BGH, Urteil vom 22.12.2011 – VII ZR 136/11
Zur Haftung des Tierarztes wegen mangelhaft durchgeführter Ankaufuntersuchung
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 26. Mai 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, einem Tierarzt, Schadensersatz wegen einer mangelhaft durchgeführten Ankaufsuntersuchung.
Die Klägerin erwarb im September 2008 die Stute …. zum Kaufpreis von 2.000 €, nachdem der Beklagte zuvor in ihrem Auftrag eine Ankaufsuntersuchung durchgeführt hatte. In dem Untersuchungsprotokoll ist vermerkt:
„Verhalten: lebhaft; Atemruhefrequenz: 18/Minute; Palpation des Rückens: erhöhte Drucksensibilität BWS/LWS; Bewegungsapparat/Ruheuntersuchung/Sehnen/Muskeln: verändert, schwach bemuskelt.“
Einige Wochen nach Abschluss des Kaufvertrags stellte eine Tierärztin eine geringgradige Lahmheit hinten rechts, eine Taktunsauberkeit vorne links und eine auf Druck schmerzhafte arthrotische Rückenmuskulatur fest. Im Mai 2009 bescheinigte ein weiterer Tierarzt eine spontane Lahmheit vorne rechts und typische Symptome einer RAO (recurrent airway obstruction).
Die Klägerin leitete zunächst ein selbständiges Beweisverfahren gegen die Verkäuferin ein, machte aber anschließend gegen diese keine Gewährleistungsansprüche geltend.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die bereits zum Zeitpunkt der Ankaufsuntersuchung vorliegenden gesundheitlichen Probleme des Pferdes nicht erkannt. Er habe sie daher so zu stellen, als hätte sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 8.225,77 € (Kaufpreis, Aufwendungen für Eigentumsumschreibung, Haftpflichtversicherung, Beritt, Hufschmied, tierärztliche Behandlungen, Futter und Unterbringung, Gerichts- und Anwaltskosten für das selbständige Beweisverfahren) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums an dem Pferd zu zahlen. Darüber hinaus hat sie beantragt festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Abnahme der Stute in Annahmeverzug befinde und er bis zur Übergabe des Pferdes verpflichtet sei, die Futter- und Unterhaltskosten zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in RdL 2011, 208 abgedruckt ist, vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe ein werkvertraglicher Schadensersatz nach § 634 Nr. 4, § 280 BGB nicht zu.
Es könne dahinstehen, ob der Beklagte gegen seine Pflichten bei der Ankaufsuntersuchung verstoßen habe. Denn eine eventuelle Haftung des Beklagten sei gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin nachrangig. Verkäuferin und Tierarzt hafteten nicht gesamtschuldnerisch, weil es an der Gleichstufigkeit ihrer Verpflichtungen fehle. Denn die Klägerin könne von der Verkäuferin Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses verlangen, während der beklagte Tierarzt Ersatz des Vertrauensschadens schulde. Darüber hinaus stünden sich aus Gläubigerperspektive im Außenverhältnis die Schuldner nicht gleichwertig gegenüber. Denn Verkäuferin und Tierarzt stünden bezogen auf das Kaufgeschäft nicht im selben Lager und verfolgten kein gemeinsames Interesse.
Unabhängig davon sei die Haftung des Beklagten auch gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1, § 242 BGB gegenüber derjenigen der Verkäuferin nachrangig. Diese sei näher am Schadensgeschehen. Das Schwergewicht der Vertragsverhältnisse liege bei dem Kaufvertrag, während dem Werkvertrag nur eine Beratungsfunktion zukomme. Der untersuchende Tierarzt habe an dem Vorliegen des bereits zuvor in der Sphäre der Verkäuferin entstandenen Mangels keinen Anteil. Es sei daher sachnäher, zunächst die Rückabwicklung des Kaufvertrags zu betreiben und damit den Vermögensschaden von der Käuferin abzuwenden. Betrachte man das Verhältnis zwischen dem geltend gemachten Schaden und den Kosten der Ankaufsuntersuchung in Höhe von 110 €, sei der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm abzuverlangen, zunächst Gewährleistungsansprüche gegen die Verkäuferin geltend zu machen. Ansprüche gegen den Tierarzt könnten deshalb nur bestehen, soweit das von ihm geschuldete negative Interesse das von der Verkäuferin auszugleichende positive Interesse übersteige. Dies sei hier nicht der Fall.
II.
Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Abweisung der Klage durch das Landgericht bestätigt hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Für das Revisionsverfahren ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der Beklagte entsprechend dem Vortrag der Klägerin seine Pflichten aus dem Vertrag über die Ankaufsuntersuchung verletzt, insbesondere das Pferd mangelhaft untersucht und deshalb die bei ihm vorliegenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht festgestellt hat.
