LAG Hamm, Urteil vom 30.06.2011 – 8 Sa 285/11
Personen- oder verhaltensbedingte Kündigung gegenüber psychisch erkranktem Arbeitnehmer nach “Ausrasten” im Betrieb infolge Nichteinnahme verordneter Medikamente; fehlende Wiederholungsgefahr
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.01.2011 – 5 Ca 2580/10 – wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird die Beklagte verurteilt,
a) den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Montagearbeiter tatsächlich zu beschäftigen,
b) an den Kläger als Arbeitsvergütung für den Zeitraum 16.01.2011 bis 28.02.2011 3.862,29 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.882,35 Euro netto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21.03.2011,
c) als Arbeitsvergütung für den Zeitraum März und April 2011 5.149,72 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.509,80 Euro netto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 11.05.2011.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
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Mit seiner Klage wendet sich der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger, welcher seit dem Jahre 1993 bei dem beklagten Automobilwerk zuletzt als Montagearbeiter in der Produktion gegen eine monatliche Bruttovergütung von 2.574,86 € bei der Beklagten beschäftigt ist, gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 10.09.2010 (Bl. 8 d. A. ) und macht ferner nach Obsiegen im ersten Rechtszuge einen Anspruch auf vertragsgemäße Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits sowie Verzugslohnansprüche geltend.
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Die angegriffene Kündigung hat die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats und mit – nicht bestandskräftig gewordener – Zustimmung des Integrationsamtes auf der Grundlage folgenden, unstreitigen Sachverhalts ausgesprochen: Am 15.08.2010 – seinem letzten Urlaubstag – betrat der Kläger den Betrieb und schlug, nachdem er auf seine Frage, wo sich sein Ex-Kollege aufhalte, keine Antwort erhalten hatte, mit einem großen Vorschlaghammer drei Scheiben eines Meistercontainers ein. Bereits zuvor hatte er sämtliche Reifen am Fahrzeug des früheren Kollegen Y1 zerstochen. Auf Befragen gab der Kläger gegenüber dem Werkschutz an, Herr Y1 und sein alter Meister K1 hätte ihn in der Vergangenheit psychisch immer fertig gemacht. Unstreitig leidet der Kläger seit langem an einem psychischen Anfallsleiden. Ausgelöst wurde der vorstehend genannte Krankheitsschub durch das eigenmächtige Absetzen der verordneten Medikation.
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Die Beklagte hält aufgrund dieses Geschehens die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist für unzumutbar. Im Verhalten des Klägers liege zum einen eine Sachbeschädigung und erhebliche Betriebsfriedensstörung. Darüber hinaus rechtfertige sich die Kündigung auch unter dem Gesichtspunkt der fortbestehenden psychischen Erkrankung und der hiermit verbundenen Gefährdung der Mitarbeiter, da eine Wiederholung eines derartigen Anfalls nicht zuverlässig ausgeschlossen werden könne.
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Durch Urteil vom 12.01.2011 (Bl. 76 ff. der Akte), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.09.2010 nicht beendet worden ist. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, weder das Verhalten des Klägers vom 15.08.2010 noch die bestehende Erkrankung seien als wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB anzusehen. Allein die Tatsache, dass der Kläger am 15.08.2010 eine Sachbeschädigung verursacht habe, könne unter Berücksichtigung der langen Beschäftigungsdauer und des Fehlens einer Abmahnung eine fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen nicht rechtfertigen; dass der Kläger darüber hinaus Dritte bedrohen oder gar Tätlichkeiten habe begehen wollen, lasse sich dem Beklagtenvorbringen nicht entnehmen, weshalb auch eine nachhaltige Störung des Betriebsfriedens nicht angenommen werden könne. Dies gelte erst recht, sofern der Kläger am 15.08.2010 ohne Verschulden gehandelt haben sollte. Auch die Voraussetzungen einer personenbedingten fristlosen Kündigung seien nicht gegeben. Ein solcher Kündigungsgrund könne zwar vorliegen, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage sei, sein Verhalten zu steuern und weiter unberechenbar bleibe. Dass dies der Fall sei, lasse sich jedoch nicht feststellen. Hiergegen spreche bereits der Umstand, dass sich der Kläger wegen seiner rund 10 Jahre vorliegenden paranoiden Schizophrenie in ständiger ärztlicher Behandlung befunden habe und befinde, ohne dass der Kläger in der Folgezeit gegenüber der Beklagten oder gegenüber Arbeitskollegen auffällig geworden sei. Dementsprechend handele es sich beim Vorfall vom 15.08.2010 um eine Singularsituation, welche nicht die Annahme trage, der Kläger bleibe unberechenbar. Wie sich aus dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums ergebe, habe sich der Kläger im Verlauf seines Klinikaufenthalts kooperativ und freundlich gezeigt, die psychotische Symptomatik sei vollständig remittiert.
