AG Göttingen, Beschluss vom 20. April 2016 – 74 IK 74/16
1. Eine wirksame Bescheinigung auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO setzt einen persönlichen Kontakt des Bescheinigers mit dem Schuldner voraus.(Rn.4)
2. Ein telefonischer Kontakt genügt nicht (LG Düsseldorf Beschluss vom 26. Juni 2015, 25 T 410/15, ZVI 2015, 335; AG Potsdam Beschluss vom 19. Februar 2015, 35 IK 1239/14, ZInsO 2015, 599 = VIA 2015, 55 mit zust. Anm. Siebert und abl. Anm. Henning InsbürO 2015, 407, 408).(Rn.9)
3. Ein derartiger Antrag ist als unzulässig abzuweisen.(Rn.3)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Antrag vom 19.02.2016 auf Stundung der Verfahrenskosten wird als unzulässig abgewiesen.
Gründe
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I. Der in Göttingen wohnhafte Schuldner hat mit Schreiben vom 11.3.2016 Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen, Restschuldbefreiung und Stundung beantragt. Die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuches gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO weist aus, dass der Einigungsversuch endgültig gescheitert ist am 16.11.2005. Ausgestellt ist die Bescheinigung von Rechtsanwältin B. (aus dem über 400 km entfernten) Bad Doberan.
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Mit Schreiben vom 16.3.2016 hat das Insolvenzgericht darauf hingewiesen, dass § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine „persönliche Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners“ voraussetzt. Mit Schreiben vom 31.3.2016 hat die Ausstellerin der Bescheinigung mitgeteilt, dass sie vom Antragsteller am 5.8.2015 Belege über die Einkommens- und Vermögenssituation abgefordert habe. Nach Eingang habe sich der Schuldner auf entsprechende Aufforderung am 20.8.2015 telefonisch gemeldet. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Die Unterzeichnerin hat dann persönlich mit dem Antragsteller die Situation telefonisch besprochen. Im Vorfeld waren die Einkommens- und Vermögens-Belege des Antragstellers geprüft wurden. Die Forderungsaufstellungen der Gläubiger lagen vor. Nach Prüfung der Belege wurde am 20. August 2015 der Schuldenbereinigungsplan mit dem Antragsteller telefonisch durch die Unterzeichnerin besprochen. Die Vor- und Nachteile eines außergerichtlichen Verfahrens wurden mit dem Antragsteller besprochen. Die Einkommenssituation wurde mit ihm besprochen. Die Konsequenzen eines Scheiterns des Schuldenbereinigungsplans wurden mit ihm ebenfalls besprochen. Der Antragsteller hatte die Möglichkeit der Unterzeichnerin persönlich Fragen zu stellen und diese Fragen wurden von der Unterzeichnerin dem Antragsteller auch beantwortet. Beide Personen haben telefonisch den Schuldenbereinigungsplan beraten. Nach Gegenüberstellung der Schuldhöhe und der Einkommensverhältnisse des Antragstellers wurde der Planvorschlag erarbeitet und am Ende des Gespräches durch die Unterzeichnerin den Gläubigern zugeleitet.“
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II. Der Antrag ist das unzulässig zurückzuweisen.
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1.) Es ist allgemeine Meinung, dass das Insolvenzgericht die vom Schuldner vorgelegter Bescheinigung gemäß § 305 I Nr. 1 InsO nur auf die formale Richtigkeit überprüfen kann, nicht aber inhaltlich (OLG Schleswig NZI 2000,165). Erhöhte Anforderungen hat die Änderung des § 305 I Nr. 1 InsO in den ab dem 1.7.2014 beantragten Verfahren gebracht, da nunmehr die Bescheinigung „auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners“ auszustellen ist. Die gerichtliche Praxis fordert als Reaktion eine persönliche Beratung durch den Bescheiniger (zuletzt LG Köln, Beschl. v. 24.11.2015 – 13 T 96/15, NZI 2016, 171 mit Anm. Schmerbach = ZInsO 2016, 289 mit Anm. Frind ZInsO 2016, 307, 311; AG Kaiserslautern Beschl. v. 13.01.2016 – 2 IK 359/15, ZInsO 2016, 244). Ablehnend äußert sich der überwiegende Teil der Literatur (Ahrens Handbuch Privatinsolvenzrecht 2. Aufl. 2015 Rz. 153 m.w.N.; Heyer ZVI 2013, 214; 217 m.w.N., anders aber auf dem 6. Privatinsolvenztag Göttingen 2.10.2015 für Fälle evidenten Missbrauches).
