BGH, Urteil vom 21.02.1995 – VI ZR 19/94
1. Das “Spiel” von Jugendlichen, sich wechselseitig von einem Badesteg in das Wasser eines Sees zu stoßen, ist haftungsrechtlich nicht nach den Grundsätzen über die Teilnahme an sportlichen Kampfspielen zu beurteilen.
2. Zum Handeln auf eigene Gefahr, zum Verbot des Selbstwiderspruchs und zur Frage des Mitverschuldens in solchen Fällen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadensersatz nach einem Badeunfall.
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Die Parteien, beide damals 22 Jahre alt, verbrachten als Mitglieder der B. Kerweburschen zusammen mit weiteren 10 Angehörigen dieser Vereinigung das Wochenende vom 9. bis 11. Juni 1989 im Freizeitpark “Silbersee” der Gemeinde F.. Während des dortigen Aufenthalts wurde von den Jugendlichen Alkohol getrunken. Am Vormittag des 10. Juni 1989 begannen sie damit, sich wechselseitig von dem Badesteg des Sees in das Wasser zu stoßen. Zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr stand der Kläger mit zwei Kameraden am Rand des Badestegs. Von dort wurde er durch einen Stoß von hinten zusammen mit den beiden anderen in das an dieser Stelle nicht tiefe Wasser geschubst. Der Kläger stieß mit dem Kopf auf den Seegrund; er erlitt eine sofortige komplette Querschnittslähmung mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Nach stationärer Behandlung bis zum 29. Januar 1990 wurde der Kläger in der Folgezeit mit einer Erwerbsminderung von 100% vom erlernten Beruf des Feinmechanikers zum Holzblasinstrumentenbauer umgeschult. Er benötigt für alle Dinge des täglichen Lebens eine Hilfsperson und ist auf Dauer auf einen Rollstuhl angewiesen. Das Haus seiner Eltern, in dem er lebt, wurde behindertengerecht umgebaut.
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Mit der Behauptung, der Stoß in das Wasser sei durch den Beklagten erfolgt, hat der Kläger von ihm die Zahlung eines Schmerzensgeldkapitals von 150.000 DM und einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 500 DM sowie den Ersatz materieller Schäden verlangt; des weiteren hat er die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Zukunftsschäden begehrt.
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Das Landgericht hat der Klage mit Abstrichen beim materiellen Schaden stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der Berufung des Klägers auf das Rechtsmittel des Beklagten die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
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Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht stellt fest, daß es der Beklagte war, der den Kläger in das Wasser gestoßen hat. Es hält mit dem Landgericht auch für erwiesen, daß vor diesem Stoß ein anderer Teilnehmer, Thomas R., der zuvor selbst an einer flachen Stelle in das Wasser geworfen worden war, dem Beklagten zugerufen hatte, er solle dies (das Hineinstoßen von Personen) jetzt lassen, weil am Anfang des Steges das Wasser nicht tief genug sei. Der Kläger könne aber, so meint das Berufungsgericht, vom Beklagten keinen Schadensersatz verlangen, da von seiner stillschweigenden Einwilligung in die Verhaltensweise des Beklagten auszugehen sei. Alle Mitglieder der Gruppe hätten sich über mehrere Stunden hinweg wechselseitig in das Wasser gestoßen. Auch nach dem Zuruf des R. an den Beklagten habe keiner der Beteiligten sein Verhalten geändert. Zudem habe der Kläger vor dem Stoß des Beklagten mit seinen beiden Kameraden auf dem Steg eine Position eingenommen gehabt, die nahezu wie eine Aufforderung habe wirken müssen, in das Wasser gestoßen zu werden. Wegen der konkludenten Einwilligung in das “Spiel” müsse der Kläger alle Verletzungen durch spielgerechtes Verhalten, wie es hier vorliege, entschädigungslos hinnehmen, auch wenn die Folgen noch so schwerwiegend seien.
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Gehe man nicht von einem Einverständnis des Klägers aus, so scheitere seine Klage jedenfalls an dem Verbot des Selbstwiderspruchs bei einem Handeln auf eigene Gefahr. Insoweit seien hier die von der Rechtsprechung für den Bereich der Kampfspiele entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden mit der Folge, daß der Beklagte von einer Haftung freigestellt werde. Denn die Teilnehmer an der Freizeit hätten ein eigenes sportliches Spiel mit selbst gesetzten Regeln gestaltet, und es sei nicht ersichtlich, daß der Beklagte gegen diese Regeln verstoßen habe. Zwar sei die beim Kläger eingetretene Verletzung sicherlich von keinem der Beteiligten in Betracht gezogen worden; sie stelle sich aber noch als adäquate Folge des Spiels dar.
