BGH, Urteil vom 13.06.2012 – I ZR 161/10
1. Einem vertraglichen Anspruch des Empfängers gegen den Unterfrachtführer aus § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB steht nicht entgegen, dass die Voraussetzungen für eine Haftung des Unterfrachtführers nach § 437 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht erfüllt sind, weil der jeweilige Haftungsgrund sich aus unterschiedlichen Rechtsverhältnissen ergibt. Der ausführende Frachtführer im Sinne von § 437 Abs. 1 HGB haftet nach Maßgabe des (Haupt-)Frachtvertrags zwischen dem Absender und dem vertraglichen (Haupt-)Frachtführer. Die Haftung des Unterfrachtführers gegenüber dem Empfänger gemäß § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB richtet sich demgegenüber allein nach dem den Empfänger begünstigenden Unterfrachtvertrag.(Rn.27)
2. Von einem Zubringerdienst im Sinne von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ ist nur dann auszugehen, wenn der Oberflächenbeförderung lediglich eine reine Hilfsfunktion für die Luftbeförderung zukommt. Unterbleibt eine Luftbeförderung auf der Teilstrecke, obwohl eine solche technisch und verbindungsmäßig möglich wäre, hat die Oberflächenbeförderung keine Hilfsfunktion mehr, sondern einen die Luftbeförderung ersetzenden eigenständigen Charakter.(Rn.33)
(Leitsätze des Gerichts)
Tenor
Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. August 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin ist Transportversicherer der T. OHG (im Weiteren: Versicherungsnehmerin) in M. (Bayern). Sie nimmt das beklagte Paketdienstunternehmen aus übergegangenem und abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Versicherungsnehmerin schloss mit der Beklagten im Mai 2004 eine Rahmenvereinbarung über Sondertarife für den Versand und Empfang von Paketen. Dabei teilte die Beklagte der Versicherungsnehmerin die Kundennummer 799527 zu, für die sie der Versicherungsnehmerin Sondertarife gewährte. In den Beförderungsbedingungen der Beklagten, die wesentlicher Bestandteil der Rahmenvereinbarung sind, ist bestimmt, dass die Beklagte nur Pakete mit einem Wert bis zu 50.000 US-Dollar befördert.
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Die Versicherungsnehmerin bestellte im Oktober 2005 bei einem in Burnaby/Kanada ansässigen Unternehmen (im Weiteren: Versenderin) insgesamt 13 elektronische Schaltungen zum Gesamtpreis von 137.661,75 US-Dollar. In einer von der Versicherungsnehmerin an die Versenderin gerichteten „purchase order“ vom 27. Oktober 2005 befand sich unter dem Hinweis „Instructions“ der Zusatz „shipments by U. our account Nbr. 799527“. Die Versenderin verpackte zwölf der 13 bestellten Schaltungen in zwei Pakete und übergab diese an die für Kanada zuständige Schwestergesellschaft der Beklagten zum Transport nach Deutschland. Das Gut wurde anschließend per Luftfracht zum Flughafen Köln/Bonn befördert, auf dem die Beklagte ein Umschlagslager unterhält. Nach Ankunft der beiden Pakete auf dem Flughafen Köln/Bonn erstellte die Beklagte am 27. November 2005 einen Internationalen Haus-Luft-Frachtbrief, in dem sie als Rechnungsbetrag 126.178,50 US-Dollar und die Kundennummer der Versicherungsnehmerin vermerkte. Beide Pakete wurden vor der Weiterbeförderung zur Versicherungsnehmerin für eine Zollbeschau geöffnet. Dabei wurde der Inhalt überprüft und festgestellt, dass es sich um Schaltungen handelte.
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Am 1. Dezember 2005 traf eines der beiden Pakete bei der Versicherungsnehmerin ein, das sechs elektronische Schaltungen enthielt. Am nächsten Tag lieferte die Beklagte ein weiteres Paket bei der Versicherungsnehmerin an, in dem sich nicht die noch fehlenden sechs Schaltungen, sondern Muster von Stoffen, Garnen und Knöpfen befanden. Das zweite Paket mit den restlichen sechs Schaltungen wurde nicht mehr aufgefunden.
