Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31.01.2012 – 9 U 128/11
Wegen des aus § 5 Sparkassenverordnung Sachsen-Anhalt folgenden Kontrahierungszwangs können Sparkassen sog. Girokonten auf Guthabenbasis nur aus wichtigem Grund kündigen. Das gilt selbst dann, wenn eine ordentliche (Änderungs-) Kündigung lediglich der Anpassung der Kontoentgelte dienen soll.(Rn.26)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das (Schluss-)Urteil des Landgerichts Halle vom 19. Mai 2011 – 6 O 1226/10 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit von Änderungskündigungen, die die Beklagte mit dem Ziel ausgesprochen hat, die Kontoführungsgebühren gegenüber Verbrauchern anzupassen, die einen erhöhten Bearbeitungsaufwand verursachen.
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Der Kläger ist ein Verbraucherverein, der in die Liste der „qualifizierten Einrichtungen“ beim Bundesamt für Justiz eingetragen ist.
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Die Beklagte ist eine Sparkasse. Sie versandte ab April 2010 an einzelne Girokunden Angebote, die Konten zu einem erhöhten Entgelt weiterzuführen. Zur Begründung teilte sie mit, dass die Aufwendungen für die Führung der Konten über dem Durchschnitt lägen und das bisher erhobene – dem Preisaushang entsprechende – Entgelt nicht mehr auskömmlich sei. Für den Fall, dass der Kunde der Änderung nicht zustimme, werde das Girokonto gekündigt. Exemplarisch wird auf die an die Kundin M. B. versandten Schreiben vom 20.04.2010 (Anlage „Antrag 1“; Bd. I, Bl. 18 d. A.), vom 11.05.2010 (Anlage „Antrag 2“; Bd. I, Bl. 19 d. A.) und vom 17.06.2010 (Anlage „Antrag 3“; Bd. I, Bl. 20 d. A.) Bezug genommen. Mit der Klageerwiderung gab die Beklagte eine strafbewehrte Teil-Unterlassungserklärung ab und verpflichtete sich, „mit dem Angebot zur Vertragsänderung bezogen auf das Kontoführungsentgelt eines Zahlungsdiensterahmenvertrages mit Verbrauchern den Verbrauchern […] auf die Folgen seines Schweigens sowie auf das Recht zur kostenfreien und fristlosen Kündigung hinzuweisen“. Zugleich erkannte sie die vorgerichtlichen Abmahngebühren an. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
4
Nach einem vorangehenden Teilanerkenntnisurteil verpflichtete das Landgericht die Beklagte in der angefochtenen Entscheidung, Änderungskündigungen zum Zwecke der Entgeltanpassung auszusprechen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass das Verhalten der Beklagten irreführend sei, weil beim Kunden der Eindruck erweckt werde, das Kreditinstitut sei zur Preiserhöhung berechtigt. Tatsächlich setze dies jedoch eine – von der Zustimmung des Verbrauchers abhängige – Vertragsänderung voraus. Im Übrigen könne die Beklagte wegen ihres Kontrahierungszwangs keine Änderungskündigungen aussprechen, weil ihr eine Fortführung des Vertrages unter Abwägung der wechselseitigen Interessen nicht unzumutbar sei.
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Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Damit stellt sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens klar, dass es bei dem Konto der Kundin M. B. nicht um die Umstellung eines Giro- auf ein Pfändungskonto gehe, sondern um eine Preisanpassung wegen überdurchschnittlichen Kontoführungsaufwandes. Nach den Sparkassen-AGB (Anlage K6, Bd I Bl. 26ff) dürften Änderungsangebote unterbreitet werden, die vom Preisaushang abwichen. Bei der Gestaltung der Entgelte sei die Beklagte bis zu Grenzen der Sittenwidrigkeit frei und unterliege keiner gerichtlichen Überprüfung. Insbesondere sei es zulässig, die Höhe der Vergütung an den Umfang der ausgeübten Tätigkeiten anzuknüpfen. Das verlangte Entgelt (zuletzt 10,00 EUR) läge nur unwesentlich über der durchschnittlichen Gebühr für kostenpflichtige Girokonten in Deutschland (7,26 EUR).
