Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschlüsse vom 10.12.2013 – 2 W 82/13 und 2 W 87/13
Wertpapiere aus Norderfriedrichskoog:
US-amerikanischer Finanzinvestor kann keine zweite Gläubigerversammlung (mit erleichterten Mehrheitsvoraussetzungen) erzwingen
Zum Gläubigerschutz kann auch gehören, die Mehrheit der Gläubiger vor einem Alleingang einer Minderheit zu schützen
Der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat in einem unternehmensrechtlichen Verfahren den Antrag der luxemburgischen Tochtergesellschaft eines US-amerikanischen Finanzinvestors zurückgewiesen, diese durch gerichtliche Entscheidung zu ermächtigen, eine zweite Gläubigerversammlung gegen den Willen der beiden beteiligten Gesellschaften mit Sitz in Norderfriedrichskoog (Kreis Nordfriesland) einzuberufen.
Zum Sachverhalt: Die beteiligten Gesellschaften mit Sitz in Norderfriedrichskoog (GmbH nach deutschem Recht) haben zum Unternehmensgegenstand, sich als stille Gesellschafter an einem Kreditinstitut zu beteiligten und hierzu Kapital durch Ausgabe von Wertpapieren (Schuldverschreibungen) aufzunehmen. Im Dezember 2002 und im Februar 2004 gaben die beiden GmbHs an Anleger vier Millionen Wertpapiere mit einem Nennbetrag von jeweils 100 Euro aus (Gesamtnennwert 400 Millionen Euro, je GmbH 200 Millionen Euro). Dabei handelte es sich um Teilschuldverschreibungen ohne feste Laufzeit, deren Erlös nach den Ausgabebedingungen ausschließlich dazu verwendet wurde, stille Beteiligungen der beiden GmbHs an der IKB Deutsche Industriebank AG (im Folgenden: IKB) zu begründen. Nach den Beteiligungsverträgen nehmen die stillen Beteiligungen an dem Gewinn der IKB teil, aber auch an den Bilanzverlusten der IKB Bank bis zur Höhe der Vermögenseinlage. Die Ansprüche der Wertpapieranleger auf Rückzahlung der Anlage und auf Zinsen sind nach den Ausgabebedingungen der Wertpapiere davon abhängig, dass die GmbHs aus den stillen Beteiligungen entsprechende Zahlungen von der IKB erhalten.
Die IKB geriet im Zuge der US-Immobilienkrise im Jahre 2007 als erste deutsche Bank in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Der US-amerikanische Finanzinvestor Lone Star mit Sitz in Dallas/Texas erwarb im Jahr 2008 über eine Tochtergesellschaft mehr als 90 % der Aktien an der IKB. Die stillen Beteiligungen an der IKB werden derzeit aufgrund der Bilanzverluste mit einem Buchwert von 0 Euro in der Bilanz der IKB geführt. Erst wenn die stillen Beteiligungen wieder vollständig aufgefüllt sein werden, erhalten die Wertpapieranleger eine Gewinnbeteiligung.
Über eine weitere Tochtergesellschaft mit Sitz in Luxemburg erwarb der Finanzinvestor Lone Star Teile der von den beiden GmbHs aus Norderfriedrichskoog ausgegebenen Wertpapiere. Im Jahr 2012 verlangte die luxemburgische Gesellschaft von den beiden GmbHs, Gläubigerversammlungen der Wertpapieranleger durchzuführen, um durch Mehrheitsentscheidung die Wertpapiere so umzustrukturieren, dass sie nach Kündigung vorzeitig zu einem reduzierten Betrag von mindestens 5 % des Nennbetrages zurückgezahlt werden können. Die Gläubigerversammlungen wurden von den beiden GmbHs am 5. und 6. Dezember 2012 in Husum durchgeführt. Da der in den Gläubigerversammlungen von den anwesenden Wertpapierinhabern vertretene Nennbetrag nicht 50 % der ausgegebenen Wertpapiere ausmachte, waren die Gläubigerversammlungen nicht beschlussfähig. Die beiden GmbHs lehnten den Antrag der luxemburgischen Tochtergesellschaft von Lone Star ab, eine zweite Gläubigerversammlung einzuberufen, für deren Beschlussfähigkeit es ausgereicht hätte, dass die Anwesenden 25 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.
Aus den Gründen: Die luxemburgische Tochtergesellschaft von Lone Star kann nicht die Einberufung einer zweiten Gläubigerversammlung mit erleichterten Mehrheitserfordernissen verlangen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) aus dem Jahr 2009 (§§ 24 Absatz 2, 9 Absatz 2 SchVG). Zwar können Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, zu bestimmten Zwecken die Einberufung einer ersten Gläubigerversammlung verlangen. Die betroffenen Gesellschaften aus Norderfriedrichskoog haben jedoch dem berechtigten Verlangen der luxemburgischen Gesellschaft entsprochen und eine erste Gläubigerversammlung mit den verlangten Tagesordnungspunkten einberufen.
Für die Einberufung der zweiten Gläubigerversammlung enthält das Gesetz eine spezielle Regelung, wonach der Vorsitzende der ersten Versammlung eine zweite Versammlung einberufen kann (§ 15 Absatz 3 Satz 2 SchVG). Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden, deren Überprüfung durch die Gerichte vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. Eine Einberufung einer zweiten Gläubigerversammlung auf Verlangen einer Gläubigerminderheit ist im Gesetz nicht vorgesehen. Der Gläubigerschutz gebietet es auch keineswegs zwingend, dass eine wesentliche Änderung der Anleihebedingungen schon dann erreicht werden kann, wenn nur eine Minderheit von 25 % der ausgegebenen Schuldverschreibungen überhaupt in der Gläubigerversammlung vertreten ist und davon wiederum drei Viertel für die Änderung stimmen. Zum Gläubigerschutz kann es vielmehr im Gegenteil gehören, die Mehrheit der Gläubiger vor einem Alleingang einer Minderheit zu schützen.
Quelle: Pressemitteilung 2/2014 des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 17.01.2014