Zur Haftung eines bauleitenden Obermonteur für Stromschlag wegen Nichtabschaltens der Speiseleitung für eine Eisenbahnstrecke

OLG Dresden, Urteil vom 29. September 2011 – 8 U 374/11

Zur Haftung eines bauleitenden Obermonteur für Stromschlag wegen Nichtabschaltens der Speiseleitung für eine Eisenbahnstrecke

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 11.02.2011 – 7 O 843/10 – wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 14 % und der Beklagte 86 %. Hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz verbleibt es bei der landgerichtlichen Kostenentscheidung.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 102.980,09 EUR bis zum 26.06.2011 und ab dem Zeitpunkt der Rücknahme der Anschlussberufung; 147.244,61 EUR für den Zeitraum dazwischen.

Gründe
A.

1
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen der von ihr unfallbedingt gegenüber dem T. V. (künftig: Geschädigter) im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall aufgewandten Leistungen in Regress. Auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO Bezug genommen. Hinsichtlich des Unfallhergangs ist zu ergänzen, dass der Beklagte als Kolonnenführer den Geschädigten und weitere Arbeitnehmer mit Vorbereitungsarbeiten für eine neue Bahn-Energie-Leitung auf dem Mast 2-17b beauftragte; streitig ist, ob ein Hinweis darauf erfolgte, dass die Speiseleitung unter Spannung (15.000 Volt) stand. Der Geschädigte war an der Mastvorderseite aufgestiegen und hatte sich dabei dem feststehenden Isolator des Schalters genähert, wodurch es zur Lichtbogenbildung zwischen dem spannungsführenden feststehenden Teil und dem über das Kettenwerk geerdeten beweglichen Teil des Schalters kam und ein Kurzschluss im Unterwerk … ausgelöst wurde. Ein Teil seiner Kleidung im Bereich des linken Oberarmes fing Feuer; er erlitt erhebliche Verbrennungen an 19% der Körperoberfläche.

2
Die Klägerin hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt, einen entsprechenden Bescheid allerdings nicht erlassen. Mit Bescheid vom 21.03.2007 hat sie dem Geschädigten eine Rente wegen einer 40%-igen Minderung der Erwerbsfähigkeit als vorläufige Entschädigung zugebilligt, mit Bescheid vom 23.04.2008 hat sie mitgeteilt, die Rente werde auf unbestimmte Zeit fortbezahlt. Eine Anhörung des Beklagten hierzu ist nicht erfolgt. Einen Bescheid über das gezahlte Verletztengeld gibt es nicht.

3
Erstinstanzlich hat die Klägerin den Beklagten auf 2/3 der bis zu diesem Zeitpunkt von ihr getätigten ihr bekannten Aufwendungen in Anspruch genommen sowie die Feststellung beantragt, dass der Beklagte verpflichtet sei, darüber hinaus der Klägerin 2/3 der weiteren gemäß § 110 SGB VII erstattungsfähigen Aufwendungen zu ersetzen.

4
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Für die Begründung wird auf die landgerichtlichen Ausführungen Bezug genommen.

5
Das Urteil wurde an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 16.02.2011 zugestellt, seine Berufung ist am 11.03.2011 beim Oberlandesgericht eingegangen. Die Berufungsbegründung ist am 16.05.2011 beim Oberlandesgericht eingegangen, nachdem mit Verfügungen vom 14.04. und 19.04.2011 die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

