BGH zur Aufklärungsobliegenheit in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung

BGH, Urteil vom 22.10.2014 – IV ZR 242/13

1. Im Rahmen der Aufklärungsobliegenheit entscheidet grundsätzlich der Versicherer, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Der Versicherungsnehmer einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung kann daher auf Verlangen des Versicherers auch gehalten sein, eine eigene Stellungnahme desjenigen Mitarbeiters vorzulegen, der durch fehlerhafte Bearbeitung den Versicherungsfall herbeigeführt haben soll.(Rn.18)

2. Die bloße Untätigkeit des Geschädigten über einen längeren Zeitraum (hier: mehrere Jahre) führt nicht zu einem vorzeitigen Ende der Verjährungshemmung nach § 12 Abs. 2 VVG a.F.(Rn.40)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 25. Juni 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung in Anspruch, die auch Schäden umfasst, die der Versicherungsnehmer “in Folge eines bei Ausübung satzungsgemäßer Tätigkeit von seinen Organen, Beamten und Angestellten fahrlässig begangenen Verstoßes unmittelbar erlitten hat (Eigenschaden)”.

2
Diese Versicherung hatte die Klägerin im Jahre 1995 bei der … Versicherung AG als führendem Versicherer mit einer Versicherungssumme von zunächst 250.000 DM je Schadensereignis abgeschlossen. Der Versicherung lagen “Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVB)” und mehrere, zunächst jeweils für ein Jahr mit Verlängerungsklausel abgeschlossene “Rahmenabkommen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung” zugrunde. Nach Ziffer 11 der Abkommen für 1995 und 1996 waren neben dem führenden Versicherer mit einem Anteil von 50% sowie einem weiteren Versicherer mit 20% auch zwei Rechtsvorgängerinnen der Beklagten an dem Versicherungsvertrag beteiligt, und zwar mit Anteilen von 20% und 10%.

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Nach Ziffer 5 dieser Rahmenabkommen umfasste der Versicherungsschutz “die Folgen aller während der Versicherungsdauer begangenen Verstöße, die den Versicherern nicht später als 3 Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrages gemeldet werden.” Ziffer 11 der Abkommen bestimmte, dass der führende Versicherer u.a. “etwa anfallende Schäden, auch soweit der Anteil der beteiligten Gesellschaften in Frage kommt, bearbeitet, reguliert und alle auf den Vertrag bezüglichen Erklärungen im Namen der beteiligten Gesellschaften rechtsverbindlich abgibt.”

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Die Rahmenabkommen sind in der Folge verschiedentlich neu vereinbart worden, wobei auch die Beteiligten, ihre Haftungsquoten und die Versicherungssumme geändert wurden. Nach dem Rahmenabkommen 1997 waren nur noch der führende Versicherer mit jetzt 70% sowie ein weiterer Versicherer und eine Rechtsvorgängerin der Beklagten mit je 15% beteiligt und die Versicherungssumme je Versicherungsfall betrug nur noch 100.000 DM. Nach dem Rahmenabkommen 2002 waren die Rechtsvorgänger der Beklagten nicht mehr beteiligt; die Versicherungssumme betrug jetzt 52.000 € je Versicherungsfall und Versicherungsschutz bestand nunmehr für “die Folgen aller während der Versicherungsdauer gemeldeten Schäden”.

5
Nach § 5 Nr. 3a) der vereinbarten AVB ist der Versicherungsnehmer u.a. verpflichtet, “unter Beachtung der Weisungen des Versicherers … alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalles dient, sofern ihm dabei nichts Unbilliges zugemutet wird” und hat “alle Tatumstände, welche auf den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen …”.

6
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um einen behaupteten Versicherungsfall, der sich daraus ergeben soll, dass eine Sachbearbeiterin der Klägerin im Jahre 1996 eine Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte über die Bewilligung einer Rente für einen Versicherten nicht ordnungsgemäß bearbeitete, wodurch die Klägerin trotz mitgeteilten Rentenendes zum 30. November 1995 und dadurch bedingtem Ausscheiden aus der bei ihr bestehenden Versicherung nachfolgend in den Jahren 1996 bis 2001 noch Sachleistungen von insgesamt 1.547.356,56 DM zu dessen Gunsten erbrachte.

