BGH, Urteil vom 24.11.2010 – IV ZR 248/08
Beschränken die Versicherungsbedingungen in der Kraftfahrzeug-Teilversicherung die Leistungspflicht des Versicherers auf Schäden, die durch die Entwendung entstanden sind, kann der Versicherungsnehmer keine Schäden am Fahrzeug ersetzt verlangen, die auf mut- oder böswilligen Handlungen beruhen, nicht ersetzt verlangen kann. (Rn. 10)
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 16. Oktober 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Kraftfahrzeug-Teilversicherung wegen Beschädigung seines versicherten Motorrollers in Anspruch.
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Am Abend des 15. April 2007 stellte der Kläger den Roller mit eingerasteter Lenkradsperre auf einem Parkplatz ab. Nach Darstellung des Klägers versuchte ein Unbekannter in der Zeit bis zum nächsten Morgen, den Roller zu entwenden. Dabei habe der Täter den Roller umgeworfen und beschädigt und zudem versucht, das Lenkrad zu überdrehen, um das Fahrzeug zu entwenden. Aus Enttäuschung über das Fehlschlagen des Entwendungsversuchs habe der Täter weitere Beschädigungen an dem Roller verursacht. Auch diese Schäden hält der Kläger für erstattungsfähig gemäß § 12 (1) I b der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB). Danach umfasst die Teilversicherung unter anderem den Ersatz von Beschädigungen des Fahrzeugs „durch Entwendung, insbesondere Diebstahl“. Die Beklagte lehnte eine Regulierung insgesamt ab.
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Das Amtsgericht hat die unter anderem auf Zahlung von 453,53 € (Reparaturkosten in Höhe von 603,53 € netto abzüglich 150 € Selbstbeteiligung) und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer Reparaturkosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts deckt die Teilkaskoversicherung keine Schäden, die nach einem missglückten Entwendungsversuch aufgrund mutwilligen Verhaltens des Täters entstanden sind. Dies folge bereits aus dem Wortlaut des § 12 (1) II f AKB, der im Rahmen der Vollkaskoversicherung „darüber hinaus“ durch mut- oder böswillige Handlungen betriebsfremder Personen verursachte Schäden ausdrücklich als ersatzfähig anerkenne. Hingegen sehe § 12 (1) I b AKB in der Teilkaskoversicherung Schäden aufgrund mut- oder böswilligen Verhaltens Dritter gerade nicht als erstattungsfähig an. Auch der Formulierung „durch Entwendung“ sei bei sinn- und zweckgerichteter Auslegung zu entnehmen, dass es nicht um einen Schaden gehen dürfe, der lediglich anlässlich einer versuchten Entwendung entstanden sei. Vielmehr müsse es einen über die bloße Äquivalenz und Adäquanz hinausgehenden Zusammenhang zwischen der versuchten Entwendung und dem verursachten Schaden geben. Die Beschädigung müsse erforderlich sein, um das Ziel – die Entwendung – erreichen zu können. Zum Zeitpunkt der Entstehung der fraglichen Schäden am Roller des Klägers sei aber der Entwendungsversuch bereits gescheitert, mithin das Ziel der Tat nicht mehr erreichbar gewesen.
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Unmittelbar durch den Entwendungsversuch verursachte Schäden habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Das von ihm vorgelegte Gutachten stütze nicht seine Behauptung, durch Überdrehen des Lenkrads seien Schäden am Zünd- und Lenkschloss verursacht worden.
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II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Beschädigungen seines Rollers, die nach seinem – für das Revisionsverfahren als wahr zu unterstellenden – Vorbringen der unbekannte Täter aus Enttäuschung oder Verärgerung über das Scheitern des Entwendungsversuchs verursachte. Diese Schäden sind nicht im Sinne von § 12 (1) I b AKB „durch Entwendung“ entstanden.
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a) Diese Klausel ist – wie der Senat bereits in dem Urteil vom 17. Mai 2006 (IV ZR 212/05, VersR 2006, 968) entschieden hat – nach den maßgeblichen Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers so auszulegen, dass in der Kraftfahrzeug-Teilversicherung (Teilkasko) bei einem Einbruchdiebstahl in ein Kraftfahrzeug nur die Schäden am Fahrzeug ersatzpflichtig sind, die durch die Verwirklichung der Tat entstanden sind oder damit in adäquatem Zusammenhang stehen.
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aa) Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut des § 12 AKB aus und erkennt bei aufmerksamer Lektüre, dass § 12 (1) II f AKB in der Vollversicherung Versicherungsschutz auch für Schäden am Fahrzeug verspricht, die durch bös- oder mutwillige Handlungen betriebsfremder Personen entstanden sind, eine entsprechende Umschreibung des Umfangs der Teilversicherung aber fehlt. Zudem wird der insoweit erweiterte Versicherungsschutz in der Vollversicherung durch die Eingangsformulierung „in der Vollversicherung darüber hinaus“ in § 12 (1) II AKB noch besonders hervorgehoben. Der Versicherungsnehmer kann daraus nur den Schluss ziehen, dass er in der Teilversicherung Schäden am Fahrzeug, die auf mut- oder böswilligen Handlungen beruhen, nicht ersetzt verlangen kann, sondern nur solche, die, wie § 12 (1) I b AKB voraussetzt, „durch die Entwendung“ entstanden sind. Dem am Wortlaut der Klausel orientierten durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird mit der Formulierung „Beschädigung … des Fahrzeugs … durch Entwendung, insbesondere Diebstahl …“ das Erfordernis eines besonderen kausalen Zusammenhangs zwischen Entwendungshandlung und Schaden nahe gebracht, der den Grad äquivalenter Kausalität zwischen Entwendungshandlung und Schaden überschreitet. In der Teilversicherung sind danach nur solche Schäden am Fahrzeug zu ersetzen, durch die der Diebstahl ermöglicht wurde oder die damit in adäquatem Zusammenhang stehen, nicht jedoch solche bei Gelegenheit der Entwendungshandlung (Senatsurteil vom 17. Mai 2006 aaO Rn. 9 m.w.N.).