6
Der Beklagte greift das Urteil vollumfänglich an und verfolgt seinen Klageabweisungsantrag weiter. Indem das Landgericht Leipzig den klägerischen Anspruch nicht für verjährt erachtet habe, habe es den Grundsatz der sekundären Darlegungslast missachtet, da es insoweit angenommen habe, der Beklagte sei für die fehlende strikte Trennung der Organisation zwischen Leistungs- und Regressabteilung darlegungs- und beweisfällig geblieben. Dies verkenne, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Darlegungslast, wenn es um Geschehnisse aus dem Bereich der anderen Partei gehe, durch eine sekundäre Darlegungspflicht des Gegners gemindert werde. Folge der Nichterfüllung dieser sekundären Behauptungslast sei, dass die Behauptung als zugestanden gelte. Die dreijährige Verjährungsfrist etwaiger Regressansprüche beginne gemäß § 113 S. 1 SGB VI i.V.m. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit der positiven Kenntnis des für die Vorbereitung und Verfolgung dieses Anspruches zuständigen Bediensteten, wobei maßgeblich sei, ob es sich um einen Wissensvertreter der jeweiligen juristischen Person handele. Grob fahrlässige Unkenntnis läge vor, wenn die für Regressansprüche zuständige Stelle es versäume, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit über das jeweilige Unfallgeschehen wahrzunehmen. Gerade juristische Personen des öffentlichen Rechtes seien verpflichtet, im Rahmen ihrer Organisationsfreiheit einen stetigen Austausch der gespeicherten aktenkundigen Informationen zu gewährleisten. Die Regressabteilung der B. (Rechtsvorgängerin der Klägerin, künftig einheitlich: Klägerin) teilte am 26.05.2008 ihrer Bezirksverwaltung mit, dass ein Regressverfahren eingeleitet werde. Wann die Regressabteilung selbst von dem Unfallgeschehen vom 02.07.2005 Kenntnis erlangt habe, sei dadurch nicht belegt. Nicht nachzuvollziehen sei, wann der zugrunde liegende Unfalluntersuchungsbericht vom 11.07.2005 an die Regressabteilung der Klägerin weitergeleitet wurde. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei dies nicht erst drei Jahre nach dem Unfallgeschehen erfolgt, so dass der bisherige Vortrag der Klägerin unvollständig sei. Das Landgericht Leipzig verkenne zudem, dass zu Lasten der Klägerin ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden für die angeblich erst im Mai 2008 erfolgte Kenntnisnahme zu vermuten sei. Aufgrund der organisatorischen Aufgabenverteilung hätten die zuständigen Leistungs- und Regressabteilungen der Klägerin bereits aufgrund der eigenen Untersuchungsmaßnahmen und der Unfallanzeige der B. GmbH unmittelbar nach dem Unfallgeschehen von den Folgen für die Aufwendungen für die Heilbehandlung Kenntnis haben müssen. Die frühere Kenntnisnahme der Regressabteilung gelte auch als zugestanden, da die angeblich organisationsbedingt fehlende Kenntnismöglichkeit nicht dargelegt sei. Die entsprechende Rechtsverletzung durch das Landgericht sei entscheidungserheblich. Das Urteil beruhe daneben auch auf einer Verletzung der Grundsätze der Verwirkung. Bereits 2005 hätte die Klägerin nach Beendigung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Geschädigten verbindliche Feststellungen über die Unfallfolgen treffen und diese gegenüber dem Beklagten geltend machen können. Dieser habe nach dem Unfallgeschehen darauf vertrauen können, dass die Klägerin zeitnah die Kostenfolgen des Unfalls ermittle und etwaige Regressansprüche ohne schuldhaftes Zögern geltend mache. Als juristischem Laien sei ihm die Dauer etwaiger Verjährungsfristen unbekannt, so dass er auf eine zeitnahe Geltendmachung der Ansprüche habe vertrauen dürfen. Das Urteil beruhe ferner auf einer Verletzung der Grundsätze der Statthaftigkeit eines Feststellungsinteresses gemäß § 256 ZPO bezüglich entstandener Aufwendungen. Die Klägerin wäre insoweit verpflichtet gewesen, bereits bezifferbare Ansprüche im Rahmen einer Leistungsklage geltend zu machen. Das Urteil beruhe schließlich auf einer Verletzung der Grundsätze zur Feststellung sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens sowie der Grundsätze der objektiven Beweiswürdigung. Von einer grob fahrlässigen Unfallverursachung seitens des Beklagten könne nicht ausgegangen werden. Eine Verletzung von § 6 Abs. 1 BGV A 3 liege nicht vor. Der Beklagte sei nicht von deren persönlichen Reglungsbereich nicht umfasst, da er nicht unmittelbar an unter Spannung stehenden aktiven Teilen gearbeitet habe. Die Befolgung von § 6 Abs. 1 BGV A 3 habe daher den unmittelbar vor Ort am Mast 2-17b (199) tätigen Personen oblegen. Der Geschädigte hätte etwaige Fehler des Beklagten aufgrund der fehlerhaften B 340925 w feststellen und korrigieren können. Das Landgericht Leipzig habe verkannt, dass der Beklagte ausdrücklich auf die unter Spannung stehende Speiseleitung M. für die Dauer der Arbeiten am Mast 2-17b (199) hingewiesen habe. Entsprechend der DA zu § 6 Abs. 2 BGVA 3 i.V.m. Ziffer 1 (..), Ziffer 3 (1) der DB-Richtlinie 132 – 0123 habe er seine Kolonne ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Leitung unter Spannung stünde sowie die jeweils benötigte Schaltgruppe für die durchzuführenden Arbeiten abgeschaltet werde. Der Geschädigte habe eine entsprechende Einweisung bestätigt. Der Beklagte habe auch § 7 BGV A3 nicht verletzt. Der Regelungsbereich dieser Norm beschränke sich auf Arbeiter, die unmittelbar in der Nähe von unter Spannung stehenden Teilen der Oberleitungsanlage arbeiteten. Eine subjektiv krasse und unentschuldbare Pflichtverletzung sei ihm nicht vorzuwerfen. Er habe alle ihm möglichen Anstrengungen unternommen, seine Kolonne auf die unter Spannung stehende Speiseleitung aufmerksam zu machen; die fehlende Erinnerung an die Möglichkeit der Abschaltung der Speiseleitung Markranstädt stelle ein Augenblicksversagen dar. Er habe auch nicht damit rechnen müssen, dass der Geschädigte leichtfertigerweise die fünf von ihm selbst zu beachtenden Sicherheitsregeln nicht beachten würde. Der Geschädigte sei insbesondere aufgrund seiner Bestellung zum Sicherheitsbeauftragten der Kolonne des Beklagten verpflichtet gewesen, den Beklagten auf etwaige unerkannte Unfall- und Gesundheitsgefahren für die Kolonne hinzuweisen. Als gelernte Elektrofachkraft hätte er auch vor Beginn der Arbeiten am Mast 2-17b (199) die Spannungsfreiheit der Oberleitungsanlage auf der Mastspitze gemäß den grundlegenden fünf Sicherheitsregeln zunächst selbst prüfen und geeignete Erdungsmaßnahmen vornehmen müssen. Ihm, dem Beklagten, sei hingegen allenfalls berufsspezifische Nachlässigkeit vorzuwerfen. Schlussendlich beruhe das Urteil wegen der Annahme eines anrechenbaren Mitverschuldens des Geschädigten von nur 1/3 auf einer weiteren Verletzung des Grundsatzes der objektiven Beweiswürdigung. Eine intuitive Verringerung der Sicherheitsmaßnahmen stelle einen eklatant fahrlässigen Verstoß gegen die bekannten Sicherheitsregeln dar. Aufgrund der fahrlässigen Selbstgefährdung des Geschädigten sei der Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Beklagten ausgeschlossen. Schließlich habe das Landgericht der Klägerin mit der Verletztenrente von 31.480,18 EUR mehr zugesprochen als sie beantragt habe, da die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Gesamtforderung der Aufwendungen für den Geschädigten mit fiktiven Schmerzensgeldansprüchen begründet habe. Das Landgericht könne einen entsprechend fehlenden alternativen Vortrag nicht zu Gunsten der Klägerin unterstellen.