7
Den ihr dadurch entstandenen Schaden meldete die Klägerin über die von ihr beauftragte Maklerin beim führenden Versicherer an, wobei streitig ist, ob dies noch 2001 oder erst Ende 2002 geschah. Der Versicherer stellte mit Schreiben vom 6. Februar 2003 eine Reihe von Fragen zum Vorgang und bat ferner darum, dass sich die Klägerin um eine Stellungnahme der Sachbearbeiterin bemühe. Hierauf reagierte die Klägerin über sechs Jahre lang nicht. Erst mit Schreiben vom 12. März 2009 kam sie auf den Vorgang zurück und beantwortete die gestellten Fragen, übersandte jedoch keine Stellungnahme der Sachbearbeiterin, die sie nicht anfordern könne, weil diese seit 1998 in Rente sei.

8
Der führende Versicherer lehnte daraufhin mit Schreiben vom 23. März 2009 die Regulierung ab, weil der Anspruch verjährt sei.

9
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten einen Betrag von 30% der ursprünglichen Versicherungssumme in Höhe von 250.000 DM (= 127.822,97 €), mithin 38.346,89 €.

10
Die Beklagte hat ursprünglich geltend gemacht, dass die Klägerin sich nur auf das Rahmenabkommen für 2002 berufen und deshalb nur die danach noch beteiligten Versicherer in Anspruch nehmen könne; ferner hat sie sich auf Verjährung und Verwirkung sowie auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit berufen.

11
In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz hat die Klägerin vorgetragen, nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht habe der führende Versicherer in dem gegen ihn geführten Parallelprozess in mündlicher Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main unstreitig gestellt, dass im Jahre 2002 sämtliche Unterlagen, die zur Prüfung erforderlich waren, vorgelegen hätten.

12
In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet; sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

14
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte jedenfalls wegen vorsätzlicher Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten gemäß § 6 Abs. 3 VVG a.F. i.V.m. § 5 Nr. 3a), § 6 Nr. 1 AVB leistungsfrei geworden sei, weil die Klägerin auf das gerechtfertigte Auskunftsverlangen des Versicherers nicht, jedenfalls nicht binnen angemessener Frist, reagiert habe. Sie sei sowohl gehalten gewesen, die erbetene Stellungnahme ihrer Sachbearbeiterin vorzulegen als auch die weiter gestellten Fragen zu beantworten. Damit sei im Sommer 2003 der objektive Tatbestand einer Verletzung der vertraglichen Aufklärungsobliegenheit verwirklicht gewesen. Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG a.F. sei nicht widerlegt. Die Obliegenheitsverletzung sei auch nicht folgenlos geblieben, weil die Beklagte zumindest ganz erhebliche Nachteile bei der Feststellung eines Versicherungsfalls zu Grund und Höhe hinzunehmen habe, nachdem sie jahrelang an der Sachaufklärung gehindert gewesen sei.

15
Soweit die Klägerin nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, dass dem führenden Versicherer nach dessen eigener Erklärung schon 2002 sämtliche zur Prüfung erforderlichen Unterlagen vorgelegen hätten, sei schon wegen der Zeitumstände nicht ersichtlich, dass insoweit ein Zusammenhang zu den mit Schreiben vom 6. Februar 2003 gestellten Fragen bestehe; außerdem stehe auch nach dem weiteren Vorbringen der Klägerin fest, dass sie sich um die erbetene Stellungnahme ihrer früheren Sachbearbeiterin nicht bemüht habe.

16
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

17
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings auf der Grundlage des bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgten Parteivortrages eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nach § 5 Nr. 3 a) AVB durch die Klägerin angenommen. Diese ergibt sich jedenfalls daraus, dass die Klägerin dem Verlangen des führenden Versicherers, sich um eine Stellungnahme der tätig gewordenen Sachbearbeiterin zu bemühen, bewusst nicht nachgekommen ist. Sie hat sich vielmehr durchgehend auf den Standpunkt gestellt, zur Einholung einer solchen Stellungnahme nicht verpflichtet zu sein. Dies trifft indes nicht zu.