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Das Landgericht beschränke sich darauf, die Entgeltberechtigung und das Kündigungsrecht jeweils isoliert zu prüfen. Ein Verstoß gegen Verbraucher schützende Vorschriften werde daraus jedoch nicht hergeleitet. Giroverträge dürften ohne Angabe von Gründen ordentlich gekündigt werden. Dies gelte trotz des Kontrahierungszwangs im Wesentlichen auch für Sparkassen. Diese Kreditinstitute seien jedenfalls nicht verpflichtet, ein Girokonto kostenfrei oder dauerhaft günstig zur Verfügung zu stellen. Mit einer monatlichen Gebühr von zuletzt 10,00 EUR werde der Anspruch auf ein „Konto für jedermann“ nicht untergraben. Dieser Preis trage auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot Rechnung.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage unter Abänderung des am 19.05.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Halle zum Az.: 6 O 1226/10 abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil. Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weist er darauf hin, dass ein bestehender Vertrag nur durch eine Änderungsvereinbarung modifiziert werden könne. Jedoch habe die Beklagte zur Durchsetzung der Entgeltanpassung eine Änderungskündigung gewählt, ohne die Verbraucher auf ihre Rechte hinzuweisen. Dies stelle eine Umgehung dieser Vorschriften dar, wodurch den Kunden ein erhöhter Preis „abgepresst“ werde. Wegen des Kontrahierungszwangs dürfe eine Sparkasse einen Girovertrag für natürliche Personen nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündigen. Im Rahmen der Abwägung habe das Landgericht zutreffend berücksichtigt, dass ein – insbesondere durch Pfändungen – verursachter Mehraufwand nach der gesetzlichen Risikoverteilung nicht auf den Verbraucher überwälzt werden könne.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). In der Sache bleibt die Berufung indes ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung nach §§ 513, 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Das Landgericht hat die Beklagte vielmehr zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, gegenüber Verbrauchern mit Giroverträgen zur Durchsetzung eines höheren Entgelts Änderungskündigungen auszusprechen, die mit einem Mehraufwand begründet werden. Ungeachtet etwaiger wettbewerbsrechtlicher Ansprüche kann die Klägerin nämlich nach § 2 Abs. 1 UKlaG verlangen, dass die Beklagte keinen Vorschriften zuwider handelt, die dem Schutz von Verbrauchern dienen.
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1. Der Kläger ist nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 UKlaG aktivlegitimiert. Denn er ist in die beim Bundesamt für Justiz geführten Liste der „qualifizierten Einrichtungen“ eingetragen.
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2. Die Beklagte hat sowohl mit der Kündigung als auch mit dem Fortsetzungsangebot gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen. Denn aus § 5 Sparkassenverordnung vom 21.05.2003 (SpkVO LSA) folgt eine Einschränkung des Rechts, (Änderungs-) Kündigungen auszusprechen [dazu a)]. Die Beklagte ist aber auch ihren Informationspflichten nach § 675 g BGB nicht nachgekommen [dazu b)].
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a) Sparkassen sind nach § 5 SpkVO LSA verpflichtet, für natürliche Personen mit Wohnsitz im Trägergebiet Girokonten zu führen. Eine Verpflichtung zur Führung besteht nicht, wenn
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1. der Kontoinhaber Leistungen bei Kreditinstituten missbraucht hat;
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2. das Konto ein Jahr lang umsatzlos geführt wurde;
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3. das Konto kein Guthaben aufweist und der Kontoinhaber trotz Aufforderung nicht für Guthaben sorgt;
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4. aus anderen wichtigen Gründen die Aufnahme oder Fortsetzung der Geschäftsbeziehung mit der Sparkasse nicht zumutbar ist.
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Diese Vorschrift hat verbraucherschützenden Charakter [dazu aa)]. Aus ihr folgt, dass Sparkassen – anders als gewerbliche oder Genossenschaftsbanken – Giroverhältnisse nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündigen können [dazu bb)]. Im Streitfall war es der Beklagten jedoch zumutbar, die Girokonten trotz des erhöhten Bearbeitungsaufwandes – u. a. wegen Pfändungen – zu den bisherigen Konditionen fortzuführen [dazu cc)].