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Die Klägerin zahlte für den Verlust der sechs Schaltungen an ihre Versicherungsnehmerin 51.959,09 €. Den Betrag errechnete die Klägerin aus dem Kaufpreis für die abhandengekommenen Schaltungen in Höhe von 52.542,80 € abzüglich eines Selbstbehalts der Versicherungsnehmerin in Höhe von 511,29 € und einer Entschädigungszahlung der Beklagten in Höhe von 72,42 €. Die Versicherungsnehmerin trat ihre wegen des Verlusts des Gutes gegen die Beklagte bestehenden Ansprüche an die Klägerin ab.
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Die Klägerin ist der Ansicht, zwischen ihrer Versicherungsnehmerin und der Beklagten sei im Wege einer Routing Order ein multimodaler Frachtvertrag über die Beförderung der in Rede stehenden Schaltungen von Kanada nach Deutschland zustande gekommen. Die Beklagte hafte der Versicherungsnehmerin auch als Empfängerin des Gutes, weil dessen Verlust während der Lkw-Beförderung vom Flughafen Köln/Bonn zur Versicherungsnehmerin eingetreten sei. Auf gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkungen könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, da sie – was unstreitig ist – keine durchgängigen Schnittstellenkontrollen durchführe.
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Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 52.470,38 € nebst Zinsen zu verurteilen.
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Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat das Zustandekommen eines Frachtvertrags zwischen ihr und der Versicherungsnehmerin in Abrede gestellt. Die Beklagte ist der Meinung, sie hafte auch nicht als Unterfrachtführerin, da sie den Transport vom Flughafen Köln/Bonn zur Versicherungsnehmerin aufgrund eines Vertrags mit der in den Vereinigten Staaten ansässigen U. Inc. durchgeführt habe. Eine unbegrenzte Haftung für den Verlust des Gutes komme nicht in Betracht, weil der streitgegenständliche Transport den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens unterliege.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin von 50% verurteilt, an die Klägerin 26.198,98 € nebst Zinsen zu zahlen (OLG München, Urteil vom 18. August 2010 – 7 U 2114/10, juris).
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Die Klägerin verfolgt mit der vom Senat zugelassenen Revision ihr Klagebegehren in dem bislang erfolglos gebliebenen Umfang weiter. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage. Beide Parteien beantragen, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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A. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte hafte für den Verlust von sechs elektronischen Schaltungen gemäß §§ 452, 425 Abs. 1, § 435 HGB grundsätzlich unbeschränkt. Die Haftung sei jedoch nach § 425 Abs. 2 HGB wegen eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin um 50% gemindert. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:
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Zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten sei ein multimodaler Frachtvertrag über die Beförderung des streitgegenständlichen Gutes von der in Kanada ansässigen Versenderin zur Versicherungsnehmerin in M. zustande gekommen. Die Versicherungsnehmerin habe die Versenderin bei der Bestellung der elektronischen Schaltungen angewiesen, die Ware durch „U. “ zu versenden und der Versenderin hierfür ihre Kundennummer 799527 aus der mit der Beklagten im Mai 2004 geschlossenen Rahmenvereinbarung übermittelt.
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Die Beklagte hafte gemäß §§ 452, 425 Abs. 1, § 429 Abs. 1, § 435 HGB unbegrenzt für den der Versicherungsnehmerin durch den Verlust von sechs Schaltungen entstandenen Schaden, der sich unter Berücksichtigung der von der Beklagten geleisteten Zahlung in Höhe von 72,42 € auf 52.470,38 € belaufe. In dem abhandengekommenen Paket hätten sich sechs Schaltungen mit einem Gesamtwert von 52.542,80 € befunden. Gemäß § 435 HGB, der im Streitfall nicht nach § 452a Satz 1 HGB durch Art. 22 Abs. 3 MÜ ersetzt werde, schulde die Beklagte vollen Schadensersatz, weil sie im Hinblick auf die fehlenden Schnittstellenkontrollen den Verlust durch eine bewusste Leichtfertigkeit verursacht habe.