18
a) Durch § 5 Nr. 3a) AVB wird die Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers nach § 34 VVG a.F., der auf den Schadenfall gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG Anwendung findet, lediglich weiter präzisiert. Zur Reichweite der Auskunftspflicht der Klägerin gilt deshalb, dass es grundsätzlich Sache des Versicherers ist, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können. Dazu gehören auch Umstände, die lediglich Anhaltspunkte für oder gegen das Vorliegen eines Versicherungsfalles liefern können. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob sich die vom Versicherungsnehmer geforderten Angaben am Ende nach dem Ergebnis der Prüfung als für die Frage der Leistungspflicht tatsächlich wesentlich erweisen (Senatsurteil vom 16. November 2005 – IV ZR 307/04; VersR 2006, 258 unter II 1 b; vgl. zum inhaltlich unveränderten neuen Recht auch Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 7). Die Frage der Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte ist ex ante zu beurteilen, wobei dem Versicherer ein erheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.

19
Maßgeblich für die Zulässigkeit von Auskunftsersuchen des Versicherers und die Reichweite der sich daraus ergebenden Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers ist der Zweck der Aufklärungsobliegenheit, die dem Versicherer die sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht ermöglichen soll, was auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer in Anbetracht der Regelung über die Weisungsbefugnis des Versicherers und die weite Fassung der Klausel mit Einbeziehung aller Tatumstände, die auch nur “Bezug” auf den Schadenfall haben, erkennen kann. Danach erstreckt sich die Auskunftspflicht auf jeden Umstand, der zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann (vgl. auch Senatsurteil vom 1. Dezember 1999 – IV ZR 71/99, VersR 2000, 222), soweit dem Versicherungsnehmer nichts “Unbilliges zugemutet” wird.

20
b) Hieraus folgt im Streitfall, dass die Klägerin gehalten war, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auch mitzuteilen, was ihre frühere Sachbearbeiterin noch selbst zu den Gründen ihrer fehlerhaften Bearbeitung angeben kann und hierzu die erbetene Stellungnahme ihrer früheren Sachbearbeiterin einzuholen oder sich wenigstens hierum zu bemühen.

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Dies war nicht deshalb entbehrlich, weil der äußere Ablauf der Vorgänge bereits von einem anderen Mitarbeiter der Klägerin ermittelt und mitgeteilt worden war. Für die Feststellung des Versicherungsfalles kam es nicht nur auf diesen äußeren Ablauf, sondern auch auf die Frage des Verschuldens der Sachbearbeiterin an, da nur fahrlässige Pflichtverletzungen versichert sind, ein Versicherungsfall also sowohl bei vorsätzlichem als auch bei schuldlosem Handeln ausschied. Deshalb war es in jedem Falle zweckdienlich, auch eine Äußerung der Handelnden selbst herbeizuführen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf einen etwaigen Vorsatz, für dessen Feststellung anderenfalls nur auf Indizien, Erfahrungssätze und Schlussfolgerungen zurückgegriffen werden könnte, als auch im Hinblick darauf, ob der Sachbearbeiterin die korrekte Arbeitsweise bekannt war und warum sie nicht angewandt wurde, was für einen Fahrlässigkeitsvorwurf von Bedeutung ist. Mag auch die Wahrscheinlichkeit groß sein, dass diese nach so vielen Jahren keine konkrete Erinnerung an den einzelnen Vorgang mehr hatte, so kann dies doch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Selbst wenn die Auffassung der Revision, dass schon nach der Lebenserfahrung bei der vorliegenden Konstellation in jedem Falle von einem fahrlässigen Pflichtverstoß auszugehen wäre, für den Regelfall zutreffen sollte, hätten durch eine Befragung der Sachbearbeiterin möglicherweise eventuelle besondere Umstände zutage gefördert werden können, die die nach der Lebenserfahrung naheliegende Fahrlässigkeit in die eine oder andere Richtung ausschließen konnten und deshalb gegebenenfalls eine vom Regelfall abweichende Beurteilung erforderten. Zur Prüfung der Frage, ob hier eventuell ein solcher Ausnahmefall vorliegt, war die erbetene Stellungnahme nicht von vornherein ungeeignet. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (VersR 1978, 711), weil sich in dem dort entschiedenen Sachverhalt die Person des tätig gewesenen Sachbearbeiters gerade nicht mehr feststellen ließ.