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aa) Dass § 5 SpkVO LSA in der Aufzählung der Verbraucherschutzgesetze unter § 2 Abs. 2 UKlaG nicht enthalten ist, steht der Annahme seines verbraucherschützenden Charakters nicht entgegen. Denn die dortige Liste ist – wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt („insbesondere“) – nicht abschließend.
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§ 5 SpkVO LSA dient zumindest auch Verbrauchern. Dieser Rechtsbegriff findet in der Vorschrift zwar keine Verwendung. Der Anspruch auf ein „Konto für jedermann“ besteht danach für natürliche Personen. Damit ist der Kreis der Begünstigten weiter gefasst als § 13 BGB, weil auch natürliche Personen für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit die Einrichtung eines Girokontos verlangen können. Allerdings handelt es sich bei Verbrauchern um eine Zielgruppe, die vom Kreis der natürlichen Personen umfasst wird.
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Ein Unterlassungsanspruch nach § 2 Abs. 1 UKlaG kann auf jeden Verstoß gegen Vorschriften gestützt werden, die Verbraucher vor einer Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit schützen sollen (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 2 UKlaG Rn. 10). Gegenstand des Klageantrags sind zwar bereits bestehende Girokonten. Der Wille des Verbrauchers hat sich also in der Begründung dieses Rechtsverhältnisses bereits einmal manifestiert. Allerdings ist der Verbraucher infolge des inkriminierten Verhaltens zu einer erneuten Entscheidung aufgerufen, ob er auf die Änderungskündigung der Beklagten hin einer nach § 675 g BGB erforderlichen Vertragsanpassung zustimmt. Diese Willensbetätigung hängt jedoch von der Reichweite des durch § 5 SpkVO LSA vermittelten Bestandsschutzes ab. Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut von § 2 UKlaG nicht, dass nur Vorschriften, die die Entscheidungsfreiheit eines Verbrauchers gewährleisten, Verbraucherschutzgesetze sind. Eine entsprechende Zweckrichtung ist erst Recht bei Vorschriften anzunehmen, die – wie das Kontrahierungsgebot – einen Anspruch des Verbrauchers auf Eingehung und Fortführung eines Vertragsverhältnisses begründen.
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Schließlich ist auch nicht erkennbar, weshalb eine Vorschrift, die nach den zutreffenden Ausführungen der Beklagten der Daseinsvorsorge dienen soll, nicht auch verbraucherschützenden Charakter haben soll. § 5 SpkVO dient ja gerade dem Schutz von natürlichen Personen einschließlich Verbrauchern davor, dass sie von der Teilnahme am unbaren Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden, welcher heute fast unverzichtbar geworden ist.
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bb) Aus dem gegen Sparkassen gerichteten Anspruch auf Einrichtung und Fortführung eines Giroverhältnisses folgt, dass Änderungskündigungen mit dem Ziel, das Kontoführungsentgelt gegenüber natürlichen Personen mit besonderem Kontoführungsaufwand anzupassen, nicht zulässig sind. Dabei ist zunächst klarzustellen, dass § 5 SpkVO LSA nicht verlangt, dass die Girokonten kostenlos oder zu besonders günstigen Konditionen geführt werden. Die Beklagte kann daher gegenüber Personen, die ein solches Konto neu errichten, die Preise nach weitgehend freiem Ermessen bestimmen. Grenzen bestehen – von einer sittenwidrigen Bepreisung abgesehen – nur insoweit, als prohibitive Entgelte verlangt werden, die den Kontrahierungszwang faktisch umgehen. Die Beklagte ist also bei der Neueröffnung eines Kontos nicht an ihr Preisverzeichnis gebunden, sondern kann auch individuelle Vereinbarungen schließen, die dann Vorrang haben.
