Qualifiziertes Verschulden bei bewusstem Verzicht auf Schnittstellenkontrolle

OLG München, Urteil vom 18.08.2010 – 7 U 2114/10

Ein qualifiziertes Verschulden nach § 435 HGB zu bejahen, wenn der Frachtführer bewusst keine Schnittstellenkontrollen durchführt

Das Unterlassen eines Hinweises auf den Wert der Warensendung und auf den dadurch für den Fall des Verlustes drohenden ungewöhnlich hohen Schaden (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) begründet auch im Fall der qualifizierten Haftung nach § 435 HGB ein Mitverschulden.

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 27. Januar 2010 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 26.198,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % für die Zeit vom 10. Februar bis zum 10. August 2006 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Seite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die andere Seite vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist die Transportversicherin der T. … OHG aus Martinsried (im Folgenden: T. GmbH). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, wegen des Verlusts von Transportgut aus abgetretenem und übergegangenem Recht der T. GmbH auf Schadensersatz in Anspruch.

Die T. GmbH schloss am 25. Mai 2004 eine Vereinbarung mit der Beklagten über Sondertarife für den Versand und den Empfang von Paketen. Die Beklagte teilte der T. GmbH die Kundennummer …527 zu. In der Vereinbarung findet sich folgende Klausel:

“ 12. Haftung: Der Kunde erwartet von U. schnellstmögliche Ablieferung des übergebenen Gutes zu günstigem Preis. Der Kunde weiß und ist sich dessen bewusst, dass bei so hoher Leistung im Massenbetrieb von U. trotz bestmöglicher Sorgfalt Schäden und Verluste unvermeidbar sind. Er erkennt hiermit an, dass U. unter Berücksichtigung der Zwänge der Massenbeförderung alle gebotenen Anstrengungen unternimmt, um Verluste und Beschädigungen zu vermeiden. Damit seine Kundenerwartung erfüllt wird, erklärt sich der Kunde damit einverstanden, dass die Wahl der Beförderungsmittel und die der gesamten Abläufe im Betrieb von U. innere Angelegenheiten von U. sind und er hieraus keine Ansprüche und Rechte herleiten wird. Der Kunde erklärt sich weiter damit einverstanden, dass Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchgehend durchgeführt und dass Schnittstellen nicht dokumentiert und kontrolliert werden.“

Die Beklagte führt Schnittstellenkontrollen nicht durch. In den Beförderungsbedingungen der Beklagten, die nach Nr. 11 der Vereinbarung vom 25. Mai 2004 wesentlicher Bestandteil sind, findet sich eine Klausel, wonach die Beklagte nur Pakete im Wert bis zu 50.000 US$ befördert.

Im Oktober 2005 bestellte die T. GmbH bei der S. S. P. Inc. Burnaby/Kanada (im Folgenden: S. ) zehn Schaltungen B. A 62-HS Quad Board zum Einzelpreis von 10.321,20 US$ und drei Schaltungen B. A 67-HS Quad Board zum Einzelpreis von 11.483,25 US$. In der Purchase Order der T. GmbH vom 27. Oktober 2005 an die S. findet sich unter „Instructions“ der Zusatz „Shipments by U. our account Nbr …527“.

Die S. verpackte die bestellten zehn Schaltungen B. A 62-HS Quad Board und zwei der drei bestellten Schaltungen B. A 67-HS Quad Board in zwei Kartons und übergab sie der in Kanada tätigen Schwestergesellschaft der Beklagten. Nach Ankunft der beiden Kartons auf dem Flughafen Köln/Bonn erstellte die Beklagte am 27. November 2005 einen „International-House-AWB“ mit der Kundennummer der T. GmbH. Anlässlich einer Zollbeschau wurden die Pakte geöffnet, ihr Inhalt überprüft und festgestellt, dass es sich augenscheinlich um Schaltungen handelte.

Am 1. Dezember 2005 traf bei der T. GmbH eines der beiden Pakete ein. Es beinhaltete vier Schaltungen B. A 62-HS Quad Board und zwei Schaltungen B. A 67-HS Quad Board. Die Anlieferung erfolgte durch die Beklagte per LKW. Am nächsten Tag lieferte die Beklagte der T. GmbH ein weiteres Paket an, in dem sich aber nicht die noch fehlenden sechs Schaltungen B. A 62-HS Quad Board, sondern Muster von Stoffen, Garnen und Knöpfen befanden. Das zweite Paket mit den restlichen Schaltungen war nicht mehr auffindbar.