II.
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Das Berufungsurteil hält einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Rechtlichen Bedenken begegnet bereits die Ansicht des Berufungsgerichts, dem Klagebegehren stehe eine stillschweigende Einwilligung des Klägers in die Verhaltensweise des Beklagten entgegen.
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a) Die rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung beruht auf der Erwägung, daß derjenige, der seine rechtlich geschützte Sphäre einem anderen für eine Einwirkung auf seine Rechtsgüter öffnet, gegen eine Verletzung dieser Güter keinen rechtlichen Schutz beanspruchen kann. Die Einwilligung, auch die konkludent erteilte, erfordert deshalb mehr als nur die Billigung der Verhaltensweise einer anderen Person; sie setzt ein Einverständnis mit der Rechtsgutverletzung voraus. Die bloße Einwilligung in eine Handlung, die nicht auf den Eingriff in das Schutzgut abzielt, beseitigt die Widerrechtlichkeit nicht (vgl. RGRK, BGB 12. Aufl., § 823 Rdn. 381).
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b) Die Verletzung der körperlichen Integrität, um die es im Streitfall geht, wäre folglich nur dann durch eine Einwilligung des Klägers gerechtfertigt, wenn er mit einer solchen Verletzung einverstanden gewesen wäre. Dies stellt das Berufungsgericht nicht fest; es führt im Gegenteil aus, daß die bei dem Kläger eingetretene Körperverletzung sicherlich von keinem der Beteiligten in Betracht gezogen worden sei. Anderes macht auch die Revisionserwiderung nicht geltend; sie hebt ihrerseits hervor, daß offensichtlich alle Beteiligten die Balgerei am und im Wasser als harmlos betrachtet hätten. Dann aber kann von einer rechtfertigenden Einwilligung des Klägers nicht die Rede sein.
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2. Nicht gefolgt werden kann auch der vom Berufungsgericht bei der Erörterung der Einwilligung angestellten Erwägung, der Kläger müsse, da er mit dem “Spiel” des Ins-Wasser-Stoßens und Gestoßen-Werdens einverstanden gewesen sei, alle bei “spielgerechtem” Verhalten entstandenen Verletzungen hinnehmen. Denn, so meint das Berufungsgericht, mit der Teilnahme an dem “Spiel” habe jeder Beteiligte gleichsam erklärt, solange keine Haftungsansprüche erheben zu wollen, als regelgerecht gespielt werde, und der Beklagte habe die von den Teilnehmern selbst gesetzten Regeln nicht gebrochen. Diese Ausführungen, die der Sache nach nicht eigentlich auf eine Einwilligung, sondern auf die konkludente Vereinbarung eines Haftungsverzichts hinauslaufen, vermögen eine Haftungsfreistellung des Beklagten ebenfalls nicht zu begründen.
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a) Einen Anspruchsverzicht des Klägers im engeren Sinne nimmt auch das Berufungsgericht nicht an. Er scheidet im Streitfall schon deshalb aus, weil er einen Verzichtswillen und damit eine Kenntnis dessen voraussetzt, worauf man verzichtet. Für einen Verzicht auf Schadensersatzansprüche aus einer Körperverletzung wäre daher zumindest erforderlich, daß der Kläger den Eintritt einer solchen Verletzung in Erwägung gezogen hätte. Das aber war hier, wie oben bereits ausgeführt, nicht der Fall.
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b) Auch für eine Haftungsfreistellung des Beklagten durch Einwilligung des Klägers in das “Spiel”, wie sie das Berufungsgericht in Anwendung der Grundsätze über die Teilnahme an sportlichen Kampfspielen bejaht, fehlt es im Streitfall an den tatsächlichen Voraussetzungen. Bei der Beteiligung an solchen Kampfspielen handelt es sich um eine eigenständige Fallgruppe mit haftungsrechtlichen Besonderheiten, die nicht auf anders gelagerte Lebenssachverhalte übertragen werden können. Bei sportlichen Kampfspielen findet die entschädigungslose Inkaufnahme von Verletzungen, wie der Senat stets betont hat, ihre innere Rechtfertigung darin, daß dem Spiel bestimmte, für jeden Teilnehmer verbindliche Regeln zugrunde liegen, die von vornherein feststehen, unter denen somit die Teilnehmer zum Spiel antreten und die insbesondere durch das Verbot sog. “fouls” auch auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Spieler selbst ausgerichtet sind (BGHZ 63, 140, 142 ff.; Urteile vom 5. November 1974 – VI ZR 125/73 – VersR 1975, 155, 156 und vom 10. Februar 1976 – VI ZR 32/74 – VersR 1976, 591 ff.). Derart feste und anerkannte Regeln lagen hier, wie das Berufungsgericht selbst ausführt, dem “Spiel” der Parteien nicht zugrunde.