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Gegenstand des Unterlassungsbegehrens des Klägers sind indes allein Fälle, in denen ein Vertragsverhältnis bereits bestand. Um einen solchen Zahlungsdiensterahmenvertrag auf Betreiben des Kreditinstituts abzuändern, bedarf es nach § 675 g BGB einer entsprechenden Vereinbarung. Während gewerbliche und Genossenschaftsbanken zum Zwecke einer Vertragsänderung unter den Voraussetzungen von § 675 h Abs. 2 BGB eine Kündigung aussprechen können, ist – soweit ersichtlich – höchst- oder obergerichtlich noch nicht entschieden, ob das Sparkassenrecht einer ordentlichen Kündigung bestehender Zahlungsdiensterahmenverträge entgegensteht. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage in seinem Urteil vom 11.12.1990 – IX ZR 54/90 – entgegen dem missverständlich formulierten Leitsatz – offen gelassen (zur Kündigung „nach freiem Ermessen“ gemäß § 13 AGB a. F.). Nur scheinbar geht er in seiner weiteren Entscheidung vom 11.03.2003 – IX ZR 403/01 – im Rahmen einer Hilfserwägung von der Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung durch Sparkassen aus. Die dort ausgesprochene fristlose Kündigung sollte auch dann unwirksam sein, wenn man sie in eine ordentliche Kündigung umgedeutet hätte. Weil der Fall jedoch keine natürliche Person, sondern eine politische Partei betraf, die sich auf eine § 5 SpkVO LSA vergleichbare Regelung nicht hätte stützen können, musste der Senat auf die Einschränkungen des ordentlichen Kündigungsrechts nicht eingehen. Schließlich ergibt sich auch aus dem von der Klägerin angeführten Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 19.05.2011 – 13 U 50/11 – kein Hinweis darauf, inwieweit Sparkassen trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Bindung „frei“ kündigen können. Denn in jenem Fall ging es um eine Genossenschaftsbank.
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Der Senat vertritt die Auffassung, dass eine Sparkasse ein „Girokonto für jedermann“ nur aus wichtigem Grund kündigen kann. Eine ordentliche Kündigung ist hingegen ausgeschlossen (so auch Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankenrecht, Bd. I, § 2 Rn. 19 am Ende; unklar Schlierbach, Das Sparkassenrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 119). Dies folgt zwar nicht zwingend aus dem Kontrahierungsgebot nach § 5 Abs. 1 SpkVO LSA. Die Vorschrift kann auch so ausgelegt werden, dass eine Sparkasse nach ordentlicher Kündigung nur zur Wiedereinrichtung eines Kontos verpflichtet wäre, und zwar – wie eingangs ausgeführt – zu den durch sie festgesetzten Konditionen. Allerdings enthält § 5 Abs. 2 VO für die hier betroffenen Konten eine abschließende Aufzählung der Kündigungsmöglichkeiten. Danach ist jeweils ein wichtiger Grund erforderlich – sei es in den unter Nr. 1 bis 3 genannten Sonderfällen, sei es nach dem Auffangtatbestand gemäß Nr. 4. Wollte man hierneben ein ordentliches Kündigungsrecht annehmen, hätte § 5 Abs. 2 SpkVO LSA nur deklaratorische Bedeutung. Denn dass ein Dauerschuldverhältnis wie der Zahlungsdiensterahmenvertrag außerordentlich kündbar ist, folgt bereits aus § 314 BGB und bedurfte daher keiner Regelung mehr. Der abschließende Charakter von § 5 Abs. 2 SpkVO LSA ergibt sich auch aus der Enumeration der Beendigungsgründe. Dem Katalog ist kein Hinweis vorangestellt (z.B. durch das Wort „insbesondere“), dass es sich lediglich um Regelbeispiele handelt. Das Sparkassenrecht begründet also eine Sonderregelung, die § 675 h BGB in ihrem Anwendungsbereich verdrängt (lex specialis derogat legi generali). Jene Regelung im Bürgerlichen Recht beansprucht nicht schon deshalb Vorrang, weil sie eine Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie ist (ABl. EU L 319 S. 1). Denn die Europäische Union gibt mit einer Richtlinie nach Art. 288 AEUV lediglich eine der Rechtsangleichung dienende Rahmenregelungen vor, verlangt aber nicht, dass ein in den Mitgliedsstaaten bereits bestehendes höheres Schutzniveau – wie es § 5 SpkVO vorsieht – zurückgefahren wird.