7
Der Beklagte beantragt,

8
auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 11.02.2011 – 7 O 843/10 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

9
Die Klägerin beantragt,

10
die Berufung zurückzuweisen.

11
Im Rahmen einer – in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommenen – Anschlussberufung hat sie die Klage zunächst im Leistungsantrag um die Erstattung gezahlter Verletztenrente erweitert.

12
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil im Ergebnis. Insbesondere sei ihr nicht mehr zugesprochen als von ihr beantragt, das Landgericht habe mit dem Rückgriff auf fiktive Schmerzensgeldansprüche nur die Begründung ausgetauscht. Die vom Landgericht insoweit gewählte Begründung sei allerdings unrichtig. Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Verletztengeld und Verletztenrente hin. Beim Verletztengeld handele es sich um eine Entgeltersatzleistung, die dem bekannten Krankengeld ähnele und während der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werde. Bei der Verletztenrente handele es sich um eine Sozialleistung, die keine Erwerbseinbuße im konkreten zuletzt ausgeübten Beruf voraussetze, sondern lediglich eine abstrakte Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Verletztenrente werde regelmäßig – so auch hier – erst im Anschluss an eine Verletzungsgeldzahlung mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit aufgrund des teilweisen Verlustes der Erwerbsfähigkeit gezahlt. Verletztenrente sei im Anlagenkonvolut K 14 überhaupt nicht enthalten, die Notwendigkeit eines Bestreitens seitens des Beklagten bestünde daher nicht. Zutreffend sei, dass sie in erster Instanz Ersatz des von ihr gezahlten Verletztengeldes lediglich in Höhe von 2/3 der aufgewandten 27.997,20 EUR nebst Beiträgen begehrt habe und nicht 2/3 von 31.480,18 EUR, wie vom Landgericht angenommen. Dafür hätten aber die Heilbehandlungskosten/Fahrtkosten zur Heilbehandlung sowie die Kosten für Hilfsmittel 73.972,94 EUR betragen und nicht, wie vom Landgericht angenommen, 70.489,96 EUR. Das Landgericht sei aufgrund dieses Rechenfehlers auf einen um 3.482,98 EUR zu hohen Betrag für das Verletztengeld nebst Beiträgen gekommen. Auswirkungen auf das Gesamtergebnis habe dies nicht gehabt.

