OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.03.2014 – 1 W 4/14
Die Parteien dürfen in einem Gerichtsverfahren grundsätzlich alles vortragen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten. Dies gilt auch, soweit der Tatsachenvortrag vertrauliche Absprachen der Gegenpartei mit ihrem Rechtsanwalt betrifft.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts M vom 28.01.2014 – 5 O 16/14 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen den Antragstellern zur Last.
Der Beschwerdewert beträgt 5.975.000,00 €.
Gründe
I.
1
Die Antragsteller begehren, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung die Vorlage von E-Mails oder den Vortrag deren Inhalts in einem Zivilrechtsstreit untersagen zu lassen.
2
Die Antragstellerin zu 1) ist alleinige Kommanditistin der KG. Die Kommanditanteile wurden ihr von ihrem Vater, dem Unternehmensgründer (in der Folge: U), übertragen. Der Antragsteller zu 2) ist Rechtsanwalt und hatte die Antragstellerin zu 1) beim Erwerb der Kommanditanteile beraten. Die Korrespondenz erfolgte dabei hauptsächlich per E-Mail.
3
In mehreren derzeit vor dem Oberlandesgericht S in der Berufungsinstanz geführten Zivilrechtsstreitigkeiten begehrt U von der Antragstellerin zu 1) u.a. die Rückübertragung der Kommanditanteile, deren Erwerb er für sittenwidrig hält. U wird dabei von der Antragsgegnerin vertreten.
4
Nachdem dieser Rechtsstreit in erster Instanz zuungunsten des U entschieden worden war, hatte die Antragsgegnerin im Berufungsrechtszug dem Oberlandesgericht S neue Tatsachen vorgetragen, die dem Vortrag der Antragstellerin zu 1) und den im landgerichtlichen Verfahren gehörten Zeugenaussagen widersprechen, ein sittenwidriges Verhalten nahe legen und damit die Rechtsposition des U stützen. Dabei handelte es sich teilweise um als solche gekennzeichnete wörtliche Zitate der Antragsteller, die nach deren Vortrag zwischen ihnen und/oder einer Freundin der Antragstellerin zu 1) gewechselten E-Mails entnommen und nach ihrer Vermutung durch ehemalige Mitarbeiter der KG an die Antragsgegnerin gelangt sind.
5
Die Antragsteller haben vor dem Landgericht M vorgetragen, durch das Vorlegen der E-Mails, das Zitieren oder Vortragen von Tatsachen aus oder im Zusammenhang mit dem Bestehen der E-Mails werde gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragsteller, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen. Die fragliche Korrespondenz sei in besonderem Maß als vertraulich einzustufen. Nur die Antragsteller hätten das Recht zu entscheiden, ob und wem sie den Inhalt der Schreiben zugänglich machten. Die Widerrechtlichkeit der Offenbarung folge schon daraus, dass damit in die Intimsphäre der Antragsteller eingegriffen werde. Die Antragsteller hätten auch ausnahmsweise ein Rechtsschutzbedürfnis für den Unterlassungsantrag, weil andernfalls das in höchstem Maß geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant und damit die geordnete Rechtspflege gefährdet werde. Der gesamte Schriftverkehr zwischen Mandant und Rechtsanwalt unterliege dem besonderen Schutz der Rechtsordnung, so dass jeglicher Eingriff zu unterbleiben habe. Für den Antragsteller zu 2) gelte das in besonderer Weise, da er nicht Partei des Ausgangsrechtsstreits sei. Andernfalls werde sein anwaltliches Zeugnisverweigerungsrecht unterlaufen.
6
Die Antragsteller haben beantragt, der Antragsgegnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln (…) zu untersagen, E-Mails vorzulegen, aus E-Mails zu zitieren oder Tatsachen aus oder im Zusammenhang mit dem Bestehen oder Inhalt von E-Mails vorzutragen oder zu behaupten, weder schriftsätzlich in Klageverfahren noch auf sonstige Weise, soweit es sich um Korrespondenz zwischen der E-Mail-Adresse ab@ab.de mit den E-Mail-Adressen bc@bc.com oder cd@cd.com oder sonstigen E-Mail-Adressen der Domain „cd.com“ oder zwischen der E-Mail-Adresse ab@ab.de mit der E-Mail-Adresse de@de.de, jeweils unabhängig, ob auf Versenderseite oder Adressatenseite oder in Kopie („cc.“) handelt.