Die Beklagte hat bei der T. GmbH das Frachtgeld für die zwei Pakete entsprechend dem in der Vereinbarung vom 25. Mai 2004 enthaltenen Sondertarif abgerechnet.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2006 übersandte die T. GmbH der Beklagten eine Schadensmeldung. Die T. GmbH bezifferte den Schaden mit 61.927,20 US$. Die Beklagte kürzte den Schadensbetrag auf 72,42 €, was 100 kanadischen $ entspricht.

Die Klägerin als Transportversicherin der T. GmbH regulierte den Schaden ihrer Versicherungsnehmerin in Höhe von 51.959,09 €, bestehend aus dem Kaufpreis der verschwundenen Schaltungen in Höhe von 52.542,80 € (umgerechnet aus 61.927,20 US$) abzüglich des Selbstbehalts der T. GmbH aus dem Versicherungsvertrag mit der Klägerin in Höhe von 511,29 € und der Entschädigungszahlung der Beklagten in Höhe von 72,42 €. Die T. GmbH hat ihre Ansprüche aus dem Schadensfall an die Klägerin abgetreten.

Die Klägerin macht mit der Klage einen Schadensersatzanspruch bestehend aus dem Wert der verschwundenen Schaltungen abzüglich der Entschädigungszahlung der Beklagten geltend. Sie ist der Auffassung, dass für den Transport der Schaltungen im Wege einer Routing Order ein multimodaler Frachtvertrag zwischen der T. GmbH und der Beklagten zustande gekommen sei, hilfsweise hafte die Beklagte nach § 421 HGB. Der Verlust des Frachtguts sei während des LKW-Transports vom Flughafen Köln/Bonn nach Martinsried erfolgt. Die Beklagte hafte unbeschränkt, ein Mitverschulden der T. GmbH liege nicht vor.

Das Landgericht München I hat mit Endurteil vom 27. Januar 2010 (Bl. 143/158 d.A.) die Klage abgewiesen, weil die Klägerin weder nachweisen konnte, dass der Frachtvertrag über den Transport der zwei Pakete zwischen der T. GmbH und der Beklagten geschlossen, noch dass zwischen der für Kanada zuständigen U. -Gesellschaft und der Beklagten ein Unterfrachtvertrag zustande gekommen sei, aus dem die T. GmbH Schadensersatzansprüche ableiten könne.

Die Klägerin verfolgt ihre Ansprüche mit der Berufung weiter.

Die Klägerin beantragt in zweiter Instanz,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, 8. Kammer für Handelssachen, Az. 8 HKO 21444/06, vom 27. Januar 2010 die Beklagte zu verurteilen, 52.470,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % für die Zeit vom 10. Februar bis zum 10. August 2006 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2006 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt in zweiter Instanz,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Meinung, dass zwischen ihr und der T. GmbH bezüglich des streitgegenständlichen Transports kein Frachtvertrag zustande gekommen sei. Die S. sei bei Beauftragung der für Kanada zuständigen U. -Gesellschaft weder als Bote noch als Vertreterin der T. GmbH aufgetreten. Die Beklagte hafte auch nicht als Unterfrachtführerin. Den Transport vom Flughafen Köln/Bonn nach Martinsried habe sie aufgrund eines Vertrages mit U. Worldwide Forwarding Inc. durchgeführt. Im Übrigen habe die T. GmbH sowohl gegen die Beförderungsbedingungen der Beklagten als auch der U. -Schwestergesellschaften verstoßen, weil die Höchstbeförderungsgrenze 50.000 US$ je Sendung betrage. Eine unbegrenzte Haftung scheide aus, weil der streitgegenständliche Transport dem Montrealer Übereinkommen unterliege. Auch falle der Klägerin ein Mitverschulden zur Last, die Haftung sei nach den Beförderungsbedingungen auf 100 kanadische $ beschränkt.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird ergänzend auf das Endurteil des Landgerichts München I vom 27. Januar 2010 (Bl. 143/158 d. A.) sowie hinsichtlich des weiteren Vorbringens auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2010 (Bl. 209/212 d. A.) Bezug genommen. Es wurde im schriftlichen Verfahren entschieden (Bl. 211 d.A.)