B.

13
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, da das Landgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.

I.

14
Das Landgericht konnte über den eingeklagten Anspruch entscheiden; einer Aussetzung gem. § 108 Abs. 2 SGB VII bedurfte es nicht, da die Klägerin als zuständiger Unfallversicherungsträger den Unfall dem Grunde nach spätestens mit dem Rentenbescheid anerkannt hat.

15
1. § 108 SGB VII soll durch die Bindung der Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien sicherstellen. Ein Gericht außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit muss daher von den Feststellungen des Unfallversicherungsträgers ausgehen. Diese Bindungswirkung erstreckt sich u.a. darauf, ob ein Versicherungsfall vorliegt und in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind (vgl. Lauterbach/Dahm, Unfallversicherung SGB VII, 4. Aufl., 43. Lfg. § 108 Rn. 6 ff.). Bindungswirkung entfaltet allerdings nur eine unanfechtbare Entscheidung; anderenfalls ist das Verfahren auszusetzen.

16
2. Spätestens mit den Rentenbescheiden liegen solche unanfechtbaren Entscheidungen bezogen auf die Feststellung eines Arbeitsunfalls als Voraussetzung der Rentenzahlung vor. Hierauf hat keinen Einfluss, dass der Beklagte am sozialversicherungsrechtlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen ist, da die Anerkennung des Betriebsunfalls ihm gegenüber keine ihn in seiner Rechtsstellung benachteiligende Auswirkung hat (vgl. BGH Urteil vom 17.06.2008 – VI ZR 257/06, zitiert nach juris, dort Rn. 5). Vielmehr ist die Anerkennung als Versicherungsfall gegenüber dem Schädiger, hier dem Beklagten, begünstigend, da mit ihr Haftungsbefreiung gegenüber dem Geschädigten sowie Haftungsbeschränkung im Regelfall auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz einhergeht. Dass zugleich dem Unfallversicherungsträger Regress nach § 110 Abs 1 SGB VII gegen den Schädiger ermöglicht wird, benachteiligt letzteren nicht, da der Regress strengeren Voraussetzungen unterliegt und nicht höher sein kann als ein ausgeschlossener Anspruch (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 22.03.1999 – 6 W 13/99, zitiert nach juris; Kasseler Kommentar/Ricke, Sozialversicherungsrecht, Stand: 1. Juli 2011, § 108 VII Rn. 2a). Ob dies auch für die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen der Festsetzung der Verletztenrente gilt oder aber im Hinblick auf den fiktiven Schmerzensgeldanspruch der Beklagte zu beteiligen gewesen wäre, ist nach Rücknahme der Anschlussberufung nicht zu entscheiden.

II.

17
Ein – an dieser Stelle zunächst unterstellter – Regressanspruch der Klägerin nach § 110 SGB VII ist entgegen der Auffassung der Berufung weder verjährt noch verwirkt.

18
1. Gem. § 113 SGB VII gelten für die Verjährung die Vorschriften des BGB mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.

19
a) Diese Feststellung ersetzt das Erfordernis der Kenntnis (§ 199 BGB) nicht, sondern muss kumulativ neben sie treten (Kasseler Kommentar/Ricke, a.a.O., § 113 SGB VII Rn. 3).

