AG Berlin-Mitte, Urteil vom 01.10.2012 – 7 C 67/12
Erfolgt die Entsiegelung einer Computer-Software im Rahmen eines Online-Käufers nicht durch den Käufer, sondern durch den Verkäufer, stellt das Aufspielen der Software keine unter § 312 d Abs. 4 Nr. 2 BGB fallende Entsiegelung dar (Rn. 5).
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 62,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2011 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46,41 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.1.2012 zu zahlen.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Von der Fassung des Tatbestandes wird gem. § 313 a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
2
Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 62,93 € aus § 346 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 433, 312 b, 312 d, 355, 357 BGB verlangen. Denn der online abgeschlossene Kauf vom 29.8.2011 ist vom Kläger wirksam widerrufen worden, so dass die Beklagte die erhaltene vollständige Geldleistung dem Kläger zu erstatten hat.
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Zwar bestand ursprünglich zwischen der Beklagten und dem Kläger ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche Computersystem zum Gesamtpreis von 853,99 €. Dieser Kaufvertrag ist jedoch durch die wirksame Widerrufserklärung des Klägers in Form der Rücksendung der bestellten Ware (§ 355 Abs. 1 S. 2 BGB) weggefallen, so dass die Beklagte zur Rückzahlung des vorab geleisteten Kaufpreises verpflichtet war.
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Das Widerrufsrecht des Klägers ergibt sich aus § 312 b BGB, da es sich vorliegend um einen Fernabsatzvertrag handelte.
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Soweit die Beklagte die Rückzahlung der streitgegenständlichen Summe mit der Begründung verweigert, das gekaufte Rechnersystem sei nach Kundenspezifikation angefertigt worden, überzeugt dies nicht. Denn unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem System um eine speziell für den Kläger zugeschnittene Ware i.S. von § 312 d Abs. 4 Nr. 1 BGB handelte, hat die Beklagte bereits den geleisteten Kaufpreis bis auf einen Rest von 62,93 € zurückgezahlt. Damit streiten die Parteien gar nicht mehr um die Frage, ob der Kläger zur Rückgabe des individuell zusammengestellten Systems berechtigt war – denn dies hat die Beklagte ausweislich ihres eigenen Verhaltens akzeptiert -, sondern allein darum, ob das Aufspielen und Aktivieren der Software den Zurückbehalt der streitgegenständlichen Summe rechtfertigt, weil es sich hierbei nach Ansicht der Beklagten um einen Fall des § 312 d Abs. 4 Nr. 2 BGB handeln soll. Dies ergibt sich sowohl aus der Klageerwiderung als auch dem Schriftsatz der Beklagten vom 28.7.2012, in dem die Höhe der einbehaltene Summe gerade mit den Positionen “Windows-Aktivierung, Softwareninstallation, Software Windows 7″ erläutert wird.
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Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten stellt das Aufspielen der Software keine unter § 312 d Abs. 4 Nr. 2 BGB fallende Entsiegelung dar, weil sie nicht durch den Kläger (als Verbraucher) erfolgte. Dabei ist die Beklagte auch nicht – quasi als dessen Gehilfe – an die Stelle des Klägers bei der Entsiegelung der Software getreten, weil sie auf dessen Bestellung tätig wurde. Vielmehr war die Entsiegelung der Software notwendige Voraussetzung für die Umsetzung der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, wonach die Beklagte dem Kläger den Rechner mit aufgespielter Software liefert. Dies ist jedoch kein Fall des § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB. Dieser Ausschlusstatbestand greift entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nur ein, wenn die Software auf einem versiegelten Datenträger geliefert wurde und der Verbraucher selbst sie entsiegelt hat (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Auflage, § 312 d RZ 10). Hinzu kommt, dass der Schwerpunkt der vertraglichen Leistung eindeutig auf der Lieferung der Hardwarekomponenten lag. Das die zugleich erfolgte Mitlieferung von Software in allen diesen Fällen das gesetzlichen Widerrufsrecht für den gesamten Vertrag ausschließen sollte, erscheint nach dem Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 312 ff. BGB ausgeschlossen. Gesetzgeberischer Zweck der Regelung ist es vielmehr, einen unredlichen kostenfreien Erwerb der Software zu verhindern, etwa, indem man diese bestellt, nach Erhalt kopiert und sodann von dem gesetzlichen Widerrufsrecht Gebrauch macht und den Kaufpreis trotz Erhalts des Produkts zurückverlangt oder gar nicht entrichtet. Diese Schutzbedürfnis besteht nicht in Fällen, in denen die Lieferung von Software dazu dient, die ebenfalls erworbenen Hardwarekomponenten zur Funktion gelangen zu lassen (MüKo 6. A., § 312 d RZ 58); denn maßgeblich für den Käufer ist hier nicht der Erhalt der Software, sondern der Erhalt eines funktionierenden Computersystems, das neben den Hardware- auch aus Softwarekomponenten besteht.
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Auch ist der Widerruf nicht nach § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Denn diese Norm findet nur Anwendung bei Verträgen über die Erbringung sonstiger Dienstleistungen. Wie bereits dargetan, lag der Schwerpunkt der vertragliche Leistung jedoch in der Lieferung der Hardwarekomponenten, wie sich bereits an der Zusammensetzung des Preises zeigt. So entfallen allein auf den Zusammenbau des Rechners und die Softwareinstallation lediglich 55,99 € bei einem Gesamtpreis von 853,99 €. Sinn und Zweck des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB ist es jedoch nicht, bei Verträgen mit gemischten Leistungsinhalten und insbesondere bei einem untergeordneten Dienstleistungsanteil das Widerrufsrecht im Ganzen für den Verbraucher auszuschließen. Es handelt sich um einen einheitlichen Vertrag, bei dem das Widerrufsrecht auch nur einheitlich beurteilt werden kann. § 312 d BGB dient nicht dazu, dem Unternehmer einen Vergütungsanspruch für einzelne Teile des Vertrages zu erhalten, sondern dessen Fortbestand oder Wegfall einer einheitlichen Regelung zu unterwerfen.
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Dass der Kläger noch die ihm zugesandte Software innehat, führt nicht zu einer Verurteilung lediglich Zug-um-Zug gegen Aushändigung derselben. Denn die Parteien haben klargestellt, dass der Kläger die ursprünglich vertragsgemäß erhaltene Software an die Beklagte zunächst zurückgesandt hatte und hiermit seiner gesetzlichen Rückgabepflicht vollständig nachgekommen war, und die erneute Zusendung der Software nur darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte unter Zugrundelegung ihrer Rechtsansicht meinte, diese nicht behalten zu müssen. Für dies hieraus entstehenden Nachteile hat allein die Beklagte einzustehen.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 286 Abs. 3, 357 Abs. 1 S. 2 BGB. Dabei hat das Gericht den Zinsbeginn mangels Nachweises des Zugangs des Widerrufs am 2.9.2011 unter Zugrundelegung einer 30-Tage-Frist und Absendung der Ware durch den Kläger am 6.9.2011 auf den 9.10.2011 unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten festgelegt.
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Gem. § 286 Abs. 1 BGB hat die Beklagte dem Kläger die zur Verfolgung seiner Ansprüche entstandenen vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 46,41 € zu erstatten. Mit Rücksendung der Waren Anfang September 2011 wurde gem. §§ 286 Abs. 3, 357 Abs. 1 S. 2 BGB 30 Tage später Verzug mit der Erstattungspflicht der Beklagten begründet. Verzugsbedingt, nämlich mit Schreiben vom 18.11.2011, wurden die vorgerichtlichen Anwaltskosten begründet.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 713 ZPO.