Keine Entschädigung wegen Dauer einer Gepäckkontrolle und deshalb versäumtem Flug

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.01.2017 – 1 U 139/15

Kein Anspruch auf Entschädigung wegen Aufopferung bzw. enteignenden Eingriffs, wenn ein Fluggast wegen der erforderlichen Dauer der Handgepäckskontrolle den Flug versäumt. Da sich jedermann einer solchen Kontrolle unterziehen muss, stellt die Versäumung des Flugs kein Sonderopfer dar (Abweichung vom OLG Frankfurt, U. v. 12.8.2013, Az. 1 U 276/12).

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.07.2015 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entschädigung im Zusammenhang mit einem verpassten Flug in Anspruch.

Der Kläger begab sich am 08.07.2012 morgens – frühestens um kurz vor 04.00 Uhr – mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen minderjährigen Kindern an den Sicherheitskontrollpunkt B im Terminal 1 des Flughafens Stadt1, um eine Urlaubsreise nach Malaga anzutreten. Der planmäßige Abflug war um 04.55 Uhr. Die Familie hatte bereits am Abend zuvor eingecheckt, so dass nur noch das mitgeführte Handgepäck zu kontrollieren war. Der Kläger und seine Lebensgefährtin legten ihr Handgepäck in den Röntgentunnel. Das Sicherheitspersonal meinte, aufgrund des Röntgenbildes im Handgepäck der Lebensgefährtin des Klägers eine Bombe bzw. Sprengstoff oder Sprengstoffspuren erkannt zu haben. Das Handgepäck wurde erneut kontrolliert und im Röntgentunnel vor- und zurückgefahren. Der Mitarbeiter des Sicherheitspersonals hielt Rücksprache mit einer Vorarbeiterin, welche in einem angrenzenden Büro einen Vorgesetzten informierte. Dieser erschien nach ein paar Minuten, um sich ebenfalls die Bilder anzusehen und das Handgepäck erneut mehrfach zu röntgen. Eine weitere Person der Sicherheitskontrolle führte sodann einen Sprengstofftest mittels eines Pappstreifens durch. Nachdem dieser Test negativ ausfiel, wurde die Tasche erneut manuell kontrolliert. Der Kläger und seine Familie durften die Sicherheitskontrolle um 04.40 Uhr passieren. Zu diesem Zeitpunkt war das Boarding bereits abgeschlossen, das Flugzeug befand sich bereits auf dem Rollfeld.

Der Kläger hat Entschädigung in Höhe seiner angeblichen Aufwendungen für vier Ersatztickets „Last Minute“ für denselben Tag über Zürich nach Malaga begehrt. Die Parteien haben darüber gestritten, um welche Uhrzeit der Kläger und seine Familie bei der Sicherheitskontrollstelle eintrafen und wie lange die Sicherheitskontrolle andauerte. Die Beklagte hat behauptet, das Handgepäck sei erstmals um 04.26 Uhr kontrolliert worden. Es sei ein verkürztes Verfahren zur Anwendung gekommen. Bei strenger Anwendung der Vorschriften wäre die Hinzuziehung eines Sprengstoffbeamten notwendig gewesen, was weitere Zeit in Anspruch genommen hätte.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands der ersten Instanz im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger von der Beklagten für einen Gefahrerforschungseingriff gemäß § 5 Abs. 1, 2 und 3 i.V.m. § 11 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) als Verantwortlicher in Anspruch genommen worden sei, weil der durch Tatsachen begründete, letztlich aber nicht bestätigte Verdacht bestanden habe, dass von dem Handgepäck seiner Lebensgefährtin eine Gefahr ausgehe. Für den durch die Kontrolle erlittenen Nachteil, die Versäumung eines von ihm für vier Personen gebuchten Fluges und den Verfall der hierfür erworbenen Flugtickets, könne er nach aufopferungsrechtlichen Grundsätzen wie ein Nichtverantwortlicher Entschädigung verlangen, weil er die Entstehung des Gefahrenverdachts nicht zu verantworten habe. Ein Sonderopfer liege hier vor, denn der Kläger und seine Mitreisenden hätten genügend Zeit für die Durchführung der Sicherheitskontrollen eingeplant. Unter Berücksichtigung, dass ein Vorabend-Check-In durchgeführt worden sei, sei die Ankunft des Klägers und seiner Familie im Sicherheitskontrollbereich gegen 04.00 Uhr, was nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesen sei, nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Berufung und verfolgt ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Organisationsmangel bzw. ein Organisationsverschulden der Beklagten betreffend die Sicherheitskontrolle/Handgepäckkontrolle des Klägers und seiner Familie angenommen. Es habe unzutreffend festgestellt, dass die Sicherheitskontrolle zu einer erheblichen Verzögerung geführt habe. Nicht nachvollziehbar sei auch die Feststellung, dass die Röntgenbilder mehrfach von fachlich hierfür nicht qualifizierten Personen kontrolliert worden seien. Der Kläger habe vielmehr seinen Flug verpasst, weil er die Hinweise der Fraport und der befördernden Fluggesellschaft missachtet habe, sich 2 bis 3 Stunden vor Abflug am Flughafen einzufinden. Das Landgericht habe seiner Begründung die Entscheidung des Senats vom 12.08.2013, Az. 1 U 276/12, zugrunde gelegt. Deren Sachverhalt sei jedoch ein wesentlich anderer gewesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei entgegen der Würdigung des Landgerichts völlig unklar, wann die Familie am Flughafen angekommen sei und sich zur Sicherheitskontrollstelle begeben habe. Die Angaben des Klägers und der Zeugin A divergierten und seien nicht miteinander in Einklang zu bringen. Das als Anlage B 3 vorgelegte Protokoll über das EGIS-Sprengstoffdetektionsgerät habe das Landgericht nicht berücksichtigt. Die Sicherheitskontrolle habe lediglich 14 Minuten gedauert. Dies sei keine erhebliche Verzögerung. Ferner ist die Beklagte der Auffassung, dass der Kläger den Flug mit den Kindern allein hätte antreten können, weil nur das Handgepäck der Zeugin A betroffen gewesen sei. Hinsichtlich des weiteren Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 08.09.2015 (Bl. 164ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10.07.2015, Az. 2- 04 O 251/14, abzuändern und