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte haftet nach §§ 452 Satz 1, 425 Abs. 1, 435 HGB für den Schaden, der durch den Verlust des Pakets mit den sechs Schaltungen B. A 62-HS Quad Board entstanden ist, unbeschränkt, allerdings nach §§ 425 Abs. 2 HGB gemindert durch ein Mitverschulden der T. GmbH in Höhe von 50 % des Schadensbetrages und abzüglich der bereits geleisteten Entschädigungszahlung der Beklagten in Höhe von 72,42 €, insgesamt also in Höhe von 26.198,98 €.

1. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist zwischen der Beklagten und der T. GmbH ein Vertrag über die Beförderung der streitgegenständlichen Schaltungen von der S. aus Kanada zur T. GmbH nach München in Form eines multimodalen Frachtvertrags zustande gekommen.

1.1. Bei einem Vertrag handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um eine von zwei oder mehreren Personen erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolgs. Der Vertragsschluss vollzieht sich dabei in der Regel in der Form eines zeitlich vorangehenden Antrags und seiner Annahme nach §§ 145 ff. BGB. Entscheidend ist die Willensübereinstimmung, zumal sich im Geschäftsleben zuweilen Antrag und Annahme nicht hinreichend von einander unterscheiden.

1.2. Soweit das Erstgericht im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO den von der Klägerin zu führenden Nachweis, dass zwischen der T. GmbH und der Beklagten ein Frachtvertrag über die Schaltungen geschlossen oder dass der streitgegenständliche Transport nach der Vereinbarung vom 25. April 2004 (Anlage K 2) abgewickelt wurde, nicht als erbracht ansieht, beruht die Überzeugungsbildung nicht auf einer vollständigen Tatsachengrundlage. In der Beweiswürdigung der Kammer unberücksichtigt geblieben ist der nicht bestrittene Vortrag der Klägerin, die Beklagte habe den Transport der Schaltungen entsprechend der Sondertarife der Vereinbarung vom 25. April 2004 (Anlage K 2) abgerechnet. Dies ist rechtsfehlerhaft.

1.3. Der Senat ist nach Würdigung der vorgelegten Unterlagen unter Berücksichtigung der Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen P. (Bl. 83/85 d.A.) davon überzeugt, dass Grundlage der Versendung der Pakete aus Kanada nach Deutschland ein Frachtvertrag zwischen der Beklagten und der T. GmbH ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die T. GmbH hat mit der Beklagten am 25. April 2004 (Anlage K 2) eine Rahmenvereinbarung geschlossen, in der für die Dienstleistungen der Beklagten bestimmte Sondertarife festgelegt wurden. Die Vereinbarung und die Sondertarife gelten nur für die Dienstleistungen der Beklagten, nicht für die Dienste anderer U.-Länderfirmen (vgl. Ziffer 1 der Vereinbarung vom 25. April 2004 und die Vorbemerkung hierzu). Die Dienstleistungen betreffen sowohl den Versand als auch den Empfang von Paketen (Anlage B zur Vereinbarung vom 25. April 2004). Die Gewährung der Sondertarife ist davon abhängig, dass die der T. GmbH von der Beklagten zugewiesene Kundennummer, hier der Nr. …527, Verwendung findet (Anlage A zur Vereinbarung vom 25. April 2004).

Die T. GmbH hat bei Bestellung der Schaltungen die S. angewiesen, die Ware durch „UPS“ zu versenden und hierzu ihre Kundennummer „…527“ aus dem Vertragsverhältnis mit der Beklagten übermittelt (Anlage K 3). Zwar konnte die Klägerin für den konkreten Inhalt der Beauftragung der Beklagten oder der für Kanada zuständigen U. -Ländergesellschaft durch S. keine unmittelbaren Nachweise vorlegen, die Pakete mit den Schaltungen wurden von der Beklagten aber am Flughafen Köln/Bonn unter der Kundennummer der T. „…527“ entgegengenommen (Anlage K 6 „International-House-AWB“). Auch ist die Beklagte bei der Verzollung als Vertreterin der T. GmbH aufgetreten (Anlage K 7) und hat bei der T. GmbH zusätzliche Informationen für die Verzollung erfragt und weitergeleitet (Anlagen K 8 und K 9). Die Beklagte übernahm dann den Transport der Pakete per LKW und stellte der T. GmbH den Frachtlohn für den gesamten Transport von Kanada nach Martinsried entsprechend der Vereinbarung vom 25. April 2004 in Rechnung.