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Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält die Beklagte dem arbeitsgerichtlichen Urteil entgegen, zu Unrecht habe das Arbeitsgericht das Vorliegen eines “wichtigen Grundes” im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB verneint. Dies gelte zum einen, soweit das Arbeitsgericht allein auf den Gesichtspunkt der Sachbeschädigung abgestellt und eine konkrete Bedrohungssituation verneint habe. Schon der Umstand, dass der Kläger nach seinem ehemaligen Kollegen gefragt habe, von welchem er sich angeblich psychisch fertig gemacht fühlte, lasse erkennen, dass der Kläger, bewaffnet mit einem großen schweren Hammer, nunmehr Rache an dem Kollegen habe nehmen wollen. Unter diesen Umständen sei aber eine Abmahnung von vornherein ungeeignet gewesen, um den Kläger zu einem vertragsgerechten Verhalten zu veranlassen. Mit einer Hinnahme seines Verhaltens durch die Beklagte habe der Kläger ohnehin nicht rechnen können. Gleiches gelte für die Begründung des Arbeitsgerichts, das Verhalten des Klägers habe nicht zu einer nachhaltigen Störung des Betriebsfriedens geführt. Dies werde anschaulich dadurch belegt, dass der vom Kläger am fraglichen Tag angesprochene Mitarbeiter Hahn, von welchem der Kläger den Hammer ausgeliehen und welcher selbst den Vorgang beobachtet und den Werksschutz informiert habe, gegenüber der Beklagten erklärt habe, er habe Angst gehabt, als er sah, wie der Kläger mit dem Hammer die Scheiben des Meistercontainers zerschlagen habe. Soweit das Arbeitsgericht des Weiteren auf ein fehlendes Verschulden des Klägers hinweise, komme es hierauf nicht an, vielmehr könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch ein unverschuldetes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen. Unabhängig hiervon seien jedenfalls die Voraussetzungen für eine fristlose personenbedingte Kündigung gegeben, da auf der Grundlage der fortbestehenden psychischen Erkrankung ohne Weiteres mit einem Rückfall gerechnet werden müsse, wenn der Kläger – wie vor dem 15.08.2010 – die ärztlich verordneten Medikamente absetze. Wenn der Kläger seinerzeit – nach seinen Angaben wegen starker Nebenwirkungen – die verordnete Medikation abgesetzt und erklärt habe, er wolle nie mehr Medikamente einnehmen, sei auch nach der jetzigen Entlassung des Klägers aus der Klinik und der geänderten Medikation das Risiko einer Wiederholung nicht auszuschließen. Gerade die ärztliche Feststellung, dass das Verhalten des Klägers allein von der regelmäßigen Medikamenteneinnahme abhängig sei und der Kläger nur so zu einem steuerbaren und kontrollierten Verhalten in der Lage sei, belege, dass der Kläger auch zukünftig unberechenbar bleibe, da nicht kontrolliert werden könne, ob der Kläger seine Medikamente einnehme. Auch auf der Grundlage der aktuellen ärztlichen Stellungnahme vom 11.03.2011 sei im Übrigen festzuhalten, dass akute Schübe der Erkrankung des Klägers nicht auszuschließen seien und nur durch die regelmäßige Medikamenteneinnahme “weitere akute Schübe weitgehend zu vermeiden”, nicht jedoch vollständig auszuschließen seien. Damit gehe von der Person des Klägers eine wesentliche Gefahr nicht allein im Hinblick auf Sachbeschädigungen, sondern auch für Leib und Leben der Arbeitskollegen aus. Aus Gründen der Fürsorgepflicht sei die Beklagte gehalten, die Beschäftigten vor derartigen Risiken zu schützen. Demgegenüber könne es der Beklagten nicht zugemutet werden, abzuwarten, dass der Kläger zu einem zukünftigen Zeitpunkt erneut seine Medikamente absetze und dann zu Taten ansetze, deren Ausmaß nicht vorhersehbar sei.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.01.2011 – 5 Ca 2580/10 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen
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und legt ferner Anschlussberufung ein mit den Anträgen
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1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits als Montagearbeiter tatsächlich zu beschäftigen;
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2. die Beklagte zu verurteilen an ihn 3.862,29 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.882,35 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 5.149,72 € brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.509,80 €´netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Anschlussberufung zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, die Anschlussberufung des Klägers hingegen begründet.
