Nichtverlegung einer Schwangeren in Perinatalzentrum kann grob fehlerhaft sein

OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 06.02.2008 – 5 U 30/07

Die Nichtverlegung einer Schwangeren in ein Zentrum der Maximalversorgung (Perinatalzentrum) kann grob fehlerhaft sein, wenn mit der Geburt eines Kindes vor der 28. Schwangerschaftswoche und/oder mit einem Geburtsgewicht von unter 1.000 g gerechnet werden muss (Rn.21)(Rn.23)(Rn.24).

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 21.3.2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des landgerichtlichen Urteils in Bezug auf den Ausspruch zum Feststellungsantrag wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1.) und 2.) verpflichtet sind, dem Kläger allen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte Behandlung im Kreiskrankenhaus A… in der Zeit vom 17.3. – 8.4.1997 zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Kosten der Berufung werden den Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Gründe

A.

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Die Mutter des Klägers wurde wegen vorzeitiger Wehentätigkeit am 17.3.1997 in der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) im Kreiskrankenhaus A… stationär aufgenommen, dessen Träger der Beklagte zu 1.) ist. Der Beklagte zu 2.) ist Chefarzt der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung. Da die Kindesmutter bereits in der Vergangenheit eine Neigung zu frühzeitiger Wehentätigkeit gezeigt sowie eine Verletzung der Cervix erlitten hatte und es zudem wegen einer vermutlich hochinfektiösen Erkrankung zu einem Abort gekommen war, hatte der Beklagte zu 2.) im Dezember 1996 unter Verwendung eines Cerclagefadens einen vollständigen Muttermundsverschluss durchgeführt. Die behandelnden Ärzte des Beklagten zu 1.) verordneten der Kindesmutter Bettruhe und ordneten eine Tokolyse an, wozu das Medikament Partusisten, kombiniert mit Magnesium, eingesetzt wurde. In der 25. SSW fand eine Lungenreifeinduktion mit Celestan statt. Wiederholt wurden Cervixabstriche auf Keime kontrolliert und Ultraschalluntersuchungen vorgenommen. Dabei ergab sich am 2.4.1997 ein zeitgerechtes Wachstum des Kindes, das Geburtsgewicht wurde mit 1.000 g geschätzt. Am 8.4.1997 stellten sich bei der Kindesmutter starke Bauchschmerzen ein. Um 12.50 Uhr verspürte die Kindesmutter drei schmerzhafte Wehen. Die Hebamme verständigte den vormaligen Beklagten zu 3.), der gegen 13 Uhr eine vaginale Untersuchung vornahm. Dabei stellte er fest, dass der Cerclagefaden angerissen und der Muttermund vollständig eröffnet ist. Der vormalige Beklagte zu 3.) hielt eine sofortige Sectio caesarea für geboten, die sogleich eingeleitet wurde. Der Kläger wurde um 13.26 Uhr entbunden. Die Apgar-Werte wurden mit 1/3/5 niedergelegt; der Kläger musste intubiert werden. Anschließend wurde er in der Kinderklinik des Kreiskrankenhauses A… versorgt. Nachdem Anzeichen für ein sich entwickelndes schweres Atemnotsyndrom aufgetreten waren, entschlossen sich die Kinderärzte, den Kläger nach O… in die Städtischen Kliniken (E…-Kinderkrankenhaus) zu verlegen. Dort wird im Aufnahmebefund ein stabiles Frühgeborenes der 26. SSW beschrieben. Während der anschließenden Behandlung, die bis zum 23.7.1997 andauerte, diagnostizierten die behandelnden Ärzte eine „peripartale Asphyxie, Atemnotsyndrom IV. Grades, Zustand nach Pneumothorax rechts, intraventrikuläre Blutung III. Grades und Mediainfarktblutung links, intraventrikuläre Blutung II. Grades rechts, Zustand nach Herniotomie links am 16.7.1997, Anämie (3 x transfundiert) sowie Rotavirusenteritis.“ Der Kläger leidet an einem Hirnschaden, der mit einer ausgeprägten psychomotorischen Entwicklungsretardierung verbunden ist.

