LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.2010 – 13 Sa 19/10
Kurzzeitige Arbeitsunterbrechungen sind, je nach Lage des konkreten Einzelfalls, auch dann nicht dazu geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer angegeben hat, „keine Pausen“ gemacht zu haben.
(Leitsatz des Gerichtes)
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 14.01.2010 (3 Ca 510/09) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer dem Kläger von der Beklagten außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung.
Der am 15.06.1966 geborene, verheiratete und drei Kindern unterhaltspflichtige Kläger arbeitet auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.11.2007 (vgl. Akten 1. Instanz Bl. 6 bis 8; I/6-8) seit dem 15.11.2007 bei der Beklagten zu einer monatlichen Vergütung von zuletzt EUR 2.500,00 brutto zuzüglich verschiedener Zuschläge und Sonderzahlungen als Kraftfahrer mit Führerscheinklasse CE. Die Beklagte mit Sitz in St. und einer Niederlassung in M. betreibt einen Schrott- und Metallgroßhandel und beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG.
Das von einer Aufzeichnungseinrichtung im LKW erstellte elektronische Tätigkeitsprotokoll unterscheidet zwischen Arbeitszeiten („AR“), Lenkzeiten („LZ“) und Ruhezeiten („RZ“), was für die Wahrung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften von Bedeutung ist. Ruhezeiten („RZ“) können nur dann aufgezeichnet werden, wenn der LKW steht. Ferner ist hierfür grundsätzlich erforderlich, dass der LKW mindestens 15 Minuten nicht bewegt wird oder der Fahrer einen Schalter zur Aufzeichnung von Ruhezeiten entsprechend bedient. Am 09.09.2009 verzeichnete das elektronische Tätigkeitsprotokoll des Klägers (vgl. Anlage B 3; I/43) von 05:50 Uhr bis 06:04 Uhr (14 Minuten), von 08:16 Uhr bis 08:22 Uhr (6 Minuten), von 09:38 Uhr bis 09:59 Uhr (21 Minuten) und von 13:47 Uhr bis 14:03 Uhr (16 Minuten) Ruhezeiten („RZ“) im Umfang von insgesamt 57 Minuten. Der Kläger befand sich gegen 14:00 Uhr mit einem LKW der Beklagten auf dem Autohof St.- W. und saß dort bei zurückgeneigter Rückenlehne und geschlossenen Augen auf dem Fahrersitz, wovon die Beklagte am 10.09.2009 erfuhr. Die näheren Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.
Die für die Abrechnung der Vergütung maßgebliche Arbeitszeit des Klägers wird von einer Stempeluhr erfasst, die mit einem mechanischen Aufdruck Kommen und Gehen des Arbeitnehmers an den einzelnen Tagen festhält. Die Arbeitnehmer geben durch handschriftliche Eintragungen auf dieser Karte jeweils an, in welchem Umfang sie an den betreffenden Tagen Pausen gemacht haben. Der Eintrag des Klägers für den 09.09.2009 weist mechanisch erfasste Zeiten von 05:18 Uhr (Kommt) und 18:02 Uhr (Geht) aus. Dahinter hat der Kläger handschriftlich hinzugefügt: „ohne Pausen“ (vgl. Anlage B 4; I/44).
Am 24.09.2009 wurde dem Kläger nach der ihm an diesem Tage zugeteilten Tour ein auf diesen Tag datiertes und vom Geschäftsführer der Beklagten original unterschriebenes Kündigungsschreiben betreffend eine außerordentlich fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung (vgl. Anlage K 1; I/5) übergeben.
In der Folgezeit erstellte die Beklagte eine Abrechnung für den Monat September 2009 (vgl. Anlage K 4; I/10), wobei sie nur die Zeit bis 24.09.2009 berücksichtigte und statt EUR 2.500,00 brutto für einen ganzen Monat nur 24/30 hiervon (EUR 2.000,00 brutto) berücksichtigte. Nach den persönlichen Steuer- und Sozialversicherungsmerkmalen des Klägers entspricht ein monatlicher Differenzbetrag von EUR 500,00 brutto nach dessen unstreitigem Vortrag EUR 362,43 netto.
