BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – XII ZB 93/19
Auch ein sich selbst vertretender Rechtsanwalt hat Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Verfahrenshandlungen vornimmt. (Rn.3)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 27. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Köln vom 29. Januar 2019 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.
Wert: 28.500 €
Gründe
I.
1
Das Familiengericht hat die Antragsgegnerin mit einem ihr am 5. Juli 2018 zugestellten Beschluss verpflichtet, an den Antragsteller, ihren geschiedenen Ehemann, rückständige Nutzungsentschädigung für die von ihr bewohnte Ehewohnung in Höhe von 10.500 € nebst Zinsen zu zahlen sowie das Objekt geräumt an den Antragsteller herauszugeben.
2
Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin, die selbst Rechtsanwältin ist, rechtzeitig mit einem von ihr persönlich verfassten Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Mit einem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 27. September 2018 eingegangenen Schriftsatz hat sie – nunmehr vertreten durch Bevollmächtigte – Beschwerdeanträge gestellt und hinsichtlich der versäumten Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, dass sie krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen und auch weiterhin nicht in der Lage sei, diese zu wahren. Am 23. Oktober 2018 hat sie die Beschwerde begründet.
3
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Die Antragsgegnerin habe ihre krankheitsbedingte Verhinderung schon nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Ein zurechenbares Verschulden ergebe sich letztlich jedenfalls aus einem Verstoß der Antragsgegnerin gegen ihre anwaltliche Pflicht, allgemeine Vorkehrungen dafür zu treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen werde, wenn sie selbst unvorhergesehen ausfalle. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4
Die nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Die Antragsgegnerin vermag auch nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre. Das Oberlandesgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verworfen. Damit hält es sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
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1. Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Verfahrensbevollmächtigte einer Partei alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Im Rahmen seiner Organisationspflichten hat er Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Verfahrenshandlungen – wie hier zumindest die Beantragung einer Fristverlängerung – vornimmt (Senatsbeschluss vom 31. Juli 2019 – XII ZB 36/19 – zur Veröffentlichung bestimmt).
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Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Rechtsanwalt aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Wird er dagegen unvorhergesehen krank, gereicht ihm eine unterbleibende Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar war (BGH Beschluss vom 5. April 2011 – VIII ZB 81/10 – NJW 2011, 1601 Rn. 18 mwN).
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Für den Fall, dass die Krankheit von Anfang an so schwer sein sollte, dass die zur Fristwahrung erforderliche Einschaltung eines Vertreters durch den erkrankten Rechtsanwalt selbst oder eine Anordnung an das Büropersonal betreffend die Unterrichtung eines Vertreters nicht möglich oder zumutbar sein sollte, muss der Rechtsanwalt seine Kanzlei allgemein anweisen, zwecks Erledigung fristgebundener Geschäfte den Vertretungsanwalt zu informieren oder erforderlichenfalls einen Antrag nach § 53 Abs. 2 BRAO zu stellen. Die Verpflichtung, im Krankheitsfall des Verfahrensbevollmächtigten für einen Vertreter zu sorgen, besteht erst recht, wenn der Gesundheitszustand derart ist, dass mit wiederholt auftretenden Krankheitsfolgen zu rechnen ist, die den Anwalt außerstande setzen, seinen Berufspflichten in dem erforderlichen Umfang nachzukommen (vgl. BGH Beschluss vom 17. März 2005 – IX ZB 74/04 – juris Rn. 5 mwN).
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2. Keinen geringeren Sorgfaltsplichten unterliegt ein Rechtsanwalt, der sich in eigener Sache gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 78 Abs. 4 ZPO selbst vertritt. Denn der sich selbst vertretende Rechtsanwalt ist im Verfahren nicht als Beteiligter, sondern als Rechtsanwalt zu behandeln (KG NJW 1955, 593; MünchKommZPO/Toussaint 5. Aufl. § 78 Rn. 29; Stein/Jonas/Jacoby ZPO 23. Aufl. § 78 Rn. 46; Zöller/Althammer ZPO 32. Aufl. § 78 Rn. 37; HK-ZPO/Bendtsen 8. Aufl. § 78 Rn. 21; vgl. auch Musielak/Voit/Weth ZPO 16. Aufl. § 78 Rn. 34). Zu seinen anwaltlichen Pflichten gehört auch die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen, die an die Wahrung der einzuhaltenden Fristen gestellt werden.
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3. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin vorgetragen und durch Attest belegt, dass sie sich bereits seit 2010 in psychiatrischer Behandlung wegen „immer wieder auftretender, häufig unvermittelter und daher unvorhersehbarer krankhafter Zustände“ befinde. Der Antragsgegnerin waren somit die langjährigen immer wiederkehrenden depressiven Episoden einschließlich der steten Gefahr ihres jederzeitigen erneuten Auftretens bekannt. Deshalb war sie in besonderem Maße gehalten, für einen Vertreter in den Zeiten ihres eigenen krankheitsbedingten Ausfalls zu sorgen. Dieser Obliegenheit hat sie, jedenfalls in Bezug auf das in eigener Sache geführte Verfahren, nicht genügt.
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Es entlastet die Antragsgegnerin auch nicht, dass sie ihr eigenes Verfahren vor ihrem Kanzleipersonal verborgen gehalten und es aus Diskretionsgründen von ihrer Privatadresse anstatt von der Kanzleiadresse aus geführt hat. Denn wer auf diese Weise verhindert, dass die den Kanzleiangestellten für den Erkrankungsfall erteilten Weisungen auch für das eigene Verfahren greifen, muss anderweitig sicherstellen, dass die Vertretung gewährleistet ist.
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4. Darüber hinaus ist auch nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht eine krankheitsbedingte Verhinderung an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist als nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht angesehen hat.