20
Bei der Gläubigerin als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist die maßgebliche Kenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Ziffer 2 BGB die positive Kenntnis des für die Geltendmachung und Rechtsverfolgung des Anspruchs zuständigen Bediensteten. Die behördliche Zuständigkeitsverteilung ist dabei zu respektieren (ständige Rspr. des Bundesgerichtshofes zu § 852 a.F., zuletzt Urteil vom 28.11.2006 – VI ZR 196/05, VersR 2007, 513; Urteil vom 12.05.2009 – VI ZR 294/08, VersR 2009, 989 [990]; Urteil vom 15.03.2011 – VI ZR 162/10, VersR 2001, 682 zu § 199 BGB n.F.). Mängel der internen Organisation, die zu einer verzögerten Kommunikation zwischen Abteilungen o.ä. führen, spielen hierbei entgegen der Auffassung der Berufung keine Rolle. Die von der Rechtsprechung zu § 166 BGB entwickelten Grundsätze zur Wissenszurechnung im rechtsgeschäftlichen Verkehr sind in diesem Rahmen nicht anwendbar (BGH VersR 2007, 513 m.w.N.; Urteil vom 25.06.1996 – VI ZR 117/95, BGHZ 133, 129 [139]). Die Beklagten können sich in einem solchen Fall auch nicht mit Erfolg auf Verwirkung berufen (vgl. BGH, Urteil vom 11. 02.1992 – VI ZR 133/91).

21
b) Gemessen hieran, hat der Beklagte die Voraussetzungen für die Verjährung nicht dargetan.

22
aa) Der Bescheid über die Rente als vorläufige Entschädigung stammt vom 21.03.2007. Fristbeginn für die Verjährung ist die Bekanntgabe und damit frühestens der 22.03.2007. Da gemäß § 199 Abs. 1 BGB Verjährung zum Jahresschluss eintritt und § 113 SGB VII an dieser Ultimo-Verjährung nichts ändert (vgl. Kasseler Kommentar/Ricke, a.a.O., § 113 SGB VII Rn. 3; Beck OK Sozialrecht/Stelljes, Stand 01.09.2011 § 113 SGB VII Rn. 4), endet die Verjährungsfrist am 31.12.2010. Die am 22.03.2010 erhobene Klage hat somit die Verjährungsfrist gewahrt. Nichts anderes ergäbe sich, wollte man den Wortlaut des § 113 SGB VII dahin verstehen, dass damit, von der Ultimo-Verjährung des § 199 Abs. 1 BGB abweichend, die Verjährung taggenau zu laufen beginne und damit am 22.03.2007 als dem Tag der Bekanntgabe. Die Verjährungsfrist endete dann am 22.03.2010 und wäre mit der am 22.03.2010 beim Landgericht eingegangenen Klage gemäß § 204 Abs. 1 Ziffer 4 BGB i.V.m. § 167 ZPO gehemmt worden: Die Klage ist am 25.03.2010 – und damit demnächst im Sinne von § 167 ZPO – dem Beklagtenvertreter zugestellt worden, so dass sie auf den Eingang der Klage beim Landgericht zurückwirkt.

23
bb) Nimmt man einen unanfechtbaren Bescheid im Verlaufe des Jahres 2005 in konkludenter Form durch Leistungserbringung der Klägerin an den Geschädigten an (vgl. hierzu Beck OK Sozialrecht/Stelljes, Stand 01.09.2011, § 113 SGB VII Rz. 5; Kasseler Kommentar/Ricke, a.a.O., § 113 SGB VII, Rn. 5), ergibt sich ebenfalls nichts anderes. Da Bescheid und Kenntnis kumulativ vorliegen müssen, kommt es dann maßgeblich auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin an. Dass der – wie oben ausgeführt maßgebliche – zuständige Bearbeiter bzw. die Regressabteilung vor dem 21.03.2007 Kenntnis hatten, hat der Beklagte nicht dargetan. Indem die Klägerin ihm die ersten beiden Seiten der Regressakte, aus denen sich auch der zuständige Sachbearbeiter ergab, in Ablichtung hat zukommen lassen, ist sie insoweit ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen.

24
Der Auffassung des Beklagten, wonach grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin deswegen anzunehmen sei, weil die Klägerin nicht organisatorisch ausreichend sichergestellt habe, dass die Regressabteilung von Betriebsunfällen unverzüglich Kenntnis erlange, schließt sich der Senat mit Blick auf die dargelegte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht an. Eine prozessuale Pflicht, ihre entsprechende Organisation darzulegen, bestand daher nicht.