22
Der Annahme einer Obliegenheitsverletzung steht nicht entgegen, dass die Klägerin das, was sie an Tatsachen schon ermittelt hatte und deshalb bereits positiv wusste, dem führenden Versicherer mit der Schadenanzeige und dem Bericht eines Mitarbeiters bereits mitgeteilt hatte. Der auskunftspflichtige Versicherungsnehmer muss sich über die Tatsachen, zu denen der Versicherer berechtigt Auskunft verlangt, gegebenenfalls erkundigen (Senatsurteil vom 21. April 1993 – IV ZR 34/92, VersR 1993, 828 unter 2 c; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 3; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5 AHB Rn. 6). Deshalb war die Klägerin verpflichtet, sich auch weiteres Tatsachenwissen zu verschaffen, indem sie ihre frühere Mitarbeiterin befragte, ob diese eine konkrete Erinnerung an den Vorgang habe oder sonst Angaben zur Art ihrer damaligen Sachbearbeitung und deren Gründen machen könne.

23
Schließlich ist es für die Annahme einer Obliegenheitsverletzung unerheblich, dass die Sachbearbeiterin infolge zwischenzeitlicher Verrentung nicht mehr bei der Klägerin tätig war. Dieser Umstand enthob die Klägerin nicht ihrer Obliegenheit, sich um eine Stellungnahme ihrer früheren Mitarbeiterin wenigstens zu bemühen, so wie es vom Versicherer erbeten war. Dass dessen Aufforderung in die höfliche Form einer Bitte gekleidet war, ändert hieran gleichfalls nichts.

24
c) Die Obliegenheitsverletzung der Klägerin ist auch nicht folgenlos geblieben, so dass es auf die weiteren Voraussetzungen der so genannten Relevanzrechtsprechung des Senats (vgl. dazu Senatsurteile vom 28. Februar 2007 – IV ZR 231/05, VersR 2007, 785 unter II 2 b; vom 26. Januar 2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter II 2 c; vom 21. Januar 1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2 b) nicht ankommt. Denn es steht nicht fest, ob und ggf. welche weiteren Erkenntnisse eine Befragung der Mitarbeiterin der Klägerin erbracht hätte, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Unterlassung auf die Möglichkeiten zur Feststellung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat.

25
2. Der damit an sich eingreifenden Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 6 Abs. 3 VVG a.F. i.V.m. § 5 Nr. 3a), § 6 Nr. 1 AVB steht jedoch möglicherweise entgegen, dass der führende Versicherer nach dem Vortrag der Klägerin in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz in dem gegen ihn geführten Prozess unstreitig gestellt hat, ihm hätten alle zur Prüfung erforderlichen Unterlagen im Jahre 2002 vorgelegen. Die Revision rügt zu Recht, die Entscheidung des Berufungsgerichts, die mündliche Verhandlung nicht mit Rücksicht auf den Inhalt dieses Vorbringens wiederzueröffnen, sei verfahrensfehlerhaft.

26
a) Die Prüfung dieses Umstands durch das Berufungsgericht setzte allerdings eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 1 ZPO voraus, die mangels Vorliegens eines Wiedereröffnungsgrundes gemäß § 156 Abs. 2 ZPO in seinem Ermessen stand.

27
b) Die Ausübung dieses Ermessens ist grundsätzlich revisionsrechtlich nicht überprüfbar (BGH, Urteil vom 2. März 1979 – V ZR 102/76, WM 1979, 706 unter II 1 m.w.N.). Zutreffend beanstandet die Revision aber, dass die Ablehnung der Wiedereröffnung durch die vom Berufungsgericht angeführten Gründe nicht getragen wird (vgl. BGH, Urteile vom 25. Februar 1992 – X ZR 88/90, NJW 1992, 1967 unter II 5 b; vom 18. Juli 2014 – V ZR 291/13, juris Rn. 21; vom 15. Mai 1996 – XII ZR 21/95, FamRZ 1996, 1067 unter 2 e cc; jeweils m.w.N.). Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, war das Vorbringen der Klägerin keineswegs unerheblich für den Ausgang des Rechtsstreits.

28
Eine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung tritt nicht bereits kraft Gesetzes ein, sondern setzt voraus, dass der Versicherer, der über die Rechte aus einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers disponieren kann, sich hierauf beruft (Senatsurteil vom 26. Januar 2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter II 1 a). Steht die Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten in Rede, so umfasst diese Dispositionsbefugnis deshalb auch die Entscheidung, eine weitere Aufklärung durch zusätzliche Unterlagen für nicht erforderlich zu halten. Deshalb kann der Versicherer, der im Prozess unstreitig stellt, alle für die Prüfung des Versicherungsfalles notwendigen Unterlagen erhalten zu haben, eine Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten nicht mehr darauf stützen, dass der Versicherungsnehmer weitere Auskünfte nicht erteilt oder weitere Unterlagen nicht vorgelegt habe. Eine dahingehende Erklärung des führenden Versicherers wirkte wegen der Führungsklausel im Rahmenabkommen auch zu Lasten der anderen Versicherer.