Keine unmittelbare Beweiskraft kommt der Aussage des Zeugen P. zu. P. war zur Zeit der streitgegenständlichen Beförderung bei der Beklagten nicht für die T. GmbH zuständig. Nach dem „International-House-AWB“ (Anlage K 6) befragt, sagte er, dass die Angabe der Kundennummer bedeuten können, „dass der Auftrag von T. kam“ (Bl. 84 d.A.). Allerdings konnte er dies „nicht beurteilen“, weil er die Anlage K 6 „in dieser Form nicht kenne“. Auch aus dem „Invoice“ vom 25. November 2005 (Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2008, Bl. 81/87 d.A.), zu dem P. befragt wurde, lassen sich die Vertragspartner der Beförderung nicht ableiten, weil dort nur die Anschriften des Absenders und des Empfängers der Paketsendung aufgeführt sind.

Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beförderung der streitgegenständlichen Schaltungen auf der Grundlage eines zwischen der T. GmbH und der Beklagten zumindest konkludent geschlossenen und der Vereinbarung vom 25. Mai 2004 entsprechenden Frachtvertrags erfolgte. Da der Transport per Flugzeug (bis Flughafen Köln/Bonn) und per LKW (vom Flughafen Köln/Bonn bis Martinsried), also mit verschiedenen Beförderungsmitteln, durchgeführt wurde und, wenn über jede Teilstrecke ein gesonderter Vertrag geschlossen worden wäre, der Luftfrachtvertrag dem Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften im Internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen), das auf einen Lufttransport von Kanada nach Deutschland anwendbar ist (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl. 2007, Art. 1 MÜ, Rdnr. 4) und die LKW-Beförderung den §§ 407 ff. HGB unterworfen wären, liegt ein multimodaler Frachtvertrag vor. Daher richtet sich die Haftung nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Frachtrechts, sofern nichts Besonderes geregelt ist. Deutsches Recht ist nach Art. 28 Abs. 1 und 4 Satz 1 EGBGB a.F. anwendbar, weil die Beklagte ebenso wie die T. GmbH ihren Sitz im Inland haben und hier auch der Entladeort liegt.

2. Die Beklagte haftet nach §§ 452 Satz 1, 425 Abs. 1 HGB für den Schaden, der durch den Verlust des Pakets mit den sechs Schaltungen B. A 62-HS Quad Board entstanden ist. Der Schaden, soweit ein Ersatz beantragt ist und noch nicht von der Beklagten beglichen ist, beträgt gemäß §§ 452 Satz 1, 429 Abs. 1 HGB 52.542,80 € (umgerechnet aus 61.927,20 US$), dem Kaufpreis für die sechs Schaltungen mit einem Einzelpreis von 10.321,20 US$ (Anlage K 3).

2.1. Der Senat ist davon überzeugt, dass sich in dem verloren gegangenen Paket sechs Schaltungen B. A 62-HS Quad Board befanden. Zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die S. der T. GmbH zehn Schaltungen B. A 62-HS Quad Board und zwei Schaltungen B. A 67-HS Quad Board in einem Gesamtwert von 126.178,50 US$ verkaufte (Anlagen K 4 bis K 7) und durch ein Unternehmen des U. -Konzerns nach Deutschland transportiert wurde. Unstreitig kamen die in zwei Pakete verpackten Schaltungen am Flughafen Köln/Bonn an und wurden dort verzollt (Anlagen K 6 und K 7). Eine Augenscheinseinnahme durch den Zoll ergab, dass es sich bei dem Paketinhalt um Schaltungen handelte (Anlage K 7). Sowohl der Exportdeklaration aus Kanada (Anlage K 5) als auch der Einfuhrverzollung wurde, auch von der Beklagten, ein dem Kaufpreis entsprechender Warenwert in Höhe von 126.178,50 € zugrunde gelegt. Nach Aussage der Zeugin K. (Bl. 61/62 d.A.) lieferte die Beklagte der T. GmbH ein Paket mit einem Teil der Schaltungen an, während in einem zweiten angelieferten Paket, das an ein anderes Unternehmen adressiert war, Stoffmuster waren. Dass die T. GmbH vier Schaltungen B. A 62-HS Quad Board und zwei Schaltungen B. A 67-HS Quad Board erhalten hat, ist unstreitig. Im Übrigen spricht, wenn die Güter in verschlossenen Behältern, wie hier in Paketen, zum Versand gebracht werden, bei kaufmännischen Absendern, wie hier der S., der Anscheinsbeweis dafür, dass die in den Lieferpapieren und in der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführte Ware auch tatsächlich in den Behältnissen enthalten war (vgl. BGH TranspR 2003, 156, 158/159; 2007, 110, 113; 418, 419; 2008, 163, 165). Den Anschein hat die Beklagte nicht substantiiert erschüttert.

