BGH, Urteil vom 07.04.2011 – I ZR 15/10
Die frachtrechtliche Haftung des Spediteurs/Frachtführers, der die Versendung von Transportgut im Wege einer Sammelladung veranlasst hat, endet grundsätzlich mit der Ablieferung des Gutes an den vom Sammelladungsspediteur benannten Empfänger. Das kann auch ein Empfangsspediteur sein. Die Beförderung des Gutes vom Empfangsspediteur zum Empfänger (sogenannter speditioneller Nachlauf) unterfällt nicht mehr dem Anwendungsbereich des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 25. Oktober 1995, I ZR 230/93, TranspR 1996, 118) (Rn.18).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussrevision der Streithelferin zu 1 wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferinnen wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz vom 11. Juli 2008 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits und die den Streithelferinnen der Beklagten entstandenen außergerichtlichen Kosten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin ist der Verkehrshaftungsversicherer der H. M. KG in S. (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin wegen des Verlustes von Transportgut im Wege eines Regresses auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die B. GmbH in L. (im Weiteren: Versenderin) beauftragte die Versicherungsnehmerin Ende August 2004 zu festen Kosten mit der Besorgung des Transports von Digitalkameras und Speicherkarten im Wert von 124.215 € zu einer auf der Kanalinsel Guernsey ansässigen Empfängerin. Die Abwicklung des Transports übertrug die Versicherungsnehmerin der Beklagten, die ihrerseits die T. GmbH und & Co. KG in D. (Streithelferin zu 1 der Beklagten) mit der Durchführung der Beförderung per LKW beauftragte. Das Gut wurde zunächst im Wege eines Sammeltransports zum Lager der Streithelferin zu 1 in Heiligenhaus befördert. Dort stellte die Streithelferin zu 1 eine neue Sammelladung zusammen, zu der auch das streitgegenständliche Gut gehörte, und beförderte diese Sammelladung nach Großbritannien zur F. (Streithelferin zu 2 der Beklagten), bei der die Sammelladung vollständig ankam. Mit der Weiterbeförderung der streitgegenständlichen Sendung zur Empfängerin hatte die Streithelferin zu 1 die Streithelferin zu 2 beauftragt, die ihrerseits das Transportunternehmen G. einsetzte. In dessen Gewahrsam kam die Sendung mit einem Gewicht von 250 kg abhanden.
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Die Empfängerin der Sendung hat die Versicherungsnehmerin wegen des Verlustes in einem Vorprozess erfolgreich auf Schadensersatz in Höhe von 124.215 € nebst Zinsen in Anspruch genommen (Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12. Juli 2006 – 7 O 13/06 KfH). Die Klägerin hat den der Empfängerin zuerkannten Schadensersatzbetrag beglichen. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt sie von der Beklagten, die der Versicherungsnehmerin im Vorprozess als Streithelferin beigetreten war, Erstattung des von ihr gezahlten Ersatzbetrags sowie Bezahlung der im Vorprozess angefallenen Prozesskosten, die die Klägerin ebenfalls beglichen hat.
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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe bei der ihr von der Versicherungsnehmerin in Auftrag gegebenen Abwicklung des Transports die Rechte und Pflichten eines Frachtführers gehabt. Auf die Haftungsbeschränkung gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die im Vorprozess getroffene Feststellung, dass der Verlust des Gutes durch ein qualifiziertes Verschulden verursacht worden sei, aufgrund der Interventionswirkung der Streitverkündung auch im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legen sei.
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Die Klägerin hat die Beklagte daher auf Zahlung von 158.418,79 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
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Die Beklagte und ihre Streithelferinnen sind dem entgegengetreten. Sie haben vor allem in Abrede gestellt, dass die Beklagte bei der Durchführung des Transports die Rechte und Pflichten eines Frachtführers gehabt habe. Die Versicherungsnehmerin habe der Beklagten einen Speditionsauftrag erteilt, den diese ordnungsgemäß ausgeführt habe. Eine Frachtführerhaftung der Beklagten könne nicht auf § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB gestützt werden, da das Gut nicht während der Beförderung einer von der Beklagten veranlassten Sammelladung abhandengekommen sei.
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Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der beanspruchten Zinsen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil lediglich in Höhe von 2.247,50 € nebst Zinsen bestätigt und die weitergehende Klage abgewiesen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Teil ihres Klagebegehrens weiter. Die Streithelferin zu 1 der Beklagten erstrebt mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Abweisung der Klage. Die Beklagte und die Streithelferin zu 1 beantragen, die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel der Streithelferin zu 1 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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A. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe gegen die Beklagte aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG, §§ 453, 461 Abs. 1 Satz 1 HGB in Verbindung mit Art. 17, 34, 37 Buchst. a CMR lediglich einen durch Art. 23 Abs. 3 CMR begrenzten Anspruch in Höhe von 2.247,50 €. Dazu hat es ausgeführt:
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Die Versenderin habe die Versicherungsnehmerin mit der Spedition im Ganzen beauftragt. Anschließend habe die Versicherungsnehmerin die Beklagte als Unterfrachtführerin eingesetzt.