Mit seiner am 07.10.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 13.10.2010 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm ausgesprochene Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Mit einer am 07.12.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 10.12.2009 zugestellten Klageerweiterung macht der Kläger Differenzlohnansprüche für den Monat September 2009 geltend.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, es lägen weder Gründe für eine außerordentlich fristlose, noch für eine hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Daher stehe ihm für den Monat September 2009 auch die volle Vergütung zu. Ruhezeiten nach dem elektronischen Tätigkeitsprotokoll seien nicht identisch mit Ruhepausen im Sinne der arbeitsvertraglichen Vergütungspflicht wie sie auf der Stempelkarte zu vermerken seien. Der Personalleiter der Beklagten habe ihn darauf hingewiesen, dass man den Tachographen auf „Pause“ umstellen solle, wenn man nicht fahre, sondern andere Tätigkeiten verrichte, weil nur so die Chance gegeben sei, eine Arbeitszeitüberschreitung zu verhindern. Eine Abmahnung sei dem Kläger nie erteilt worden. Wenn der Kläger in der Vergangenheit Lenkzeitüberschreitung begangen habe, sei dies aufgrund Weisung der Beklagten erfolgt. Der Kläger habe aufgrund der engen Tourenvorgaben der Beklagten häufig keine Pausen machen können. Am 09.09.2009 habe er von 05:50 Uhr bis 06:04 Uhr getankt, sich von 09:38 Uhr bis 09:59 Uhr im Büro der Beklagten in St. aufgehalten und Tagesberichte übergeben und Anweisungen entgegengenommen. Es werde bestritten, dass der Kläger zwischen 13:47 Uhr und 14:03 Uhr in seinem LKW gesessen und offensichtlich geschlafen habe. Er möge zwar im LKW gewesen sein. Geschlafen habe er aber nicht. Er habe keinen Arbeitszeitbetrug begangen. Die in der Stempelkarte angegebenen Arbeitszeiten seien auch die tatsächlich geleisteten. In den „Ruhezeiten“ habe er auch für die Beklagte gearbeitet.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.09.2009 nicht beendet ist.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf der Basis eines Bruttomonatslohns von EUR 2.500,00 zzgl. Überstundenvergütung zzgl. Auslösung für September 2009 einen restlichen Nettolohn von EUR 362,63 auszuzahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 24.09.2009 sei ein Arbeitszeitbetrug des Klägers am 09.09.2010 gewesen. Der Kläger sei bereits am 10.06.2009 durch den Personalleiter der Beklagten abgemahnt worden, da er am 12.05.2009 und 19.05.2009 die rechtlich zulässige Lenkzeit um eine beziehungsweise um zwei Stunden überschritten und am 22.05.2009 eine Arbeitszeitunterbrechung zu spät vorgenommen habe. Dabei sei der Kläger erneut darauf hingewiesen worden, dass Ruhepausen auf den Stechkarten zwingend einzutragen sind. Am 22.06.2009 sei der Kläger im Rahmen einer internen Fahrerschulung erneut darauf hingewiesen worden, dass Lenk- und Ruhezeiten im Verkehr einzuhalten und die Pausen auf den Stechkarten einzutragen seien. Gleichwohl seien aus dem elektronischen Tätigkeitsprotokoll des Klägers vom 09.09.2009 mehrere Ruhezeiten ersichtlich, ohne dass der Kläger Pausen auf der Stechkarte eingetragen habe. Das elektronische Tätigkeitsprotokoll sei ein Indiz dafür, dass der Kläger tatsächlich Pausen gemacht habe. Jedenfalls für den Zeitraum von 13:47 Uhr bis 14:03 Uhr könne die Beklagte nachweisen, dass der Kläger nicht gearbeitet, sondern eine Pause gemacht habe. Ein Aushilfsfahrer der Beklagten, Herr G., sei vor 14:00 Uhr auf den Autohof St.-W. gefahren und habe dabei zufällig den Kläger gesehen, wie er mit nach hinten geklapptem Fahrersitz mit geschlossenen Augen im Lastwagen gesessen habe, um offensichtlich zu schlafen. Diese Beobachtung, wonach der Kläger für etwa 15 Minuten eine Ruhepause eingelegt habe und gegen 14:00 Uhr schlafend gesehen worden sei, habe Herr G. am 10.09.2009 der Beklagten mitgeteilt. Da der Kläger für den 09.09.2009 aber keine Pause angegeben habe, liege ein Arbeitszeitbetrug vor, der die Beklagte zur Kündigung berechtige. Die Beklagte müsse sich darauf verlassen können, dass die Angaben ihrer Fahrer auch stimmten. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 24.09.2009 geendet habe, stehe dem Kläger auch keine weitergehende Vergütung für diesen Monat zu.