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Mit der Klage hat der Kläger von den Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes – Größenordnung 150.000,-DM – verlangt und begehrt, festzustellen, dass die Beklagten zu 1.) bis 3.) verpflichtet sind, ihm allen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte Geburtsleitung in der Zeit vom 17.3. – 8.4.1997 zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen. Der Kläger hat den Beklagten vorgeworfen, diese hätten es versäumt, seiner Mutter strikte Bettruhe und eine Hochlagerung des Beckens zu verordnen. Sie hätten zugelassen, dass diese die Toilette aufsuchte und duschen ging. Darüber hinaus sei der Entschluss zur Kaiserschnittentbindung am 8.4.1997 zu spät gefasst worden. Seine Mutter habe nämlich bereits am Morgen und nicht erst gegen Mittag über starke Bauchschmerzen geklagt. Zudem habe die CTG-Aufzeichnung gegen 11.35 Uhr eine rege Wehentätigkeit gezeigt. Abgesehen davon sei die Verlegung der Kindesmutter in die Städtischen Kliniken nach O… zwingend geboten gewesen, die über eine neonatologische Intensivstation verfügten. Es habe nämlich eine Frühgeburt gedroht; aufgrund der ausgeprägten Muttermundsverletzung seiner Mutter habe mit einer plötzlichen, unvorhersehbaren Geburt gerechnet werden müssen. Zudem seien bei seiner Mutter wiederholt Bauchschmerzen aufgetreten, die die Beklagten nicht durch Erhebung eines Cervixbefundes abgeklärt hätten. Es sei zu einer Keimbesiedlung der Cervix und zu Atemnot gekommen. Auch habe die Wehentätigkeit in den letzten Tagen vor der Geburt trotz Verabreichung intensiver i.v. Tokolyse nicht sistiert. Bei einer rechtzeitigen Verlegung in das Perinatalzentrum nach O… wären ihm zusätzliche Risiken erspart geblieben, die mit seinem Transport verbunden gewesen sind. Auf diese Risiken hätten die Beklagten seine Mutter nicht hingewiesen, obwohl diese auf eine Verlegung nach O… gedrängt habe und dem Beklagten zu 2.) bewusst gewesen sei, dass das Kreiskrankenhaus A… nicht angemessen ausgerüstet sei, um extrem risikobehaftete Frühgeborene wie ihn zu versorgen. Als völlig unverständlich müsse bewertet werden, dass er nicht sofort nach der Geburt dorthin gebracht worden sei, sondern die behandelnden Ärzte noch 4 Stunden abgewartet hätten. Seine Betreuung in der Kinderklinik in A… sei ebenfalls unzureichend gewesen. Die Ärzte in der Kinderklinik des Krankenhauses des Beklagten zu 1.) hätten offenbar nicht einmal das sog. Minimal-Handling beherrscht, das zur Versorgung Frühgeborener erforderlich sei. Mangels Reanimationsprotokolls könnten die Beklagten nicht nachweisen, dass seine Reanimation ordnungsgemäß vorgenommen worden sei. Da bei ihm eine extreme Unterkühlung von unter 34°C aufgetreten sei, müsse die Anlegung des Nabelvenenkatheters zu lange gedauert haben. Ärztliche Verordnungen und regelmäßige Temperaturkontrollen fehlten, so dass weiter davon ausgegangen werden müsse, dass er nach der Reanimation in die Hände des Pflegepersonals übergeben worden sei. Nur so sei es erklärlich, dass seine extreme Hypothermie nicht aufgefallen sei und ausreichende Maßnahmen versäumt worden seien, um seine Körpertemperatur nachhaltig zu erhöhen. Weiter sei anzunehmen, dass der Pneumothorax bereits in A… entstanden sei, wobei Unerfahrenheit bei der Beatmung als Risikofaktor zu nennen sei. Aufgrund dieser Behandlungsfehler habe sich eine zerebrale Schädigung eingestellt.

3

Die Beklagten haben behauptet, aus dem Umstand, dass sich bei dem Kläger eine Hirnblutung eingestellt habe, könne nicht auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden. Es treffe nicht zu, dass die Kindesmutter bereits am Morgen des 8.4.1997 Bauchschmerzen geäußert habe. Die plötzliche Eröffnung des Muttermundes sei nicht vorhersehbar gewesen, nachdem zuvor über relativ geraume Zeit eine stabile Situation bestanden habe. Am 6.4. habe eine Kontrolle des Vaginalbefundes stattgefunden. Soweit die Kindesmutter über Atemnot geklagt habe, hätten keine klinischen oder auskultatorischen Zeichen festgestellt werden können, die auf die Bildung eines Lungenödems hingewiesen hätten. Der Kläger sei sofort nach seiner Geburt durch den Chefarzt der Kinderklinik mit der Schwerpunktbezeichnung Neonatologie und eine Oberärztin mit langjähriger Berufserfahrung versorgt worden, die beide ständig zugegen gewesen seien. Beiden sei es sehr schnell gelungen, den Zustand des Klägers zu stabilisieren und seine Körpertemperatur auf 34,5 °C anzuheben. Der Kläger sei nach O… gebracht worden, nachdem sich ein Atemnotsyndrom entwickelt habe. Eine vorherige Überweisung der Kindesmutter in die Städtischen Kliniken O… sei nicht erforderlich gewesen. Für eine vertiefte Erörterung einer Verlegung habe ebenfalls keine Veranlassung bestanden, da sich trotz der bestehenden Risikoschwangerschaft der Verlauf insgesamt als problemlos dargestellt habe. Soweit eine Verlegung nach vorhandenen Leitlinien in Betracht gekommen sei, seien diese nicht verbindlich gewesen und spiegelten den ärztlichen Standard nicht wieder. Bereits seit Jahren seien im Übrigen im Kreiskrankenhaus A… die Kriterien eines sog. Perinatalen Schwerpunktes eingehalten worden. Die Kinderärzte im Krankenhaus des Beklagten zu 1.) seien durchaus in der Lage, auch Frühgeborene von unter 1000 g optimal zu versorgen. Es bestehe lediglich eine interne Absprache, Frühgeborene nach O… zu verlegen, wenn eine Geburt deutlich vor der 28. SSW und ein Geburtsgewicht von weniger als 1000 g zu erwarten seien. Schließlich haben die Beklagten die Einrede der Verjährung erhoben.

