Patient verstorben ist, hat das Gericht sich anhand des Verhaltens des Patienten vor seinem Ableben durch Vernehmung benannter Zeugen, z. B. naher Angehöriger, ein Bild von der Entscheidungssituation zu verschaffen. Demgemäß hat das Landgericht den Kläger zu 1. verfahrensfehlerfrei informatorisch angehört.

Dem Landgericht ist darin zu folgen, dass die informatorische Anhörung des Klägers zu 1. nicht nachvollziehbar macht, dass die Patientin bei zutreffender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre.

Der Patientin wäre der Nutzen des Einsatzes des Medikaments darzustellen gewesen, nämlich die Hemmung der Magensäuresekretion zur Abwendung der Gefahr weiterer Gastrointestinalblutungen mit Verschlechterung der Leberfunktion und einer Progredienz des Krankheitsbildes (GA G vom 25.5.2011, S. 10) sowie die Reduktion der durch die Ligaturbehandlung in der Speiseröhre in der Nähe der ehemaligen Varizen entstehenden Geschwüre, welche ihrerseits eine Blutungsquelle darstellen (GA G vom 3.8.2010, S. 10).

Die hohe Sicherheit und therapeutische Breite von Pantoprazol wären anzusprechen gewesen (GA G vom 3.8.2010, S. 11).

Diesem Nutzen wäre das extrem geringe Risiko gegenüberzustellen gewesen, dass ein Patient infolge der Einnahme des Medikaments eine schwere Hautreaktion mit Blasenbildung und Hautablösung bis zum letalen Ausgang hin entwickelt.

F hat die Wahrscheinlichkeit, an einem medikamentös induzierten Lyell-Syndrom zu erkranken, als ausgesprochen selten bezeichnet (ca. 0,4 – 2 Fälle pro eine Million Einwohner pro Jahr, GA vom 17.4.2008, S. 12). Der Sachverständige G hat das Risiko, eine medikamenteninduzierte schwere Hautreaktion zu entwickeln, unter Bezug auf die Produktinformation des Herstellers von Pantoprazol als extrem gering eingeschätzt; dieses verwirkliche sich in einer Größenordnung von 1 zu mehreren Millionen (GA vom 3.8.2010, S. 12, 15). Die Ausführungen des Sachverständigen H, Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, ergeben kein anderes Bild. Auf der Grundlage der Ausführungen dieses Sachverständigen beträgt das Risiko für das Entstehen einer solchen Hauterkrankung 0,1 bis 0,3 auf 100.000 Personen (0,0001 – 0,0003%), wobei diese Angabe alle Medikamente umfasst, die für die Entwicklung einer solch schweren Ausprägung einer Arzneimittelreaktion in Betracht kommen (Prot. vom 9.9.2014, Bl. 491 ff, 494 d. A.).

Aufgrund dieser objektiven Gegebenheiten liegt ein echter Entscheidungskonflikt der Patientin fern. Zwar kommt es nicht darauf, an, wie ein vernünftiger Patient sich verhalten hätte. Gleichwohl müssen die Kläger aber einsichtig machen, weshalb die Patientin bei vollständiger Aufklärung über das Für und Wider der Einnahme von Pantoprazol vor der ernsthaften Frage gestanden hätte, ob sie einer Therapie mit diesem Medikament zustimmen soll. Dies ist den Klägern nicht gelungen. Der Kläger zu 1. hat anlässlich seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht keine plausiblen Gründe für einen ernsthaften Entscheidungskonflikt der Patientin vorgebracht.

Seine Darstellung, die Patientin habe in erster Linie Naturheilmittel genommen, besagt nichts zu einem Konflikt anlässlich der Entscheidung, ein hoch sichereres Mittel mit hoher therapeutischer Breite zur Abwendung der Gefahr weiterer Gastrointestinalblutungen mit Verschlechterung der Leberfunktion einzunehmen und dabei das extrem geringe, sich in einer Größenordnung von 1 zu mehreren Millionen (GA G vom 3.8.2010, S. 12, 15) bewegende Risiko in Kauf zu nehmen, dass infolge der Einnahme des Medikaments eine schwere Hautreaktion mit Blasenbildung und Hautablösung bis zum letalen Ausgang entsteht.