2.2. Die Beklagte haftet nach §§ 452 Satz 1, 435 HGB unbeschränkt, weil der eingetretene Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, welche die Beklagte bzw. ihre Leute leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen haben.

2.2.1. § 435 HGB ist anwendbar und wird nicht nach § 452a Satz 1 HGB durch das Montrealer Übereinkommen (MÜ), das nach Art. 22 Nrn. 3 und 4 MÜ eine unbeschränkte Haftung im Sinne des § 435 HGB nicht kennt, ersetzt. Nach § 452a Satz 1 HGB bestimmt sich die Haftung des Frachtführers eines multimodalen Frachtvertrags nach den Rechtsvorschriften, die auf einen Vertrag über die Beförderung auf einer Teilstrecke anzuwenden wären, wenn feststeht, dass der Verlust auf dieser Teilstrecke in Obhut des Luftfrachtführers eingetreten ist. Diese besteht auch während der Verzollung sowie während des Zuführens zu und des Umladens auf ein anderes Transportmittel fort, soweit es sich um Zubringerdienste bzw. typische Hilfeleistungen des Luftfrachtführers handelt (Art. 18 Nr. 4 Satz 2 MÜ; im Einzelnen Koller, Transportrecht, aaO., Art. 18 MÜ Rdnrn. 3-5).

Im zugrundeliegenden Fall steht nach Überzeugung des Senats aber nicht fest, wo der Verlust des zweiten Pakets erfolgt ist bzw. wo das zum Verlust führende schädigende Ereignis eingetreten ist. Unbestritten befanden sich bei der Zollbeschau noch in beiden Paketen die gelieferten Schaltungen. Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Verzollung und der Umschlag von der Luftfracht auf den LKW-Transport in Räumen der Beklagten innerhalb des Flughafengeländes erfolgen (vgl. auch Anlagen B 5 und B 6), entbehrt dies zunächst der konkreten Behauptung und im Übrigen auch des von ihr zu führenden (§ 452a Satz 2 HGB) Nachweises, dass der Verlust des Pakets gerade an diesem Ort und in diesem Zeitraum erfolgte und nicht anschließend während des nicht unerheblichen und auch nicht auf direktem Weg erfolgten (vgl. Anlage K 10) Landtransports per LKW vom Flughafen Köln/Bonn nach Martinsried. Damit kann der Eintritt des schädigenden Ereignisses auf einer bestimmten Teilstrecke nicht festgestellt werden.

2.2.2 Ein qualifiziertes Verschulden nach § 435 HGB ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe BGHZ 158, 322, 329 ff.; BGH TranspR 2004, 399, 401; 2005, 208, 209; 2006, 169, 170; 171, 173; 345, 347; 2008, 122, 123) zu bejahen, wenn der Frachtführer, wie hier die Beklagte, bewusst keine Schnittstellenkontrollen durchführt. Beim Umschlagen von Transportgütern vor allem in der Paketbeförderung handelt es sich um einen besonders schadensanfälligen Bereich. Er muss deshalb so organisiert sein, dass Eingang und Ausgang der Pakete kontrolliert werden, damit Fehlbestände frühzeitig festgehalten werden können. Ohne solche Kontrollen kann ein verlässlicher Überblick über Lauf und Verbleib der Sendung nicht gewonnen werden mit der Folge, dass der Eintritt eines Schadens und der Schadensbereich in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht nicht eingegrenzt werden können.