Das Arbeitsgericht hat mit einem am 14.01.2010 verkündeten Urteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24.09.2009 nicht beendet wurde und die Beklagte verurteilt, an den Kläger EUR 362,63 netto zu zahlen. Es liege kein Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Auch nach dem Vortrag der Beklagten habe der Kläger am 09.09.2009 gegen 14:00 Uhr nur für einige Minuten zurückgelehnt, mit geschlossenen Augen in seinem LKW gesessen. Daraus könne nicht abgeleitet werden, dass der Kläger in diesem Zeitraum längerfristig eine Pause gemacht habe. Die Erfassung der fraglichen Zeit als „Ruhenszeit“ im elektronischen Tätigkeitsprotokoll sei nicht aussagekräftig, da der Kläger in solchen Zeiten auch getankt oder Berichte im Fahrzeug geschrieben haben könne, was zur Arbeitszeit gehöre.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 28.01.2010 zugestellt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Berufung, die am 09.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist und die sie mit einem am 26.03.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte trägt vor, die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung sei begründet, da dieser am 09.09.2009 von 13:47 Uhr bis 14:03 Uhr eine Pause gemacht habe, ohne dies auf seiner Stechkarte einzutragen. Die Einlassung des Klägers, was er sonst in dieser Zeit gemacht haben wolle, sei unschlüssig und widersprüchlich. Vielmehr habe der Zeuge G. den Kläger dabei beobachtet, wie er in diesem Zeitraum in seinem LKW mit geschlossenen Augen, zurückgelehnt auf dem nach hinten gekippten Fahrersitz ohne irgendwas zu arbeiten gesessen habe. Dieser Sachverhalt reiche für die Annahme aus, dass der Kläger in diesem Zeitraum eine Ruhepause eingelegt habe. Auf die Dauer der Pause komme es nicht an. Damit liege ein Arbeitszeitbetrug vor. Bereits am 10.06.2009 sei der Kläger abgemahnt und bei anderen Gelegenheiten mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Pausenzeiten korrekt auf der Stechkarte einzutragen seien.
Nunmehr werde die Kündigung auch auf einen weiteren Sachverhalt gestützt. Der Kläger habe auf seiner Stechkarte für den 23.09.2009 auch keine Pause eingetragen. Aus dem elektronischen Tätigkeitsprotokoll für diesen Tag (vgl. Akten 2. Instanz Anlage B 6, Bl. 51 d.A.; II/51) ergebe sich aber in der Zeit von 10:35 Uhr bis 11:05 Uhr sogar eine dreißigminütige Ruhezeit („RZ“). Aufgrund der vom Kläger gefahrenen Strecke und der diesbezüglichen Tour ergäben sich keine Zweifel, dass der Kläger hier eine Ruhepause eingelegt habe. Er habe seine Fahrt unterbrochen, ohne in dieser Zeit etwas für die Beklagte zu erledigen. Dieser Sachverhalt sei der Beklagten jetzt nach Durchsicht der Protokolle offenbar geworden, weshalb die am 24.09.2009 ausgesprochene Kündigung auch hierauf gestützt werde. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits am 24.09.2009 geendet habe, stehe dem Kläger für diesen Monat auch keine Vergütung mehr zu.