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Die Versicherungsnehmerin sei gegenüber der Empfängerin des abhandengekommenen Gutes nur in Höhe des Haftungshöchstbetrags gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR zum Schadenersatz verpflichtet gewesen. Bei einem Gesamtgewicht der Sendung von 250 kg ergebe sich danach ein Ersatzbetrag in der zuerkannten Höhe.
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Aufgrund der Interventionswirkung des im Vorprozess zwischen der Versicherungsnehmerin und der Warenempfängerin ergangenen Urteils sei im jetzigen Prozess ferner davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmerin in Bezug auf den Verlust des Gutes ein qualifiziertes Verschulden zur Last falle. Die Beklagte könnte im vorliegenden Verfahren nur dann noch zum qualifizierten Verschulden der Versicherungsnehmerin gehört werden, wenn sie sich im Vorprozess mit ihrem jetzigen Vorbringen in Widerspruch zum Vortrag der damaligen Beklagten gesetzt hätte. Das sei jedoch nicht der Fall, weil die Versicherungsnehmerin im Vorprozess keinen Vortrag zu dem ihr dort angelasteten qualifizierten Verschulden gehalten habe.
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Die Beklagte könne sich im vorliegenden Verfahren jedoch mit Erfolg auf den Einwand der unterlassenen Anzeige des besonderen Wertes der Sendung (Nr. 3.6 ADSp i.V.m. Art. 17 Abs. 1 CMR) berufen, der dazu führe, dass der Frachtführer im internationalen Straßengüterverkehr von der Haftung für vollständigen Verlust des Gutes befreit sei. Die Interventionswirkung gemäß § 68 ZPO stehe dem nicht entgegen, weil es im Vorprozess nur um das Verhältnis der Versenderin zur Versicherungsnehmerin gegangen sei, während es im Streitfall um die Frage gehe, ob der Beklagten der Warenwert bekannt gewesen sei. Das habe mit dem Streitstoff des Vorprozesses nichts zu tun. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass die Beklagte den tatsächlichen Wert des Gutes rechtzeitig vor dessen Übernahme gekannt habe.
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B. Die Anschlussrevision der Streithelferin zu 1 hat Erfolg. Sie führt zur vollständigen Abweisung der Klage. Die Revision der Klägerin ist dagegen unbegründet.
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I. Zur Anschlussrevision der Streithelferin zu 1
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Die Anschlussrevision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte als Frachtführerin für den Schaden, der durch den Verlust der Digitalkameras und der Speicherkarten eingetreten sei.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), hat die Versicherungsnehmerin der Beklagten einen Speditionsauftrag (§ 453 HGB) erteilt. Die Haftung der Beklagten als Frachtführerin hat das Berufungsgericht – insoweit in Übereinstimmung mit dem Landgericht – darauf gestützt, dass das abhandengekommene Gut zumindest teilweise als Bestandteil einer Sammelladung (§ 460 Abs. 1 HGB) befördert worden ist. Das Berufungsgericht ist mit dem Landgericht davon ausgegangen, der Beklagten hätten gemäß § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB bis zur Ablieferung des Gutes bei der bestimmungsgemäßen Empfängerin auf der Kanalinsel Guernsey die Rechte und Pflichten eines Frachtführers oblegen. Da es sich um einen grenzüberschreitenden Straßengütertransport gehandelt habe, hafte die Beklagte gemäß §§ 453, 460 Abs. 2 Satz 1 HGB in Verbindung mit Art. 17, 34, 37 Buchst. a CMR grundsätzlich während der gesamten Beförderung für den Verlust des Gutes.
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2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Anschlussrevision rügt mit Recht, dass sich eine Haftung der Beklagten nach den Vorschriften des Frachtrechts nicht auf § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB stützen lässt.
