„Kalte Räumung“ einer Wohnung ist rechtswidrig

BGH, Urteil vom 14.07.2010 – VIII ZR 45/09

1. Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch einen Vermieter stellt eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Bestätigung der Senatsurteile vom 6. Juli 1977, VIII ZR 277/75, WM 1977, 1126, und vom 1. Oktober 2003, VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708) (Rn.9).

2. Der Vermieter, der eine Wohnung in Abwesenheit des Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund der ihn treffenden Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss aufgrund seiner Obhutspflicht die Interessen des an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters auch dadurch wahren, dass er bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind (Anschluss an BGH, 27. September 1951, IV ZR 155/50, BGHZ 3, 162) (Rn.14).

3. Zu den Anforderungen an eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO (Rn.18).
 

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 21. Januar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger war Mieter einer in W. gelegenen Wohnung der Beklagten. Ab dem 19. Februar 2005 war er für mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthalt ortsabwesend. Aufgrund einer Vermisstenmeldung aus seinem Verwandtenkreis wurde seine Wohnung am 23. Februar 2005 auf polizeiliche Anordnung geöffnet und am 18. März 2005 noch einmal von der Polizei durchsucht. Die über diese Vorgänge informierte Beklagte kündigte, nachdem die Mieten für die Monate März und April 2005 nicht gezahlt worden waren und auch sie den Aufenthalt des Klägers nicht hatte in Erfahrung bringen können, das Mietverhältnis am 20. April 2005 durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Wohnungsbriefkasten des Klägers fristlos. Eine Räumungsklage erhob sie nicht. Am 19. Mai 2005 öffnete sie die nach der polizeilichen Durchsuchung wieder verschlossene Wohnung und nahm sie in Besitz. Dabei entsorgte sie insbesondere einen großen Teil der Wohnungseinrichtung. Weitere in der Wohnung befindliche Gegenstände lagerte sie ein, wobei streitig ist, ob alle dort vorgefundenen und nicht entsorgten Gegenstände eingelagert wurden.

2

Der Kläger beansprucht – gestützt auf ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten – für ihm durch Entsorgung oder auf sonstige Weise abhanden gekommene, beschädigte oder verschmutzte Gegenstände Schadensersatz in Höhe von 61.812,65 € zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten in Höhe von 1.247 €. Daneben hat er aus der Nebenkostenabrechnung für 2004 das für ihn ausgewiesene Guthaben von 379,34 € beansprucht. Die Beklagte rechnet hiergegen mit einem Mietrückstand von 249,23 € sowie Entrümpelungskosten von 1.722,73 € auf.

3

Das Amtsgericht, das die eigenmächtige Räumung der Wohnung zwar als rechtswidrig angesehen, den geltend gemachten Schaden zum überwiegenden Teil jedoch nicht für ausreichend dargelegt erachtet hat, hat dem Kläger einen Betrag von 130,70 € zuerkannt (379,93 € Nebenkostenguthaben abzüglich 249,23 € Mietrückstand) und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

6

Das Amtsgericht habe zu Recht ausreichende Angaben zur Nachvollziehbarkeit der jeweils angesetzten Werte vermisst. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge. Der Kläger hätte deshalb mindestens weitere Angaben zu Qualität, Alter, gegebenenfalls Marke und Neuwert der betreffenden Gegenstände machen und diese Angaben bei Bestreiten unter Beweis stellen müssen. Es hätten auch keinerlei unstreitige Merkmale vorgelegen, die den angegebenen Wert der jeweiligen Gegenstände nachvollziehbar erscheinen ließen. Ebenso wenig sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Gegenstände für den Kläger gegebenenfalls einen höheren ideellen Wert besessen hätten. Soweit das Amtsgericht die Klage ansonsten hinsichtlich einzelner Schadenspositionen abgewiesen habe, weil nach dem Beweisergebnis bereits deren Vorhandensein in der Wohnung zum Zeitpunkt der Räumung nicht feststellbar gewesen sei, sei die Beweiswürdigung ebenfalls nicht zu beanstanden.

II.

