Umfang der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich Straßenbäumen

OLG Köln, Urteil vom 29.07.2010 – I-7 U 31/10, 7 U 31/10

Ältere obergerichtliche Entscheidungen haben eine äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung zweimal im Jahr – einmal in belaubtem, einmal in unbelaubtem Zustand – für erforderlich erachtet. Diese Rechtsprechung ist inzwischen durch neue fachliche Erkenntnisse überholt. Eine starre Kontrolle zweimal im Jahr wird mittlerweile als baumpflegerisch nicht sinnvoll und angezeigt angesehen, weil sie den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht wird. Dem trägt die von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. entwickelte Baumkontrollrichtlinie, erschienen im Dezember 2004, Rechnung, die die Häufigkeit der angemessenen Kontrolle aufgrund forstwissenschaftlicher Untersuchungen nach der Gefahrenlage, der Baumart, dem Standort und dem Alter des Baumes in differenzierter Weise bestimmt. Danach bedürfen Jungbäume in der Regel keiner Kontrolle, gesunde und leicht beschädigte Bäume in der Alterungsphase auch bei erhöhten Sicherheitserwartungen des Verkehrs, die vorliegend aufgrund der Verkehrsbedeutung des in der Nähe des Bahnhofs in Bad Godesberg gelegenen Parkplatzes zu bejahen sind, einer einmal jährlichen Regelkontrolle. Die Alterungsphase beginnt zwischen 50 und 80 Jahren (Rn. 13).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.01.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 1 O 149/09 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts. Er ist der Auffassung, eine Kontrolle der auf dem Parkplatz angepflanzten ahornblättrigen Platanen einmal im Jahr sei unzureichend gewesen.

3

Er beantragt,

4

unter Abänderung des am 13.01.2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Bonn – 1 O 149/09

1.

5

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.998,68 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2.

6

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 272,87 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3.

7

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 392,76 € Sachverständigenkosten nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

9

die Berufung zurückzuweisen.

II.

10

Die prozessual bedenkenfreie Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

11

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht eine Amtspflichtverletzung durch die Beklagte nicht fest.

12

Die Beklagte war gehalten, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Gefahrenabwehr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar waren; dazu gehört auch die Kontrolle der Bäume in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall (BGH, Urteil vom 02.07.2004 – V ZR 33/04). Wie oft und in welcher Intensität solche Baumkontrollen durchzuführen sind, lässt sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht generell beantworten, sondern ist von dem Alter und Zustand des Baumes und seinem Standort abhängig (BGH, a. a. O., Ziffer 13).

13

Ältere obergerichtliche Entscheidungen (z.B. OLG Köln VersR 92, 371; OLG Düsseldorf VersR 92, 467; OLG Düsseldorf VersR 97, 463; OLG Hamm NJW-RR 03, 968) haben eine äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung zweimal im Jahr – einmal in belaubtem, einmal in unbelaubtem Zustand – für erforderlich erachtet. Diese Rechtsprechung ist inzwischen durch neue fachliche Erkenntnisse überholt. Eine starre Kontrolle zweimal im Jahr wird mittlerweile als baumpflegerisch nicht sinnvoll und angezeigt angesehen, weil sie den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht wird (Hötzel, VersR 04, 1234, 1237; Otto VersR 04, 878, 879; Breloer VersR 94, 359; Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 4. Aufl. 2007 Rz. 439; OLG Hamm VersR 94, 357). Dem trägt die von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. entwickelte Baumkontrollrichtlinie, erschienen im Dezember 2004, Rechnung, die die Häufigkeit der angemessenen Kontrolle aufgrund forstwissenschaftlicher Untersuchungen nach der Gefahrenlage, der Baumart, dem Standort und dem Alter des Baumes in differenzierter Weise bestimmt. Danach bedürfen Jungbäume in der Regel keiner Kontrolle, gesunde und leicht beschädigte Bäume in der Alterungsphase auch bei erhöhten Sicherheitserwartungen des Verkehrs, die vorliegend aufgrund der Verkehrsbedeutung des in der Nähe des Bahnhofs in Bad Godesberg gelegenen Parkplatzes zu bejahen sind, einer einmal jährlichen Regelkontrolle. Die Alterungsphase beginnt zwischen 50 und 80 Jahren (Seite 19, 22 der Baumkontrollrichtlinie).

14

Nach den Feststellungen des Sachverständigen N sind die Bäume im Bereich des Parkplatzes zwischen 65 und 70 Jahren alt. Nach Einschätzung des Sachverständigen war vorliegend in Übereinstimmung mit der Baumkontrollrichtlinie, die den aktuellen Stand der Erfahrungen und Technik der Forstwirtschaft wiedergibt, ein Kontrollrhythmus von 1 – 2 Jahren ausreichend, da sich eine normale Totholzbildung über den Zeitraum einer Vegetationsperiode, teils sogar darüber hinaus vollzieht. Der Umstand, dass bei der Kontrolle im Februar 2008 bei 8 Bäumen Totholz festgestellt wurde, rechtfertigt nach den nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen keine andere Beurteilung. Hierbei handelt es sich nach der plausiblen Einschätzung des Sachverständigen nicht um eine besondere Auffälligkeit, die eine zusätzliche Kontrolle erfordert hätte. Etwas anderes würde dann gelten, wenn bereits seinerzeit Anzeichen für einen Massaria-Befall erkannt worden wären bzw. bei ordnungsgemäßer Prüfung hätten festgestellt werden können. Denn für den Fall einer Massaria-Erkrankung, die durch eine äußerst rasche Totholzbildung geprägt ist, hat eine Überprüfung – so auch der Sachverständige – in kürzeren Intervallen zu erfolgen.

15

Allerdings sind Anhaltspunkte dafür, dass bereits im Februar 2008 Anzeichen für einen Befall der Platanen mit der Massaria-Erkrankung vorhanden waren, weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich. Soweit der Kläger im Termin auf die zu den Akten gereichten Photos der abgebrochenen Äste (Anl. B 6) verwiesen hat, an denen der Sachverständige Anzeichen der Massaria-Erkrankung zu erkennen meinte, ist darauf hinzuweisen, dass es sich um Ablichtungen der am 03.12.2008 abgebrochenen Äste handelt. Aus einem etwaigen im Dezember 2008 gegebenen Massaria-Befall können indes keine Rückschlüsse auf eine derartige Erkrankung bereits im Februar 2008 gezogen werden, da sich diese Erkrankung innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis drei Monaten entwickeln kann, wie der Sachverständige in Einklang mit der vom Kläger vorgelegten Anlage K 3 (betreffend die von Massaria befallenen Platanen in der Stadt Mannheim) ausgeführt hat.

16

Im übrigen hat der Kläger nicht nachweisen können, dass die von ihm geforderte zweite Sichtkontrolle im August 2008 den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Es steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest, dass bereits im August 2008 Anzeichen für einen Massaria-Befall bestanden haben, da sich die Erkrankung – wie bereits ausgeführt – sehr schnell in einem Zeitraum von 2 – 3 Monaten entwickelt und durch eine rasche Totholzbildung geprägt ist. Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der Kläger. Ihm obliegt der Nachweis, dass bei der zumutbaren Überwachung der Bäume eine Schädigung entdeckt worden wäre. Nach der Lebenserfahrung besteht keine tatsächliche Vermutung oder tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Schadenseintritt und dem – unterstellten – Pflichtverstoß.

17

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme.

18

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

19

Streitwert: 2.391,44 €

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