4

Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich hat nach Einholung von Sachverständigengutachten die gegen den vormaligen Beklagten zu 3.) gerichtete Klage mit Urteil vom 21.3.2007 abgewiesen. Die Beklagten zu 1.) und 2.) hat die Kammer hingegen verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 70.000,-€ nebst Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die fehlerhafte ärztliche Aufklärung anlässlich der Geburtsbehandlung in der Zeit vom 17.3. – 8.4.1997 zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bd. IV, Bl. 123 ff. d.A.) Bezug genommen.

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Hiergegen wenden sich die Beklagten zu 1.) und 2.) mit der Berufung. Diese rügen, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verletzung von Aufklärungspflichten angenommen. Solange nämlich in einem Krankenhaus der medizinische Standard gewährleistet sei, müsse der Patient nicht darüber informiert werden, dass diese Behandlung anderswo mit besseren apparativen und personellen Mitteln durchgeführt werden kann. Eine Aufklärung darüber, dass die Verlegung der Kindesmutter in eine Spezialklinik in Betracht kommt, wäre nur geboten gewesen, wenn die Ärzte im Krankenhaus des Beklagten zu 1.) nicht über ausreichendes Können und Erfahrung verfügt hätten. Hier sei jedoch der geschuldete Facharztstandard sichergestellt gewesen. Im Übrigen hätte sich das Landgericht bei der Beurteilung der Frage, wie das Verhalten des Beklagten zu 2.) zu werten sei, nicht auf die Ausführungen von Prof. G… stützen dürfen, da dieser anders als der Beklagte zu 2.) nicht Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, sondern Facharzt für Pädiatrie sei. Abgesehen davon sei der vom Kläger angeführte Begriff des Perinatalzentrums in Niedersachen nicht definiert gewesen. Die Klinik für Kinder und Jugendliche in O… sei im Jahre 1997 auch kein derartiges Zentrum gewesen, so dass eine Pflicht, die Kindesmutter an diese Klinik zu überweisen, nicht gegeben gewesen sei. Die Leitlinie „Antepartaler Transport von Risikoschwangeren“ habe im Jahre 1997 den geschuldeten Facharzt- und Versorgungsstandard nicht wiedergegeben und ohnehin die hier nicht vorliegende Situation einer Verlegung der Schwangeren aus einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung in eine Klinik der Maximalversorgung thematisiert. Es komme auch nicht darauf an, ob es sich bei der Klinik des Beklagten zu 1.) um ein Krankenhaus der Maximalversorgung nach dem Stand des Jahres 2006 handele. Unabhängig davon hätten die Beklagten nicht mit einer Geburt des Klägers rechnen müssen, die vor der vollendeten 28. SSW stattfindet und bei der das Geburtsgewicht erheblich unter 1.000 g liegt. So habe Prof. W… es als wahrscheinlich bezeichnet, dass die Schwangerschaft bis über die 30. Wochen hinaus stabil bleibt; und das Geburtsgewicht des Klägers sei in der 26. SSW im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung bereits mit 1.000 g geschätzt worden. Zudem habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft die Anhörung der Sachverständigen einem Mitglied der Kammer allein überlassen und einen groben Fehler bejaht, ohne sich auf entsprechende Ausführungen der Sachverständigen stützen zu können. Was die Aufklärung der Kindesmutter über die Möglichkeit einer Verlegung nach O… anbelange, sei diese schon deshalb nicht erforderlich gewesen, weil diese nach eigenen Angaben über entsprechende Kenntnisse verfügt habe. Es fehle weiter an der Ursächlichkeit eines Aufklärungsfehlers, weil die Kindesmutter auch bei einer Aufklärung über eine Verlegungsmöglichkeit die Behandlung in A… fortgesetzt hätte und in O… keine andere Behandlung als in A… durchgeführt worden wäre. Der Kläger habe ebenfalls den Beweis nicht führen können, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung und der Hirnschädigung bestehe. Eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, schon weil nicht feststehe, dass es sich bei der Hirnschädigung, die der Kläger erlitten habe, überhaupt um die als erster Verletzungserfolg (Primärschaden) geltend gemachte Schädigung des nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsguts der körperlichen Integrität handele. Überdies hätten die Gutachter etliche andere mögliche Ursachen für die Hirnschädigung in Betracht gezogen. Im Übrigen beriefen sie – die Beklagten – sich auf die Einrede der Verjährung. Der Kläger habe nämlich seine Aufklärungsrüge erstmals mit Schriftsatz vom 1.12.2003 erhoben, obwohl seine Eltern bereits im Jahre 1997 von den postnatal entstandenen Schäden infolge angeblich pflichtwidrig unterlassener antepartaler Verlegung gewusst hätten. Die – ohnehin streitigen – Mängel bei der Versorgung des Klägers nach der Geburt könnten dem Beklagten zu 2.) nicht angelastet werden. Was die aufgetretene Hypothermie anbelange, habe die Erstversorgung des Klägers auf einem aufgewärmten Reanimationsbett stattgefunden. Nach Stabilisierung sei das Kind sofort in den aufgewärmten Transportinkubator verbracht worden. In der Kinderabteilung sei zudem eine Phototherapie durchgeführt worden. Weitergehende Maßnahmen seien schon deshalb nicht geboten gewesen, da ein langsames Aufwärmen – ca. 1 ° C pro Stunde – anzustreben sei, um eine Vasodilatation mit Blutdruckabfall zu vermeiden. Abgesehen davon seien die geltend gemachten Schäden auf die hochgradige Unreife des Kindes zurückzuführen. Schließlich könne der Kläger nur 4 % Zinsen verlangen.

