Zur Reichweite der Beobachtungspflicht von Übungsleitern einer Kinderturnstunde

LG Kaiserslautern, Urteil vom 04.04.2006 – 1 S 145/05

Zur Reichweite der Beobachtungspflicht von Übungsleitern einer Kinderturnstunde

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 17. Oktober 2005 (7 C 477/05) abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:

1. Die Beklagten zu 1. bis 3. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.000,00 EURO “Schmerzensgeld aus dem Unfallgeschehen vom 09.11.2004″ zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, die Beklagten zu 1. und 2. seit dem 20. April 2005, die Beklagte zu 3. seit dem 01. Juli 2005.

2. Die Beklagten zu 1. bis 3. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 82,00 EURO “an Fahrtkosten und Behandlungskosten” zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. bis 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger eventuelle zukünftige immaterielle Schäden aus dem Schadensereignis vom 09. November 2004 zu ersetzen.

4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger “nicht festsetzbare außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 207,93 EURO” zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz fallen den Beklagten zu 1. bis 3. als Gesamtschuldnern zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird insgesamt auf bis zu 4.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

1

Von Ausführungen nach Maßgabe des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a ZPO abgesehen (vgl. hierzu auch Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 540 Rdzi. 5).

II.

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Das Rechtsmittel des Klägers ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

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(1) Die Beklagten zu 1. bis 3. sind dem Kläger dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet. Sie haften für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallereignisses aus dem Recht der unerlaubten Handlung als Gesamtschuldner (§§ 823 ff., 840 Abs. 1 BGB). Die Einstandspflicht des Beklagten zu 1. folgt aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn die Beklagten zu 2. und 3. waren Verrichtungsgehilfen im Sinne der genannten Vorschrift und haben dem Kläger in Ausführung einer ihnen übertragenen Verrichtung widerrechtlich Schaden zugefügt. Einen Sachverhalt, der zu einer Exkulpation nach Maßgabe des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB führen könnte, hat der Beklagte zu 1. schon nicht hinreichend vorgetragen. Dafür reicht die hier allein erfolgte Vorlage von Sachkundezeugnissen bzw. der bloße Hinweis auf ausreichende Sachkunde des Verrichtungsgehilfen nicht aus. Vielmehr muss der Geschäftsherr bei schadensgeneigten Tätigkeiten des Gehilfen auch darauf verweisen können, sich durch geeignete Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen von einer tatsächlichen Umsetzung der vorhandenen Sachkunde überzeugt zu haben (vgl. etwa Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 31. März 2005, Az.: 8 U 837/03). Die Haftung der Beklagten zu 2. und 3. ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB, nachdem eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung adäquat kausal zu einem Sturz des Klägers und einer damit verbundenen Verletzung geführt hat. Die Minderjährigkeit der Beklagten zu 3. steht ihrer Einstandspflicht nicht entgegen. Denn ein Mangel an Einsicht im Sinne des § 828 Abs. 3 BGB ist weder behauptet worden noch bei der Vernehmung der Beklagten zu 3. zu Tage getreten.

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(a) Eine Verletzung der Aufsichtspflicht lag nicht nur dann vor, wenn man – wozu die Kammer neigt – die Auffassung vertreten will, dass bis zu einem “Wieder-Hochziehen” der Ringe unter die Hallendecke eine – unstreitig nicht erfüllte – “Präsenz-” oder doch zumindest ständige Beobachtungspflicht für den Übungsleiter oder einen von ihm ausgewählten und entsprechende Gewähr bietenden Dritten bestanden hätte, um auf diese Weise dem Reiz des frei zugänglichen Geräts einerseits und dem Spieltrieb und der nur unzureichenden Fähigkeit zur Einschätzung von Gefahren bei Kindern im Alter des Klägers andererseits angemessen Rechnung zu tragen.

5

(b) Eine Haftung ist vielmehr auch dann gegeben, wenn man geringere Anforderungen an die Aufsichtspflicht bzw. deren Erfüllung stellen will.

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(aa) Auch in diesem Fall ist es nach dem Vortrag des Klägers, den dieser – als Zeuge vernommen (vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach, ZPO, 64. Aufl., Übersicht § 373 Rdzi. 19 und 21) – in uneingeschränkt überzeugender Weise bestätigt hat und dem die Kammer deshalb folgt, durch ein Unterlassen der Beklagten zu 2. und 3., das als pflichtwidrig und fahrlässig zu qualifizieren ist, zu einer Körperverletzung des Klägers gekommen.

