BGH, Urteil vom 01.04.2011 – V ZR 193/10
Die Störereigenschaft i.S. der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, und setzt auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus; erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt. Das Bestehen einer Sicherungspflicht in diesem Sinn ist Voraussetzung für die Störereigenschaft auch bei Immissionen aufgrund eines technischen Defekts (Rn. 12).
Störer ist auch der Eigentümer eines Hauses, welches infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in Brand gerät (Rn. 16).
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. August 2010 aufgehoben und das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 19. März 2010 abgeändert.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hünfeld vom 29. Dezember 2009 bleibt aufrechterhalten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Dem Ehemann der Beklagten gehört ein Reihenhaus, welches von ihnen und ihrem Sohn bewohnt wird. In den frühen Morgenstunden des 6. März 2008 brach dort ein Brand aus, wodurch die auf der einen und auf der anderen Seite angrenzenden Wohnhäuser beschädigt wurden. Die genaue Brandursache konnte nicht ermittelt werden. Der von der Polizei hinzugezogene Sachverständige schloss weder einen elektrischen Defekt noch eine fahrlässige Handlung der Beklagten als Brandursache aus. Fest steht allerdings, dass das Feuer in einem im Dachgeschoss gelegenen, von der Beklagten als Schlafzimmer genutzten Raum entstand. Das Zentrum des Brandgeschehens befand sich im Bereich des Kopfendes eines Bettelements, welches über zwei elektrische Motoren zum Verstellen der Liegefläche verfügte.
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Die Klägerin zahlte als Gebäudeversicherer den Eigentümern der beschädigten Nachbarhäuser eine Entschädigung von insgesamt 79.560 € (Neuwertentschädigung). Von der Beklagten verlangt sie aus übergegangenem Recht die Zahlung von 63.208,12 € (Zeitwertentschädigung). Den von dem Amtsgericht in dieser Höhe nebst Zinsen erlassenen Vollstreckungsbescheid hat das Landgericht aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
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Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter. Die Beklagte will die Zurückweisung des Rechtsmittels erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
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Nach Auffassung des Berufungsgerichts bestehen zwar grundsätzliche Bedenken gegen die Rechtsprechung des Senats zu der analogen Anwendung der Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf „Unfallschäden“, weil dadurch die Grenze zu der Gefährdungshaftung überschritten werde. Aber unabhängig davon scheitere der Klageanspruch bereits daran, dass er sich nicht gegen die Beklagte richte. Schuldner des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sei der die beeinträchtigende Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmende Grundstücksnutzer. Sehe man eine mögliche Brandursache in der Elektroinstallation des Schlafzimmers, also des Hauses, sei nicht die Beklagte, sondern allenfalls ihr Ehemann als Eigentümer und damit als für die technischen Einrichtungen des Hauses Verantwortlicher als ausgleichungspflichtiger Störer anzusehen.
II.
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Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein auf sie übergegangener nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog, § 67 VVG aF, Art. 1 Abs. 2 EGVVG) in der geltend gemachten Höhe zu.