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Die Beklagten beantragen,

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das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Bereits bei der Aufnahme seiner Mutter in das Krankenhaus des Beklagten zu 1.) habe es sich um eine Risikogeburt gehandelt, so dass eine Entbindung überhaupt nur in einem Zentrum der Maximalversorgung anzustreben gewesen sei. So habe die Kindesmutter bereits geraume Zeit vor der Geburt Wehentätigkeit gezeigt. Zudem habe diese unter einer außergewöhnlichen Cervixverletzung gelitten, so dass die sehr hohe Gefahr einer „von jetzt auf gleich“ drohenden Frühgeburt bestanden habe. Dagegen habe das Kreiskrankenhaus A… nicht über die personellen und apparativen Möglichkeiten verfügt, um ein extrem früh geborenes Kind versorgen zu können. Dies werde dadurch belegt, dass sowohl die postpartale Versorgung im Kreißsaal als auch in der Kinderklinik schwerwiegende Mängel aufgewiesen habe und er kurz nach der Geburt in die Kinderklinik nach O… habe verlegt werden müssen. In diesem Zusammenhang komme es nicht darauf an, ob die Kinderklinik in O… bereits 1997 die Standards erfüllt habe, die an ein Perinatalzentrum zu stellen seien, da es sich jedenfalls um ein Zentrum der Maximalversorgung für extreme Risikokinder gehandelt habe. Im Hinblick darauf hätte seine Mutter jedenfalls über die Möglichkeit einer Verlegung informiert werden müssen. Hätte diese von den zusätzlichen Risiken einer Behandlung in A… bei extremer Frühgeburtlichkeit gewusst, hätte sie eine solche Verlegung auch verlangt. Zu Unrecht meinten die Beklagten, das Landgericht habe nicht näher überprüft, inwieweit Mängel bei seiner postpartalen Versorgung aufgetreten seien. Denn der Sachverständige Prof. G… habe dargelegt, dass man den Krankenunterlagen nicht entnehmen könne, wie die dortige Überwachung erfolgt sei; insbesondere lasse sich nicht sagen, wie sich diese in Bezug auf die extreme Hypothermie gestaltet habe. Er habe hinzugefügt, dass es kaum erklärlich sei, wie ein kleines Frühgeborenes anlässlich von Reanimationsmaßnahmen derartig auskühlen könne. Es sei weiter nicht erkennbar, welche Maßnahmen zum Schutz vor weiterer Unterkühlung bzw. zum Erhalt der Körpertemperatur ergriffen worden seien. Die Hypothermie sei zumindest mitursächlich für die heute bei ihm vorliegende Hirnschädigung gewesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

12

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben und die Sachverständigen Prof. W… sowie Prof. G… angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 19.12.2007 Bezug genommen.

B.

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Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht eine Haftung der Beklagten für die bei dem Kläger nach der Geburt aufgetretene Hirnschädigung bejaht.

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Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß den §§ 823, 847, 249 BGB bzw. wegen schuldhafter Vertragsverletzung i.V.m. Art. 229 § 8 EGBGB zu.

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I.) Das Landgericht hat die Haftung der Beklagten zu 1.) und 2.) auf Aufklärungsversäumnisse gestützt: Es sei erforderlich gewesen, die Kindesmutter über die Möglichkeit zu informieren, zur Geburt des Klägers ein Perinatalzentrum aufzusuchen, wo sie besser aufgehoben sein würde. Das Unterlassen der gebotenen Aufklärung hat das Landgericht als groben Fehler mit der Folge bewertet, dass es zu einer Umkehr der Beweislast in Bezug auf die Ursächlichkeit des Aufklärungsfehlers für den Eintritt der Schädigung beim Kläger gekommen sei. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden.

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1.) Zu Recht hat das Landgericht allerdings in Betracht gezogen, dass eine Verpflichtung zur Aufklärung des Patienten grundsätzlich auch dann bestehen kann, wenn die Heilungschancen in einem anderen Krankenhaus, das mit besseren medizinisch-technischen Apparaten ausgestattet ist und über mit der Erkrankung besonders erfahrene Ärzte verfügt, deutlich besser sind (Bundesgerichtshof VersR 1989, S. 851, 852; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10.A., Rdnr. 381).

