Landgericht Berlin, Urteil vom 16. Juni 2016 – 67 S 76/16
Landgericht Berlin: Baulärm kann zur Mietminderung berechtigen
Die Zivilkammer 67 des Landgerichts hat in einem gestern verkündeten Urteil die Minderung von Miete für eine Wohnung, die nach dem Einzug der Mieterin von erheblichen Bauimmissionen auf einem Nachbargrundstück betroffen war, für die Dauer der Baumaßnahmen für gerechtfertigt gehalten.
Die Mieterin hatte den Mietvertrag über die in Berlin-Mitte gelegene Wohnung im Jahr 2000 geschlossen. Zu jener Zeit war in der Nachbarschaft eine mit Bäumen bewachsene Baulücke vorhanden gewesen. Zwischen 2013 und 2015 wurden auf diesem Grundstück eine Tiefgarage und ein Gebäude errichtet und dadurch erhebliche Bauimmissionen verursacht. Die Mieterin verlangte nunmehr mit ihrer Klage knapp 950,00 EUR – entsprechend gut 20 Prozent der bereits an die Vermieterin gezahlten vollen Miete für die Monate Juni 2014 bis März 2015 – zurück.
Das Amtsgericht hat die Klage der Mieterin bis auf einen geringen Teilbetrag abgewiesen. Mit ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hatte die Mieterin nunmehr Erfolg: Die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin war der Auffassung, dass die Mieterin wegen der Bauimmissionen (Lärm, Staub und Erschütterungen nicht nur wochentags, sondern zeitweise auch am Wochenende) die Miete mindern durfte und die Höhe von geringfügig mehr als 20 Prozent angesichts der Beeinträchtigungen angemessen sei. Bei Vertragsschluss hätten die Mietvertragsparteien stillschweigend vereinbart, dass die Wohnung den üblichen Mindeststandard, der auch ein gesundheitlich unbedenkliches Wohnen gewährleiste, einhalte. Zwar seien gerade in Großstädten Baumaßnahmen nicht unüblich, doch selbst in Berlin sei die ganz überwiegende Mehrzahl der Mietwohnungen von solchen Beeinträchtigungen nicht betroffen. Der mithin konkludent vereinbarte Standard sei während der Bauphase bei Weitem unterschritten worden. Auch der Umstand, dass der Vermieter über keine rechtlichen Möglichkeiten verfüge, die Beeinträchtigungen abzuwehren oder von dem Nachbarn eine Entschädigung zu verlangen, ändere nichts.
Die sog. „Bolzplatzentscheidung“ des Bundesgerichtshofs (Aktenzeichen VIII ZR 197/14, veröffentlicht in NJW 2015, 2177) sei nicht einschlägig. Danach seien zwar unter bestimmten Voraussetzungen zu Lasten des Mieters nach Vertragsschluss auftretende Immissionen nicht zu berücksichtigen. Jedoch habe der Bundesgerichtshof in jenem Fall den Vertrag ergänzend ausgelegt. Hier dagegen sei eine solche ergänzende Vertragsauslegung nicht zulässig, weil die Parteien stillschweigend vereinbart hätten, dass keine erheblichen und die Gesundheit beeinträchtigenden Bauimmissionen aufträten. Zudem habe es sich in jenem Fall um eine dauerhafte Veränderung des Wohnumfeldes gehandelt, während es hier um eine nur vorübergehende Veränderung gegangen sei.
Der Mieterin könne schließlich auch nicht vorgeworfen werden, sie habe die Möglichkeit der Bauimmissionen grob fahrlässiger übersehen und deshalb das Recht zur Minderung verloren. Zwar sei bei Mietvertragsschluss im Jahre 2000 die Baulücke vorhanden gewesen. Wenn die Mieterin damals an eine spätere Bebauung nicht gedacht habe, so könne ihr allenfalls einfache Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Dies reiche für einen Gewährleistungsausschluss aber nicht aus.
Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Quelle: Pressemitteilung 32/2016 des LG Berlin vom 17.06.2016