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Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

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1. Das Berufungsgericht hat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – zwar keine eigenen Feststellungen zum Grund des erhobenen Anspruchs auf Ersatz eines dem Kläger entstandenen Räumungsschadens getroffen. Es hat jedoch durch seine Bezugnahme auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils ersichtlich die insoweit vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen einschließlich dessen Wertung gebilligt, dass die Beklagte durch die eigenmächtige Räumung der Wohnung ohne Vollstreckungstitel an sich gemäß § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 und 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sei. Denn sie habe sich hierzu durch das Verschwinden des Klägers nicht herausgefordert fühlen und insbesondere auch dessen Verschwinden seit Februar 2005 nicht dahin verstehen dürfen, dass er den Besitz an der Wohnung aufgegeben habe. Dies begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

9

a) Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den Vermieter stellen jedenfalls solange, wie der Mieter seinen an der Wohnung bestehenden Besitz nicht erkennbar aufgegeben hat, eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe im Sinne von § 229 BGB dar, für deren Folgen der Vermieter über die vom Amtsgericht herangezogenen Vorschriften hinaus sogar verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet (Senatsurteile vom 6. Juli 1977 – VIII ZR 277/75, WM 1977, 1126, unter II 2; vom 1. Oktober 2003 – VIII ZR 326/02, WuM 2003, 708, unter III; Sternel, Mietrecht Aktuell, 4. Aufl., Rdnr. XIII 25; vgl. ferner OLG Köln, NJW 1996, 472, 473; Horst, NZM 1998, 139, 140; Herrlein/Kandelhard, Mietrecht, 3. Aufl., § 546 Rdnr. 34; Lehmann-Richter, NZM 2009, 177, 178). Das gilt selbst dann, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt und/oder das Mietverhältnis wirksam gekündigt und dadurch ein vertragliches Besitzrecht des Mieters entfallen ist (OLG Celle, WuM 1995, 188; Herrlein/Kandelhard, aaO; Staudinger/Rolfs, BGB (2006), § 546 Rdnr. 39; Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 2. Aufl., § 546 Rdnr. 22; Horst, aaO, S. 140 f.; vgl. ferner Senatsurteil vom 6. Juli 1977 aaO, unter II 1 b aa). Vielmehr ist der Vermieter auch in diesen Fällen verpflichtet, sich – gegebenenfalls nach öffentlicher Zustellung der Räumungsklage – einen Räumungstitel zu beschaffen und zwecks rechtmäßiger Besitzverschaffung aus diesem vorzugehen (OLG Celle, aaO; Staudinger/Rolfs, aaO; Horst, aaO, S. 140).

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Übt deshalb ein Vermieter – wie hier – im Wege einer sogenannten kalten Räumung durch eigenmächtige Inbesitznahme von Wohnung und Hausrat eine verbotene Selbsthilfe, ist er gemäß § 231 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet und kann sich auch nicht darauf berufen, sich über die Voraussetzungen und den Umfang seines Selbsthilferechts geirrt zu haben (Senatsurteile vom 6. Juli 1977, aaO, unter II 2; vom 1. Oktober 2003, aaO; Sternel, aaO; Horst, aaO, S. 140). Von der Ersatzpflicht erfasst wird insbesondere eine eigenmächtige Entsorgung des hierbei in Besitz genommenen Hausrats und der sonst in der Wohnung vorgefundenen Gegenstände. Denn den Vermieter trifft mit seiner Inbesitznahme zugleich eine Obhutspflicht, welche einer Entsorgung grundsätzlich entgegensteht (Senatsurteil vom 1. Oktober 2003, aaO; Sternel, aaO, Rdnr. XIII 26; Horst, aaO, S. 142; vgl. ferner BGH, Urteil vom 27. April 1971 – VI ZR 191/69, WM 1971, 943, unter II 1 b).

11

b) Soweit die Revisionserwiderung dem entgegenhalten will, der Kläger könne sich jedenfalls gemäß § 242 BGB nicht auf die regelmäßig geforderte Einhaltung der mit einer Räumung verbundenen Formalitäten und damit auf Eigenmacht der Beklagten berufen, zeigt sie bereits keinen Tatsachenvortrag auf, der geeignet ist, eine solche Wertung zu rechtfertigen. Ebenso wenig zeigt sie Tatsachenvortrag auf, der geeignet ist, ein nach ihrer Auffassung zum Schadensausschluss führendes überwiegendes Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 BGB zu begründen. Für beides besteht auch sonst kein Anhalt.

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2. Hingegen begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe seinen Schaden nicht in einer zur Schadensschätzung nach § 287 ZPO tauglichen Weise dargelegt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Revision rügt nicht nur mit Recht, dass das Berufungsgericht die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich Bestand und Zustand der in der geräumten Wohnung vorhandenen Gegenstände verkannt habe. Vielmehr hat das Berufungsgericht auch die Anforderungen an die vorzunehmende Schadensschätzung selbst überspannt.