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I. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ist das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung vom 10.09.2010 nicht beendet worden. Weder der Vorfall vom 15.08.2010 noch das beim Kläger vorliegende Anfallsleiden stellen einen “wichtigen Grund” im Sinne des § 626 BGB dar, welcher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
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1. Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen eines schuldhaften Verhaltens am 15.08.2010 scheidet zweifellos aus, da der Kläger – wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht – im Zuge eines akuten Krankheitsschubes handelte.
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2. Als Ansatz für ein schuldhaftes vertragswidriges Verhalten kommt damit allenfalls das eigenmächtige Absetzen der ärztlich verordneten Medikamente in Betracht. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ohne Weiteres erkennen konnte, zu welch massiven Folgen das Absetzen der Medikamente führen würde, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Anders als beim Rückfall eines Alkoholikers nach einer Therapiemaßnahme, in deren Verlauf der Suchtkranke über die Notwendigkeit vollständiger Abstinenz und der Rückfallgefahren belehrt wird, mussten dem Kläger die weitreichenden Folgen, welche sich aus dem Absetzen der Medikation ergaben, nicht ohne Weiteres bewusst sein. Dann scheidet aber eine Beurteilung des Vorfalls vom 15.08.2010 unter dem Gesichtspunkt einer schuldhaften Pflichtverletzung aus.
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3. Ob auch ein schuldloses Verhalten als Grundlage einer fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung herangezogen werden kann, wie dies nach der vom Arbeitsgerichts zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Betracht kommen soll (dagegen MünchKomm BGB/Henssler, 5. Aufl., § 626 Rdnr. 104), bedarf aus den nachfolgenden Gründen keiner abschließenden Beurteilung. Vorliegend geht es um ein einmaliges Verhalten vom 15.08.2010, welches unstreitig auf einem akuten Krankheitsschub beruht, nicht hingegen – wie im Fall wiederholter Beleidigungen – um laufende Verstöße gegen arbeitsvertraglichen Pflichten, welche auf einer krankhaft eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Arbeitnehmers beruhen und – trotz fehlenden Verschuldens – terminologisch den “verhaltensbedingten” Kündigungsgründen zugeordnet werden mögen. Auch nach dem Rechtsverständnis der Beklagten folgt die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnis nicht daraus, dass der Kläger – wenn auch schuldlos – zu vertragswidrigen Verhaltensweisen neigt und konkret am 15.08.2010 erheblichen Sachschaden angerichtet hat, vielmehr ist für die Entscheidung der Beklagten, das langjährige Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit sofortiger Wirkung zu beenden, der Gesichtspunkt der “Unberechenbarkeit” des Klägers und die hiermit verbundene Gefährdung von Beschäftigten maßgeblich. Stünde zweifelsfrei die Ausheilung der beim Kläger vorliegenden Erkrankung fest und wäre dementsprechend allein das Verhalten des Klägers am 15.08.2010 zu würdigen, träten die von der Beklagten in den Vordergrund gerückten Sicherheitsbedenken vollständig zurück. Jedenfalls unter diesen Umständen liegt kein Sinn darin, den Vorfall vom 15.08.2010 unter dem Gesichtspunkt einer verhaltensbedingten, jedoch nicht schuldhaften Pflichtverletzung zu würdigen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Vorschrift des § 626 Abs. 1 BGB allein auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses abstellt und eine umfassende Interessenabwägung fordert, erscheint ohnehin zweifelhaft, ob der aus § 1 KSchG übernommenen Unterscheidung zwischen verhaltens- und personenbedingten Kündigungsgründen ein besonderer Erkenntniswert zukommt. Vielmehr kommt es nach dem Standpunkt der Kammer und letztlich auch nach dem Standpunkt der Parteien entscheidend darauf an, inwiefern die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf das Risiko ausscheiden muss, dass – insbesondere bei eigenmächtigem Absetzen der verordneten Medikation – erneut zu einem Krankheitsschub und zu Übergriffen des Klägers kommen kann und hierbei auch eine Gefährdung von Sachwerten sowie Leib und Leben der Beschäftigten ausgeht. Damit ist die Frage des personenbedingten Kündigungsgrundes im Sinne eines krankheitsbedingten Eignungsmangels angesprochen.