25
2. Soweit der Beklagte sich neben der Verjährung auf Verwirkung beruft, bleibt dies ebenfalls ohne Erfolg. Unabhängig von der Frage des Zeitablaufs fehlt es an einem Umstandsmoment, d.h. daran, dass sich der Beklagte in seinen Dispositionen darauf eingestellt hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Allein seine Annahme, zeitnah in Anspruch genommen zu werden, reicht nicht aus. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte dem klägerischen Vortrag, der Unfall werde von der Betriebshaftpflicht der Arbeitgeberin erfasst, nicht entgegengetreten ist, ist auch sonst nicht ersichtlich, dass er sich darauf eingerichtet hätte, nicht in Anspruch genommen zu werden, da die finanziellen Folgen dann letztlich nicht ihn, sondern die Versicherung treffen.

III.

26
Der Senat schließt sich der landgerichtlichen Auffassung, wonach der Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat, an. Zu dem in seinen – vorhersehbaren – Folgen sehr schweren Unfall ist es gekommen, weil eine Speiseleitung mit 15 kV vor Beginn der Arbeiten nicht abgeschaltet wurde. Der Hergang stellt sich wie folgt dar: die Betriebs- und Bauanweisung Nr. 40925 b der Deutschen Bahn für diese Baustelle (künftig: BETRA), in Kraft am Unfalltag, die nicht vom Beklagten stammte, war unvollständig und sah eine Stilllegung der Speiseleitung nicht vor, sondern lediglich der Oberleitungen. Insoweit hat der Geschädigte im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren treffend von einer Verkettung unglücklicher Umstände gesprochen. Hinzu kommt aber für das Verschulden des Beklagten, dass dies der zuständigen Projektleiterin außerhalb der Arbeitszeit aufgefallen ist und sie daraufhin den Beklagten, der für den gegenüber der Deutschen Bahn unmittelbar vor Beginn der Arbeiten telefonisch zu stellenden Abschaltungsantrag zuständig war, zu Hause angerufen hat, dieser am nächsten Morgen aber vergessen hat, die Speiseleitung mit den anderen Leitungen abschalten zu lassen. Er will nur darauf hingewiesen haben, dass die Speiseleitung unter Strom stand.

27
1. Ein objektiver Pflichtverstoß ist gegeben:

28
a) Gem. § 6 Abs. 1 der Berufsgenossenschaftlichen Vorschrift für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (künftig: BGV A 3; Anl. K 7 AH Kl) darf an unter Spannungen stehenden aktiven Teilen elektrischer Anlagen und Betriebsmittel nicht gearbeitet werden.

29
aa) Unfallverhütungsvorschriften stellen zwar grundsätzlich keine eigenständigen Anspruchsgrundlagen dar, da sie letztlich nur der Unfallverhütung dienen. Allerdings stellen sie das Maß dessen dar, was die einschlägigen Kreise im Laufe der Jahre für erforderlich halten, um Unfälle zu vermeiden. Daher dienen sie der Konkretisierung grundsätzlich bestehender Sicherungspflichten.

30
bb) Laut § 6 Abs. 2 BGV A 3 muss vor Beginn der Arbeiten an aktiven Teilen elektrischer Anlagen und Betriebsmittel der spannungsfreie Zustand hergestellt und für die Dauer der Arbeiten sichergestellt werden. Das gilt gem. Abs. 3 auch für benachbarte aktive Teile der elektrischen Anlage oder des elektrischen Betriebsmittels, wenn diese nicht gegen direktes Berühren geschützt sind oder nicht für die Dauer der Arbeiten gegen direktes Berühren geschützt wurden. Gem. Abs. 4 schließlich gilt dasselbe für das Bedienen elektrischer Betriebsmittel, die aktiven, unter Spannung stehenden Teilen benachbart sind, wenn diese nicht gegen direktes Berühren geschützt sind. § 7 BGV A 3 betrifft das Arbeiten in der Nähe spannungsführender Teile, die nicht gegen direktes Berühren geschützt sind. Dort darf nur gearbeitet werden, wenn spannungsfreier Zustand hergestellt und für die Dauer der Arbeiten sichergestellt ist, für die Dauer der Arbeiten die aktiven Teile durch Abdecken oder Abschranken geschützt sind oder die zulässigen Annäherungen nicht unterschritten werden.