Ziffer 12 der Vereinbarung vom 25. April 2004 (Anlage K 2) enthält keinen wirksamen Verzicht auf die Durchführung von entsprechenden Kontrollen, da die Klausel vorformuliert und nicht einzelvertraglich ausgehandelt ist, somit gegen §§ 452 Satz 1, 449 Abs. 2 Satz 1 HGB verstößt und unwirksam ist (ebenso BGH TranspR 2006, 169, 170/171; 171, 173/174; 2008, 163, 166; OLG München TranspR 2005, 26).

3. Der nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., jetzt § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG n.F., auf die Klägerin als Versicherin der T. GmbH übergegangene, im Übrigen auch abgetretene (Anlagen K 16 und K 17) Ersatzanspruch ist nach §§ 452 Satz 1, 425 Abs. 2 HGB aufgrund Mitverschuldens der T. GmbH um 50 % gemindert.

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa BGHZ 149, 337, 353; BGH TranspR 2003, 317, 318; TranspR 2005, 311, 314; NJW-RR 2008, 347, 349) begründet das Unterlassen eines Hinweises auf den Wert der Warensendung und auf den dadurch für den Fall des Verlustes drohenden ungewöhnlich hohen Schaden (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) auch im Fall der qualifizierten Haftung nach § 435 HGB ein Mitverschulden. Ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, lässt sich zwar nicht in einem bestimmten Betrag oder in einer bestimmten Wertrelation angeben, sondern kann nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden, wobei maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen und zu berücksichtigen ist, welche Höhe Schäden erfahrungsgemäß, also nicht nur selten erreichen. Maßgeblich ist also, in welcher Höhe der Schädiger, soweit für ihn die Möglichkeit einer vertraglichen Disposition besteht, Haftungsrisiken einerseits vertraglich eingeht und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht ist.

Der Bundesgerichtshof (etwa BGH NJW-RR 2006, 1108, 1110; 2008, 347, 349; MDR 2010, 510) hat in vergleichbaren Fällen die Gefahr eines besonders hohen Schadens angenommen, wenn der Wert der Sendung den zehnfachen Betrag der Haftungshöchstgrenze gemäß den Beförderungsbedingungen der Beklagten übersteigt. Dieser Betrag ist, bei einem Warennettogewicht von 9,8 kg (Anlage K 6), auch bei einem Zugrundelegen der gesetzlichen Regelhaftung nach § 431 Abs. 1 HGB im vorliegenden Fall mit 52.542,80 € Warenwert deutlich überschritten.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Beklagte, die – was unstreitig ist – nach ihren Beförderungsbedingungen Pakete nur bis zu einem Warenwert von 50.000 US$ befördern will, berechtigt gewesen wäre, den Transport zu verweigern, wenn sie auf dessen Wert hingewiesen worden wäre (ebenso BGH TranspR 2005, 208, 209; 2008, 397, 399/400; NJW-RR 2008, 347, 349/350). Dabei ist entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich, ob die Beklagte auch in anderen Fällen eine Beförderung von Waren im Wert von über 50.000 US$ durchgeführt hat und auch ob diese Wertgrenze in den Beförderungsbedingungen enthalten ist oder, wie die Klägerin meint, in der Vereinbarung vom 25. Mai 2004 (Anlage K 2) hätte geregelt werden müssen. Denn die Vereinbarung vom 25. Mai 2004 verweist unter Nr. 11 auf die Beförderungsbedingungen und inkorporiert diese. Im Übrigen gerät die Klägerin als Transportversicherin der T. GmbH mit dieser Argumentation in einen Selbstwiderspruch, weil die T. GmbH der Beklagten wertvolles Gut ohne Hinweis auf dessen Wert zur Beförderung übergeben hat, obwohl sie wusste oder hätte wissen müssen (das Kennenmüssen als ausreichend erachtend BGH TranspR 2008, 397, 399), dass die Beklagte dieses Gut in der gewählten Transportart wegen des damit verbundenen Verlustrisikos nicht befördern will, und nun im Schadensfall gleichwohl vollen Ersatz verlangt. Die Beklagte beruft sich auch auf die in den Beförderungsbedingungen enthaltene Höchstgrenze.