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bb) Da in dem seinerzeit entschiedenen Fall die Entwendungshandlung erfolgreich war, konnte der Senat offenlassen, ob ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen Entwendungshandlung und Schaden dann zu bejahen ist, wenn der Täter die Beschädigungen am Fahrzeug aus Verärgerung und Wut über eine fehlgeschlagene Tat oder zu geringe Tatbeute verursacht hat (Senatsurteil vom 17. Mai 2006 aaO Rn. 11). Diese hier entscheidungserhebliche Frage verneint der Senat (so auch OLG Frankfurt VersR 2002, 1232; LG Mainz r+s 2009, 10 f.; LG Kiel VersR 1999, 1361; LG Karlsruhe VersR 1984, 979; AG Düsseldorf Schaden-Praxis 2008, 406; AG Mainz r+s 2009, 10; Schaden-Praxis 1998, 294, 295; AG Essen VersR 1997, 352, 353; Jacobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor, AKB 3. Aufl. § 12 AKB Rn. 49, anders noch 2. Aufl. Rn. 49; Stadler in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung 18. Aufl. AKB A Rn. 80; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 17. Aufl. § 12 AKB Rn. 43; a.A. LG Essen VersR 1995, 955 f.; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. A.2.2 AKB 2008 Rn. 8; 27. Aufl. § 12 AKB Rn. 15; Maier, r+s 1998, 1, 2 f.).
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Zwar versteht ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer das Tatbestandsmerkmal „durch die Entwendung“ in § 12 (1) I b AKB so, dass damit jede Entwendungshandlung, also nicht nur eine erfolgreiche Entwendung, sondern auch ein Entwendungsversuch gemeint ist. Jedoch wird er Schäden, die nach einem missglückten Entwendungsversuch aus Mutwillen verursacht worden sind, nicht der Entwendungshandlung selbst zurechnen. Denn in einem solchen Fall fehlt es für ihn erkennbar an dem erforderlichen adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen Entwendungshandlung und Schaden. Solche Beschädigungen entstehen nicht infolge der Entwendung oder „durch die“ Entwendung, sondern beruhen auf einem von der Entwendungshandlung unabhängigen, regelmäßig spontanen Verhalten des Täters (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 2006 aaO Rn. 10). Der Täter beschädigt das Fahrzeug nicht, um es oder ein mitversichertes Teil zu entwenden, sondern aufgrund eines davon unabhängigen Entschlusses. Ob dieser durch Wut oder Enttäuschung über das Fehlschlagen des Diebstahlsversuchs ausgelöst wurde, kann für die Kraftfahrzeug-Teilversicherung, die grundsätzlich keinen Versicherungsschutz für bös- und mutwillige Beschädigungen gewährt, keinen Unterschied machen.
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b) Durch die Beschädigung eines Fahrzeugs nach einem erfolglosen Entwendungsversuch verwirklicht sich auch kein der Entwendungshandlung innewohnendes typisches Risiko. Dieses hat der Senat zwar bejaht, wenn ein entwendetes Fahrzeug während der Benutzung durch den Täter in einen Unfall verwickelt und infolgedessen beschädigt worden ist (Senatsurteil vom 27. November 1974 – IV ZR 117/73, VersR 1975, 225, 226). Ein solches Risiko erfüllt sich auch, wenn Beschädigungen bei der Spurenbeseitigung durch den Täter entstehen (Senatsurteil vom 17. Mai 2006 aaO Rn. 10). Solche Beschädigungen des Fahrzeugs werden durch die Entwendung erst ermöglicht; diese begründet für den Versicherungsnehmer auch die Gefahr, das entwendete Fahrzeug mit Unfallspuren oder sonstigen nutzungsbedingten Schäden zurückzuerhalten. Entgegen der Auffassung der Revision ist aber kein vergleichbarer Zusammenhang zwischen erfolgloser Entwendungshandlung und Schäden gegeben, die der Täter nach seinem Scheitern aus Mut- oder Böswilligkeit verursacht. Insbesondere haftet einem Diebstahlsversuch nicht regelmäßig das Risiko an, dass der Täter aus Enttäuschung dem Fahrzeug weitere Schäden zufügt.
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2. Auch unmittelbar durch den behaupteten Entwendungsversuch verursachte Schäden kann der Kläger nicht ersetzt verlangen. Die Vorinstanzen haben insoweit zu Recht schlüssigen Vortrag vermisst. Der von dem Kläger beauftragte Gutachter konnte die geltend gemachten Beschädigungen am Lenk-/Zündschloss nicht feststellen.