7
Das Landgericht M hat den Antrag ohne Anhörung der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 28.01.2014 als unzulässig zurückgewiesen. Den Antragstellern fehle ein Rechtsschutzbedürfnis. Gegen die gerichtliche Rechtsverfolgung einer Partei im Zivilprozess und das entsprechende Vorbringen gebe es keinen negatorischen Rechtsschutz. Nur das mit der Sache befasste Oberlandesgericht S könne entscheiden, ob die fraglichen E-Mails verwertet werden könnten. Es gehe nicht an, dass ein rechtsstaatliches Verfahren mehr als unabdingbar notwendig von außen beeinflusst werde, indem Dritte durch gerichtliche Inanspruchnahme eines Verfahrensbeteiligten außerhalb des Ausgangsverfahrens vorgeben, was in diesem vorgetragen werden darf (Hinweis auf BGH NJW 2008, 996, BGHZ 183, 309). Das betroffene Anwaltsmandatsverhältnis gebiete keine andere Entscheidung. Zudem sei schon unklar, wie die E-Mails an die Antragsgegnerin gelangt seien. Nach dem Vortrag der Antragsteller hätten ehemals verschiedene Personen Zugriff auf sie gehabt, weshalb es schon an einem rechtswidrigen Eingriff fehlen könne.
8
Gegen diesen, ihnen mit Verfügung vom 29.01.2014 zugestellten Beschluss, wenden sich die Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, die per Telefax am 31.01.2014 bei dem Landgericht M eingegangen ist. Sie verfolgen ihr ursprüngliches Begehren weiter und rügen, das Landgericht habe sich mit dem herausragenden Schutzbedürfnis der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant und dem daraus folgenden überragenden Interesse nicht fundiert befasst. Auch habe das Landgericht die Bedeutung der Tatsache verkannt, dass der Antragsteller zu 2) nicht Partei des Ausgangsverfahrens sei. Die Antragsteller verfolgten den Schutz des intimsten Teils der Mandatsbeziehung: Den gegenseitigen Austausch, hier in Form von E-Mails. Möge auch der Schutz der geordneten Rechtspflege die grundsätzliche Ablehnung negatorischer Ansprüche gegen das Vorbringen von Tatsachen im Zivilprozess rechtfertigen, so würde doch im vorliegenden Fall mit einer Ablehnung des Rechtsschutzes eine geordnete Rechtspflege aufgegeben. Zudem liege hier ein Fall vor, in dem die zu verhindernde Rechtsverletzung auch außerhalb des Verfahrens von Bedeutung sei. In einem solchen Fall stehe aber dem Betroffenen ein Rechtsschutzbedürfnis zu und habe der BGH in einem vergleichbaren Fall entschieden, dass ein auf Löschung einer Tonaufnahme bestehender Anspruch bestehe (Hinweis auf BGH NJW 1988, 1016).
9
Das Landgericht M hat der Beschwerde mit Beschluss vom 03.02.2014 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung vorgelegt.
10
Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Antragsteller haben insoweit vorgetragen, dass weitere Schäden drohten. Zwar habe die Antragsgegnerin bereits mit Schriftsatz vom 05.02.2014 in einem Parallelverfahren aus über einem Dutzend weiterer persönlicher E-Mail der Antragsteller wörtlich zitiert, es sei aber zu befürchten, dass die Antragsgegnerin dies noch fortsetze, da das Oberlandesgericht Stuttgart eine mündliche Verhandlung in der Parallelsache angekündigt habe.
11
Im Übrigen wird zum Sachverhalt auf die gewechselten Schriftsätze nebst der Anlagen verwiesen.
II.
12
Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragsteller, mit der sie sich gegen die Zurückweisung ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wenden, ist unbegründet.
13
Zu Recht hat das Landgericht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs der Antragsteller in einem eigenen Zivilprozess verneint.