Die Klägerin hat nicht nachweisen können, dass die Beklagte bzw. deren für Kanada zuständiges Schwesterunternehmen bei Annahme des streitgegenständlichen Pakets dessen Wert gekannt hat. Soweit die Klägerin hierzu die in der Exportdeklaration (Anlage K 5) enthalte Wertangabe der Gesamtlieferung (126.178,50 US$) anführt, enthält diese keinen Hinweis darauf, dass die Beklagte bereits bei Annahme der Pakete, also bei Übernahme des Frachtguts und damit zu Beginn der Beförderung, deren Wert kannte. Entsprechendes gilt bei der Verzollung am Flughafen Köln/Bonn. Zwar ist der Gesamtwert der Pakete im „International-House-AWB“ der Beklagten (Anlage K 6) vermerkt und, wie sich auch aus der Mitteilung des Zollamts Flughafen Köln/Bonn vom 28. November 2005 (Anlage K 7) und dem Invoice (Anlage BfK 10) ergibt, damit der Beklagten selbst bei der Einfuhr nach Deutschland bekannt geworden. Diese Kenntnis hat die Beklagte aber nicht bei Abschluss des Frachtvertrages oder bei Übernahme der Pakete, dessen Zeitpunkt anzunehmen ist, als die S. die Waren der in Kanada tätigen Schwestergesellschaft der Beklagten übergab, erlangt, sondern erst während der vertragsgegenständlichen Beförderung. Die spätere Kenntniserlangung des Warenwerts schadet der Beklagten nicht.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 2005 (veröffentlicht in: TranspR 2005, 208) berufen. Anders als hier lag in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt eine auf einer vertraglichen Vereinbarung beruhenden Anweisung an den Frachtführer vor, die Ablieferung des Frachtguts nur gegen Einziehung eines Nachnahmebetrages vorzunehmen.

Kein Mitverschulden nimmt der Senat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (in: TranspR 2006, 250, 252; 2008, 362, 363) an, soweit die T. GmbH durch Nr. 12 der Vereinbarung vom 25. Mai 2004 (Anlage K 2) wusste und eventuell sogar billigte, dass die Beklagte keine Schnittstellenkontrollen durchführt.

3.2. Nach §§ 452 Satz 1, 425 Abs. 2 HGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verhalten des Absenders oder des Empfängers mitwirkt, die Verpflichtung zum Umfang des zu leistenden Ersatzes davon ab, inwieweit diese Umstände zu dem Schaden beigetragen haben. Der Senat schätzt den Mitverschuldensanteil auf 50 % und lässt sich dabei von Folgendem leiten:

Zwar begründet, wie der Bundesgerichtshof (etwa in: TranspR 2008, 30, 33; 113, 117; 362, 364/365; 397, 399) mehrfach entschieden hat, die unterbliebene Deklaration eines besonders hohen Warenwertes ein erhebliches Mitverschulden, das, zumal wenn wie hier der Frachtführer nach seinen Beförderungsbedingungen ein Paket solchen Wertes nicht befördern will, mit mindestens 50 % anzusetzen ist und bis hin zum Ausschluss der Haftung führen kann. Zu berücksichtigen ist neben dem qualifizierten Verschulden der Beklagten jedoch auch, dass das Frachtgut nicht von der T. GmbH, sondern von der S. an die Beklagte übergeben wurde, letztere die Verpackung der bestellten Schaltungen, die Auswahl der Anzahl der Pakete und die Verteilung des Warenwertes auf die einzelnen Pakete vornahm und die T. GmbH hiervon nichts wusste. Dies rechtfertigt es, den Mitverschuldensanteil an der unteren Grenze, hier mit 50 % anzunehmen, zumal der Wert des verlorenen Pakets (61.927,20 US$) nicht wesentlich über der Beförderungshöchstgrenze lag. Die T. GmbH hätte sich aber entweder bei der Spectrum erkundigen oder die Beklagte auf den Gesamtwert hinweisen müssen.

4. Der Zinsanspruch, soweit von der Klägerin beantragt, ergibt sich aus §§ 353 Satz 1, 352 Abs. 1 Satz 1 HGB für den Zeitraum vom 10. Februar bis 10. August 2006, und für die Zeit danach aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisions- bzw. des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Senat wendet bei seiner Entscheidung die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung an und weicht auch nicht von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts ab.

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