OLG Hamm, Urteil vom 05.02.2016 – 11 U 138/14
Auch ein psychischer Ausnahmezustand oder ein Zustand schwerwiegender seelischer Belastung kann verjährungshemmende höhere Gewalt sein
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.07.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern das beklagte Land vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Die am 15.07.1966 geborene Klägerin, die zuletzt als Justizvollzugsbeamtin im offenen Frauenvollzug in der JVA C eingesetzt war, verlangt von dem beklagten Land Schadensersatz wegen ihrer krankheitsbedingten vorzeitigen Zurruhesetzung zum 01.02.2004. Sie behauptet, dass ihre Erkrankung Folge eines fortgesetzten Mobbings ihrer Dienstvorgesetzten L gewesen sei.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
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Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen PD. Dr. O nebst mündlicher Erläuterung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein etwaiger Schadensersatzanspruch verjährt sei. Der Anspruch sei im Jahre 2003 entstanden, weshalb die Verjährung mit dem 01.01.2004 begonnen habe und mit dem 31.12.2006 abgelaufen sei. Eine Verjährungshemmung aufgrund höherer Gewalt, weil es der Klägerin innerhalb der letzten sechs Monate vor Ablauf der Verjährung schlechthin nicht möglich gewesen wäre, ihre eigenen Angelegenheiten zu besorgen, könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Vielmehr sei die Klägerin trotz einer depressiven Verstimmung im maßgeblichen Zeitraum von Mitte 2006 bis 17.11.2008 in der Lage gewesen, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen. Ein derart gravierender Ausprägungsgrad ihrer Erkrankung, der dies verhindert hätte, sei weder nach den vorliegenden Unterlagen noch aufgrund der von dem Sachverständigen PD Dr. O durchgeführten Untersuchung festzustellen.
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Mit der Berufung vertieft die Klägerin ihre Behauptung, im Zeitraum von Mitte 2006 bis 17.11.2008 nicht in der Lage gewesen zu sein, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen und diesem den Sachverhalt so darzustellen, dass dieser zu einer substantiierten Darstellung des die Klage begründenden Sachverhalts in der Lage gewesen wäre. Insofern legt sie ein Fachgutachten der Dipl.-Psych. X vom 22.09.2014 vor und rügt die Explorationsmethode des Sachverständigen PD Dr. O als unzureichend, weshalb die von ihm gefundenen Ergebnisse ihr Erkrankungsbild nicht zutreffend darstellen würden.
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Die Klägerin beantragt,
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das am 10.07.2014 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen,
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1. an sie 74.344,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.07.2011 zu zahlen,
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2. an sie ein angemessenes Schmerzensgeld (mindestens 5.000,00 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.07.2011 zu zahlen,
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3. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihr sämtliche künftigen Schäden zu ersetzen, die aus ihrer vorzeitigen Zurruhesetzung zum 01.02.2004 resultieren.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Es verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.
II.
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Die zulässige Berufung bleibt erfolglos. Der Klägerin steht kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land aufgrund einer Amtspflichtverletzung in Form des Mobbings durch ihre damalige Dienstvorgesetzte L gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu.
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Der Senat lässt – wie bereits das Landgericht – dahinstehen, ob die von der Klägerin erhobenen Mobbingvorwürfe sachlich gerechtfertigt sind und ggf. einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz rechtfertigen würden. Denn selbst wenn man dies zugunsten der Klägerin als gegeben unterstellen würde, wären jedenfalls ihre Ansprüche verjährt und gemäß § 214 Abs. 1 BGB nicht mehr gegen das beklagte Land durchsetzbar.
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Die Einrede der Verjährung hat das beklagte Land erhoben.
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Der Amtshaftungsanspruch verjährt gemäß § 195 BGB innerhalb von 3 Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und die Klägerin von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schädigers Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, § 199 Abs. 1 BGB.
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Da die Klägerin ab dem 10.03.2003 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt war, waren ihr jedenfalls ab diesem Zeitpunkt alle anspruchsbegründenden Umstände bekannt, weshalb die Verjährung mit dem 01.01.2004 begann. Mit dem 31.12.2006 wäre daher die reguläre Verjährungsfrist abgelaufen. Mit der am 17.11.2011 anhängig und am 15.12.2011 rechtshängig gewordenen Klage konnte eine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht mehr herbeigeführt werden.
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Der Ablauf der Verjährung war nicht bis zum Zeitpunkt der Klageeinreichung gemäß § 206 BGB mit der Wirkung des § 209 BGB gehemmt, weil die Klägerin durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert gewesen wäre. Höhere Gewalt liegt vor, wenn die Verhinderung der Rechtsverfolgung auf Ereignissen beruht, die auch durch äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden konnten, während schon das geringste Verschulden des Gläubigers höhere Gewalt ausschließt (vgl. Palandt – Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 206 Rdnr. 4). Insofern ist anerkannt, dass auch ein psychischer Ausnahmezustand oder ein Zustand schwerwiegender seelischer Belastung, der es dem Betroffenen gänzlich unmöglich macht, sich sachgemäß für oder gegen die Durchsetzung eines Anspruchs zu entscheiden und die Durchsetzung zu betreiben, höhere Gewalt darstellen kann (vgl. OLG Karlsruhe, OLGR 2002, S. 4).