die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 15.12.2015 (Bl. 176 ff. d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Entgegen dem angefochtenen Urteil hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ausgleich der ihm aufgrund des verpassten Fluges entstandenen Vermögensnachteile.Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus Amtshaftung gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG, denn eine Amtspflichtverletzung der Beklagten, die für den Schaden des Klägers ursächlich geworden wäre, liegt nicht vor.

Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 LuftSiG ist die Luftsicherheitsbehörde befugt, Passagiere, die den Abfertigungsbereich eines Flughafens betreten wollen, und das von ihnen mitgeführte Handgepäck zu durchsuchen. Damit soll die Befolgung des Verbots in § 11 Abs. 1 LuftSiG, gefährliche Gegenstände mitzuführen, sichergestellt werden. Gemäß § 5 Abs. 2 LuftSiG können Personen unter den dort genannten Voraussetzungen angehalten werden. Dabei müssen die Maßnahmen nach § 5 LuftSiG dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (§ 4 LuftSiG).

Es liegt in der Natur der Sache und ist daher bereits von der Eingriffsbefugnis des § 5 Abs. 1 S. 1, 2 LuftSiG umfasst, dass die Person, die oder deren Handgepäck durchsucht werden soll, für die Zeit der Durchsuchung an der Kontrollstelle verbleiben muss und vorher nicht den Abfertigungsbereich betreten darf. Dabei handelt es sich aber noch nicht um ein „Anhalten“ im Sinne von § 5 Abs. 2 LuftSiG, denn die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen des Anhaltens setzen voraus, dass die Person die Durchsuchung entweder ablehnt oder dabei aufgefundene, gefährliche Gegenstände nicht zurücklassen will.

Nach dem von dem Kläger vorgetragenen und insoweit auch unstreitigen Sachverhalt beruht die Versäumung der Reise darauf, dass die Durchleuchtung und weitere Untersuchung des Rucksacks der Lebensgefährtin des Klägers längere Zeit in Anspruch genommen hat. Wegen dieser Untersuchung ist die Lebensgefährtin des Klägers vor dem Abschluss der Kontrolle in den Abfertigungsbereich nicht vorgelassen worden und hat den Flug verpasst. Ob die Sicherheitsassistenten zunächst auch dem Kläger und seinen Kindern, bei denen die Kontrolle des Handgepäcks bereits abgeschlossen war, den Zugang zum Check-In verwehrt haben, wie das Landgericht angenommen hat, ist unerheblich. Denn der Kläger wäre ohnehin nicht allein mit den Kindern geflogen, weil für ihn schon mit Rücksicht auf die Kinder eine Reise ohne seine Lebensgefährtin nicht in Frage kam. Die etwaige an den Kläger und die Kinder gerichtete Anordnung, weiterhin an der Kontrollstelle zu verweilen, hat daher keine die Vermögenslage des Klägers beeinflussende Auswirkung gehabt.