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2.) Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob deshalb ein Hinweis der Beklagten auf die Möglichkeit der Geburt in einem perinatalen Zentrum erforderlich gewesen wäre. Denn eine Haftung der Beklagten setzt weiter voraus, dass der Kläger als Patient den Nachweis führt, die Schadensfolge, für die er Ersatz begehrt, sei gerade durch den mangels wirksamer Aufklärung eigenmächtigen Eingriff des Arztes verursacht worden und gehe nicht auf anderes zurück (Steffen/Pauge, a.a.O., Rdnr. 447). Diesen Beweis hat der Kläger nicht geführt: Denn für das Auftreten der Hirnschädigung können nach den Erläuterungen des Sachverständigen Prof. G… verschiedene Ursachen verantwortlich sein, die jedenfalls zum Teil nicht durch die Behandlung im Krankenhaus des Beklagten zu 1.) zu beeinflussen gewesen sind. Dies gilt etwa für die anatomische Unreife der Gefäßarchitektur und die bereits vor der Geburt beginnende Entzündung der Mutterkuchens und der Eihäute. Es kann nach den Erläuterungen von Prof. G… auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Hypothermie, die bei dem Kläger aufgetreten ist, jedenfalls mitursächlich für die Hirnschädigung gewesen ist. Diese Einschätzung hat Prof. G… vor dem Senat noch einmal bekräftigt. Nichts anderes folgt aus dem Privatgutachten von Prof. S…, der lediglich weitere mögliche Ursachen für eine Hirnschädigung genannt und die Bedeutung der möglichen Schadensursachen anders gewichtet hat. Davon ist auch das Landgericht zu Recht ausgegangen.

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3.) Beweiserleichterungen zugunsten des Klägers greifen entgegen der Annahme des Landgerichts in diesem Zusammenhang nicht ein. Denn Beweiserleichterungen wegen eines „groben Aufklärungsfehlers“ sind nicht anzuerkennen (Oberlandesgericht Hamburg, VersR 2000, S. 190, 191). Jede Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung macht die Einwilligung des Patienten nämlich unwirksam und der Eingriff bleibt mangels Rechtfertigung rechtswidrig. Dies gilt für einen groben ebenso wie für einen einfachen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Risikoaufklärung. Die Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung stellt keinen Behandlungsfehler dar und ist mithin auch nicht der Figur des groben Behandlungsfehlers zugänglich (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5.A., Kap. C Rdnr. 149; Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3.A., Rdnr. 209).

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II.) Gleichwohl erweist sich die Berufung der Beklagten als unbegründet, weil die Behandlung des Klägers bzw. seiner Mutter im Krankenhaus der Beklagten zu 2.) als grob fehlerhaft zu bewerten ist.

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Da dem Kläger ebenfalls der Beweis für die Behauptung obliegt, der geltend gemachte Gesundheitsschaden sei auf einen Behandlungsfehler der Beklagten zurückzuführen (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 67.A., § 823 Rdnr. 161), kann die Feststellung eines Behandlungsfehlers der Klage nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn Beweiserleichterungen zugunsten der Klägers eingreifen. Eine Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden ist grundsätzlich anzunehmen, wenn dem Arzt bei der Behandlung des Patienten ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist (Bundesgerichtshof VersR 2004, S. 909, 910). Ein solcher Fehler ist gegeben, wenn ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegt und darüber hinaus ein Fehler gegeben ist, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (Bundesgerichtshof VersR 2001, S. 1115, 1115). Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob zu bewerten ist, stellt eine juristische Frage dar, die der Tatrichter zu entscheiden hat. Seine Entscheidung muss jedoch in vollem Umfang durch die vom Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können; es ist dem Tatrichter nicht gestattet, ohne entsprechende Darlegungen oder gar entgegen den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen einen groben Behandlungsfehler aus eigener Wertung zu bejahen (Bundesgerichtshof VersR 2002, S. 1026, 1027 f.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wertet der Senat die ärztlichen Maßnahmen im Krankenhaus der Beklagten zu 1.) als grob fehlerhaft.

21

1.) Bereits das Versäumnis des Beklagten zu 2.), die Kindesmutter vor der Geburt des Klägers nicht in ein für die Versorgung von Frühgeburten speziell ausgerüstetes Perinatalzentrum zu verlegen, stellt sich aus objektiver Sicht als unverständliches Fehlverhalten dar, das einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

22

Schon die vom Kläger eingeschalteten Privatgutachter Prof. F… und Prof. S… haben die Entscheidung des Beklagten zu 2.), von einer Verlegung der Kindesmutter abzusehen, heftig kritisiert und von einem schlechterdings unverständlichen Fehlverhalten der behandelnden Ärzte gesprochen. Demgegenüber hat sich der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige aus dem Fachbereich Pädiatrie, Prof. G…, zunächst zurückhaltender geäußert und dargelegt, er hätte eine Verlegung der Kindesmutter zwar für sinnvoll, aber nicht zwingend geboten gehalten. Von dieser Einschätzung ist der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat aber ausdrücklich abgerückt und hat nunmehr ebenfalls einen groben Behandlungsfehler angenommen: Die unterbliebene Verlegung der Kindesmutter erscheine nach objektiven Kriterien nicht mehr verständlich. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an, weil der Sachverständige diese überzeugend begründet hat.