31
b) Ob sich diese Unfallverhütungsvorschrift allein an Versicherte, die selbst an unter Spannung stehenden Teilen arbeiten, richtete, wie der Beklagte meint, oder ob der Beklagte als Obermonteur und Schaltantragsteller als Vertreter des Unternehmers anzusehen ist, ist dabei unerheblich:

32
Auch, wenn der Beklagte nicht Adressat dieser UVV war, liegt es auf der Hand, dass es in die Verantwortlichkeit des Beklagten als bauleitendem Obermonteur und Schaltantragssteller lag, für die Abschaltung auch der Speiseleitung zu sorgen. D.h. der Beklagte als Schaltantragsteller hätte – die Klägerin trägt unwidersprochen vor, dies sei die übliche Vorgehensweise – die Freischaltung nicht nur der Oberleitungen, sondern auch der Speiseleitung bei der Deutschen Bahn telefonisch beantragen müssen. Insofern war ihm als Schaltantragsteller die Verkehrssicherungspflicht übertragen.

33
2. Der Beklagte hat hierbei auch grob fahrlässig gehandelt.

34
a) Grobe Fahrlässigkeit i.S.v. § 110 SGB VII setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und dabei dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Lauterbach/Dahm, a.a.O., 41 Lfg., § 110 Rn. 11). Ein objektiv grober Pflichtverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 1 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1992 – IV ZR 223/91; Urteil vom 30.01.2001 – VI ZR 49/00, NJW-RR 2001, 292 [293], 119, 147 [149]).

35
Besteht – wie hier – die Pflichtverletzung des Schädigers auch in einem Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift, so ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder Verstoß schon für sich als eine schwere Verletzung der Sorgfaltspflicht anzusehen ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst und somit elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat (Lauterbach/Dahm, a.a.O. 44. Lfg., § 110 Rn. 12). Dabei spielt insbesondere auch eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren.

36
b) Gemessen hieran ist von grober Fahrlässigkeit auszugehen.

37
aa) Allerdings spielt, entgegen der landgerichtlichen Auffassung, die mit der Regressmöglichkeit auch verfolgte erzieherische Funktion – Beachtung von Unfallverhütungsvorschriften (s. Lauterbach/Dahm, a.a.O. 41. Lfg, § 110 Rn. 1; BeckOK/Marschner , Sozialrecht, Stand: 01.06.2011, zu § 110) – keine Rolle für die Beantwortung der Frage, ob oder ob nicht der Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat.

38
bb) Auf die grobe Fahrlässigkeit kann hier auch nicht allein aus der – voraussehbaren – Schwere des Unfalls sowie dem Nichtabschaltenlassen der Speiseleitung, für sich betrachtet, geschlossen werden. Einen solchen Schluss vom objektiv schweren Verstoß auf den subjektiv schweren Verstoß hat der BGH bei vollständigem Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen für möglich erachtet (Urteile vom 30.01.2001 – VI ZR 49/00 und vom 18.10.1988 – VI ZR 15/88 [NJW-RR 1989, 389]). Im Gegensatz dazu hat der Beklagte hier aber nicht (bewusst) von Sicherungsmaßnahmen vollständig abgesehen; die in der BETRA aufgeführten Leitungen hat er telefonisch um 9.19 Uhr frei schalten lassen, was ihm um 9.31 Uhr bestätigt wurde. Er hat vielmehr übersehen, dass eine weitere Leitung vorhanden war, die abgeschaltet werden musste.

39
cc) Wäre am Abend zuvor nicht der Anruf der Bauleiterin beim Beklagten zu Hause erfolgt, hätte er daher zwar – da er nach eigenem Bekunden gegenüber der Staatsanwaltschaft die Notwendigkeit der Abschaltung auch der Speiseleitung hätte erkennen können – fahrlässig gehandelt, allerdings, da er sich an die ihm vorgegebenen Anweisungen und die von der Bahn übersandte BETRA gehalten hat und nicht ersichtlich ist, dass ihm insoweit eine Überprüfungspflicht oblag, nicht grob fahrlässig. Da der Beklagte aber durch diesen Anruf auf die fehlerhafte BETRA aufmerksam gemacht wurde, stellt sich sein Unterlassen am nächsten Morgen als grob fahrlässig dar, da er positive Kenntnis davon hatte, dass die BETRA unvollständig war hinsichtlich der abzuschaltenden Masten. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dieser außerhalb der Arbeitszeit erfolgte Anruf hätte ihn besonders wachsam sein lassen müssen. Er hätte – insbesondere wegen der Gefahr, die von einer nicht abgeschalteten Leitung für die in dem Bereich Tätigen, die eine Abschaltung annehmen, ausgeht – auf geeignete Weise sicherstellen müssen, die Kenntnis am nächsten Morgen präsent zu haben. Der Beklagte hat zu den näheren Umständen, unter denen ihn der Anruf erreichte, seinerseits nichts mitgeteilt.