14
Insoweit ist nach dem Vortrag der Antragsteller derzeit eine Wiederholungsgefahr überhaupt nur anzunehmen, soweit es den Vortrag von Tatsachen durch die Antragsgegnerin in den vor dem Oberlandesgericht S geführten Berufungsrechtsstreitigkeiten betrifft. Dass die Antragsgegnerin jenseits und außerhalb dieser Zivilprozesse Behauptungen über die Antragsteller aufstellen oder verbreiten wird, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
15
Gegen die gerichtliche Rechtsverfolgung einer Partei oder ihrer Prozessbevollmächtigten im Zivilprozess und das ihr dienende Vorbringen gibt es aber grundsätzlich keinen negatorischen Rechtsschutz (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 940 Rn. 8 „Prozessführung“ m.w.N.). Das sog. Ausgangsverfahren soll nicht durch die Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr dürfen die Parteien in einem Gerichtsverfahren grundsätzlich alles vortragen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten (vgl. BVerfG NJW 1991, 29 <juris Tz. 12>). Dies trägt dem Recht der Parteien auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Recht auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung (BGH NJW 2012, 1659 <juris Tz. 7> m.w.N.).
16
Die Rechte der davon Betroffenen werden hinreichend dadurch gewahrt, dass ihnen im Ausgangsverfahren prozessual wie materiell-rechtlich ausreichende Rechtsgarantien zum Schutz ihrer Interessen bereit stehen (BGH NJW 2012, 1659 <juris Tz. 7>; Kiethe, Zivilprozessuale Sanktionen gegen unrichtigen und rechtswidrigen Sachvortrag, MDR 2007, 625 <627 f.>), bis hin zum Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 172 GVG oder einer ausnahmsweisen Unverwertbarkeit des fraglichen Vortrags selbst (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1577 <juris Tz. 52>; s.a. Kiethe, Die Abgrenzung von zulässigem Sachvortrag und strafbewehrtem Geheimnisschutz im Zivilprozess, JZ 2005, 1034 <1037>; Dauster/Braun, Verwendung fremder Daten im Zivilprozess und zivilprozessuale Beweisverbote, NJW 2000, 313 <316>).
17
Die dabei im Einzelfall gegebenenfalls vorzunehmende Abwägung zwischen den Grundrechten der Betroffenen und der ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsgewährungspflicht gegenüber beiden Prozessparteien kann nur im Ausgangsverfahren erfolgen. Für einstweilige Verfügungen auf Unterlassung bestimmten Vorbringens im Prozess fehlt damit von vornherein das Rechtsschutzbedürfnis. Dies gilt auch dann, wenn nicht prozessbeteiligte Dritte durch den Vortrag betroffen werden (vgl. BGH NJW 2008, 996 <juris Tz. 14 f.>; BGHZ 183, 309 <juris Tz. 15>).
18
Die von den Antragstellern zur Begründung einer Ausnahme von dem oben wiedergegebenen Grundsatz bemühte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.10.1987 (MDR 1988, 305 „Tonbandmitschnitt“) hat diesen Grundsatz wiederholt und bekräftigt und lediglich in Abgrenzung zu den – vorliegend gegenständlichen – Parteibehauptungen für heimlich und unter Verletzung strafrechtlicher Normen (§ 201 StGB) aufgenommene Tonbandaufnahmen, deren Verwertung als Beweismittel grundsätzlich ausgeschlossen ist, allein durch deren Existenz einen gewichtigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht gesehen (BGH aaO. <juris Tz. 11>). Für den vorliegenden Fall begründet diese Entscheidung deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller. Einer der in der Rechtsprechung für die hier im Raum stehende Frage des Anspruchs auf Unterlassung von Parteivortrag in einem Zivilprozess erwogenen Ausnahmefälle, namentlich bei bewusst unrichtigen oder leichtfertig aufgestellten Tatsachenbehauptungen, bei Tatsachenbehauptungen, die offensichtlich keinen inneren Zusammenhang zu der Ausführung oder Verteidigung von Rechten haben oder bei Meinungsäußerungen, die den Charakter der Schmähung erreichen (vgl. (vgl. BGH NJW 1971, 284 <juris Tz. 28; Palandt-Sprau, BGB, 73. Aufl. 2014, § 823 Rn. 37 m.w.N.), liegt nicht vor.