23

a.) Prof. G… hat zunächst einmal hervorgehoben, er sei bei der vorangegangenen Beurteilung noch davon ausgegangen, dass im Hinblick auf die bei der Kindesmutter aufgetretenen Frühgeburtsbestrebungen eine Stabilisierung habe erreicht werden können. Diese Annahme sei bei näherer Betrachtung des Behandlungsverlaufs seit dem 17.3.1999 aber nicht gerechtfertigt. Bei dieser Beurteilung kann sich Prof. G… auf die Ausführungen des gynäkologischen Sachverständigen Prof. W… stützen. Dieser hat allerdings zunächst dargelegt, es habe eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass die Schwangerschaft bis über die 30. Woche hinaus stabil bleibe. Anhand der vorliegenden CTG-Aufzeichnungen lasse sich nicht feststellen, inwieweit die Wehen Cervixwirksamkeit entfaltet hätten. Der Muttermund sei zwar verletzt, die vorhandene Cervixlänge jedoch noch ausreichend gewesen Diese Einschätzung hat er jedoch bereits im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Landgericht eingeschränkt und dargelegt, dass bis zur Geburt des Klägers eine fortdauernde lange Wehentätigkeit vorgelegen habe. Aufgrund des bekannten Muttermundsabrisses, der Trichterbildung und der Zunahme der Wehentätigkeit habe stets mit einer plötzlichen Eröffnung des Muttermundes gerechnet werden müssen, wie sie hier am 8.4.1997 auch eingetreten sei. Diese geänderte Beurteilung hat Prof. W… bei der Anhörung vor dem Senat noch einmal bekräftigt. Schon die Ausgangssituation habe sich deutlich problematischer dargestellt, weil es bei der Kindesmutter bereits 1994 zu einer Frühgeburt und dabei zu einer Zerreißung der Cervix gekommen sei. Es habe bereits bei der stationären Aufnahme der Kindesmutter in das Krankenhaus mit einer Frühgeburt vor der 34. Woche gerechnet werden müssen. Dieser seien ab dem 17.3.1997 fortlaufend höhere Dosen des wehenhemmenden Medikaments Partusisten verabreicht worden. Schon am 30.3.1997 sei praktisch die maximal zulässige Dosierung erreicht worden. Zudem habe sich der Muttermund von innen geweitet gehabt und es sei eine leichte Blutung zu verzeichnen gewesen. Bereits Ende März 1997 habe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass es jeden Tag und damit deutlich vor der 28. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Geburt komme und /oder das Kind ein Geburtsgewicht von unter 1000g aufweist. Diese Beurteilung wird von den Privatgutachtern Prof. S… und Prof. F… geteilt. So hat letzterer etwa in seinem Gutachten vom 13.8.2003 deutlich gemacht, dass es nach der Aufnahme der Kindesmutter am 17.3.1997 wegen der Anamnese und der erhobenen Befunde jederzeit nach jetzt 24 SSW zur Geburt eines lebensfähigen und überlebensfähigen Kindes habe kommen können. Diese Annahme wird zudem durch den Vortrag der Beklagten selbst gestützt. Diese haben nämlich in erster Instanz vorgetragen, bei der Kindesmutter habe eine starke Neigung zu einer frühzeitigen Wehentätigkeit bestanden, so dass diese auf das erhebliche Risiko, die „hochgradige Wahrscheinlichkeit einer frühen Frühgeburt“, hingewiesen worden sei. Weiter haben die Beklagten wiederholt dargetan, dass hier für eine Frühgeburtsituation eine sehr lange stabile Situation vorgelegen habe, da es zumeist unter Ausschöpfung aller Maßnahmen allenfalls gelänge, die Tragezeit um wenige Tage zu verlängern. Wie die Beklagten gleichwohl davon haben ausgehen können, den Zustand der Schwangeren derart stabilisiert zu haben, dass die Geburt eines extrem unreifen Kindes nicht zu erwarten gewesen ist, erschließt sich dem Senat nicht.

24

b.) Musste mit der Geburt eines Kindes vor der 28. SSW und /oder mit der Geburt eines Kindes mit einem Gewicht von unter 1.000 g gerechnet werden, hätte die Kindesmutter auf jeden Fall frühzeitig in ein Zentrum der Maximalversorgung verlegt werden müssen (vgl. dazu auch Bundesgerichtshof VersR 1994, S. 481, 482; Oberlandesgericht Nürnberg, AHRS III 2498/304; Oberlandesgericht Braunschweig, AHRS II Nr. 2498/100; Oberlandesgericht Düsseldorf, AHRS Nr. 3010/36).

25

(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die AWMF-Richtlinien vom 1.9.1996 den gebotenen medizinischen Standard wiedergegeben haben. Denn sämtliche Sachverständige und Privatgutachter haben keinen Zweifel gelassen, dass die Geburt eines Kindes vor der 28. SSW und / oder mit einem Geburtsgewicht von unter 1000 g in einem Zentrum der Maximalversorgung anzustreben ist. Diese Erwägung haben sie damit begründet, dass es sich bei solchen extrem früh geborenen Kindern um Kinder der höchsten Risikostufe handele. Prof. G… hat weiter deutlich gemacht, dass durch das Vorhalten eines fachlich spezialisierten Personals die Erstversorgung des unreifen Frühgeborenen, das in der 24. – 27. SSW eine deutlich gesteigerte Vulnerabilität aufweise, optimiert und durch die Verlegung des Kindes in utero der Transport mit den möglichen Kreislaufbeeinträchtigungen vermieden werde. Ganz ähnlich haben sich auch Prof. W… sowie die Privatgutachter Prof. F… und Prof. S… geäußert. Nichts anderes geht aus dem Vortrag der Beklagten selbst hervor. Diese haben nämlich dargelegt, dass nach einer internen Absprache zwischen der Frauen- und der Kinderklinik zu erwartende Frühgeburten ab einem Schwangerschaftsalter von 28 SSW und einem Geburtsgewicht von 1.000 g in A… versorgt werden können, wenn ein entsprechender Intensivplatz frei sei. Danach ist das Kreiskrankenhaus A… nach eigener Einschätzung nicht für eine regelhafte Betreuung extrem früh geborener Kinder vorgesehen gewesen. Eine solche Regelversorgung hat das Kreiskrankenhaus auch nicht durchgeführt und damit auch nicht über entsprechende Erfahrungen mit der Versorgung extrem unreifer Frühgeborener verfügt. Prof. G… hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seiner Gutachten vor dem Senat hinzugefügt, dass auch die personelle Ausstattung der Kinderklinik A… bei weitem nicht ausgereicht habe, um die Versorgung extremer Frühgeburten zu gewährleisten. Insbesondere habe ein 24-stündiger Schichtdienst nicht sichergestellt werden können.