29
Dies hat das Berufungsgericht offensichtlich verkannt. Wenn im Jahre 2002 nach bindender Erklärung des führenden Versicherers alle prüfungsrelevanten Unterlagen vorgelegen haben, so bedeutet das, dass sich auch die anderen Versicherer zur Begründung einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit weder auf die Nichtbeantwortung erst mit Schreiben vom 6. Februar 2003 gestellter Fragen noch auf die Nichtvorlage einer erst dort erbetenen Stellungnahme berufen können. Das Berufungsgericht hat daher rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob mit der Erklärung des führenden Versicherers zugleich dem Einwand der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit seine Grundlage entzogen worden ist. Dazu hätte diese Erklärung vom Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Umstände ihrer Abgabe ausgelegt werden müssen. Die Sache ist deshalb zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen und zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

30
III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

31
1. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Versicherungsfalles ausdrücklich offen gelassen. Insoweit kommt es darauf an, ob der geltend gemachte Vermögensschaden auf einem fahrlässigen Pflichtenverstoß der früheren Sachbearbeiterin der Klägerin beruht. Das ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren zu unterstellen. Das Berufungsgericht wird hierzu gegebenenfalls noch weitere Feststellungen zu treffen haben.

32
Ein Anspruch gegen die Beklagte scheitert auch nicht an dem Ausscheiden ihrer Rechtsvorgänger aus der Versicherung mit Abschluss des Rahmenabkommens für 2002 oder an der zeitlichen Begrenzung nach Ziffer 5 des Rahmenabkommens für 1996.

33
a) Für den etwaigen Versicherungsfall gilt – wie zwischen den Parteien inzwischen auch unstreitig ist – ausschließlich das Rahmenabkommen für das Jahr 1996. Denn der – nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt zugunsten der Klägerin zu unterstellende – Versicherungsfall ist im Jahre 1996 eingetreten, als die fehlerhafte Sachbearbeitung erfolgte.

34
Das Rahmenabkommen für 2002, durch das die Rechtsvorgänger der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag ausgeschieden sind, hat hieran nichts geändert; dies konnte nur für zukünftige, noch nicht eingetretene Versicherungsfälle von Bedeutung sein.

35
b) Nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sachverhalt steht weiter nicht fest, dass ein etwaiger Anspruch der Klägerin an der zeitlichen Begrenzung in Ziffer 5 des Rahmenabkommens 1996 scheitert.

36
Allerdings hat die Klägerin den behaupteten Versicherungsfall frühestens im Jahre 2001 gemeldet und damit mehr als drei Jahre, nachdem ein neues Rahmenabkommen für 1997 geschlossen worden war. Es fehlt jedoch an Feststellungen, ob hierdurch der vorher bestehende Versicherungsvertrag endete und durch einen neuen Vertrag ersetzt wurde oder ob im Abschluss des neuen Rahmenabkommens eine bloße Vertragsänderung zu sehen ist.

37
Maßgeblich hierfür ist der aus den gesamten Fallumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien, der seinen Niederschlag in den Vertragsverhandlungen und Vertragserklärungen gefunden haben muss. Dabei kann die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, etwa des versicherten Risikos, des versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der Gesamtversicherungssumme für einen neuen Vertrag sprechen (Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 – IV ZR 204/10, IV ZR 115/11, juris Rn. 10; vom 21. September 2011 – IV ZR 38/09 “HEROS II”, VersR 2011, 1563 Rn. 21; jeweils m.w.N.). Im Streitfall könnten andererseits die Umstände, dass die geänderten Rahmenabkommen nur über die Ausstellung von Nachträgen zum Versicherungsschein (in denen noch im Nachtrag Nr. 21 vom 8. März 2004 als Vertragsbeginn weiter der 1. Januar 1995 genannt ist) einbezogen wurden und dass das versicherte Risiko gleich geblieben ist, mögliche Indizien für einen auf Fortführung des bestehenden Vertrages gerichteten Parteiwillen sein (vgl. dazu im Einzelnen OLG Frankfurt, Urteil vom 22. Juli 2013 – 7 U 276/12, nicht veröffentlicht; s. Senatsurteil IV ZR 303/13 vom heutigen Tage). Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – bislang nicht getroffen.