Die Beklagte beantragt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Mannheim vom 14.01.2010, Az: 3 Ca 510/09, abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil. Am 09.09.2009 habe er in der Zeit von 13:47 Uhr bis 14:03 Uhr auf dem Autohof St.-W. seinen LKW abgestellt, dort seinen Tagesbericht geschrieben, seinen Anhänger angeschlossen und „gepinkelt“. Es habe sich nicht um eine Pausenzeit, sondern eine Standzeit gehandelt, in der er weiter für die Beklagte tätig gewesen sei.
Das elektronische Tätigkeitsprotokoll würde in dieser Zeit auf „Arbeitszeit“ springen. Dass der Kläger diese Zeit durch Betätigen der Ruhenstaste als „Ruhenszeit“ habe elektronisch registrieren lassen, komme ausschließlich der Beklagten zu Gute, da hierdurch mögliche Lenkzeitüberschreitungen nicht dokumentiert würden. Dem Kläger sei nie eine Abmahnung erteilt worden. Er habe auf Anweisung der Beklagten bei Fahrtunterbrechungen den Tachographen auf „Ruhenszeit“ gestellt, auch wenn er Tätigkeiten wie Wiegen, Abladen oder Papiere ausfüllen ausgeführt habe, damit keine Arbeitszeitüberschreitungen entstünden.
Es sei unzulässig, wenn sich die Beklagte nunmehr auf einen über sieben Monate zurückliegenden Sachverhalt zur Begründung der Kündigung stütze. Jedenfalls stelle dieser Sachverhalt aber keinen Kündigungsgrund dar. Er habe zwar für den 23.09.2009 auf seiner Stechkarte für den Zeitraum keine Pause eingetragen, obwohl auf dem elektronischen Tätigkeitsprotokoll eine Ruhezeit („RZ“) vermerkt sei. An dem Tag habe er noch für die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften eine dreißigminütige Lenkzeitunterbrechung einlegen müssen. Hierfür habe er den Parkplatz der Raststätte G. / W. angefahren, auf „RZ“ gedrückt und sei zur Toilette gegangen. Der Aufenthalt habe länger als gedacht, nämlich 23 Minuten gedauert, so dass noch sieben Minuten für eine dreißigminütige Lenkzeitunterbrechung gefehlt hätten. Diese Zeit habe der Kläger dann im LKW verbracht, um eine später notwendig werdende Lenkzeitunterbrechung zu vermeiden. Der Kläger habe seine Toilettenpause ausschließlich für die Interessen der Beklagten genutzt, damit die erforderliche Lenkzeitunterbrechung eingehalten werde, welche aber keine bei der Vergütungsberechnung abzugsfähige Pause darstelle.
Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, da sie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betrifft, § 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG. Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.
II. Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet. Die von ihr am 24.09.2009 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung ist unwirksam und beendet das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht. Daher steht dem Kläger auch restliche Vergütung für den Monat September 2009 zu.
1. Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger am 24.09.2009 ausgesprochene Kündigung ist sowohl als außerordentlich fristlose Kündigung – mangels wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB hierfür – noch als hilfsweise ordentliche Kündigung – mangels verhaltensbedingten Grundes im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG hierfür – wirksam.
a) Die Frage des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB war zu prüfen, da der Kläger innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage erhoben hat (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG).
b) Es liegt kein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vor, der die Beklagte zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde.
aa) Gemäß § 626 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen der Parteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(1) Es ist dabei zunächst zu untersuchen, ob durch die Umstände und Verhaltensweisen, auf welche die Kündigung gestützt wird, betriebliche Interessen konkret beeinträchtigt wurden (BAG AP Nr. 58 und 87 zu § 626 BGB; APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 26) und der danach kündigungsrechtlich erhebliche Sachverhalt für sich genommen geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden (vgl. ErfK-Müller-Glöge, 10. Auflage 2010, § 626 BGB Rn. 15 ff.). Bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Wertung ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. KR-Fischermeier, 8. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 109). Werden dem Arbeitnehmer Vertragsverletzungen vorgeworfen, dann muss grundsätzlich gegen die Pflichten aus dem Vertrag rechtswidrig und schuldhaft verstoßen worden sein (BAG NZA 1992, S. 212).