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Indes fehlt es bereits an einer schlüssigen Darlegung der Klägerin, dass sie in dem hier maßgeblichen Zeitraum infolge psychischer Erkrankung an der Geltendmachung ihrer Rechte gehindert war. Vielmehr ist auch unter Zugrundelegung ihres eigenen Vortrags davon auszugehen, dass eine durch ihre Erkrankung bedingte Verjährungshemmung nicht eingetreten und die Verjährungsfrist abgelaufen ist.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Landgerichts kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Klägerin (nur) bis zum 17.11.2008 so schwerwiegend erkrankt war, dass es ihr nicht mehr möglich war, einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Nach § 206 BGB wird die Verjährungsfrist gehemmt, solange der Gläubiger innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Daher wird nur der Zeitraum, in dem innerhalb der letzten sechs Monate ein Hinderungsgrund besteht, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet. In den ersten 2 ½ Jahren der Verjährungsfrist konnte daher die Verjährung laufen, ohne dass es insoweit auf den psychischen Gesundheitszustand der Klägerin und ihre Fähigkeit zur Verfolgung ihrer Ansprüche ankommen konnte. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob im Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 17.11.2011 die Klägerin insgesamt nicht länger als sechs Monate in der Lage war, ihre Ansprüche gegenüber dem beklagten Land zu verfolgen (vgl. BGH, FamRZ 1982, S. 917; NJW-RR 1991, S. 573; Palandt – Ellenberger, a.a.O., § 206 Rdnr. 2).
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Indes hat die Klägerin selbst vorgetragen, dass sie schon ab März 2009 oder Sommer 2009, spätestens aber seit Dezember 2010 wieder psychisch soweit stabilisiert gewesen sei, dass von diesem Zeitpunkt an ein konsequentes zielgerichtetes Durchsetzen ihrer eigenen Ansprüche möglich war. Dieser Vortrag wird gestützt durch die Erörterungen im Senatstermin vom 05.02.2016 unter Berücksichtigung der Unterlagen, welche das beklagte Land zur Einsichtnahme vorgelegt hatte, nachdem der Senat gemäß § 139 ZPO im Rahmen der Erörterungen auf den von der Klägerin übersehenen Gesichtspunkt hingewiesen hatte. So verfasste die Klägerin erstmals im März 2009 selbst ein kurzes Schreiben, mit dem sie verlangte, die nach ihrer Darstellung durch das Mobbing ihrer Dienstvorgesetzten hervorgerufene Erkrankung als Dienstunfall anzuerkennen. Mit ebenfalls selbst verfasstem Antrag vom 13.07.2009 leitete die Klägerin sodann ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht ein und betrieb nach klageabweisendem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19.10.2010 auch die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht. Weiterhin richtete sie Petitionen an den Bundestag als Reaktion auf das verwaltungsgerichtliche Urteil und verlangte mit Schreiben vom 20.10.2010 erstmals die Leistung von Schadensersatz und Schmerzensgeld, was der Leiter der JVA C mit Schreiben vom 10.11.2010 zurückwies. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat überdies eingeräumt, dass sich die Klägerin nach dem verwaltungsgerichtlichen Urteil erstmals an ihn wendete. Unter dem 18.07.2011 verfasste er sodann ein vorgerichtliches Anspruchsschreiben an das beklagte Land. Die von der Klägerin ab März 2009 entfalteten Aktivitäten gehen einher mit der Umstellung der Medikamentenverordnung ab März 2009 durch den von ihr nunmehr wieder aufgesuchten Facharzt Dr. N. Ausweislich seiner fachärztlichen Bescheinigung vom 03.09.2012 wurde die seit März 2003 bestehende Medikation mit A beendet und stattdessen das Medikament B verordnet. Das weiterhin verordnete Medikament Y wurde sodann ab August 2009 durch das Medikament Z ersetzt.
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Eine abweichende Bewertung lässt sich schließlich auch nicht dem mit der Berufung von der Klägerin eingereichten Privatgutachten der Dipl.-Psych. X vom 22.09.2014 entnehmen. Die Privatgutachterin kommt zwar abweichend von der Einschätzung des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen PD Dr. O zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Zeitraum vom 10.03.2003 bis zum 17.11.2008 an gravierenden psychischen Störungen gelitten habe, die eine massive Einschränkung der psychischen Energie und des Antriebs, der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses mit sich gebracht hätten. Zu dem nachfolgenden Zeitraum verhält sich das Gutachten jedoch nicht. Eine Übertragung der auf den Zeitraum bis zum 17.11.2008 beschränkten Einschätzung der Privatgutachterin auf die Zeit danach erscheint angesichts der danach entfalteten eigenen Aktivitäten der Klägerin zur Durchsetzung ihres – vermeintlich – zustehenden Anspruchs nicht möglich, zumal sich die Privatgutachterin hiermit nicht auseinandersetzt.
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Infolge der Unschlüssigkeit der Klage konnte der Senat von einer weiteren Beweiserhebung und der Befragung des vorbereitend geladenen Sachverständigen PD Dr. O absehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Revision war nicht geboten, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorlagen. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall. Von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte ist der Senat nicht abgewichen.