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Hiergegen lässt sich nicht ins Feld führen, § 5 Abs. 2 SpkVO LSA stelle nur eine Einschränkung des Kontrahierungszwangs dar. Zwar können sämtliche Beendigungsgründe nach dem dolo-agit-Gedanken auch einem Antrag einer natürlichen Person auf (Wieder-) Eröffnung eines Girokontos entgegengehalten werden. Die Vorschrift befasst sich aber jedenfalls auch mit der Beendigung der Rechtsziehung: Denn § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SpkVO LSA setzt zwingend ein bereits bestehendes Vertragsverhältnis voraus, Nr. 4 spricht ausdrücklich von der Unzumutbarkeit einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung.
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Der Senat verkennt nicht, dass der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechtes bei Girokonten von Verbrauchern mit dem für Sparkassen geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot konfligiert (§ 2 Sparkassengesetz Sachsen-Anhalt vom 13.07.1994 – SpkG-LSA). Wenn Kunden nämlich die Zustimmung zu einer Vertragsänderung nach § 675 g BGB i. V. m. Nr. 17 Abs. 6 AGB verweigern, kann das Kreditinstitut bestehende Konditionen nicht ohne Weiteres anpassen. Solche wirtschaftlichen Überlegungen rechtfertigen jedoch keine Auslegung von § 5 Abs. 2 SpkVO LSA, die mit dem Wortlaut nicht mehr vereinbar wäre. Es trifft auch nicht zu, dass der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts jeglicher Anpassung der Entgelte in Altverträgen entgegenstünde, solange die Kunden sich vertragstreu verhielten. Denn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Die im Zusammenhang mit § 314 BGB entwickelten Grundsätze (vgl. Palandt, BGB, 71. Aufl., § 314 Rn. 9; § 313 Rn. 19 ff. und 26 ff.) können auf § 5 SpkVO LSA übertragen werden. Danach ist die Fortsetzung eines Dauerschuldverhältnisses nicht mehr zumutbar, wenn es zu Äquivalenzstörungen etwa infolge von Geldentwertung oder Kostensteigerungen kommt.
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cc) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihre Änderungskündigungen mit dem Ziel der Durchsetzung eines höheren Kontoführungsentgeltes damit begründet, dass der Aufwand für die Bearbeitung der selektiv angeschriebenen Kunden gestiegen sei. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob es sich ausschließlich um Konten von Personen handelt, bei denen eine Pfändung ausgebracht wurde, oder ob auch Kunden angeschrieben wurden, deren Konten aus anderen Gründen einen höheren Bearbeitungsaufwand erfordern, kann offen bleiben. Denn die der Durchsetzung eines höheren Entgelts dienende Änderungskündigung war in jedem Fall unzulässig. Da die in § 5 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SpkVO LSA genannten Fälle offensichtlich nicht vorlagen, hätten die Giroverträge nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 SpkVO LSA nicht beendet werden dürfen, weil die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung für die Sparkasse zumutbar war. In diesem Zusammenhang ist – wie sich aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 314 BGB ergibt – eine Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei spielen auch gesetzliche Wertungen eine Rolle.
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Zugunsten der Beklagten ist das aus § 2 SpkG LSA folgende Wirtschaftlichkeitsgebot zu berücksichtigen. Es enthält aber in erster Linie Vorgaben an den Sparkassenvorstand, wie die Geschäfte zu führen sind, wirkt also „nach innen“. Im Außenverhältnis hingegen kann das Wirtschaftlichkeitsgebot eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Dies folgt einerseits daraus, dass in § 5 SpkVO LSA eine abweichende Spezialregelung getroffen worden ist. Andererseits begrenzt die Vertragsbindung – ein anderes tragendes Prinzip unserer Rechtsordnung – das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ besagt, dass rechtsgeschäftliche Beziehungen einseitig nicht nur deshalb gelöst werden können, weil sie für eine Partei wirtschaftlich nachteilig (geworden) sind.