(2) Auch zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung aus wichtigem Grund ist eine negative Zukunftsprognose erforderlich (BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung, AP Nr. 25, 27, 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; ErfK-Müller-Glöge, 10. Auflage 2010, § 626 BGB Rn. 19). Da durch die Kündigung weitere Vertragsverletzungen verhindert werden sollen, sind die Kündigungsgründe zukunftsgerichtet. Auch die verhaltensbedingte Kündigung hat keinen Sanktionscharakter (v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Auflage 2007, § 1 Rn. 274).
(3) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn alle anderen möglichen und milderen Mittel erschöpft sind (BAG, Urteil vom 30.05.1978, AP BGB § 626 Nr. 70). Als milderes Mittel ist bei einer Vertragsverletzung zunächst eine Abmahnung zu erwägen (APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 84, 88 m.w.N.). Insbesondere bei Störungen im Leistungsbereich ist eine Abmahnung aufgrund ihrer Warnfunktion zur Vorbereitung einer Kündigung erforderlich (KR-Fischermeier, 8. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 256 ff.).
(4) Wirksam ist die außerordentliche Kündigung ferner nur dann, wenn das Interesse des Kündigenden an der vorzeitigen Beendung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Gekündigten an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt (Interessenabwägung), wie § 626 Abs. 1 BGB in seinem Wortlaut ausdrücklich hervorhebt (vgl. auch APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 96 ff.).
(5) Darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, aus denen sich der wichtige Grund im Sinne des § 626 BGB ergibt, ist der Kündigende (BAGE 2, 333; BAG AP BGB § 626 Nr. 97). Dies betrifft grundsätzlich auch das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen (vgl. APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 175 m.w.N.).
bb) Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann erweist sich die umstrittene außerordentliche Kündigung als unwirksam. Es liegt kein erheblicher Verstoß des Klägers gegen arbeitsvertragliche Pflichten vor.
(1) Hinsichtlich des Vorfalls vom 09.09.2009 handelt es sich – die Behauptungen der Beklagten zu ihren Gunsten als zutreffend unterstellt – um eine Situation, in welcher ein Arbeitnehmer für einige Minuten mit geschlossenen Augen an seinem Arbeitsplatz gesessen hat. Eine solche „Arbeitsbummelei“ ist im konkreten Fall nicht geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Arbeitsbummeleien eines Arbeitnehmers werden dann zum wichtigen Kündigungsgrund, wenn sie den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verweigerung der Erfüllung der Arbeitspflicht erreichen (vgl. LAG Hamm, 08. März 2007 – 17 Sa 1604/06 – in juris). Das trifft zu, wenn eine Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird und sich daraus der nachhaltige Wille der vertragswidrig handelnden Partei ergibt, den vertraglichen Verpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß nachkommen zu wollen (vgl. KR-Fischermeier, 9. Auflage 2009, § 626 BGB Rn. 409 m.w.N.). Vorliegend kann schon nicht von einer beharrlichen Verweigerung der Erfüllung der Arbeitsleistung durch den Kläger ausgegangen werden. Selbst wenn man die Angaben der Beklagten zu Grunde legen würde, hätte der Kläger am 09.09.2009 zwischen dem Zeitpunkt des