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Der auf die Klägerin übergegangene und an sie auch abgetretene Schadensersatzanspruch der Versicherungsnehmerin sei allerdings wegen eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin, das sich aus einem unterlassenen Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens ergebe, gemäß §§ 452, 425 Abs. 2 HGB um 50% gemindert. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Beklagte oder deren für Kanada zuständiges Schwesterunternehmen bei der Annahme des abhandengekommenen Pakets den über 50.000 US-Dollar liegenden Wert des Inhalts gekannt hätte.
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B. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Revisionen der Parteien haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Revision der Beklagten
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1. Die Revision der Beklagten wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Versicherungsnehmerin und die Beklagte hätten über die Beförderung der streitgegenständlichen Sendung von Kanada zur Versicherungsnehmerin einen multimodalen Frachtvertrag geschlossen.
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a) Das Berufungsgericht hat seine Annahme vor allem darauf gestützt, dass die Beklagte den gesamten Transport auf der Grundlage der in der Rahmenvereinbarung von Mai 2004 festgelegten Sondertarife für den Versand und den Empfang von Paketen gegenüber der Versicherungsnehmerin abgerechnet hat. Die Inanspruchnahme des Sondertarifs – so das Berufungsgericht – sei davon abhängig, dass die der Versicherungsnehmerin von der Beklagten zugewiesene Kundennummer (799527) Verwendung finde, was im Streitfall geschehen sei. Die Versicherungsnehmerin habe die Versenderin bei der Bestellung der Schaltungen angewiesen, die Ware durch „U. “ befördern zu lassen, und ihr hierfür die Kundennummer 799527 übermittelt. Der Umstand, dass die Klägerin für den konkreten Inhalt der Auftragserteilung durch die Versenderin keine unmittelbaren Nachweise habe vorlegen können, stehe der Annahme eines Vertragsschlusses zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten nicht entgegen, da die Beklagte die beiden Pakete mit den Schaltungen auf dem Flughafen Köln/Bonn unter der Kundennummer der Versicherungsnehmerin entgegengenommen habe. Zudem sei die Beklagte bei der Verzollung des Gutes als Vertreterin der Versicherungsnehmerin aufgetreten. Sie habe für die Verzollung erforderliche Informationen bei der Versicherungsnehmerin eingeholt und diese weitergeleitet.
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b) Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann ein Vertragsschluss zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten über die Beförderung der streitgegenständlichen Sendung nicht angenommen werden. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung entscheidungserhebliches Verteidigungsvorbringen der Beklagten unberücksichtigt gelassen hat.
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aa) Das Berufungsgericht ist bei dem von ihm angenommenen Vertragsschluss zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten von einer doppelten Stellvertretung ausgegangen: Zum einen habe die Versenderin die Versicherungsnehmerin bei der Beauftragung der Beklagten vertreten. Zum anderen habe die für Kanada zuständige U. -Schwestergesellschaft der Beklagten Letztere bei der Annahme des Frachtvertragsangebots der Versicherungsnehmerin vertreten. Dem kann nicht zugestimmt werden.