2. Bei diesem unterstellten Sachverhalt hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten verneint.
a) Noch zutreffend stellt das Berufungsgericht fest, dass der Tierarzt bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes nicht nur verpflichtet ist, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er seinem Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres, mitzuteilen hat. Der mit der Ankaufsuntersuchung beauftragte Tierarzt schuldet einen fehlerfreien Befund. Erfüllt er insoweit seine Pflichten nicht, haftet er, weil der Vertrag als Werkvertrag einzuordnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 – VII ZR 174/81, BGHZ 87, 239), gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Schadens, der bei dem Vertragspartner dadurch entstanden ist, dass er das Pferd aufgrund des fehlerhaften Befundes erworben hat. In der Revision ist zu unterstellen, dass der für das Pferd gezahlte Kaufpreis und die weiteren infolge des Kaufvertrags von der Klägerin getätigten Aufwendungen ersatzfähige Schäden sind.
b) Das Berufungsgericht nimmt an, dass der Beklagte der Klägerin deshalb nicht zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil die eventuelle Haftung des Tierarztes gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin nachrangig sei und eine gesamtschuldnerische Haftung beider daher nicht in Betracht komme.
aa) Das ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Beklagte der Klägerin auch dann auf Schadensersatz haften würde, wenn eine Gesamtschuld nicht vorläge. In diesem Fall würde sich allenfalls die Frage stellen, ob der Beklagte gemäß § 255 BGB die Abtretung der Ansprüche gegen den Verkäufer verlangen könnte.
bb) Im Übrigen geht das Berufungsgericht auch rechtsirrtümlich davon aus, dass zwischen dem Beklagten und der Verkäuferin keine Gesamtschuld besteht.
Die Verpflichtungen der Verkäuferin auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und des beklagten Tierarztes auf Ersatz des der Klägerin infolge des Abschlusses des Kaufvertrags entstandenen Vermögensschadens stehen gleichstufig nebeneinander. Die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen ergibt sich daraus, dass sowohl die Verkäuferin als auch der Beklagte für den infolge der Kaufpreiszahlung entstandenen Vermögensnachteil aufzukommen haben und auch die Kosten für den Unterhalt des Pferdes mit einer Geldzahlung ersetzen müssen, ohne dass einer der Schuldner nur subsidiär oder vorläufig für die andere Verpflichtung einstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2006 – VI ZR 136/05, NJW 2007, 1208). Auf die Einordnung als Rückzahlung gemäß § 346 BGB beziehungsweise als Verwendungsersatz gemäß § 347 Abs. 2 BGB oder als Schadensersatz kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses oder des positiven Interesses geltend gemacht wird. Auch ist unerheblich, dass die Verkäuferin möglicherweise trotz fehlenden Verschuldens haftet, während die Haftung des Beklagten Verschulden voraussetzt. Gleiches gilt für den Umstand, dass Verkäuferin und Tierarzt, bezogen auf das Kaufgeschäft, nicht im selben Lager stehen und kein gemeinsames Interesse verfolgen. Ohne Belang ist auch, dass beide unterschiedliche Hauptleistungspflichten zu erfüllen haben. Entscheidend ist allein, dass sowohl die Verkäuferin als auch der beklagte Tierarzt verpflichtet sind, die entsprechenden Aufwendungen zu ersetzen und damit ein inhaltsgleiches Gläubigerinteresse zu befriedigen. Beide haben für die Beseitigung des gleichartigen Vermögensnachteils einzustehen, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass jeder von ihnen seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 1965 – GSZ 1/64, BGHZ 43, 227, 230; Urteil vom 19. Dezember 1968 – VII ZR 23/66, BGHZ 51, 275, 277). Daran ändern auch die Erwägungen nichts, mit denen das Berufungsgericht eine größere Sachnähe der Verkäuferin begründen will. Diese Erwägungen lassen im Übrigen unberücksichtigt, dass der Tierarzt mit einem fehlerhaften Befund zur Ankaufsuntersuchung die eigentliche Ursache für den Ankauf gesetzt haben kann und bagatellisieren damit zu Unrecht die Aufklärungsfunktion der Ankaufsuntersuchung.
c) Das Urteil des Berufungsgerichts wird schließlich auch nicht von der Erwägung getragen, die Klägerin müsse gemäß §§ 242, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zunächst die Verkäuferin in Anspruch nehmen. Dem Gläubiger steht es frei, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Ihm kann deshalb grundsätzlich nicht als Verschulden bei der Obliegenheit zur Schadensminderung angelastet werden, den Schuldner seiner Wahl in Anspruch genommen zu haben. Allerdings darf der Gläubiger bei seiner Entscheidung, gegen welchen Schuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben, § 242 BGB. So kann der Auftraggeber ausnahmsweise gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Unternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen kann (BGH, Urteil vom 2. Mai 1963 – VII ZR 171/61, BGHZ 39, 261, 264). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt auch dann vor, wenn der Gläubiger sich nur deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern halten und ihm das Regressrisiko aufbürden würde, weil er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – VII ZR 5/06, BauR 2007, 1875 = NZBau 2007, 721 = ZfBR 2007, 784).
Der Senat muss abschließend nicht entscheiden, inwieweit es auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Pferd letztlich an den Verkäufer zurückzugeben sein dürfte, geboten sein kann, den Verkäufer zunächst auf Rückabwicklung des Vertrages in Anspruch zu nehmen. Das wäre jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn die Rückabwicklung der einfachere und jedenfalls nicht aufwändigere Weg der Schadloshaltung wäre (vgl. Staudinger/Noack, BGB, 2005, § 427 Rn. 29). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Verkäuferin ist nicht bereit, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pferdes den Kaufpreis zurückzuzahlen und der Klägerin die notwendigen Verwendungen auf das Tier zu ersetzen. Zu einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Verkäuferin ist die Klägerin vor einer Inanspruchnahme des Beklagten gemäß § 242 BGB nicht verpflichtet. Unerheblich ist der Umstand, dass die Klägerin gegen die Verkäuferin ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hat. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Verkäuferin meidet und diese mit dem Beklagten sucht. Welche Kosten die Ankaufsuntersuchung verursacht hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.