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Soweit der Mehraufwand bei der Kontoführung auf Pfändungen zurückzuführen ist, lässt sich eine außerordentliche Kündigung darauf nicht stützen. Die Bearbeitung von Pfändungen ist nämlich eine gesetzliche Aufgabe des Drittschuldners (hier: der Beklagten). Die dafür anfallenden Kosten dürfen nicht auf den Schuldner (hier: den Girokunden) abgewälzt werden. Diesen Standpunkt hat der Bundesgerichtshof jedenfalls im Rahmen der Inhaltskontrolle einer anderslautenden Klausel in Bank-AGB eingenommen (vgl. BGH, NJW 2000, 651). Die Beklagte geht übrigens selbst davon aus, dass sie die Kosten für die Durchführung einer Pfändung selbst zu tragen habe. Denn Nr. 17 Abs. 5 ihrer AGB lautet:
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„Für Tätigkeiten, zu deren Erbringung die Sparkasse bereits gesetzlich oder aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht verpflichtet ist oder die sie im eigenen Interesse erbringt, wird die Sparkasse kein Entgelt berechnen, es sei denn, es ist gesetzlich zulässig und wird nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen erhoben.“
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Aber auch soweit ein Mehraufwand im Einzelfall nicht auf Pfändungen zurückzuführen ist, hat dies nicht zur Folge, dass die Fortführung des Giroverhältnisses zu den bisherigen Konditionen i. S. v. § 5 Abs. 2 Nr. 4 SpkVO LSA unzumutbar wäre. Denn ein solcher Mehraufwand fällt in die Risikosphäre der Beklagten. Er ist zwar nicht im Einzelfall voraussehbar, kann jedoch in einer standardisierten Berechnung der Preise berücksichtigt werden.
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b) Die Beklagte hat bei der Unterbreitung des Änderungsangebots gegen § 675 g Abs. 1 BGB verstoßen. Hierbei handelt es sich um eine verbraucherschützende Vorschrift [dazu aa)]. Die beanstandeten Schreiben werden den Informationspflichten der Beklagten nicht vollständig gerecht [dazu bb)].
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aa) Der verbraucherschützende Charakter von § 675 g BGB ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. h UKlaG. Außerdem bestimmt § 675 e Abs. 1 BGB, dass die Vorschriften zum Zahlungsdiensterahmenvertrag ius cogens sind, also nicht abbedungen werden können. Auch hieraus ergibt sich, dass Verbraucher vor abweichenden Klauseln – insbesondere in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unternehmen – geschützt werden sollen.
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bb) Die beanstandeten Erklärungen der Beklagten enthalten neben der auflösend bedingten Kündigung [dazu a)] auch einen Antrag auf Fortsetzung des bisherigen Vertragsverhältnisses zu den geänderten Bedingungen. Dabei sieht Nr. 17 Abs. 6 und 8 AGB in Übereinstimmung mit § 675 g Abs. 1 BGB vor, dass das Schweigen des Kunden auf ein Änderungsangebot – abweichend von den Regeln der Rechtsgeschäftslehre – als (zustimmende) Willenserklärung gelten soll. Damit die Änderungsvereinbarung wirksam zustande kommt, hätte die Beklagte ihrem Antrag die in Art. 248 §§ 3, 4 EGBGB genannten Informationen hinzufügen müssen. Ursprünglich hat sie die betroffenen Kunden jedoch weder auf ein kostenloses und fristloses Kündigungsrecht nach Art. 248 § 4 Nr. 6 lit. c EGBGB hingewiesen noch über die Folgen ihres Schweigens nach § 675 g Abs. 2 Satz 3 BGB belehrt. Da insoweit durch die Teilunterlassungserklärung jedoch die Wiederholungsgefahr entfallen ist (dazu unten 4.), soll nachfolgend nur noch auf die weitergehenden Defizite eingegangen werden:
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Nach Art. 248 § 4 Nr. 6 lit. b EGBGB muss dem Änderungsantrag eine Angabe über die Vertragslaufzeit beigefügt werden. Während beim Schreiben, das Gegenstand des Antrags zu 1. ist, noch deutlich wird, dass die Änderung ab dem 18.06.2010 für die Zukunft gelten solle, werden die Schreiben, die Gegenstand der Anträge zu 2. und zu 3. sind, den Anforderungen der vorgenannten Vorschrift nicht mehr gerecht. Denn sie enthalten einen Zusatz, der nicht erkennen lässt, wie lang die beabsichtigte Entgelterhöhung gelten soll. In den Schreiben vom 11.05.2010 und 17.06.2010 heißt es hierzu: „Sofern sie mit ihrem o. g. Girokonto wieder uneingeschränkt am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen können, erfolgt automatisch die Umstellung auf ihr bisheriges Kontomodell“. Der betroffene Verbraucher weiß also nicht, bis wann die höheren Entgelte gefordert werden sollen.