Die Überprüfung des Handgepäcks und deren Dauer waren nicht pflichtwidrig. Die Praxis, dass jeder Passagier ohne Ansehen der Person sich einer Kontrolle seiner Person und seines Handgepäcks unterziehen muss, ist wegen der besonderen Gefährdung des Luftverkehrs durch terroristische Anschläge, aber auch durch das Mitführen von die Sicherheit des Flugzeugs gefährdenden Gegenständen wie z.B. brennbaren Flüssigkeiten, deren Gefährdungspotenzial dem Besitzer manchmal nicht bewusst ist, gerechtfertigt und insoweit auch nicht unverhältnismäßig. Auch der Kläger stellt die Rechtmäßigkeit einer solchen routinemäßigen und ohne besonderen Verdacht erfolgenden Kontrolle nicht in Frage.

Soweit der Kläger die Dauer der Überprüfung bis zur Feststellung der Harmlosigkeit des Rucksacks beanstandet und in diesem Zusammenhang vorträgt, dass es dabei „augenscheinlich zu einem Kompetenzgerangel gekommen sei“, reicht dies zur Begründung einer Amtspflichtverletzung nicht aus. Dass die Bedeutung eines Bildes, das sich bei der Durchleuchtung eines Gepäckstücks zeigt, unklar ist und deshalb nicht sofort beurteilt werden kann, ob es einen gefährlichen oder harmlosen Gegenstand zeigt, kann einem Sicherheitsassistenten Anlass geben, bei einem Kollegen eine zweite Meinung einzuholen und ggf. den Vorgesetzten zu befragen, wie weiter verfahren werden soll. Es kann nicht erwartet werden, dass das Durchleuchtungsverfahren in allen Fällen eine eindeutige Identifizierung der abgebildeten Gegenstände erlaubt. Ein solches der Behebung einer Unklarheit dienendes Verfahren ist weder ein Anzeichen für die unzureichende Organisation der Kontrolle noch für fehlende Sachkunde des einzelnen Mitarbeiters. Vielmehr entspricht diese Vorgehensweise den Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 vom 4 März 2010 in Nr. 4.2.1. (Kontrolle des Handgepäcks), die die Untersuchung des Handgepäcks bis zu einem für die Kontrollstelle zufriedenstellenden Ergebnis fordert. Die gegenteilige Feststellung des Landgerichts überzeugt daher nicht.

Hier hat die Einschaltung des Vorgesetzten und dessen Anordnung des Wischtests zur Anwendung eines gegenüber dem Regelverfahren, nämlich der Zuziehung des „Entschärfertrupps“, also von Spezialkräften, verkürzten Überprüfungsverfahrens geführt. Die Abweichung vom Regelverfahren stellt aber gleichfalls keine Verletzung einer den Sicherheitsbehörden gegenüber dem Kläger oder seiner Lebensgefährtin obliegenden Amtspflicht dar, die schadensursächlich geworden ist. Denn selbst wenn vor Ort anwesende Spezialkräfte hinzugezogen worden wären, wäre die Untersuchung des Handgepäcks nicht schneller von statten gegangen. Vielmehr hätten die Spezialkräfte, um sich ein eigenes Bild zu machen, die Untersuchung des Handgepäcks zunächst wiederholt und dann für das weitere Vorgehen den Sicherheitskontrollpunkt geräumt, was noch mehr Zeit in Anspruch genommen hätte. Etwas anders behauptet auch der Kläger nicht.

Der Ablauf der Kontrolle hätte zwar offensichtlich verkürzt werden können, wenn sofort nach dem ersten Durchleuchten der Rucksack geöffnet und sein Inhalt in Augenschein genommen worden wäre. Dass dies nicht erfolgte, ist aber nicht unverhältnismäßig. Wenn die Durchleuchtung eines Gepäckstücks die Interpretation zulässt, dass es Sprengstoff oder einen ähnlich gefährlichen Gegenstand enthält, wäre es leichtfertig, das Gepäckstück auszupacken, weil dadurch unabsehbare Gefahren für die unmittelbare Umgebung der Kontrollstelle entstehen können. Die hier geübte Verfahrensweise, in Zweifelsfällen einen Wischtest mit dem Ziel durchzuführen, Sprengstoffspuren aufzuspüren, ist deshalb auch unter Berücksichtigung damit verbundener Verzögerungen sachgerecht und verhältnismäßig.

Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 BPolG oder aus § 51 Abs. 2 Nr. 1 BPolG.