19
Gleichfalls nicht begründet ist die Befürchtung der Antragsteller, mit einer Ablehnung des begehrten Rechtsschutzes werde der Schutz der Vertraulichkeit im Verhältnis zwischen einem Mandanten und seinem Rechtsanwalt verletzt und damit eine geordnete Rechtspflege aufgegeben. Es ist schon nicht ersichtlich, dass mit der Zuweisung der Entscheidung an das Ausgangsverfahren überhaupt eine Beeinträchtigung der Geheimhaltungsinteressen der Antragsteller verbunden wäre. Denn die fraglichen Umstände, deren Benennung und Offenbarung die Antragsteller der Antragsgegnerin untersagen wollen, sind den Parteien bereits bekannt und damit gerade nicht mehr geheim. Auch ist nicht zu erkennen, dass durch eine Abweisung des Begehrens der Antragsteller Eingriffe in das Vertrauensverhältnis zwischen einem Mandanten und seinem Rechtsanwalt erleichtert würden oder überhand nehmen könnten (vgl. Dauster/Braun, Verwendung fremder Daten im Zivilprozess und zivilprozessuale Beweisverbote, NJW 2000, 313 <318>).
20
Die Vorstellung der Antragsteller, alles, was zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten vertraulich gesprochen und getan wird, sei absolut geschützt und dem Vortrag der Gegenseite entzogen, verkennt Umfang und die Zielrichtung des Schutzes des anwaltlichen Mandatsverhältnisses. Diesem Schutz liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ein Rechtsanwalt seine auch im Allgemeininteresse liegende Tätigkeit als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) nur wirkungsvoll wahrnehmen kann, wenn der Mandant ihm vertraut. Dieses Vertrauen setzt aber neben Integrität und Zuverlässigkeit auch die Verschwiegenheit des Rechtsanwalts voraus, da der Mandant nur dann bereit sein wird, seinem Anwalt alle relevanten Umstände, dabei möglicherweise auch private und intime Geständnisse, zu offenbaren, wenn er davon ausgehen kann, dass diese Informationen nicht ohne oder gegen seinen Willen weitergegeben werden (vgl. Feuerich/Weyland-Böhnlein, BRAO, 8. Aufl. 2012, § 43a Rn. 12). Die Verschwiegenheitspflicht zählt daher zu den anwaltlichen Grundpflichten. Als unverzichtbare Bedingung der anwaltlichen Berufsausübung nimmt sie am Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG teil (vgl. BVerfGE 110, 226 <juris Tz. 101). Dem Schutz der anwaltlichen Verschwiegenheit dienen daneben eine Reihe (einfach)gesetzlicher Vorschriften, deren Ziel es ist, das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant gegen Störungen abzusichern (vgl. BVerfG, aaO.).
21
Allen Regelung ist dabei gemein, dass mit ihnen die Verschwiegenheit des Rechtsanwalts als Grundbedingung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Mandant gegen Eingriffe geschützt wird. Als „Herr des Geheimnisses“ (BGHZ 109, 260 <juris Tz. 28>) kann allein sein Auftraggeber entscheiden, wann und welche Informationen an wen weitergegeben werden sollen. Indem das Schutzkonzept zur Sicherung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und seinem Mandanten an der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts ansetzt, wird zugleich deutlich, dass die aus Sicht des Mandanten geheimhaltungsbedürftigen Umstände nicht den von den Antragstellern angenommenen absoluten Schutz gegenüber Jedermann genießen – denn es wird nicht schlechthin die geheimhaltungsbedürftige Information, sondern die Verfügungsbefugnis des Mandanten über Tatsachenkenntnisse des Rechtsanwalts geschützt, von denen er als Anwalt in einer Rechtsangelegenheit erfahren hat. Das von den Antragstellern beanspruchte Recht, der Antragsgegnerin „den Mund zu verbieten“ vermittelt das zwischen den Antragstellern bestehende Mandatsverhältnis hingegen nicht.
22
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Der Beschwerdewert folgt aus den Angaben der Antragsteller zur Festsetzung im landgerichtlichen Hauptsacheverfahren.