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4. Auch unter dem Gesichtspunkt der personenbedingten Kündigung und eines krankheitsbedingten Eignungsmangels vermag die Kammer eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht anzunehmen.
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a) Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Beweislast für die maßgeblichen Kündigungsgründe den Arbeitgeber trifft. Dementsprechend führt eine krankheitsbedingte Kündigung – etwa wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten, langanhaltender Erkrankung oder wegen fehlender gesundheitlicher Eignung – nur zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn die volle und zweifelsfreie Überzeugung vom Vorliegen der behaupteten Kündigungsgründe gewonnen werden kann. Hierzu gehört auch der Gesichtspunkt der negativen Zukunftsprognose und damit der Wiederholungsgefahr.
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b) Die volle und zweifelsfreie Überzeugung, dass es beim Kläger – trotz ordnungsgemäßer Medikamenteneinnahme – zu einem erneuten Krankheitsschub kommen wird oder dass der Kläger wie vor dem Vorfall vom 15.08.2010 eigenmächtig seine Medikamente absetzt und hierdurch ein Rückfall provoziert wird, lässt sich aufgrund der vorliegenden ärztlichen Befunde nicht gewinnen. Auch die Beklagte trägt keinen belastbaren Erfahrungssatz in dem Sinne vor, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit komme es bei derartigen Erkrankungen zu Rückfällen trotz Einnahme der verordneten Medikamente. Ebenso wenig kann allein in dem Umstand, dass der Kläger in der Vergangenheit einmal eigenmächtig die verordneten Medikamente abgesetzt hat und in diesem Zusammenhang erklärt hat, er wolle nie mehr Medikamente nehmen, kein beweiskräftiges Indiz dafür gesehen werden, der Kläger werde auch in Zukunft sich über die ärztlichen Verordnungen hinwegsetzen und – etwa bei Auftreten unangenehmer Nebenwirkungen – erneut von der Einnahme der Tabletten absehen. Weder genügt das seinerzeit gezeigte Verhalten des Klägers zur Annahme intellektueller Defizite oder Uneinsichtigkeit, noch kann dem Kläger widerlegt werden, dass er bei seiner früheren Entscheidung, die verordneten Medikamente abzusetzen, mit derart weitreichenden Folgen – einem massiven Krankheitsschub – nicht gerechnet hat. Die volle und zweifelsfreie Überzeugung, der Kläger sei uneinsichtig und werde durch ein erneutes Absetzen der Medikamente einen erneuten Vorfall herbeiführen, lässt sich auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht treffen.
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c) Von der positiven Feststellung der konkreten Wiederholungsgefahr zu unterscheiden, ist allerdings der Gesichtspunkt berechtigter Sicherheitsbedenken. Ist die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit mit besonderen Risiken verbunden, mit der Folge, dass schon ein einmaliges, auch krankheitsbedingtes, Versagen zu weitreichenden Gefahren für die Beschäftigten, die Betriebsanlagen und die Allgemeinheit darstellt und führt nach dem maßgeblichen Krankheitsbild schon das Auftreten psychischer Belastungsfaktoren zu einer Destabilisierung der Psyche und Verhaltensänderung, so kann sich hieraus ein ausreichender Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt bestehender Sicherheitsbedenken und fehlender Eignung des Arbeitnehmers ergeben. Erfordert die auszuübende Tätigkeit unbedingt das Vorhandensein einer stabilen Psyche ohne die krankheitsbedingte Gefahr von Ausfallerscheinungen, so führt nicht erst die mehr oder minder geringe Wahrscheinlichkeit einer psychischen “Entgleisung”, sondern die diesbezügliche krankheitsbedingte Disposition des Arbeitnehmers zu einem nicht behebbaren Eignungsmangel (LAG Hamm, 19.09.2005, 8 Sa 2213/03 (JURIS) – psychische Erkrankung mit Suizidneigung eines Main-Operators in Chemiefabrik).