13

a) Soweit es den Bestand, den Zustand und die sonstigen wertbildenden Merkmale der zum Zeitpunkt der Räumung in der Wohnung des Klägers befindlichen Gegenstände anbelangt, hat das Berufungsgericht den Kläger als uneingeschränkt darlegungs- und beweisbelastet angesehen und die bei der ganz überwiegenden Zahl der Schadenspositionen bereits hierauf gestützte Klageabweisung des Amtsgerichts gebilligt. Dem kann nicht gefolgt werden.

14

aa) Den Vermieter, der eine Wohnung in der geschehenen Weise ohne Vorliegen eines gerichtlichen Titels in verbotener Eigenmacht in Besitz nimmt, trifft für die darin befindlichen Gegenstände eine – bei Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hier zumindest nachvertragliche – Obhutspflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2003, aaO). Diese hat nicht nur zur Folge, dass der Vermieter die nachweislich in Obhut genommenen Gegenstände vollständig und in einem gegenüber dem Zustand bei Inobhutnahme nicht verschlechterten Zustand wieder herausgeben muss. Im Falle einer Unmöglichkeit der Herausgabe oder einer im Vergleich zum übernommenen Zustand nachweislich eingetretenen Verschlechterung der herauszugebenden Gegenstände hat er sich darüber hinaus – wie § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zeigt – zu entlasten, so dass ihn und nicht den Mieter insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1989 – III ZR 126/88, WM 1990, 438, unter III 1).

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Vorliegend reicht – was das Berufungsgericht verkannt hat – die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten der Beklagten aber noch weiter und erstreckt sich zugleich auf den Bestand, den Zustand und die wertbildenden Merkmale der Gegenstände, die sich in der durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) in Besitz genommenen Wohnung befunden haben. Denn zu den Obhutspflichten der Beklagten bei Inbesitznahme der Wohnung und der darin befindlichen (Einrichtungs-) Gegenstände hat auch die Pflicht gehört, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Klägers zu wahren. Die Beklagte hätte deshalb nicht nur dafür Sorge tragen müssen, dass an den in Besitz genommenen Gegenständen während der Dauer ihrer Obhut oder der anschließenden Einlagerung keine Beschädigungen oder Verluste eintreten. Es hätte ihr vielmehr schon bei Inbesitznahme oblegen, ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Kläger eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen (vgl. BGHZ 3, 162, 172 f.).

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bb) Den hieran zu stellenden Anforderungen werden – wie die Revision mit Recht rügt – weder das von den Mitarbeitern der Beklagten gefertigte Protokoll über die Wohnungsöffnung und -inbesitznahme noch die bei dieser Gelegenheit gefertigten Lichtbilder gerecht. Dass die Beklagte ihrer Pflicht zur Verzeichnisaufnahme sonst in einer vergleichbaren Weise hinreichend nachgekommen ist, hat das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt. Ebenso wenig hat es Feststellungen dazu getroffen, ob eine solche Verzeichnisaufnahme ausnahmsweise entbehrlich war, weil es sich – wie die Revisionserwiderung geltend macht – ersichtlich um verbrauchte und damit offenkundig wertlose (Einrichtungs-)Gegenstände gehandelt habe, an deren Dokumentierung der Mieter bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben konnte.

17

cc) Für den Fall einer jedenfalls für die revisionsrechtliche Nachprüfung zu unterstellenden Verletzung ihrer Inventarisierungs- und Schätzungspflicht ist die Beklagte deshalb zugleich verpflichtet, den Schaden auszugleichen, der darin liegt, dass der Kläger hinsichtlich Bestand, Zustand und Wert seiner (Einrichtungs-)Gegenstände zur Zeit der Inbesitznahme durch die Beklagte in Beweisnot geraten ist. Denn um dem Kläger eine vom Bestand und Wert der Sachen ausgehende Schadensberechnung auf den Zeitpunkt, als die Beklagte den Besitz ergriffen hat, zu ermöglichen, war sie verpflichtet, bei der Inbesitznahme ein vollständiges Bestandsverzeichnis aufzustellen und den Wert der darin aufgenommenen Gegenstände feststellen zu lassen. Wenn sie dem nicht nachgekommen ist, geht der dem Kläger aus einer Verletzung dieser Pflicht zustehende Schadensausgleich deshalb auch dahin, dass die Beklagte ihrerseits verpflichtet ist zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben abweichen, die der Kläger hierzu gemacht hat (vgl. BGHZ 3, 162, 176), soweit die vom Kläger angesetzten Werte plausibel sind.

18

b) Das Berufungsgericht hat – wie die Revision ebenfalls mit Recht rügt – auch die an eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu stellenden Anforderungen verkannt.