Diese Vorschriften sind anwendbar bei Schäden, zu denen es bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 5 LuftSiG durch die Bundespolizei kommt. Gemäß § 4 BPolG obliegen Maßnahmen nach § 5 LuftSiG der Bundespolizei. Die Regelungen des Bundespolizeigesetzes sind, soweit das Luftsicherheitsgesetz keine spezielleren Regelungen enthält, auf solche Maßnahmen subsidiär anwendbar (vgl. § 14 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 2 BPolG; Graulich in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, BPolG, § 4 Rn. 13). Dies gilt insbesondere für die Entschädigungsvorschriften, die allgemein daran anknüpfen, dass es bei der Durchführung einer Maßnahme oder von Aufgaben der Bundespolizei zu einer Schädigung gekommen ist. Das Luftsicherheitsgesetz enthält auch keine Regelung über die Entschädigung oder den Ausgleich von Nachteilen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Bundespolizei nach § 5 LuftSiG.

Jedoch liegen hier die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 51 BPolG nicht vor. Ein Ausgleichsanspruch ergibt sich nicht aus § 51 Abs. 2 BPolG, denn die Kontrolle des Handgepäcks war rechtmäßig, und die Lebensgefährtin des Klägers war auch nicht unbeteiligte Dritte. Auch die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 BPolG sind nicht gegeben. Die Lebensgefährtin des Klägers wurde im Rahmen der Durchsuchung ihres Handgepäcks nicht als Nichtstörerin im Sinne von § 20 Abs. 1 BPolG in Anspruch genommen. Die Sicherheitsüberprüfung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftSiG knüpft weder an eine tatsächlich gegebene Störereigenschaft der kontrollierten Person an noch erfolgt die Kontrolle der Passagiere anstelle anderer handlungs- oder zustandsverantwortlicher Personen. Vielmehr muss sich jeder Fluggast einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen lasen, unabhängig davon, ob von ihm oder von den mitgeführten Gegenständen eine konkrete Gefahr ausgeht oder ob es dafür irgendwelche Anzeichen gibt.

Auch eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des § 51 BPolG kommt nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter entsprechender Anwendung vergleichbarer Entschädigungsvorschriften in den Polizeigesetzen der Länder derjenige, der als Handlungs- oder Zustandsstörer durch eine polizeiliche Maßnahme wegen des bloßen Verdachts oder Anscheins, dass von einer Sache oder einem Verhalten eine Gefahr ausgeht, in Anspruch genommen wird, für die nachteiligen Folgen der Maßnahme wie ein Nichtstörer zu entschädigen, wenn sich entgegen der Annahme beim Eingriff nachträglich herausstellt, dass die angenommene Gefahr in Wirklichkeit nicht bestand, und der Betroffene die den Verdacht begründenden Umstände nicht zu verantworten hat (BGHZ 117, 303; 126, 279; Urteil vom 11.07.1996, III ZR 133/95). Diese Grundsätze sind hier nicht anwendbar. Der Senat hält nach erneuter Prüfung an seiner dem Urteil vom 12.08.2013 zugrunde liegenden Auffassung nicht fest.

Die Pflicht zur Entschädigung des Nichtstörers in § 51 Abs. 1 Nr. 1 BPolG und vergleichbaren Ländervorschriften, etwa § 64 Abs. 1 S. 1 HSOG, ist eine gesetzliche Ausprägung des gewohnheitsrechtlich geltenden Anspruchs auf Entschädigung wegen Aufopferung bzw. enteignendem Eingriff (Staudinger-Wöstmann, Neubearbeitung 2013, § 839 Rdn. 653). Ein Nichtstörer ist zu entschädigen, weil seine Rechtsgüter zur Abwendung einer der Allgemeinheit drohenden Gefahr in Anspruch genommen werden und er deshalb ein besonderes, gerade ihm zugemutetes Sonderopfer erbringt. Die Entschädigungspflicht im Rahmen der entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften auf die Fälle eines verdachtsunabhängigen Gefahrerforschungseingriffs oder des Eingriffs bei einem Gefahrenverdacht bzw. einer Anscheinsgefahr, bei denen sich im Nachhinein herausstellt, dass eine Gefahr nicht bestand, setzt deshalb in gleicher Weise voraus, dass es zu einem Sonderopfer gekommen ist. Daran fehlt es aber, wenn der durch die bloße Dauer der Gepäckkontrolle eintretende Nachteil darin besteht, dass der kontrollierte Passagier, der nicht rechtzeitig am Flughafen eintrifft, den Flug verpasst.