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Die Beklagte hat sowohl in erster als auch in zweiter Instanz geltend gemacht, sie sei nicht von der Versicherungsnehmerin mit der Beförderung der streitgegenständlichen Sendung von Kanada nach Deutschland beauftragt worden. Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass sich auch aus dem Vortrag der Klägerin kein Sachverhalt ergibt, der den Schluss auf einen Vertragsschluss zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin rechtfertigt. Die Klägerin hat in den Vorinstanzen nicht dargelegt, dass die Versenderin bei der Übergabe der beiden Pakete an die für Kanada zuständige Schwestergesellschaft der Beklagten auf die zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten bestehende Rahmenvereinbarung Bezug genommen oder in anderer Weise gegenüber der Schwestergesellschaft zum Ausdruck gebracht hat, dass sie den Beförderungsauftrag nicht für sich selbst, sondern für die Versicherungsnehmerin erteile. Dies war ein zentraler Punkt des Verteidigungsvorbringens der Beklagten in den Vorinstanzen, den das Berufungsgericht hätte berücksichtigen müssen. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten hat die Versenderin bei der Auftragserteilung auch nicht gegenüber der Schwestergesellschaft der Beklagten erklärt, dass sie den Beförderungsauftrag nicht dem für Kanada zuständigen U. -Unternehmen, sondern der Beklagten erteilen wolle. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Versicherungsnehmerin habe die Versenderin bei der Bestellung der Schaltungen unter Mitteilung ihrer Kundennummer 799527 angewiesen, die Ware durch „U. “ zu versenden, rechtfertigt nicht die Annahme, dass es auch zu einem Vertragsschluss zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten gekommen ist. Aus der Anweisung der Versicherungsnehmerin ergibt sich nur ganz allgemein, dass „U. “ mit der Beförderung beauftragt werden sollte und nicht, dass gerade der in Deutschland ansässigen Beklagten der Beförderungsauftrag erteilt werden musste. Den Feststellungen des Berufungsgerichts kann auch nicht entnommen werden, dass die Beklagte ihre für Kanada zuständige Schwestergesellschaft bevollmächtigt hatte, für die Beklagte auf den Abschluss von Frachtverträgen gerichtete Erklärungen abzugeben. Die Klägerin hat eine solche Bevollmächtigung auch nicht behauptet. Schließlich hat die Klägerin selbst eingeräumt, dass sie keinen Mitarbeiter ihrer Versicherungsnehmerin als Zeugen dafür benennen könne, dass die Beklagte mit der Abholung der streitgegenständlichen Sendung beauftragt worden sei.
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bb) Die weiteren vom Berufungsgericht für das Zustandekommen eines Frachtvertrags angeführten Umstände rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme eines Vertragsschlusses zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten.
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(1) Das Berufungsgericht hat der Tatsache, dass die Beklagte der Versicherungsnehmerin die Frachtvergütung für den gesamten Transport von der kanadischen Versenderin zur deutschen Empfängerin entsprechend der Rahmenvereinbarung in Rechnung gestellt hat, entscheidende Bedeutung für den von ihm angenommenen Vertragsschluss beigemessen. Die Revision rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe dabei den Vortrag der Beklagten unberücksichtigt gelassen, wonach diese der Versicherungsnehmerin die Gesamtfracht im Auftrag von U. Inc. für die für Kanada zuständigen U. -Gesellschaft in Rechnung gestellt habe. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang des Weiteren vorgetragen, der Grund für diese Abrechnungsweise bestehe darin, dass bei grenzüberschreitenden Beförderungsaufträgen keine Rechtsbeziehungen zwischen den nationalen U. -Schwestergesellschaften begründet würden. Vielmehr vermittle U. Inc. die Auftragserteilungen. Sie – die Beklagte – sei im Streitfall auch ausschließlich für U. Inc. tätig geworden. Mit diesem erheblichen Verteidigungsvorbringen der Beklagten hat sich das Berufungsgericht ebenfalls nicht auseinandergesetzt. Allein der Umstand, dass die Beklagte der Abrechnung die Sondertarife der Rahmenvereinbarung zugrunde gelegt hat, rechtfertigt nicht den Schluss, die Versenderin und die für Kanada zuständige Schwestergesellschaft hätten den Frachtvertrag namens der Versicherungsnehmerin und der Beklagten abgeschlossen.
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(2) Der weitere Umstand, dass die Beklagte bei der Versicherungsnehmerin für die Verzollung erforderliche Informationen eingeholt und diese weitergeleitet hat, sagt ebenfalls nichts darüber aus, ob zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten ein Frachtvertrag zustande gekommen ist. Die Beklagte hat dargelegt, dass sie die genannte Tätigkeit für ihre für Kanada zuständige Schwestergesellschaft bzw. in Ausführung des ihr von der U. Inc. erteilten Auftrags ausgeführt habe. Auch die Tatsache, dass die Beklagte im Zollbescheid vom 28. November 2005 als Vertreterin der Versicherungsnehmerin benannt ist, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass es zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin zum Abschluss eines Beförderungsvertrags über die streitgegenständliche Sendung gekommen ist.