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Nach Art. 248 § 4 Nr. 6 lit. c EGBGB i. V. m. § 675 g BGB muss das Kreditinstitut dem Kunden die beabsichtigte Änderung spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens anbieten. Das ist jedenfalls mit dem Schreiben vom 20.04.2010, das dem Antrag zu 1. zugrunde liegt, nicht geschehen. Darin wurde die Änderung zum 17.06.2010 angekündigt. Selbst wenn man davon ausginge, dass dieses Schreiben der Kundin M. B. noch am selben Tag, d. h. ohne Postlaufzeiten zugegangen wäre, wäre die Zweimonatsfrist gemäß §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB erst am 20.06.2010 verstrichen.
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3. Der Kläger handelt „im Interesse des Verbraucherschutzes“. Auch wenn er das Verhalten der Beklagten anhand des Einzelfalls M. B. illustriert, geht es ihm – wie sich bereits aus seinem Satzungszweck ergibt – um die Kollektivinteressen aller Verbraucher. Es ist unstreitig, dass neben M. B. noch weitere Kunden der Beklagten von vergleichbaren Änderungskündigungen betroffen sind.
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4. Der Unterlassungsanspruch nach § 2 UKlaG setzt eine Wiederholungsgefahr voraus. Hierbei handelt es sich um ein aus § 1004 BGB abgeleitetes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 2 UKlaG Rn. 16). Die Wiederholungsgefahr wird durch einen einmaligen Verstoß indiziert. Die Teilunterlassungserklärung aus der Klageerwiderung hat sie nicht vollständig ausgeräumt (dazu oben 2. b).
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5. Die vorangehenden Ausführungen decken den Tenor der angefochtenen Entscheidung, die der Beklagten untersagt, gegenüber „Verbrauchern, mit denen die Beklagte einen Zahlungsdiensterahmenvertrag hat, Schreiben zu versenden, in denen die Fortsetzung des Vertrags davon abhängig gemacht wird, dass eine Anhebung des Kontoführungsentgelts auf einen bestimmten monatlichen Betrag erfolgt.“ Der Senat teilt die insoweit von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erhobenen und durch Schriftsatz vom 25.01.2012 konkretisierten Bedenken nicht. Denn das inkriminierte Verhalten wird bei allen drei Anträgen in einer den Anforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichenden Weise dahingehend konkretisiert, dass sowohl die mit § 5 SpkVO LSA unvereinbare Kündigung als auch das § 675 g BGB nicht gerecht werdende Änderungsangebot erfasst sind. Es besteht auch keine Veranlassung, die Verurteilung auf Konten zu beschränken, die mit Guthaben geführt werden. Denn nur solche Konten sind Gegenstand des Rechtsstreits. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass M. B. – anhand deren Konto das beanstandete Verhalten beispielhaft dargelegt wurde – sich gegenüber der Beklagten im Soll befand. Dass debitorisch geführte Konten nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 SpkVO LSA außerordentlich gekündigt werden können, unterliegt keinem Zweifel.
III.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
45
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet seine rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
46
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine § 5 SpkVO LSA entsprechende Regelung besteht in den meisten Bundesländern. Bisher ist nicht höchstrichterlich geklärt, ob aus diesen oder gleichlautenden Vorschriften eine Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechtes betreffend Girokonten von natürlichen Personen folgt (vgl. oben II. 2. lit. a).
47
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 3, 4 ZPO; 43 GKG.
48
Beschluss
49
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.000,00 EUR festgesetzt.