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Mit der Übernahme der Leitung der Turnstunde hatten die Beklagten zu 2. und 3. eine Garantenstellung übernommen, die sie dazu verpflichtete, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass den beteiligten Kindern keine gesundheitlichen Schäden entstehen. Dieser Verpflichtung sind die Beklagten zu 2. und 3. indessen nicht hinreichend nachgekommen. Obwohl ein Geschehensablauf, wie er sich nach der Darstellung des Klägers ereignet hat, im Bereich des Voraussehbaren lag, wurden die Kinder an der “Ringestation” schon nicht im notwendigen Umfang angewiesen. Es hätte nämlich – zumindest – eine klare Anweisung erteilt werden müssen, dass ein Anstoßen des jeweils an den Ringen schaukelnden Kindes durch ein anderes Kind zu unterbleiben habe. Denn ein solches Anstoßen war gefahrenträchtig, da bei Kindern im Alter der an der Übungsstunde teilnehmenden damit gerechnet werden muss, dass ein “Anschubsen” – wegen des Fehlens der Fähigkeit zur richtigen Einschätzung – auch einmal zu fest und/oder zur Unzeit – also etwa dann, wenn das an den Ringen schwingende Kind gerade abspringen will – erfolgt. Diese Gefahrenträchtigkeit war ebenso voraussehbar, wie der Umstand, dass es überhaupt zu einem Anstoßen kommen würde. Denn Letzteres ist ein für Kinder in dem Alter der Gruppe des Klägers ganz und gar übliches, ihrem Spieltrieb und ihrem Übermut entsprechendes Verhalten. Dass eine solche Anweisung klar und unmissverständlich erteilt worden wäre, haben die Beklagten schon nicht behauptet. Allein die von ihnen schriftsätzlich vorgetragenen Anweisungen waren inhaltlich nicht ausreichend. Dies gilt auch für die Weisung, die Matten erst nach Beendigung der Übung des Vorgängers zu betreten. Aber selbst bei einer anderen Bewertung bliebe es bei einem haftungsbegründenden Versäumnis der Beklagten zu 2. und 3.. Denn jedenfalls lag die gegebene Anweisung zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens rund eine Stunde zurück und deshalb war es naheliegend, dass sie von den turnenden Kindern zwischenzeitlich vergessen worden war. Vor diesem Hintergrund hätte es in jedem Fall einer – indessen schon nicht behaupteten – Wiederholung der Anweisung in deutlich unter einer Stunde liegenden Abständen bedurft.

8

(bb) Demgegenüber haben die Beklagten zwar einen Sachverhalt vortragen lassen, der – bei Zugrundelegung eines geringeren Maßstabes an die Aufsichtspflicht als nach Maßgabe der Ausführungen unter (a) – eine Haftung entfallen ließe (vgl. in diesem Zusammenhang auch LandesSportBund NRW e. V., Aufsichtspflicht bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, VIBSS-Online). Und die Beklagte zu 2. hat im Rahmen ihrer Anhörung gemäß § 141 ZPO diesen Sachverhalt auch “bestätigt”. Doch kann allein auf ihre Ausführungen eine Überzeugungsbildung nicht gestützt werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH, Beschluss vom 26. März 1997, Az.: IV ZR 91/96, sowie OLG Hamm, Urteil vom 28. August 1997, Az.: 6 U 202/96). Zudem hat die Beklagte zu 3. – weil minderjährig als Zeugin vernommen (vgl. erneut Baumbach/Lauterbach a.a.O.) – den Sachverhalt in seinem entscheidenden Teil gerade nicht bestätigen können. Die Zeugin musste einräumen, gerade nicht beobachtet zu haben, dass die Anweisung ihrer Mutter, die Ringe zu verlassen und nicht wieder an diese zurückzukehren, verstanden und – jedenfalls zunächst – befolgt worden wäre. Eine Situation, in der die Beklagte zu 2. hätte gewiss sein können, dass ihr alle Kinder an der “Ringestation” zugehört, ihre Anweisung verstanden und begonnen hatten, sich ihr entsprechend zu verhalten, vermochte die Zeugin jedenfalls nicht zu schildern.

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(2) Anknüpfend hieran kann der Kläger von den Beklagten Bezahlung eines Schmerzensgeldes verlangen (§ 253 Abs. 2 BGB) und dies in Höhe eines Betrages von 3.000,00 EURO. Denn auf der Grundlage des – nur teilweise und insoweit unsubstantiiert bestrittenen – Vorbringens des Klägers zu der von ihm erlittenen Verletzung und deren Folgen einschließlich besonderer Komplikationen im Heilungsverlauf erscheint die Zuerkennung dieses Betrages zur Schaffung von Ausgleich und Genugtuung einerseits geboten, andererseits aber auch ausreichend.

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Darüber hinaus kann der Kläger Ersatz des ihm entstandenen materiellen Schadens in unstreitiger Höhe von 82,00 EURO beanspruchen (§ 249 Abs. 2 BGB).

11

Die Begründetheit der begehrten Feststellung (§ 256 ZPO) folgt daraus, dass die erlittene Verletzung unstreitig zu einer “deutlichen Verkürzung und Dislokation des Knochenschafts” geführt hat, so dass Spätfolgen nicht als ausgeschlossen betrachtet werden können (vgl. in diesem Zusammenhang BGH MDR 2001, 764, VersR 1991, 779, und NJW-RR 1989, 1367).

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Und schließlich sind auch “nicht festsetzbare außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten” zu erstatten (§ 249 Abs. 2 BGB; Palandt, BGB, 64. Auflage, § 249 Randzi . 38 und 39). Der Höhe nach ist der verlangte Betrag von 207,93 EURO nicht zu beanstanden. Denn die Zugrundelegung eines Gesamtstreitwertes von bis zu 4.000,00 EURO ist gerechtfertigt.

13

(3) Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

14

(4) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

15

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO n.F..

16

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

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