Ein entschädigungspflichtiges Sonderopfer bzw. ein vergleichbar gewichtiger und deshalb entschädigungspflichtiger Eingriff in ein Eigentumsrecht setzen voraus, dass eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen unmittelbar zu Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen. Ein Sonderopfer setzt voraus, dass die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere Schwere aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken. Ob in diesem Sinn eine hoheitliche Maßnahme die Sozialbindungsschwelle überschreitet oder sich noch als Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums begreifen lässt, kann nur aufgrund einer umfassenden Beurteilung der Umstände des Einzelfalles entschieden werden (BGH, U. v. 15.12.2016, Az. III ZR 387/14, zit. nach […], Rdn. 25; BGHZ 197, 43).

Der Senat hält bei Berücksichtigung der hier gegebenen Umstände für maßgeblich, dass die nachteilig betroffene, durch Art. 14 GG geschützte eigentumsähnliche Position, nämlich der gegen die Fluggesellschaft bestehende Anspruch auf Beförderung, von vornherein nur in der Weise besteht und verwirklicht werden kann, dass der Passagier sich der bei allen Flughäfen stattfindenden Zugangskontrolle seiner Person und des mitgeführten Handgepäcks unterzieht und deshalb gezwungen ist, für die notwendige Dauer dieser Kontrolle an der Kontrollstelle zu verweilen. Diese Einschränkung gilt unterschiedslos für jeden Flugreisenden. Auf die Kontrolle kann sich der Passagier, da er von vornherein weiß, dass sie erfolgen wird, einstellen. Auf dieser Vorhersehbarkeit der Kontrolle als solcher beruht die Empfehlung der Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber, rechtzeitig, d.h. 2 bis 3 Stunden vor Abflug, am Flughafen zu erscheinen und für die Kontrolle Zeit einzuplanen. Wer dadurch, dass er in diesem Sinne nicht rechtzeitig erscheint, die Kontrolle nicht mehr vor Abschluss des Boarding passieren kann, erleidet daher keinen besonderen Nachteil; jeder, der nicht rechtzeitig erscheint, wird seinen Flug verpassen. Dass die rechtzeitig erschienenen Fluggäste den Flug nicht verpassen, ist keine Ungleichbehandlung. Sie beruht sachgerecht darauf, dass bei diesen Passagieren die erforderliche Kontrolle rechtzeitig durchgeführt werden konnte, bei den verspäteten Personen dagegen nicht. Da nicht von vornherein absehbar ist, wie lange eine Kontrolle dauern wird, ist es für die Frage des Sonderopfers auch ohne Belang, dass die Personen- und Handgepäckskontrolle als solche meistens allenfalls wenige Minuten in Anspruch nimmt. Es liegt nicht in der Hand des Sicherheitspersonals, dass sich, wie hier, eine Kontrolle aus sachlichen Gründen über einen längeren Zeitraum von 45 Minuten erstreckt. Auch darin liegt keine gleichheitswidrige Behandlung gegenüber Personen, deren Kontrolle schneller abgeschlossen werden kann, wenn und soweit – wie hier – die längere Dauer auf sachlichen Gründen beruht. Mit einer nur kurzen Dauer darf ein Fluggast ohnehin nicht rechnen, weil die Zahl der Kontrollstellen und die Geschwindigkeit der Kontrolle nicht beliebig vermehrbar sind und daher je nach Andrang Wartezeiten entstehen, die jeder Passagier einkalkulieren muss. Ein verschuldensunabhängiger Ersatzanspruch besteht daher nach Ansicht des Senats nicht, wenn ein Passagier wegen der Dauer einer sachgemäßen Kontrolle seinen Flug verpasst. Dass die Kontrollen nicht beliebig oder willkürlich verzögert werden dürfen und dass die Sicherheitsbehörden sie zweckmäßig organisieren und Personal in ausreichender Zahl und mit hinlänglicher Ausbildung einsetzen müssen, bleibt davon unberührt; die schuldhafte Missachtung solcher Organisationspflichten würde einen Amtshaftungsanspruch begründen. Solche Pflichtverletzungen sind hier aber, wie oben dargelegt, nicht feststellbar.

Entsprechend den vorstehenden Überlegungen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Entschädigung nach allgemeinen Aufopferungsgrundsätzen oder aus enteignendem Eingriff.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Versäumen des Flugs infolge einer rechtmäßigen Sicherheitskontrolle des Handgepäcks nach § 5 Abs. 1 LuftSiG ein zu entschädigendes Sonderopfer darstellt, ist im Hinblick auf die massenhaft vorkommenden Sicherheitskontrollen an Flughäfen von grundsätzlicher Bedeutung.

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