Abstellens des Motors seines Fahrzeugs um 13:47 Uhr bis zum erneuten Anlassen des Motors um 14:03 Uhr allenfalls wenige Minuten mit geschlossenen Augen auf dem zurückgeklappten Fahrersitz verbracht. Gemessen an der von der Stechkarte dokumentierten Arbeitszeit von annähernd 13 Stunden an diesem Tag, handelt es sich um eine geringfügige Nachlässigkeit, der kein besonderes Gewicht zukommt. Der Beklagten kann auch nicht in der Auffassung gefolgt werden, dass es sich bei der Angabe des Klägers auf der Stechkarte, an diesem Tag keine Pause gemacht zu haben, um einen Arbeitszeitbetrug handeln würde. Selbst wenn an diesem Tag eine Arbeitsbummelei des Klägers vorgelegen haben sollte, würde es sich nicht um eine „Ruhepause“ im Sinne von § 4 ArbZG handeln. Die bloße Unterbrechung einer Tätigkeit für kurze Zeit ist nicht gleichbedeutend mit der Inanspruchnahme einer Ruhepause. Die unterlassene Angabe, seine Tätigkeit kurzfristig unterbrochen zu haben, stellt für sich gesehen noch keinen Arbeitszeitbetrug dar. Hierzu fehlen im konkreten Fall alle erforderlichen Anhaltspunkte. Soweit der Kläger während seiner Arbeitszeit für einige Minuten seine Augen geschlossen haben sollte, wäre dies möglicherweise eine pflichtwidrige Bummelei. Dies würde aber nach Ausmaß, insbesondere Dauer und konkreten Umständen nicht das Maß erreichen, hierin eine beharrliche Verweigerung der Arbeitspflicht zu sehen oder ein gezieltes Vorgehen des Klägers, sich unberechtigt Vergütung für nicht geleistete Arbeit zu verschaffen. Zu den übrigen vom elektronischen Tätigkeitsprotokoll erfassten Ruhezeiten („RZ“) an diesem Tag hat sich der Kläger konkret eingelassen, ohne dass die Beklagte ihrerseits konkrete Behauptungen dazu aufstellen konnte, der Kläger habe in diesen Zeiten nicht gearbeitet. Wie sie selbst angibt, stellt sie insoweit nur Vermutungen an. Angesichts dieser Umstände wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, auf ein etwaiges Fehlverhalten des Klägers mit einer Abmahnung zu reagieren. Dem steht nicht die streitige Behauptung entgegen, der Kläger sei am 10.06.2009 mündlich vom Personalleiter abgemahnt worden. Die von dem Beklagten behauptete Abmahnung betrifft Fälle der Überschreitung der Lenkzeit und eine zu späte Arbeitszeitunterbrechung, quasi also das Gegenteil dessen, was die Beklagte dem Kläger anlässlich der Kündigung vorwirft. Im konkreten Fall wäre es aber der Beklagten zumutbar, vor Ausspruch einer Kündigung, den Kläger im Rahmen einer einschlägigen Abmahnung dazu anzuhalten, während der Arbeitszeit keine Arbeitsbummelei zu begehen. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte selbst nicht in aller Schlüssigkeit vorträgt, arbeitszeitrechtliche Regeln in aller Strenge zu behandeln. So gehen aus der vorgelegten Stechkarte des Klägers für die erste Hälfte des Monats September 2009 (vgl. I/44) durchweg Arbeitszeiten um die 10 Stunden pro Tag, vereinzelt auch 11 oder 13 Stunden am Tag hervor, ohne dass die Beklagte dies beanstandet hätte, ebenso wie die vom Kläger im Übrigen eingetragenen Pausen von lediglich 15 beziehungsweise 30 Minuten am Tag, was mit der gesetzlichen Regelung schwer in Einklang zu bringen ist. Insoweit würde es der Beklagte freistehen, bei mehr als sechs Stunden Arbeitszeit am Tag mindestens 45 Minuten Pausen gegenüber dem Kläger anzuordnen, die sie dann auch nicht bezahlen müsste.