19

aa) Die Annahme des Berufungsgerichts, ohne weitere Angaben des Klägers “mindestens … zu Qualität, Alter, ggf. Marke und Neuwert” der zum Ersatz gestellten Gegenstände hinge eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft und sei deshalb unzulässig, überspannt die rechtlichen Anforderungen an die Vornahme einer solchen Schätzung. Zwar gehört die Entscheidung der Frage, ob genügende Unterlagen für die Schätzung vorhanden sind, dem Gebiet der Tatsachenwürdigung an, das dem Tatrichter vorbehalten ist und nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung unterliegt. Allerdings hat das Berufungsgericht dabei übersehen, dass § 287 ZPO dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast erleichtert. Steht – wie hier – der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden. Vielmehr muss der Tatrichter den Schaden im Rahmen des Möglichen schätzen. Selbst wenn der Vortrag des Geschädigten zu den Umständen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen, Lücken oder Unklarheiten enthält, ist es in der Regel nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jedweden Ersatz zu versagen. Der Tatrichter muss in diesem Fall vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist, und darf eine solche Schätzung erst dann gänzlich unterlassen, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (Senatsurteil vom 24. Juni 2009 – VIII ZR 332/07, WM 2009, 1811, Tz. 16; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90, WM 1992, 36, unter 3 a m.w.N.).

20

bb) Dem wird das Berufungsgericht in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

21

(1) Soweit es ohne nähere Spezifizierung ausführt, „dass der Kläger bezüglich des überwiegenden Teils der geltend gemachten Schadenspositionen keine ausreichenden Angaben zur Nachvollziehbarkeit des Wertes gemacht hat”, übergeht es bereits den hiernach offenbar vorhandenen kleineren Teil der Schadenspositionen, bei dem eine Schadensschätzung durchaus hätte erfolgen können und müssen. Denn in Fällen, in denen eine Schätzung des gesamten Schadens ausscheiden muss, hat der Tatrichter auch zu prüfen, ob nicht einzelne Schadensteile oder doch wenigstens ein Mindestschaden im Wege des § 287 Abs. 1 ZPO zuerkannt werden kann (BGHZ 91, 243, 257 m.w.N.).

22

(2) Darüber hinaus hat das Berufungsgericht nicht beachtet, dass es im Rahmen einer solchen Schätzung selbst nicht vorgetragene Tatsachen nach freiem Ermessen berücksichtigen und, soweit dies erforderlich ist, vor einer vollständigen Abweisung der Klage auch über den Sachvortrag hinaus in eine Aufklärung durch Sachverständigengutachten eintreten muss (Senatsurteil vom 24. Juni 2009, aaO, Tz. 20 m.w.N.). Das gilt hier umso mehr, als sich die der Schadensschätzung zu Grunde zu legenden Gegenstände jedenfalls zum weitaus überwiegenden Teil anhand der bei den Akten befindlichen Lichtbilder, welche die Mitarbeiter der Beklagten bei Inbesitznahme der Wohnung gefertigt haben, identifizieren lassen. Es liegt deshalb zumindest nicht fern, dass anhand dieser Lichtbilder und der vom Kläger dazu vorgelegten Kaufbelege und sonstigen Unterlagen auf der Grundlage entsprechender Marktkenntnisse, die sich das Berufungsgericht gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe hätte verschaffen müssen, ein bestimmter in die Schadensschätzung einzustellender Marktwert hätte ermitteln lassen.

23

(3) Ebenso wenig hat das Berufungsgericht bedacht, dass bei feststehendem Verlust eines Gegenstandes, für den Ersatz zu leisten ist, mangels näherer Anhaltspunkte ein mittlerer und nicht notwendig der denkbar geringste Wert zu schätzen sein kann (BGH, Urteil vom 7. Juli 1970 – VI ZR 233/69, NJW 1970, 1970, unter B II 2 b aa m.w.N.). Soweit für die zum Ersatz gestellten gebrauchten Gegenstände kein Markt (mehr) besteht und deshalb kein Marktwert festgestellt werden kann, hätte das Berufungsgericht – und zwar selbst unter Berücksichtigung nicht vorgetragener Tatsachen (vgl. Senatsurteil vom 24. Juni 2009, aaO) – außerdem erwägen müssen, ob der betreffende Schaden nicht durch Ansatz desjenigen Preises zu schätzen ist, der – unter Abzug eines angemessenen Ausgleichs neu für alt – bei der Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzgegenstandes angefallen wäre (vgl. BGHZ 115, 364, 368).

III.

24

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen zum Umfang und zum Wert der im Zuge der Wohnungsräumung bei dem Kläger abhanden gekommenen oder beschädigten Gegenstände zu treffen sind. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

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