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1. Unbegründet sind die von dem Berufungsgericht geäußerten Bedenken gegen die Senatsrechtsprechung zu der analogen Anwendung der Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf die sogenannten technischen Unfallschadensfälle wie durch einen technischen Defekt an elektrischen Leitungen verursachte Brandschäden an benachbarten Häusern (Urteil vom 11. Juni 1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66; Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992) und Wasserschäden infolge eines Rohrbruchs auf dem Nachbargrundstück (Urteil vom 19. Mai 1985 – V ZR 33/84, WM 1985, 1041; Urteil vom 30. Mai 2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99). In der zuletzt genannten Entscheidung hat der Senat – in Kenntnis der teilweise in der Literatur geäußerten Kritik – dargelegt, dass es in diesen Fällen von der Interessenlage her nicht um die Einführung einer Gefährdungshaftung für eine gefährliche Einrichtung im Verhältnis zwischen Nachbarn, also nicht um das Einstehen für Schäden, die allein auf das rechtmäßige Vorhandensein einer Anlage oder eine erlaubte Tätigkeit zurückzuführen sind, sondern um die Haftung für rechtswidrige Störungen aus einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung geht, die von dem beeinträchtigten Nachbarn aus tatsächlichen Gründen nicht abgewehrt werden können (Urteil vom 30. Mai 2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 103 f.). Ob und inwieweit der Eigentümer oder Nutzer für den gefahrenträchtigen Zustand des Grundstücks verantwortlich ist, kann sich jeweils nur danach richten, ob ihn aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis als der Grundlage des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog (Senat, Urteil vom 21. Mai 2010 – V ZR 10/10, NJW 2010, 2347, 2348) nach den Wertungskriterien des Nachbarrechts eine Handlungspflicht trifft, er also zurechenbar den störenden Zustand herbeigeführt hat oder nicht (Wenzel, NJW 2005, 241, 242). Erforderlich für das Bestehen des Ausgleichsanspruchs ist also stets, dass der Grundstückseigentümer oder -nutzer Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB ist (Senat, Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993; Urteil vom 18. September 2009 – V ZR 75/08, NJW 2009, 3787; Staudinger/Roth, BGB [2009], § 906 Rn. 69). Wird er als solcher in Anspruch genommen, überschreitet das nicht die Grenze zu der Gefährdungshaftung.
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2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Inanspruchnahme der Beklagten daran scheitere, dass sie nicht Nutzerin im Sinne von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB des ihrem Ehemann gehörenden Grundstücks gewesen sei.
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a) Schuldner des Ausgleichsanspruchs ist derjenige, der die Nutzungsart des beeinträchtigenden Grundstücks bestimmt (s. nur Senat, Urteil vom 16. Juli 2010 – V ZR 217/09, NJW 2010, 3158, 3159 mwN). Das können sowohl die ihre Grundstücke allein nutzenden Eigentümer – oder sonstige dingliche Berechtigte – als auch Besitzer wie Mieter oder Pächter sein; die Eigentumsverhältnisse sind nicht entscheidend (Senat, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 180/03, BGHZ 157, 188, 190; Urteil vom 18. September 2009 – V ZR 75/08, NJW 2009, 3787). Das gilt in dem Bereich der unmittelbaren Anwendung der Vorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ebenso wie in dem Bereich ihrer entsprechenden Anwendung (PWW/Lemke, BGB, 5. Aufl., § 906 Rn. 44).
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b) Entgegen der von der Klägerin in den Tatsacheninstanzen vertretenen Ansicht, die auch in der Revisionsbegründung anklingt, reicht es somit für die Haftung der Beklagten nicht aus, dass sie das Bett, von dem der Brand ausging, allein genutzt hat; vielmehr ist auf die Benutzung des gesamten Grundstücks abzustellen.
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c) Dass die Beklagte auf die Nutzung des Grundstücks (mit-)bestimmenden Einfluss ausübte, unterliegt mangels anderer Feststellungen des Berufungsgerichts und anderer Anhaltspunkte keinem Zweifel. Denn anders ist schon nicht zu erklären, dass sie – gewollt – einen der Räume in dem Dachgeschoss des Hauses als Schlafzimmer für sich allein nutzte und mit der Nutzung desselben Raumes als Arbeitszimmer durch ihren Ehemann einverstanden war. Im Übrigen ist von der Beklagten in den Tatsacheninstanzen ihr (mit-)bestimmender Einfluss auf die Nutzungsart des Grundstücks nicht in Frage gestellt worden, sondern nur ihre Störereigenschaft.