38
2. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist auch eine Verjährung des etwaigen Anspruchs der Klägerin aus der Versicherung nicht feststellbar.

39
a) Die Verjährung richtet sich im Streitfall noch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 VVG a.F.; sie begann daher mit dem Schluss des Jahres, in welchem die Leistung verlangt werden konnte, so dass die Fälligkeit des Anspruchs gemäß § 11 VVG a.F. den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns bestimmt. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass dies schon Ende 2002 der Fall war, weil alle zur Prüfung notwendigen Unterlagen im Jahre 2002 vorlagen, lässt sich ein Ablauf der Verjährungsfrist vor Beantragung des Mahnbescheids im Dezember 2011, die zu einer Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB führte, nicht feststellen. Der Lauf der Verjährung war bereits zuvor für längere Zeiträume gehemmt.

40
b) Gleichzeitig mit dem Beginn der Verjährung trat hier zunächst eine Hemmung gemäß § 12 Abs. 2 VVG a.F. ein, die bis zur Leistungsablehnung des führenden Versicherers am 23. März 2009 andauerte. Entgegen der von der Beklagten in den Vorinstanzen vertretenen Auffassung kommt eine vorzeitige Beendigung dieser Hemmung im Hinblick auf die jahrelange Untätigkeit der Klägerin nicht in Betracht.

41
Zwar hat der Bundesgerichtshof zu der § 12 Abs. 2 VVG a.F. entsprechenden Regelung des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG a.F. entschieden, dass die Bestimmung, nach der die Verjährungshemmung nur durch schriftlichen Bescheid des Versicherers enden solle, dann keine Berechtigung mehr habe, wenn die Erteilung eines schriftlichen Bescheids keinen Sinn mehr hätte und nur reine Förmelei wäre, weil der Geschädigte die angemeldeten Ansprüche offensichtlich nicht weiterverfolge und auf einen endgültigen Bescheid des Versicherers gar nicht mehr warte (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1976 – VI ZR 1/76, VersR 1977, 335 unter II 3 a); er hat aber auch klargestellt, dass allein die bloße Untätigkeit des Geschädigten über einen längeren Zeitraum nicht genüge, um diese Voraussetzung zu bejahen (BGH aaO). In ähnlicher Weise hat der Senat zu den Auswirkungen einer bloßen Untätigkeit des Gläubigers für die Frage des Verjährungsbeginns ausgeführt, dass es für einen vorzeitigen Verjährungsbeginn aufgrund treuwidrigen Verhaltens des Versicherungsnehmers nicht ausreiche, wenn dieser einen Anspruch nur verspätet geltend mache (Senatsurteil vom 13. März 2002 – IV ZR 40/01, VersR 2002, 698 unter 2 b); auch danach müssten also weitere Umstände zu einer bloßen Untätigkeit hinzukommen.

42
Andere Umstände als die Untätigkeit der Klägerin sind aber auch im Streitfall nicht ersichtlich.

43
c) Allerdings wäre bei einem Verjährungsbeginn im Jahre 2002 eine Hemmung nur bis Ende März 2009 unzureichend, weil bis zum Mahnbescheidsantrag im Dezember 2011 nochmals mehr als zwei Jahre vergingen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin bei einem Hinweis des Gerichts auf diesen Umstand, der jedenfalls vor einer auf Verjährung gestützten Klageabweisung nach § 139 ZPO erforderlich gewesen wäre, auch in diesem Verfahren schon früher dazu vorgetragen hätte, dass nach der Leistungsablehnung durch den führenden Versicherer noch Verhandlungen geführt worden sind, so wie dies die Klägerin in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. Juni 2013 geltend gemacht hat und wie es auch in den dem Senat vorliegenden Parallelverfahren gegen die anderen beteiligten Versicherer vor dem Oberlandesgericht Celle und dem Oberlandesgericht Frankfurt geschehen ist.

44
Insoweit kommt eine weitere Hemmung gemäß § 203 BGB in Betracht, zu der allerdings noch keine Feststellungen getroffen sind.

45
3. Für eine Verwirkung des Anspruchs ist die bloße Untätigkeit der Klägerin aus den vorgenannten Gründen ebenfalls unzureichend.

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