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Diese Grundsätze lassen sich indessen auf die hier vorliegende Fallgestaltung ersichtlich nicht übertragen. Weder ist die Tätigkeit des Klägers im Betrieb der Beklagten mit dem verantwortlichen Einsatz in einem Chemiewerk zu vergleichen, bei welchem eine – krankheitsbedingt veranlasste – Herbeiführung einer Produktionsstörung weitreichende Folgen für die Allgemeinheit nach sich ziehen kann, noch bietet die dem Vorfall vom 15.08.2010 zugrundeliegende Fehlhandlung des Klägers – Absetzen der Medikation wegen unerwünschter Nebenwirkungen – Anlass für die Einschätzung, die psychische Situation des Klägers sei derartig instabil, dass er die Folgen des Absetzens der Medikation nicht mehr erkennen könne oder diese ihm wegen seiner labilen Psyche oder Suizidneigung letztlich gleichgültig seien. Dass der Kläger die Medikamente abgesetzt hat, erklärt sich aus dem Ziel, die genannten Nebenwirkungen zu vermeiden, und der fehlenden Abschätzbarkeit der sich hieraus ergebenden Folgen, nicht hingegen aus einer instabilen psychischen Verfassung und damit einer spezifischen, krankheitsbedingten Unberechenbarkeit. Damit scheidet aber eine Einordnung des Kündigungssachverhalts unter dem Gesichtspunkt des krankheitsbedingten Eignungsmangels aufgrund entsprechender Sicherheitsbedenken aus. Vielmehr muss es bei dem Grundsatz bleiben, dass die von der Beklagten behauptete konkrete Wiederholungsgefahr in geeigneter Weise nachzuweisen ist. Weder aufgrund der vorgetragenen Indiztatsachen noch aufgrund der vorgelegten Arztunterlagen lässt sich aber die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger erneut durch Absetzen der verordneten Medikamente einen Krankheitsanfall provoziert.
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d) Auch wenn die Kammer sehr gut nachvollziehen kann, dass die Beklagte im Interesse der Beschäftigten darum bemüht ist, alle denkbaren Gefahren weitestgehend auszuschließen, bleibt zu beachten, dass sich die von der Beklagten beschworene Wiederholungsgefahr nicht auf die Beschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten beschränkt, sondern in gleicher Weise jedwede andere berufliche Tätigkeit, das Wohnen in einem Mehrfamilienhaus und die Teilnahme am sozialen Leben überhaupt betrifft. Wollte man die abstrakte Sorge der Beklagten um das Wohl ihrer Beschäftigten ausreichen lassen, um eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anzunehmen, so müsste aus denselben Gründen dem Kläger jedwede Arbeitsaufnahme und Teilnahme am sozialen Leben versagt bleiben. Unter Einbeziehung dieser Umstände führt die gebotene Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die angegriffene Kündigung vom 10.09.2010 nicht als gerechtfertigt angesehen werden kann.
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II. Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig und begründet.
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1. Gegen die Zulässigkeit der Anschlussberufung bestehen unter den hier vorliegenden Umständen keine Bedenken. Die gerichtliche Entscheidung über den verfolgten Weiterbeschäftigungsanspruch und die geltend gemachten Zahlungsansprüche hängt allein von der Vorfrage des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ab, die Nachprüfung neuer Tatsachen (vgl. § 533 ZPO) ist entbehrlich.
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2. Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger für die Dauer des Rechtsstreits arbeitsvertragsgemäß weiter zu beschäftigen.
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3. Weiter folgt aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges seit dem 16.01.2011 zu zahlen. Der Kläger hat hierzu die Grundlagen der Vergütungsberechnung wie auch die Höhe der vom Arbeitsamt bezogenen Leistungen angegeben. Für den Monat Januar 2011 (ab dem 16.01.2011) kann der Kläger die halbe Januarvergütung sowie für die Monate Februar, März und April 2001 die jeweils volle Monatsvergütung von je 2.574,86 € brutto abzüglich des bezogenen Arbeitslosengeldes in angegebener Höhe verlangen.
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Zinsen stehen dem Kläger jeweils seit Rechtshängigkeit zu.
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III. Die Kosten des Rechtsstreits hat insgesamt die Beklagte zu tragen.
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IV. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.