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2. Auf den Abschluss eines Beförderungsvertrags zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten käme es allerdings nicht an, wenn die Beklagte auf der Grundlage ihres eigenen Vortrags – Auftragserteilung durch die U. Inc. – als ausführende Frachtführerin gemäß § 437 Abs. 1 Satz 1 HGB oder nach § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB für den Verlust des Gutes einstehen müsste. Das Berufungsgericht hat dazu – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen getroffen.
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a) Eine Einstandspflicht der Beklagten nach § 437 Abs. 1 Satz 1 HGB kommt im Streitfall nicht in Betracht. Eine Haftung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass auf den Hauptfrachtvertrag – nach dem Vortrag der Beklagten ist dies der zwischen der Versenderin und der für Kanada zuständigen U.-Gesellschaft geschlossene Beförderungsvertrag – deutsches Recht zur Anwendung kommt, weil sich die Haftung des ausführenden Frachtführers stets am Verhältnis zwischen dem Absender und dem vertraglichen (Haupt)Frachtführer und nicht an den vertraglichen Beziehungen des Letzteren zum ausführenden Frachtführer orientiert (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – I ZR 12/06, TranspR 2009, 130 Rn. 24 f. = VersR 2009, 1141). Dass auf den nach Behauptung der Beklagten zwischen der Versenderin und der für Kanada zuständigen Schwestergesellschaft abgeschlossenen Hauptvertrag deutsches Recht anwendbar sein könnte, ist auf der Grundlage des Parteivortrags nicht ersichtlich.
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b) Für eine Haftung der Beklagten käme allerdings auf der Grundlage ihres Vortrags ein auf die Klägerin übergegangener oder abgetretener (vertraglicher) Schadensersatzanspruch der Empfängerin gegen die Beklagte aus dem Unterfrachtvertrag nach § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB in Betracht, sofern auf den Unterfrachtvertrag deutsches Recht zur Anwendung käme. Die Unanwendbarkeit von § 437 HGB steht einem solchen vertraglichen Anspruch des Empfängers gegen den Unterfrachtführer nicht entgegen, da die Haftung des Unterfrachtführers gegenüber dem Empfänger aus einem anderen Rechtsverhältnis folgt. Während der ausführende Frachtführer nach Maßgabe des (Haupt)Frachtvertrags zwischen dem Absender und dem vertraglichen (Haupt)Frachtführer haftet, richtet sich die Haftung des Unterfrachtführers gegenüber dem Empfänger allein nach dem den Empfänger begünstigenden Unterfrachtvertrag (BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 – I ZR 50/05, BGHZ 172, 330 Rn. 30; BGH, TranspR 2009, 130 Rn. 29).
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Die Beklagte hat allerdings geltend gemacht, dass der ihr von der U. Inc. erteilte Auftrag nicht dem deutschen Recht unterliegt, so dass eine Haftung nach § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht in Betracht käme. Die Klägerin hat sich demgegenüber darauf berufen, dass auf einen der Beklagten erteilten Frachtvertrag gemäß Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung kommt, weil die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat und sie hier auch die streitgegenständliche Sendung zur Weiterbeförderung zu der ebenfalls in Deutschland ansässigen Versicherungsnehmerin übernommen hat. Sollte es danach im wiedereröffneten Berufungsverfahren auf einen Anspruch aus § 421 Abs. 1 Satz 2 HGB ankommen, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls der Frage nachzugehen haben, welchem Recht ein mit der Beklagten abgeschlossener Unterfrachtvertrag unterliegt.
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3. Die Revision wendet sich auch gegen die vom Berufungsgericht festgestellte Höhe des durch den Verlust des Pakets entstandenen Schadens. Damit dringt sie nicht durch.
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a) Die Revision rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte die von der Klägerin behauptete Aufteilung der Schaltungen auf die beiden Pakete bestritten habe.