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(2) Unerheblich ist dabei, ob zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers der Begriff des Perinatalzentrums in Niedersachsen definiert gewesen ist und ob die Kinderklinik in O… sämtliche Voraussetzungen für eine Anerkennung als solches Zentrum erfüllt hat. Denn auch nach dem Vorbringen der Beklagten selbst hat die Kinderklinik in O… jedenfalls über eine besondere apparative Ausstattung und besonders qualifiziertes Personal verfügt, um Frühgeburten behandeln und betreuen zu können. Dementsprechend haben die Beklagten den Kläger schon kurz nach der Geburt nach O… bringen lassen und selbst von dem Perinatalzentrum in O… gesprochen.

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c.) Der Senat verkennt nicht, dass sich der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige aus dem Fachgebiet Gynäkologie, Prof. W…, nach eigenen Angaben schwer damit getan hat, einen groben Behandlungsfehler des Beklagten zu 2.) anzunehmen, und weiter ausdrücklich von einem Behandlungsfehler gesprochen hat, der nicht als grob zu bewerten sei. Eine plausible Begründung für diese Annahme hat er jedoch vermissen lassen. Denn die medizinischen Fakten, die er seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, haben sowohl Prof. G… als auch die Privatgutachter Prof. S… und Prof. F… mit überzeugender Begründung zu der Schlussfolgerung bewogen, dass das Vorgehen des Beklagten zu 2.) aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich sei. So hat auch Prof. W… inzwischen die Auffassung vertreten, dass aufgrund der vorliegenden Befunde ab Ende März 1997 jederzeit mit der Geburt des Klägers und damit mit einer extremen Frühgeburt habe gerechnet werden müssen. Er hat weiter keinen Zweifel gelassen, dass Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1000 g der höchsten Risikostufe zugeordnet werden müssen und es gerade deshalb in hohem Maße auf die Erfahrung der behandelnden Ärzte ankommt. Einen nachvollziehbaren Grund, von der Verlegung der Kindesmutter in ein Zentrum der Maximalversorgung gleichwohl abzusehen, haben weder die Beklagten noch der Sachverständige Prof. W… aufgezeigt. Ein gesundheitliches Risiko für die Kindesmutter ist mit einer Verlegung jedenfalls nicht verbunden gewesen, wie Prof. W… auf Nachfrage erklärt hat.

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2.) Selbst wenn man demgegenüber das Fehlverhalten des Beklagten zu 2.) allein noch nicht als grob fehlerhaft bewerten wollte, erweist sich die Behandlung des Klägers bzw. der Kindesmutter im Kreiskrankenhaus A… in dem Zeitraum März /April 1997 doch jedenfalls in der Zusammenschau als grob fehlerhaft. Denn die postnatale Versorgung des Klägers ist ebenfalls nicht frei von Behandlungsfehlern gewesen, weil die Kinderärzte des Beklagten zu 1.) eine starke Unterkühlung des Kindes nicht verhindert und der Hypothermie anschließend nicht die Beachtung geschenkt haben, die aus medizinischen Gründen geboten gewesen wäre.

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a.) Bereits in seinen schriftlichen Gutachten hat Prof. G… erläutert, welche Bedeutung eine bei Frühgeborenen auftretende Hypothermie aufweist, die nämlich die respiratorischen Komplikationen des Frühgeborenen noch verstärkt und deshalb einen schwerwiegenden Risikofaktor für eine zusätzliche Versorgungsstörung des Gehirns darstellt (zur Bedeutung des Temperaturverlusts vgl. auch Oberlandesgericht Düsseldorf, AHRS I, Nr. 6551/20). Deshalb stellt es einen Behandlungsfehler dar, dass die Mitarbeiter des Beklagten zu 1.) nach der Geburt des Klägers einer Unterkühlung nicht hinreichend entgegengewirkt haben. So hat Prof. G… das Absinken der Körpertemperatur des Klägers im Kreiskrankenhaus A… auf den Wert von 33,8 °C als sehr ungewöhnlich bezeichnet. Dies lasse den Schluss zu, dass die Anlegung des Nabelvenenkatheters zu lange gedauert hat. Zwar könne auch in einem Perinatalzentrum eine Unterkühlung des früh geborenen Kindes selbst bei sorgfältiger Behandlung nicht immer vermieden werden. Im vorliegenden Fall sei jedoch mit einer Körpertemperatur von unter 34 °C eine sehr starke und unübliche Hypothermie aufgetreten. Eine solche Unterkühlung sei, so der Sachverständige Prof. G…, „zweifellos medizinisch vermeidbar“ – eine Bewertung, die von dem Privatgutachter Prof. S… geteilt wird. Dabei hat Prof. G… nicht näher sagen können, worauf diese extreme Unterkühlung zurückzuführen ist. Soweit er in Erwägung gezogen hat, das Kind sei nicht 100-prozentig abgetrocknet worden, hat er diese Möglichkeit nur beispielhaft erwähnt. Im Hinblick darauf hat der Senat keine Veranlassung gesehen, die von den Beklagten benannte Zeugin Dr. L… zu dieser Frage zu vernehmen.