Die frühere Entscheidung der Patientin, ein ihr gegen Beschwerden in den Wechseljahren verordnetes Medikament nach Lektüre der Packungsbeilage, worin auf das Risiko von Brustkrebs hingewiesen wurde, nicht einzunehmen, macht aufgrund der nicht ansatzweise vergleichbaren Konfliktsituation ebenfalls nicht einsichtig, dass die Patientin sich ernsthaft vor die Frage gestellt gesehen hätte, ob sie sich unter Inkaufnahme eines extrem geringen Risikos, eine schwere Hautreaktion zu entwickeln, für die Einnahme des als sicher geltenden Medikaments Pantoprazol entscheiden solle, um einer weiteren Verschlechterung ihrer Leberfunktion entgegenzuwirken.

Der von dem Kläger zu 1. weiter geschilderte Umstand, dass die Patientin gezögert habe, in eine Magenspiegelung einzuwilligen bzw. zugleich mit der Gastroskopie eine Varizenligatur vornehmen zu lassen, zeigt, dass sie sich in der konkreten Situation nicht so verhielt, wie dies aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre. Dieses Verhalten lässt aber nicht den Schluss zu, dass die Patientin sich immer – gemessen an objektiven Kriterien – „unvernünftig“ verhalten hätte, dass sie die Schwere ihrer Erkrankung nach Gastroskopie und Ösophagusvarizenligatur nicht realisiert hätte und in Kenntnis der aktuellen Gefahr einer weiteren Verschlechterung ihrer Leberfunktion im Hinblick auf ein extrem seltenes Risiko, bei Einnahme von Pantoprazol ein Lyell-Syndrom zu entwickeln, in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten wäre.

Auch ist für die Beurteilung, ob die Patientin bei vollständiger Aufklärung über Nutzen und Risiken der Einnahme des Medikaments ernsthaft vor die Frage gestellt gewesen wäre, ob sie das Medikament nehmen solle, ihr Verhalten nach der Entlassung aus der Klinik der Beklagten zu 1. zu berücksichtigen (vgl. Martis/ Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Anm. A 1908). Der Kläger zu 1. hat geschildert, die Patientin habe nunmehr das – wirkungsgleiche – Medikament Omeprazol eingenommen, ohne die Packungsbeilage zu lesen. Dies lässt mit dem Landgericht den Schluss zu, dass für sie die Therapie ihrer außerordentlich schweren Lebererkrankung im Vordergrund stand, dass sie keinen Spielraum mehr für eine Nutzen-Risiko-Abwägung sah und, so die Erwägung des Klägers zu 1. anlässlich seiner Anhörung vor dem Landgericht, den Ärzten vertraute.

Die pauschale Behauptung des Klägers zu 1. im Termin des Landgerichts am 2.5.2012, er könne bestätigen, dass bei ausreichender Aufklärung ein Entscheidungskonflikt bestanden hätte, genügt nicht, um die persönliche Entscheidungssituation der Patientin einsichtig zu machen.

Die wiederholte informatorische Anhörung des Klägers zu 1. vor dem Senat zeitigt kein anderes Ergebnis. So hat der Kläger zu 1. zunächst darauf abgestellt, man habe die Patientin über letale Nebenwirkungen des Medikaments aufklären müssen. Wie bereits ausgeführt wäre der Patientin indessen ein Nutzen-Risiko-Verhältnis zu vermitteln, es wären ihr die Risiken der Nichteinnahme des Medikaments einerseits und das extrem seltene Auftreten eines Lyell-Syndroms bei Einnahme des Rezidiv-Blutungen verhindernden Medikaments andererseits darzustellen gewesen. Seine sodann geäußerte Überzeugung, so wie er seine Frau gekannt habe, hätte sie Pantoprazol auch nach einer Aufklärung über das Verhältnis von Nutzen und Risiken des Medikaments nicht eingenommen, vermittelt keine nachvollziehbaren Gründe für eine Ablehnung. Die weitere Bekundung des Klägers zu 1., die Patientin habe „von den Ärzten nicht viel gehalten“, er sei „fest davon überzeugt“, dass sie das Medikament auch nach Erläuterung eines Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht eingenommen hätte, zeigt ebenfalls nicht das Bild eines echten Entscheidungskonflikts auf.

Der Wechsel in der Besetzung des Senats nach der informatorischen Anhörung des Klägers zu 1. erfordert nicht deren Wiederholung. Auf einen persönlichen Eindruck von dem Kläger zu 1. kommt es nicht an, denn seine Erklärungen lassen inhaltlich nicht den Schluss auf einen echten Entscheidungskonflikt der Patientin zu (vgl. BGH NJW 1997, 1586, 1587).

Eine von dem Kläger zu 1. angesprochene Aufklärung über „andere Medikamente“ …..“evtl. nicht mit dieser Nebenwirkung“ war nicht angezeigt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat, wie bereits ausgeführt, die Sicherheit und therapeutische Breite des Medikaments als hoch und das Risiko, eine schwerwiegende Hautreaktion zu entwickeln, als extrem gering eingeschätzt.

bb) Die Beklagten haften nicht wegen unterlassener Aufklärung über mit der Einnahme des Medikaments Nystatin typischerweise einhergehende Risiken, welche sich bei der Patientin verwirklichten.

Die Beklagten traf keine Verpflichtung zur Aufklärung der Patientin über ein mit der Einnahme von Nystatin etwa einhergehendes Risiko der Entwicklung eines Lyell-Syndroms oder – als Vorstufe – eines Stevens-Johnson-Syndroms. Die Risikoaufklärung umfasst Risiken, die dem Eingriff typischerweise anhaften und mit diesem unmittelbar zusammenhängen, diesem eigentümlich sind (vgl. Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, Anm. C. 44). Der Sachverständige H, Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, hat ausgeführt, nur für bestimmte Zubereitungsformen von Nystatin vorliegende Einzelfallberichte sprächen dagegen, dass der Wirkstoff als solcher das Risiko berge, ein solches Syndrom zu entwickeln (GA H S. 7).

Überdies ist nur über im maßgeblichen Zeitpunkt bekannte Risiken aufzuklären. Der Sachverständige H ist indessen mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die behandelnden Ärzte im Jahr 2007 aus der einschlägigen Literatur und aus den Fachinformationen nicht ableiten konnten, das Lyell-Syndrom oder Stevens-Johnson-Syndrom stelle ein der Gabe von Nystatin typischerweise anhaftendes und mit diesem unmittelbar zusammenhängendes Risiko dar. In der unverändert gebliebenen Fachinformation heißt es, in Einzelfällen seien nach oraler Nystatingabe schwere allergische Reaktionen (Stevens-Johnson-Syndrom) beobachtet worden (Bl. 380 d. A.). In der Literatur findet sich nur eine Fallbeschreibung aus dem Jahr 1991 (Garty 1991) für das Auftreten eines Stevens-Johnson-Syndroms – nicht des Lyell-Syndroms – nach Behandlung mit Nystatin. Aus diesen Informationen konnten die Ärzte nicht ableiten, das Stevens – Johnson – Syndrom oder sogar das Lyell-Syndrom seien eingriffsspezifische Risiken der Gabe von Nystatin.

cc) Die Beklagten waren nicht verpflichtet, die Patientin vor der Behandlung ihres Harnweginfekts mit dem Antibiotikum Ciprobay darüber aufzuklären, dass der Wirkstoff dieses Medikaments das Risiko berge, ein Lyell-Syndrom oder Stevens-Johnson-Syndrom zu erleiden. Der Sachverständige H verneint bereits das Vorliegen einer substanztypischen Nebenwirkung (Prot. vom 9.9.2014, S. 2, Bl. 505 d. A.).

Der Umstand, dass in der Gebrauchsinformation für Ciprobay als sehr seltene Nebenwirkung das Stevens-Johnson-Syndrom oder die toxische epidermale Nekrolyse genannt sind, besagt nicht ohne Weiteres, dass diese Nebenwirkungen spezifisch mit der Verabreichung des Medikaments verbunden sind. Der Sachverständige H hat ausgeführt, in Fachinformationen würden auch gemeldete unerwünschte Ereignisse aufgeführt, die nicht zwangsläufig auf die Medikation zurückzuführen seien (GA vom 19.2.2014, S. 6, Bl. 419 d. A.).

Überdies sind solche eingriffsspezifischen Risiken nicht aufklärungspflichtig, die so außergewöhnlich und nicht vorhersehbar sind, dass sie für den Entschluss des Patienten, ob er in den Eingriff einwilligt, keine Bedeutung haben (vgl. BGH, Urteil vom 6.7.2010, VI ZR 198/09, juris Rn 16, NJW 2010, 3230 ff [BGH 06.07.2010 – VI ZR 198/09]: Aufklärung über ein nicht nur theoretisches Risiko; BGH, Urteil vom 8.1.1991, VI ZR 102/90, juris Rn 5, NJW 1991, 1541ff [BGH 08.01.1991 – VI ZR 102/90]; OLG Hamm, Urteil vom 14.10.1992, 3 U 94/92, juris Rn 4, VersR 1993, 1399, 1400 [OLG Hamm 14.10.1992 – 3 U 94/92]; OLG Hamm, Urteil vom 26.11.1997, 3 U 229/96, VersR 1999: eine Risikoaufklärung erfordert nicht den Hinweis auf eine in seltensten Fällen auftretende Komplikation). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Wahrscheinlichkeit, an einem medikamentös induzierten Lyell-Syndrom zu erkranken, hat F als ausgesprochen selten bezeichnet (ca. 0,4 – 2 Fälle pro eine Million Einwohner pro Jahr, GA F vom 17.4.2008, S. 12). Der Sachverständige G hat das Risiko, eine medikamenteninduzierte schwere Hautreaktion zu entwickeln, unter Bezug auf die Produktinformation des Herstellers von Pantoprazol als extrem gering eingeschätzt; dieses verwirkliche sich in einer Größenordnung von 1 zu mehreren Millionen (GA G vom 3.8.2010, S. 12, 15). Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H beträgt das Risiko für die Entstehung einer solchen Hauterkrankung 0,1 bis 0,3 auf 100.000 Personen (0,0001 – 0,0003%), wobei diese Angabe alle Medikamente umfasst, die für die Entwicklung einer solch schweren Ausprägung einer Arzneimittelreaktion in Betracht kommen (Prot. vom 9.9.2014, Bl. 491 ff, 494 d. A.). Daraus folgt, dass das Risiko eines durch Medikamente ausgelösten Lyell-Syndroms als rein theoretisch zu bewerten ist. So hat das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 14.10.1992 (NA BGH) bereits ein statistisches Risiko von eins zu fünftausend als außergewöhnlich und nicht vorhersehbar eingeschätzt.

Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Anforderungen an den Umfang und Inhalt der Aufklärungspflicht nicht aus den Gebrauchsinformationen für den Anwender (Packungsbeilagen) herzuleiten, sondern aus § 630 e Abs. 1 BGB und der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

dd) Vorsorglich sei ausgeführt, dass die vorstehenden Ausführungen zu einer Aufklärungspflicht über spezifische, aber ganz außergewöhnliche und nicht vorhersehbare Risiken hinsichtlich der Gabe von Pantoprazol und Nystatin entsprechend gelten.

ee) Die Gabe von Ciprobay war gleichwohl rechtswidrig, wenn nicht wenigstens eine sog. Grundaufklärung erfolgte. Insofern haben die Beklagten den Einwand der hypothetischen Einwilligung nicht erhoben. Demgemäß war die Patientin über allergische Reaktionen im Zusammenhang mit der Einnahme von Antibiotika aufzuklären. Die Beklagten haben sich für ihre dahin gehende Behauptung auf die Beklagte zu 3. bezogen. Die Beklagte zu 3. hat ihre übliche Aufklärungsroutine im Zusammenhang mit der Verordnung eines Antibiotikums dahin geschildert, sie kläre die Patienten darüber auf, dass Antibiotika Allergien, z. B. auch Hautausschläge, auslösen könnten. Diese Aufklärung genügte als Grundaufklärung, denn dem Patienten wird damit eine allgemeine Vorstellung der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt. Hingegen war im Rahmen einer Grundaufklärung nicht über das Risiko der Entstehung des Lyell-Syndroms aufzuklären. Es handelt sich hierbei nicht um das schwerste möglicherweise in Betracht kommende, sondern nur um ein theoretisches Risiko (s. o. unter b) cc).

Der Darstellung der Beklagten zu 3. ist zu folgen. Sie hat sich zu ihrer üblichen Aufklärung bei der Patientenaufnahme eingelassen. Ihre Bekundung, sie informiere Patienten im Falle der Verordnung von Antibiotika über das Risiko von Allergien, so auch über Hautausschläge, ist als Kernaussage in eine detailreiche, anschauliche und in sich widerspruchsfreie Schilderung weiterer Aufklärungsinhalte eingebettet.

B. Die Kläger haben nach § 97 Abs. 1 ZPO die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die gesetzlichen Zulassungsgründe liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO.

Die Wertfestsetzung beruht auf einer Addition der Leistungsanträge (ausgenommen die Anträge 8. und 9., die Nebenforderungen betreffen) unter Berücksichtigung der Regelung in § 42 Abs. 1 GKG a. F. und der Bemessung des Feststellungsbegehrens mit einem Betrag von 5.000.- €.

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