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3. Die auf das Verbot des Selbstwiderspruchs gestützte Hilfsbegründung des Berufungsgerichts vermag die völlige Abweisung der Klage ebenfalls nicht zu rechtfertigen.
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a) Mit dem Berufungsgericht ist allerdings davon auszugehen, daß die Grundsätze über die rechtlichen Auswirkungen widersprüchlichen Verhaltens über den Bereich der vom Berufungsgericht auch in diesem Zusammenhang in den Vordergrund gerückten sportlichen Kampfspiele hinausreichen. Auch der Kläger muß deshalb sein Klagebegehren mit Blick auf sein Verhalten am Unfalltage an dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) messen lassen.
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b) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch dahin, daß der Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr im Streitfall zu einer gänzlichen Haftungsfreistellung des Beklagten führe.
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aa) Soweit die Rechtsprechung das bewußte Sich-Begeben in eine Situation drohender Eigengefährdung als Grundlage für eine vollständige Haftungsfreistellung des Schädigers in Betracht gezogen hat, handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle wie etwa bei der Teilnahme an Boxkämpfen oder anderen besonders gefährlichen Sportarten. Nur bei derartiger Gefahrexponierung kann von einer Einwilligung des Geschädigten in die als möglich vorgestellte Rechtsgutverletzung mit der Folge einer Nichthaftung des Schädigers ausgegangen werden (BGHZ 34, 355, 363; 39, 156, 161; 63, 140, 144). An einer solchen Einwilligung fehlt es jedoch, wie bereits dargelegt, im Streitfall.
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bb) Die tatrichterlichen Feststellungen vermögen die völlige Haftungsfreistellung des Beklagten auch nicht in Anwendung der vom Berufungsgericht weiter herangezogenen Vorschrift des § 254 BGB zu rechtfertigen.
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(a) Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsurteil keine nachprüfbaren Ausführungen zur Gewichtung und Abwägung der jeweiligen Verursachungsanteile der Parteien in Bezug auf das konkrete Schadensereignis enthält. Dies wiegt umso schwerer, als die vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten im Rahmen des § 254 BGB nur ausnahmsweise in Betracht kommt.
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(b) Zudem wendet sich die Revision mit Recht gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts, keiner der Beteiligten habe nach dem Zuruf des R. an den Beklagten über die zu geringe Tiefe des Wassers sein Verhalten geändert und der Kläger habe sich in Kenntnis des Gruppenverhaltens der Teilnehmer so zwischen zwei weitere Jugendliche an den Rand des Badesteges gestellt, daß der Beklagte dies gleichsam als Aufforderung habe verstehen dürfen, ins Wasser gestoßen werden zu wollen. Wie das Berufungsgericht ausführt, hat der Kläger eingeräumt, vor dem streitgegenständlichen Stoß bereits einmal, jedoch von der Stirnseite des Steges, in das Wasser gestoßen worden zu sein. An dieser Stelle war aber der See erheblich tiefer, so daß ein Aufschlagen mit dem Kopf auf den Grund nicht zu befürchten war. Wie die Revision unter Bezugnahme auf die vom Berufungsgericht zum Gegenstand der Verhandlung gemachten Strafakten mit der Aufklärungsrüge geltend macht, war nach den Aussagen mehrerer Zeugen bei ihrer polizeilichen Vernehmung das “Spiel” des Ins-Wasser-Stoßens vor dem Unfall an der Stirnseite des Steges ausgeübt worden. Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht diese dem Unfallereignis zeitlich näheren Aussagen über den Ort des “Spielgeschehens” den Zeugen bei ihrer Einvernahme im Berufungsrechtszug nicht zur Ergänzung ihrer nunmehrigen Bekundungen vorgehalten hat, sondern allein aufgrund der letztgenannten Aussagen zu der Feststellung gelangt ist, es seien sehr häufig Teilnehmer auch seitlich vom Steg ins Wasser gestoßen worden. Dies findet in dem Protokoll über die Vernehmung der Zeugen jedenfalls dann keine hinreichende Grundlage, wenn das Berufungsgericht, wie geschehen, die Aussagen dahin versteht, das seitliche Ins-Wasser-Stoßen sei häufig auch in der Nähe des Ufers, also über flachem Seegrund erfolgt.
III.
22
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird das Berufungsgericht dann auch der bisher offengelassenen Frage nachzugehen haben, ob dem Kläger die Art der Ausführung seines Sprunges in das Wasser anzulasten ist.