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2.) Nach den Angaben der Bescheinigerin hat nach Übersendung und Prüfung der Unterlagen der Schuldner mit ihr telefoniert. Fraglich ist, ob eine telefonische Beratung ausreichend ist. Die von der Rechtsprechung entschieden Fälle betreffen unterschiedliche Fallkonstellationen:
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o Beratung durch Dritte ungenügend (AG Düsseldorf Beschl. v. 3.2.2015 – 513 IK 233/14, ZVI 2015,171 = VIA 2015, 71 mit zust. Anm. Siebert sowie Beschl. v. 9.4.2015 – 513 IK 232/14, ZInsO 2015, 1753 = VIA 2015, 87 = ZVI 2015, 421: LG Köln , Beschl. v. 24.11.2015 – 13 T 96/15, NZI 2016, 171 mit Anm. Schmerbach = ZInsO 2016, 289 mit Anm. Frind ZInsO 2016, 307 – Beschwerdeentscheidung zu AG Köln, Beschl. v. 20.8.2015 NZI 2015, 863 mit Anm. Schmerbach = ZinsO 2015,1932 = ZVI 2015, 371).
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o schriftliche Korrespondenz nicht ausreichend (AG Kaiserslautern Beschl. v. 13.01.2016 – 2 IK 359/15); schriftliche Beratung nur ausnahmsweise genügend (LG Potsdam Beschl. v. 23.06.2015 – 2 T 24/15, ZInsO 2015, 1868 = NZI 2015, 901 = ZVI 2015, 285 – Beschwerdeentscheidung zu AG Potsdam 19.2.2015).
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o Beratung nur telefonisch oder per E-Mail und unter Einschaltung eines Vertreters ungenügend (LG Düsseldorf Beschl. v. 26.06.2015 – 25 T 410/15, ZVI 2015, 335 – Beschwerdeentscheidung zu AG Düsseldorf 9.4.2015) nur ausnahmsweise Telefonat genügend (AG Potsdam Beschl. v. 19.2.2015 – 35 IK 1239/14, ZInsO 2015, 599 = VIA 2015, 55 mit zust. Anm. Siebert und abl. Anm. Henning InsbürO 2015, 407, 408). Ähnlich Entschließung BAKInsO vom 21.11.2014: face to face Beratung notwendig www.bak-inso.de Dokumente Entschließungen, ZInsO 2014, 2565).
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3.) Eine telefonische Beratung ist nicht ausreichend.
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a) Die Rechtsprechung hat sich in zwei Entscheidungen geäußert.
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AG Potsdam 19.02.2015: „Eine persönliche Beratung im Sinne des Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Insolvenzschuldner mit dem entsprechenden Bescheiniger ein eingehendes, umfangreiches Gespräch führen kann. Hierzu ist regelmäßig ein persönliches Beieinandersein notwendig. Nur ausnahmsweise kann auch ein Telefonat zwischen den Beteiligten diese Voraussetzungen erfüllen, wenn das Telefonat zeitlich und inhaltlich umfangreich geführt wurde und der bescheinigenden Person dabei die Unterlagen des Insolvenzschuldners gleichzeitig vollständig vorlagen:
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„LG Düsseldorf 26.06.2015. „Jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – eine Beratung nur telefonisch oder per e-mail und zudem unter Einschaltung eines Vertreters erfolgt, kann auch nach Ansicht der Kammer nicht mehr von einer persönlichen Beratung im Sinne des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgegangen werden. Die Kammer teilt die Ansicht, dass in aller Regel ein persönliches Beieinandersein erforderlich sein dürfte, um dem Beratungszweck des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO genügen zu können.“
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b) Auszugehen ist von dem gesetzgeberischen Willen. Dieser äußert sich in zwei Richtungen. Zum einen sollen Insolvenzgerichte entlastet werden, indem die Überprüfungspflicht auf die formale Richtigkeit beschränkt ist, eine inhaltliche Prüfung (gab es ernsthafte Einigungsbemühungen? sind diese tatsächlich gescheitert?) aber ausgeschlossen ist. Zum anderen ist die bezweckte Entlastung und damit einhergehende eingehende eingeschränktem Prüfungsmöglichkeit nur gerechtfertigt, wenn der Bescheinigung zur Vermeidung eines Drehtüreffektes eine Analyse der Finanz – und Vermögenssituation vorausgeht, die nach dem gesetzgeberischen Willen durch den Bescheinigenden persönlich zu erbringen ist.
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Die Beratung muss sich auf das Verfahren, seine Chancen und Risiken beziehen (Beschluss des LG Köln vom 03.12.2015 – 13 T 128/15, ZInsO 2016, 288 unter Hinweis auf Uhlenbruck/Sternal InsO § 305 Rn. 73). Telefonische Beratungen oder online-Beratungen sind grundsätzlich nicht ausreichend (Frind ZInsO 2016, 307, 311). Nur ein persönlicher Kontakt garantiert die vom Gesetzgeber geforderte nachhaltige Beratung. Zudem ist mit vertretbaren Aufwand für die Insolvenzgerichte eine Überprüfung, ob die Unterlagen bei einem Telefonat tatsächlich vorlagen, nicht möglich (Frind ZInsO 2016, 307, 311).
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4.) Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig.