Vorsätzlich falsche Arbeitszeitdokumentation durch den Arbeitnehmer kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.11.2012 – 10 Sa 270/12

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.(Rn.22)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 2. Mai 2012, Az.: 12 Ca 3927/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011.
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Die Klägerin (geb. 19.10.1969, ledig) war seit dem 07.12.2007 im Z.-Museum der Stadt A. als Kassenkraft zu einem Monatsentgelt von ca. € 1.100,00 brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,5 Stunden angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) Anwendung. Die Stadt A. beschäftigt über tausend Arbeitnehmer; es besteht ein Personalrat.
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Im Z.-Museum ist keine Stempeluhr installiert, vielmehr erfassen die rund 20 Beschäftigten des Museums ihre tägliche Arbeitszeit durch handschriftliche Selbstaufzeichnung für jeweils einen Monat auf sog. Zeitsummenkarten. In die Zeitsummenkarte der Klägerin für den Monat August 2011 ist für Samstag, den 06.08.2011 in der Zeit von 8:30 bis 14:30 Uhr handschriftlich eine Arbeitszeit von 6 Stunden eingetragen worden, obwohl die Klägerin tatsächlich nicht gearbeitet hat. Die Beklagte wirft der Klägerin darüber hinaus vor, am Freitag, dem 12.08.2011 in der Zeit vom 12:00 bis 16:30 Uhr nicht gearbeitet zu haben, obwohl 4,5 Stunden als Arbeitszeit in ihrer Zeitsummenkarte eingetragen sind. Darüber hinaus soll die Klägerin am 03., 05., 17. und 18.08.2011 jeweils von 17:45 bis 18:15 Uhr, je 30 Minuten Arbeitszeit in die Karte eingetragen haben, obwohl sie nicht gearbeitet habe.
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Nach vorheriger Anhörung der Klägerin und Beteiligung des Personalrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 10.10.2011 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2011. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 31.10.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
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Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.05.2012 (dort Seite 3-7 = Bl. 131-135 d.A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin hat – soweit noch von Interesse – erstinstanzlich zuletzt beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-verhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011 beendet wurde,
festzustellen, dass die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses vom 10.10.2011 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis ungekündigt über den 31.12.2011 hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.05.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011 sei gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, weil die Klägerin am 06.08.2011 unstreitig keinen Dienst verrichtet, gleichwohl aber in ihre Zeitsummenkarte 6 Arbeitsstunden eingetragen habe. Dieses Verhalten stelle einen zumindest bedingt vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug dar. Es bestehe kein vernünftiger Zweifel daran, dass die falsche Eintragung von der Klägerin selbst stamme. Die Interessenabwägung falle zum Nachteil der Klägerin aus. Bei der Selbstaufschreibung von Arbeitszeiten sei eine uneingeschränkte Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer unabdingbar. Der Vertrauensverlust der Beklagten wiege schwerer als das Bestandsschutzinteresse der Klägerin. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 7 bis 15 des erstinstanzlichen Urteils vom 02.05.2012 (Bl. 135-143 d.A.) Bezug genommen.
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Das genannte Urteil ist der Klägerin am 30.05.2012 zugestellt worden. Sie hat mit am 12.06.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 30.08.2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 30.08.2012 begründet.
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Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, sie habe für den 06.08.2011 eine Arbeitszeit von 6 Stunden in ihre Zeitsummenkarte eingetragen, obwohl sie an diesem Tag nicht gearbeitet habe. Sie habe mit Nichtwissen bestritten, dass die falsche Eintragung von ihr selbst stamme. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, sei ihr Bestreiten mit Nichtwissen, wie die Eintragungen in ihrer Stundenkarte zustande gekommen seien, prozessual nicht unbeachtlich. Das Arbeitsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass sie umfassend Tatbestände vorgetragen habe, die als Mobbing und Bossing zu qualifizieren seien. Andere Mitarbeiter hätten gezielt in Schädigungsabsicht gegen sie gehandelt. Dadurch sei letztlich ihre psychische Destabilisierung herbeigeführt worden, mit der Folge, dass ihr auch Fehler unterlaufen seien. Die Beklagte treffe die Verpflichtung, nicht nur eine ggf. objektiv fehlerhafte Arbeitszeiterfassung darzulegen und zu beweisen, sondern auch deren vorsätzliche Begehung. Eine vorsätzliche Begehung sei nicht hinreichend belegt. Das Arbeitsgericht habe lediglich ausgeführt, ihr hätte „bekannt sein müssen“, dass sie am 06.08.2011 keinen Dienst verrichtet habe. Dies sei jedoch kein subjektives Element einer vorsätzlichen, sondern bestenfalls einer fahrlässigen Begehungsweise. Schließlich hätte wegen der geschilderten Mobbingproblematik auch eine nachträgliche Manipulation ihrer Zeitsummenkarte erfolgen können. Es sei unstreitig geblieben, dass die Karte auch dem Zugriff des Arbeitgebers ausgesetzt gewesen sei. Ihr Vortrag, dass die fehlerhafte Eintragung vom Arbeitgeber stammen könne, hätte das Arbeitsgericht nicht als Behauptung „ins Blaue hinein“ zurückweisen dürfen. Da die fehlerhafte Zeiterfassung nicht zwingend auf ein vorsätzliches Fehlverhalten zurückzuführen sei, hätte jedenfalls eine Abmahnung als milderes Mittel genügt. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Klägerin vom 30.08.2012 (Bl. 187-195 d.A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 02.05.2012, Az. 12 Ca 3927/11, abzuändern und
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011 nicht aufgelöst worden ist,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011 nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 27.09.2012 (Bl. 206-210 d.A.), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die erst- und zweitinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.
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II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.10.2011 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:
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1. Auch aus Sicht der Berufungskammer liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vom 10.10.2011 vor. Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2011 nicht zuzumuten.
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In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 14, NZA 2011, 1027, mwN).
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Vorliegend ist zwischen den Parteien unstreitig, dass in die Zeitsummenkarte der Klägerin für den 06.08.2011 eine Arbeitszeit von 6 Stunden eingetragen ist, obwohl die Klägerin an diesem Tag nicht gearbeitet hat. Ob die Klägerin auch am 12.08.2011 von 12:00 bis 16:30 Uhr sowie am 03., 05., 17. und 18.08.2011 jeweils von 17:45 bis 18:15 Uhr nicht gearbeitet hat, so dass weitere 6,5 Stunden fehlerhaft als Arbeitszeit in die Zeitsummenkarte für den Monat August 2011 eingetragen worden sind, konnte das Arbeitsgericht offen lassen.
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Die Würdigung des Arbeitsgerichts, die Eintragung in der Zeitsummenkarte für den 06.08.2011 sei durch die Klägerin selbst erfolgt, ist nicht zu beanstanden. Auch die Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als vorsätzlich lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Soweit die Berufung beanstandet, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum pauschalen Bestreiten mit Nichtwissen stünden nicht in Einklang mit § 138 ZPO kann dem auf der Basis der vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellten Rechtsmaßstabes nicht gefolgt werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin behauptet, sie sei von anderen Mitarbeitern gemobbt worden. Die allgemeinen Ausführungen der Berufung über die Rechtsprechung zum sog. Mobbing helfen in der Sache nicht weiter. Die in § 138 ZPO geregelten zivilprozessualen Erklärungspflichten treffen auch denjenigen, der eine Mobbingsituation am Arbeitsplatz und eine darauf zurückzuführende „psychische Destabilisierung“, die Fehler bei der Arbeitszeiterfassung verursachen soll, behauptet. Die Klägerin war verpflichtet, die von der Beklagten nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit im Museum korrekt zu dokumentieren. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen, denn ihre Zeitsummenkarte war unrichtig ausgefüllt. Es war von der Klägerin redlicherweise zu erwarten, ihre Kommens- und Gehenszeiten sofort in die Karte einzutragen und so ihre tatsächliche Arbeitszeit gewissenhaft zu dokumentieren. Die Versuche der Klägerin, ihr Verhalten mit fehlenden Anweisungen, Erinnerungslücken, Manipulationsmöglichkeiten und Mobbing zu erklären, sind zu ihrer Entlastung untauglich. Da sie die Zeitsummenkarte nicht zeitnah ausgefüllt hat, hat sie Fehleintragungen billigend in Kauf genommen.
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Wenn der Arbeitgeber das Erfassen der Arbeitszeiten den Arbeitnehmern in eigener Zuständigkeit überlässt, bringt er ihnen einen Vertrauensvorschuss entgegen. Da der Klägerin bekannt war, dass die Zeitsummenkarten für die Abrechnung der von ihr geleisteten Arbeitszeit benötigt wurden, gehörte es – selbstverständlich – zu ihren arbeitsvertraglichen Pflichten, die Eintragungen korrekt vorzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Eintragungen zeitnah erfolgen, weil mit zunehmendem Zeitablauf das menschliche Erinnerungsvermögen abnimmt. Das versteht sich von selbst, so dass es einer entsprechenden Anweisung nicht bedurfte. Bei einer verspäteten Eintragung hat die Klägerin somit stets billigend in Kauf genommen, falsche Angaben hinsichtlich ihrer Arbeitszeit zu machen. Auch für die zivilrechtliche Verantwortlichkeit genügt als Vorsatz der bedingte Vorsatz. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch.
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Auch die Würdigung des Arbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall entbehrlich gewesen, ist nicht zu beanstanden. Eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte war – auch für die Klägerin erkennbar – offensichtlich ausgeschlossen. Eine Abmahnung als milderes Mittel um Vertragsstörungen zukünftig zu beseitigen, scheidet damit vorliegend aus.
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Schließlich ist auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Sie fällt zu Lasten der Klägerin aus. Die Berufungskammer teilt die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass der Beklagten nicht zuzumuten war, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.12.2011 fortzusetzen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass gerade im Bereich der durch die Arbeitnehmer selbst nachzuweisenden Arbeitszeit der Arbeitgeber auf die korrekten Angaben der Beschäftigten in ihrer Zeitsummenkarte angewiesen ist. Eine ständige Kontrolle der Anwesenheitszeiten ist nicht möglich. Wird die fehlende Kontrollmöglichkeit dazu ausgenutzt, die Zeiterfassungskarte vorsätzlich falsch auszufüllen, ist das für eine weitere Zusammenarbeit notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Demgegenüber hat die Dauer der Beschäftigung der Klägerin von knapp vier Jahren kein besonderes Gewicht.
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2. Nicht zu beanstanden ist schließlich die Würdigung des Arbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Berufung erhebt insoweit auch keine Einwände.
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III. Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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