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a) Gemäß § 460 Abs. 1 HGB ist der Spediteur befugt, die Versendung des Gutes zusammen mit Gut eines anderen Versenders aufgrund eines für seine Rechnung über eine Sammelladung geschlossenen Frachtvertrags zu bewirken. Macht der Spediteur von dieser Befugnis Gebrauch, so hat er hinsichtlich der Beförderung in Sammelladung nach § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB die Rechte und Pflichten eines Frachtführers oder Verfrachters. Die Anwendung der frachtrechtlichen Bestimmungen ist nach dem klaren Wortlaut des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die Beförderung des Gutes „in Sammelladung“ beschränkt. Der Spediteur haftet daher nur für den Teil der Beförderung nach Frachtrecht, auf den sich die von ihm veranlasste Beförderung in Sammelladung bezieht (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Transportrechtsreformgesetz, BT-Drucks. 13/8445, S. 112). Die Sammelversendung endet mit der Ablieferung des Gutes an den vom Sammelladungsspediteur benannten Empfänger (Koller, Transportrecht, 7. Aufl., § 460 HGB Rn. 11; Rinkler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 460 Rn. 23; MünchKomm.HGB/Bydlinski, 2. Aufl., § 460 Rn. 32; Valder, TranspR 1998, 51, 54). Das kann auch ein Empfangsspediteur sein. Die Beförderung des Gutes vom Empfangsspediteur zum Empfänger (sog. Nachlauf) unterfällt grundsätzlich nicht mehr dem Anwendungsbereich des § 460 Abs. 1 HGB, weil hierbei regelmäßig eine speditionelle Tätigkeit verrichtet wird, für die das frachtrechtliche Regelungsregime nicht geschaffen ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Transportrechtsreformgesetz aaO; Koller aaO § 460 HGB Rn. 11; Rinkler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn aaO § 460 Rn. 24).
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Der Senat hat unter der Geltung von § 413 Abs. 2 Satz 1 HGB aF allerdings ausgesprochen, dass die frachtrechtliche Haftung des Spediteurs/Frachtführers (§§ 412, 413 HGB aF), der die Versendung im Wege einer Sammelladung bewirkt hat, grundsätzlich noch nicht mit der Übergabe des Gutes an den von ihm eingeschalteten Empfangsspediteur endet, sondern auch für die Zeit des sogenannten speditionellen Nachlaufs fortbesteht, sofern der Speditionsauftrag die Auslieferung an den Endempfänger umfasst (Urteil vom 25. Oktober 1995 – I ZR 230/93, TranspR 1996, 118, 120 = VersR 1996, 736). Die jetzt für die Haftung des Sammelladungsspediteurs maßgebliche Vorschrift des § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von § 413 Abs. 2 Satz 1 HGB aF. Anders als § 413 Abs. 2 Satz 1 HGB aF beschränkt § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB die Anwendung des Frachtrechts auf die Beförderung des Gutes „in Sammelladung“. Durch die Formulierung „Beförderung in Sammelladung“ wird nunmehr – in Abweichung von § 413 Abs. 2 Satz 1 HGB aF – eindeutig klargestellt, dass allein in Bezug auf diese Beförderung die Anwendung von Frachtrecht in Betracht kommt (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Transportrechtsreformgesetz, BT-Drucks. 13/8445, S. 112). Davon abgesehen fehlt es beim speditionellen Vor- und Nachlauf im Allgemeinen auch an einer für § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB erforderlichen „gesammelten“ Versendung.
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b) Danach unterlag die Beklagte beim Verlust des Gutes nicht mehr der Frachtführerhaftung gemäß § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 CMR. Nach den Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), und nach dem unstreitigen Sachverhalt war der von der Beklagten veranlasste Sammelladungstransport mit der Ankunft des Gutes im Lager der Streithelferin zu 1 in H. beendet. Die Sammelladung wurde dort nach ihrem Eintreffen entflochten. Die Streithelferin zu 1 stellte anschließend eine neue Sammelladung zusammen, zu der auch das abhandengekommene Gut gehörte. Es ist nicht festgestellt, dass die Beklagte ihre Streithelferin zu 1 beauftragt hatte, die streitgegenständliche Sendung im Wege eines Sammelladungstransports zur Endempfängerin weiterzubefördern. Für eine solche Annahme ergibt sich auch nichts aus dem Vortrag der Parteien. Das Gut ging unstreitig erst nach dessen Übergabe an die Streithelferin zu 2 verloren, als es sich im Gewahrsam des von der Streithelferin zu 2 beauftragten Transportunternehmens G. befand. Hierfür braucht die Beklagte nicht mehr nach § 460 Abs. 2 Satz 1 HGB in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 CMR zu haften.
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II. Zur Revision der Klägerin
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Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Versicherungsnehmerin stehen aus dem mit der Beklagten geschlossenen Vertrag keine sich aus frachtrechtlichen Bestimmungen ergebenden Ansprüche zu. Dementsprechend hat die Klägerin durch Erfüllung der vom Landgericht Konstanz im Vorprozess für begründet erachteten Schadensersatzansprüche der Empfängerin des abhandengekommenen Gutes gegen die Versicherungsnehmerin keine auf Frachtrecht beruhenden Ansprüche gegen die Beklagte erlangt. Dass der Klägerin aus § 461 Abs. 1 HGB in Verbindung mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 VVG aF die im Streitfall noch maßgeblich ist, weil die Klägerin ihre Zahlungen im Jahr 2007 erbracht hat Ansprüche zustehen könnten, hat die Klägerin nicht dargetan. Für eine solche Annahme ergibt sich auch nichts aus dem Vortrag der Parteien.
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C. Danach ist die Revision der Klägerin zurückzuweisen und die Klage auf die Anschlussrevision der Streithelferin zu 1 vollständig abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.