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3. Von der Frage, ob die Beklagte als Nutzerin des Grundstücks dem Ausgleichsanspruch ausgesetzt sein kann, ist die Frage zu trennen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Störereigenschaft erfüllt sind. Diese Trennung kommt in dem Berufungsurteil nicht zum Ausdruck. Ihm ist jedoch zu entnehmen, dass das Berufungsgericht die Beklagte (auch) nicht als Störerin angesehen hat. Das ist ebenfalls rechtsfehlerhaft.
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a) Die Störereigenschaft i.S. der §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (s. nur Urteil vom 30. Mai 2003 – V ZR 37/02, BGHZ 155, 99, 105 mwN) nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, und setzt auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus; erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine „Sicherungspflicht“, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt (Senat, Urteil vom 28. November 2003 – V ZR 99/03, NJW 2004, 603, 604; Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03, BGHZ 155, 33, 42; Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1036). Das Bestehen einer Sicherungspflicht in diesem Sinn ist Voraussetzung für die Störereigenschaft auch bei Immissionen aufgrund eines technischen Defekts (Senat, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03, BGHZ 155, 33, 42).
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b) Da hier als Brandursache sowohl ein technischer Defekt als auch eine fahrlässige Handlung der Beklagten in Betracht kommen, kann die Klage nur Erfolg haben, wenn die Beklagte in beiden Konstellationen Störerin wäre. Das ist der Fall.
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aa) Dass sie für eine fahrlässige Brandstiftung einstehen müsste, bedarf keiner weiteren Erklärung.
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bb) Ist die Brandursache auf einen technischen Defekt zurückzuführen, wäre die Beklagte ebenfalls Störerin.
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(1) Der Senat hat bereits entschieden, dass der Eigentümer eines Hauses, welches infolge eines technischen Defekts seiner elektrischen Geräte in Brand gerät, Störer ist (Urteil vom 1. Februar 2008 – V ZR 47/07, NJW 2008, 992, 993 mwN). Ob das auch für jeden Nutzer eines Hauses gilt, der dessen Nutzungsart bestimmt und deshalb grundsätzlich als Störer in Betracht kommt, kann offen bleiben. Für die Beklagte jedenfalls gilt nichts anderes. Denn sie war es, die die Gefahrenquelle, das Bettelement, benutzte und beherrschte. Sie war für den ordnungsgemäßen Zustand sämtlicher Teile, insbesondere der Elektromotoren und der elektrischen Leitungen, verantwortlich. Da der Brand nicht Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war, sondern auf Umständen beruhte, auf die die Beklagte Einfluss nehmen konnte, auch wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag, ist es gerechtfertigt, sie als Störer i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 1999 – V ZR 377/98, BGHZ 142, 66, 70).
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(2) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Brand nicht auf einen Defekt der Elektroinstallation des Hauses zurückgeführt werden. Die Klägerin rügt zutreffend, dass nach den Feststellungen in dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, auf den das Berufungsgericht in seiner Entscheidung verwiesen hat, und nach dem Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung der Brand in dem Bereich des Bettelements, und dort im lokalen Bereich des Kopfendes, entstanden ist. Dem hat die Beklagte nicht nur nicht widersprochen, sondern auch diesen Entstehungsort ihren rechtlichen Überlegungen zugrunde gelegt. Damit scheidet ein Defekt der Elektroinstallation des Raumes als mögliche Brandursache aus.
III.
18
Da auch die weiteren Voraussetzungen für einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog (s. dazu nur Senat, Urteil vom 18. September 2009 – V ZR 75/08, NJW 2009, 3787 f. mwN) gegeben sind, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat selbst zu entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Zwar hat das Berufungsgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen zu der Aktivlegitimation der Klägerin und zu der Höhe des geltend gemachten Anspruchs getroffen. Aber die Beklagte hat ausweislich des in dem Berufungsurteil in Bezug genommenen Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils die Forderungsaufstellung der Klägerin nicht bestritten. Auch ihre Aktivlegitimation ist unstreitig. Deshalb ist auf die Berufung der Klägerin der von dem Amtsgericht erlassene Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten.
IV.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.