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b) Unstreitig waren in den beiden auf dem Flughafen Köln/Bonn angekommenen Paketen zehn Schaltungen des Typs Barcelona A 62HS Quad Board und zwei Schaltungen des Typs Barcelona A 67HS Quad Board enthalten, die auch verzollt wurden. Nach den tatbestandlichen Feststellungen im Berufungsurteil enthielt das erste bei der Versicherungsnehmerin angelieferte Paket vier Schaltungen des Typs Barcelona A 62HS Quad Board und zwei Schaltungen des Typs Barcelona A 67HS Quad Board. Diese Feststellung hat die Beklagte nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 Abs. 1 ZPO angegriffen. Sie steht daher aufgrund der Beweiskraft des Tatbestands nach § 314 Satz 1 ZPO fest. Gleiches gilt für die weitere ebenfalls im unstreitigen Tatbestand des Berufungsurteils enthaltene – folgerichtige – Feststellung, sechs Schaltungen des Typs Barcelona A 62HS Quad Board mit einem Gesamtwert von 61.927,20 US-Dollar (= 52.542,80 €) seien der Versicherungsnehmerin nicht ausgeliefert worden und nicht mehr auffindbar. Die Revision rügt daher ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe streitiges Vorbringen zum Nachteil der Beklagten als unstreitig behandelt.
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4. Die Angriffe der Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die unbeschränkte Haftung der Beklagten gemäß § 435 HGB werde nicht nach § 452a Satz 1 HGB durch Art. 22 Abs. 3 MÜ (Haftung nur bis zu einem Höchstbetrag von 17 und ab 1. Januar 2010 von 19 Sonderziehungsrechten, je Kilogramm) ersetzt, greifen nicht durch. Es steht nicht fest, dass der Verlust des streitgegenständlichen Pakets während der Luftbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 und 3 MÜ eingetreten ist. Das Paket mit den darin enthaltenen sechs Schaltungen kann auch während der Landbeförderung vom Flughafen Köln/Bonn zur Versicherungsnehmerin, die in M. ansässig ist, abhandengekommen sein. Gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 1 MÜ umfasst der Zeitraum der Luftbeförderung grundsätzlich nicht die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb eines Flughafens. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beförderung bei Ausführung des Luftbeförderungsvertrags zum Zweck der Verladung, der Ablieferung oder der Umladung (Zubringerdienst) erfolgt. In einem solchen Fall wird gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung eingetretenes Ereignis verursacht worden ist.
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Bei einem Transport vom Flughafen Köln/Bonn in die Nähe von München (M. ) handelt es sich nicht um einen Zubringerdienst im Sinne von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ. Oberflächenbeförderungen gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ kommt lediglich eine reine Hilfsfunktion für die Luftbeförderung zu. Echte Hilfsfunktion hat nur diejenige Oberflächenbeförderung auf einer Teilstrecke, für die eine Luftbeförderung – beispielsweise wegen Fehlens eines unmittelbar benachbarten geeigneten Flugplatzes oder in Ermangelung passender Verkehrsverbindungen am Ausgangs oder Endpunkt der Teilstrecke – nicht möglich ist. Unterbleibt eine Luftbeförderung auf der Teilstrecke, obwohl eine solche technisch und verbindungsmäßig möglich wäre, hat die Oberflächenbeförderung keine Hilfsfunktion mehr, sondern einen eigenständigen Alternativcharakter (vgl. Reuschle, Montrealer Übereinkommen, 2. Aufl., Art. 18 Rn. 41; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 18 WA 1955 Rn. 13; Müller-Rostin in: Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 3 Montrealer Übereinkommen, Art. 18 Rn. 89; Brinkmann, Der Luftfrachtersatzverkehr [2009], S. 73 ff.).
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Da die streitgegenständliche Sendung vom Flughafen Köln/Bonn nach München – also in die Nähe des bestimmungsgemäßen Ablieferungsortes – auch per Luftfracht hätte befördert werden können, kommt einer Oberflächenbeförderung per LKW keine bloße Hilfsfunktion mehr zu. Sie hat vielmehr im Verhältnis zur vorangegangenen Luftbeförderung einen eigenständigen, die Luftbeförderung ersetzenden Charakter.