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b.) Wie lange die Hypothermie des Klägers angedauert hat, lässt sich nicht mehr klären, weil die Mitarbeiter der Kinderklinik erforderliche Kontrollmessungen versäumt haben. Dazu hat Prof. G… ausgeführt, nicht sagen zu können, ob und wann eine ausreichende Anhebung der Körpertemperatur erreicht worden sei. In den Krankenunterlagen der Beklagten sei lediglich vermerkt, dass die Temperatur gegen 15 Uhr mit 34,5 °C ermittelt worden ist. Dagegen sei nicht dokumentiert, wie sich die Körpertemperatur des Klägers danach entwickelt und bei der Übernahme durch das Transportteam der Kinderklinik O… dargestellt habe. Die Begleitung der Aufwärmmaßnahmen durch entsprechende Temperaturkontrollen sei jedoch geboten gewesen, zumindest hätte vor der Verlegung eine solche Kontrolle noch einmal erfolgen müssen. Der Sachverständige hat hinzugefügt, es stelle sich aus objektiver Sicht als unverständliches Fehlverhalten dar, wenn die Temperatur des Klägers nach 15 Uhr nicht mehr gemessen worden ist.

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c.) Danach haben sich an das schwerwiegende Versäumnis, die Kindesmutter nicht bereits Ende März 1997 in ein Zentrum der Maximalversorgung zu verlegen, weitere Fehler bei der postnatalen Versorgung des Klägers angeschlossen, so dass die Behandlung im Krankenhaus des Beklagten zu 1.) jedenfalls in der Gesamtbewertung als grob fehlerhaft bezeichnet werden muss. Da der Beklagte zu 1.) gemäß den §§ 278, 831 BGB für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter einstehen muss, ist eine Umkehr der Beweislast jedenfalls in Bezug auf diesen gerechtfertigt; es kommt also entgegen der offenbar von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht darauf an, ob sämtliche Versäumnisse einem einzelnen Arzt zur Last zu legen sind (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, VersR 1997, S. 700, 701; VersR 1990, S. 858, 859). Im Hinblick darauf kann dahingestellt bleiben, ob den Mitarbeitern des Beklagten zu 1.) weiter vorgeworfen werden muss, den Kläger an das Transportteam aus O… übergeben zu haben, obwohl sich sein Zustand im Hinblick auf die aufgetretene Hypothermie noch nicht hinreichend stabilisiert hatte – was die Beklagten unter Beweisantritt bestreiten.

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3.) Aufgrund der Beweislastumkehr erstreckt sich die Haftung der Beklagten auf die Hirnschädigung des Klägers und die damit verbundenen Auswirkungen. Denn sowohl der Transport des Klägers schon kurz nach der Entbindung in die Kinderklinik in O… als auch die bei ihm aufgetretene Hypothermie haben nach den Erläuterungen von Prof. G… das Risiko einer Hirnschädigung erhöht und sind deshalb jeweils geeignet gewesen, diesen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Nach den von den Beklagten insoweit nicht in Abrede genommenen Feststellungen des Privatgutachters Prof. S… liegt eine schwere und ausgedehnte Hirnsubstanzstörung mit Hirnsubstanzverlust vor. Der Kläger wird sein Leben lang unter einer überwiegend rechtsbetonten, weitgehend spastisch definierten Hemiplegie leiden. Seine sprachliche und psychointellektuelle Entwicklung stellt sich als deutlich verzögert dar. Inwieweit die Einschränkung der psychointellektuellen Möglichkeiten von Dauer ist, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Diese Umstände rechtfertigen jedenfalls das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld von 70.000,-€. Angesichts der Dauerschädigung erscheint auch das Auftreten zukünftiger materieller Schäden als nicht unwahrscheinlich, so dass der Feststellungsantrag ebenfalls begründet ist.

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4.) Eine Verjährung der Ansprüche des Klägers gemäß § 852 BGB a.F., §§ 195, 199 BGB n.F., Art. 229 § 6 EGBGB ist nicht ersichtlich, wie schon das Landgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt hat. In der Berufungsinstanz wird die Verjährungseinrede von den Beklagten auch nur in Bezug auf Aufklärungsmängel geltend gemacht, die hier ohnehin eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen vermögen (s.o.).

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III.) Die Zinsforderung des Klägers ist gemäß den §§ 291, 288 BGB begründet. Zutreffend hat das Landgericht § 288 BGB in der jeweils gültigen Fassung vom 1.1.1900, 1.5.2000 und 1.1.2002 herangezogen. Etwas anderes folgt nicht aus Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB, weil sich diese Regelung nur auf Verzugszinsen, nicht aber auf Prozesszinsen bezieht.

C.

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Die Nebenentscheidungen stützen sich auf die §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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