(2) Hinsichtlich des Vorfalls vom 23.09.2009, den die Beklagte in der Berufungsinstanz ergänzend zur Begründung der Kündigung herangezogen hat, gilt das oben Gesagte entsprechend. Unstreitig hat der Kläger an diesem Tag von 10:35 Uhr bis 11:05 Uhr seine Fahrt unterbrochen. Hierzu hat sich der Kläger konkret eingelassen, dass er in dieser Zeit unter anderem – unerwartet lange – auf einem Rastplatz eine Toilette aufgesucht habe und im Übrigen die Fahrtunterbrechung noch um einige Minuten ausgedehnt habe, um eine fällige Lenkzeitunterbrechung zu erfüllen. Das Aufsuchen einer Toilette stellt für sich noch keine Pause dar, die grundsätzlich nicht zu vergüten wäre. Soweit der Aufenthalt des Klägers in der Toilette unüblich lang gewesen sein sollte und er danach auch noch zuwartete, bis er mit dem LKW weiterfuhr, würde auch hier ein bloßer Fall einer Arbeitsbummelei vorliegen, die nach den konkreten Umständen des Falles aber nicht so schwerwiegend wäre, dass sie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers rechtfertigen könnte. Nach den Umständen des Falls kann hier auch nicht von einem Arbeitszeitbetrug ausgegangen werden, da die Unterbrechung der Fahrt einen konkreten Anlass hatte, im Gesamtgefüge der Arbeitsleistung des Klägers verhältnismäßig geringfügig war und eine Absicht des Klägers sich einen Vorteil beziehungsweise der Beklagten einen Nachteil zu verschaffen nicht zu erkennen ist. Hier wäre dem Kläger allenfalls der Vorwurf einer Nachlässigkeit wegen einer zu langen Arbeitsunterbrechung zum Besuch der Toilette und eines nicht unmittelbaren Wiederantritts der Fahrt zu machen. Dies reicht vom Gewicht allein schon nicht für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Jedenfalls auch hier wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, auf etwaiges pflichtwidriges Verhalten des Klägers zuvor mit einer einschlägigen Abmahnung zu reagieren.
c) Auch die dem Kläger am 24.09.2009 ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung ist unwirksam, da sie nicht sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist.
aa) Die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung war zu prüfen, da die Beklagte mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG), das Arbeitsverhältnis der Parteien über ein halbes Jahr andauert (§ 1 Abs. 1 KSchG) und der Kläger innerhalb der Frist des § 4 KSchG Klage erhoben hat.
bb) Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt, da die Beklagte betriebs- oder personenbedingte Gründe dafür nicht vorgetragen hat, und sie auch nicht durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 KSchG).
Auch wenn zur sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen gegenüber einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ein verringerter Maßstab an das Vorliegen eines Kündigungsgrundes zu stellen ist, reichen im konkreten Fall die von der Beklagten geschilderten Umstände nicht aus, um einen solchen verhaltensbedingten Grund zu begründen. Das aus dem Vortrag der Beklagten ableitbare etwaige Fehlverhalten des Klägers betrifft allenfalls eine Arbeitsbummelei, die nach Ausmaß und Umfang nicht besonders erheblich ist und angesichts der übrigen Umstände des Falls, insbesondere hinsichtlich der konkreten Arbeitsbedingungen des Klägers, nicht geeignet ist, eine Kündigung ihm gegenüber zu rechtfertigen. Auch hier wäre es ferner der Beklagten zumutbar gewesen, auf etwaiges Fehlverhalten des Klägers mit einer einschlägigen Abmahnung zu reagieren, bevor sie eine Kündigung ausspricht.
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung für den Monat September 2009 aus der vertraglichen Vereinbarung der Parteien in Verbindung mit § 611 Abs. 1 BGB. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die unwirksame Kündigung der Beklagten vom 24.09.2009 nicht außerordentlich fristlos aufgelöst worden ist, schuldet die Beklagte dem Kläger Vergütung für den vollen Monat September 2004 und nicht allein – wie von ihr bislang abgerechnet und ausgezahlt – in Höhe von 24/30 der vollen Vergütung. Gegen die Höhe des vom Arbeitsgericht tenorierten Netto-Restbetrages hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben.
III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.