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5. Ohne Erfolg wendet sich die Revision der Beklagten auch gegen die vom Berufungsgericht festgelegte Mithaftungsquote der Versicherungsnehmerin. Die Revision macht insoweit geltend, das Mitverschulden der Versicherungsnehmerin hätte mit mehr als 50% bemessen werden müssen, weil zwei Mitverschuldenstatbestände – § 254 Abs. 1 und § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB – erfüllt seien. Einen revisiblen Rechtsfehler des Berufungsgerichts hat die Revision damit nicht aufgezeigt.
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II. Revision der Klägerin
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Die Revision der Klägerin, die sich gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Kürzung des Schadensersatzanspruchs der Versicherungsnehmerin um 50% wegen eines unterbliebenen Hinweises auf die Gefahr eines unverhältnismäßig hohen Schadens richtet, hat ebenfalls Erfolg.
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1. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Mitverschulden der Versicherungsnehmerin können schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Annahme des Berufungsgerichts zum Zustandekommen eines Frachtvertrags zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten keinen Bestand hat. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass der Frachtvertrag zwischen der für Kanada zuständigen U.-Gesellschaft und der Versenderin abgeschlossen worden ist.
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2. Die Revision der Klägerin wendet sich aber auch mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Beklagte oder deren für Kanada zuständige Schwestergesellschaft bei Annahme der streitgegenständlichen Sendung deren Wert gekannt hätten. Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Versenderin habe der kanadischen Schwestergesellschaft der Beklagten den Wert der Sendung bereits bei Übergabe für eine ordnungsgemäße Ausfuhr-Zollbehandlung der Ware mitgeteilt. Soweit die Revisionserwiderung der Beklagten demgegenüber geltend macht, dem Vortrag der Klägerin könne nicht entnommen werden, dass der Schwestergesellschaft der Beklagten bei Übergabe des Gutes Unterlagen zur Verfügung gestanden hätten, trifft dies nicht zu. Die Revision der Klägerin weist mit Recht darauf hin, dass der Schwestergesellschaft der Beklagten unstreitig die Export-Deklaration zusammen mit den beiden Paketen ausgehändigt wurde. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls zu prüfen haben, ob dies für eine rechtzeitige Information der Schwestergesellschaft der Beklagten ausreichend war.
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C. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten aufzuheben. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO), ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
41
Sollte das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, dass die Versenderin und die für Kanada zuständige Schwestergesellschaft der Beklagten keinen Frachtvertrag mit Wirkung für die Versicherungsnehmerin und die Beklagte abgeschlossen haben, wird es gegebenenfalls zu prüfen haben, ob sich auf der Grundlage der Rahmenvereinbarung von Mai 2004 die in Rede stehenden Ansprüche der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte ergeben. Nach Nr. 1 der Rahmenvereinbarung („Überblick über die Dienstleistungen“) sind die der Versicherungsnehmerin von der Beklagten angebotenen Dienstleistungen in der jeweils gültigen U. -Tariftabelle angeführt. Danach gewährte die Beklagte der Versicherungsnehmerin Sondertarife auch für den Empfang von Paketen (Anlage B der Rahmenvereinbarung Sondertarife). Hierin könnte der Abschluss eines Vertrags über einen Schuldbeitritt der Beklagten zu den Frachtverträgen mit Gesellschaften des U. -Konzerns in anderen Ländern liegen, wenn diese Frachtverträge unter Verwendung der von der Beklagten vergebenen Kundennummer der Versicherungsnehmerin geschlossen werden und der Auslieferungsort für das beförderte Gut sich bei der Versicherungsnehmerin in Deutschland befindet. Die Regelungen des Rahmenvertrags könnten auch in dem Sinne aufzufassen sein, dass ein gesonderter Vertrag mit der Beklagten für alle Güter zustande kommt, die die Beklagte auf dem letzten Teilstück vom Flughafen zur Versicherungsnehmerin befördert.