40
dd) Das grob fahrlässige Nichtabschalten der Speiseleitung hat der Beklagte nicht durch anderweitige Maßnahmen kompensiert.

41
(1) Soweit er behauptet (Bl. 56 dA), seine Kolonne und auch den Geschädigten ausdrücklich und gezielt auf die unter Strom stehende Speiseleitung … hingewiesen zu haben, hat der Beklagte das nicht bewiesen, was, da er sich vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten muss, zu seinen Lasten geht. Der Geschädigte, der hierzu vom Landgericht als Zeuge vernommen wurde, konnte sich an den Inhalt der Besprechungen nicht mehr erinnern.

42
Letztlich erfolgte die Belehrung um 7.40 Uhr, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem noch sämtliche Oberleitungen nicht abgeschaltet waren; ein gesonderter Hinweis auf die Speiseleitung ist den Unterlagen K 3a und B 14 nicht zu entnehmen. Es wurde des Weiteren nach den Anlagen darauf hingewiesen, dass, da die gesamten Leitungen unter Spannung stehen, mit den Arbeiten erst nach Abschaltung begonnen werden durfte. Die besondere Gefahrenlage lag vorliegend jedoch darin, dass nach Freigabe nicht sämtliche Leitungen – wie für die Beschäftigten zu erwarten gewesen wäre – abgeschaltet waren, vielmehr die Speiseleitung (versehentlich) noch unter Strom stand. Auf diese besondere – weil mit ihr die Beschäftigten und auch der Geschädigte nicht rechnen mussten – Gefahr wurde ersichtlich nicht hingewiesen. Vor ihr wurde nicht gewarnt.

43
Wenn gegenüber diesem Verständnis des Senats der Beklagte behaupten will, er habe gewusst, dass die Speiseleitung unter erheblichem Strom steht und, kurz vor seinem Anruf zur Abschaltung der in der BETRA aufgeführten Leitungen und trotz seiner über 20jährigen Erfahrung, die Möglichkeit vergessen, diese Leitung zusammen mit den anderen Leitungen, die er soeben abschalten ließ, ebenfalls abschalten zu lassen, sondern gemeint, eine Belehrung sei insoweit ausreichend, ist dies nicht geeignet, ihn zu entlasten. Dies erschiene nicht nur wenig glaubhaft sondern wiese wohl – bewusste Nichtabschaltung einer 15kV führenden Speiseleitung – einen deutlich höheren Verschuldensgrad auf.

44
(2) Ohne Belang sind ferner die vom Beklagten minutiös aufgelisteten Belehrungen und Einweisungen, die der Geschädigte in den Jahren und Monaten zuvor erhalten haben soll. Sie könnten allenfalls im Zusammenhang mit dem Mitverschulden des Geschädigten eine Rolle spielen, ändern aber an der Schwere des dem Beklagten zu machenden Vorwurfs nichts.

45
3. Das Mitverschulden des Geschädigten ist mit 1/3 richtig bewertet.

46
a) Mitverschulden des Geschädigten ist – anders als unter der Geltung der RVO – zu berücksichtigen, auch wenn im Ausgangspunkt der Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers ein originärer Anspruch, d.h. nicht aus dem Schadensersatzanspruch des Verletzten abgeleitet ist (vgl. Lauterbach/Dahm, a.a.O., 41. Lfg. § 110 Rn 6). Die Berücksichtigung des Mitverschuldens erfolgt im Hinblick auf die Begrenzung der Haftung des Schädigers gegenüber dem Sozialversicherungsträger auf den Umfang der fiktiven Haftung gegenüber dem Geschädigten.

47
b) Das Mitverschulden beruht hier darauf, dass der Geschädigte die ihm selbst obliegende Sicherheitsprüfung unstreitig nicht vorgenommen hat, sondern sich darauf verlassen hat, alles werde in Ordnung sein. Hätte er diese Prüfung vorgenommen, wäre der Unfall vermieden worden. Auch wenn danach sein Unterlassen ebenso ursächlich für die Verletzung gewesen ist wie das Übersehen des Beklagten und auch wenn die vorgeschriebene Sicherheitsprüfung gerade dazu dient, etwaige zeitlich vorhergehende Versäumnisse aufzufangen, hat das Landgericht das Mitverschulden zutreffend mit 1/3 angesetzt. Der Geschädigte hat sich zwar letztlich genauso auf seine „Vorderleute“ verlassen wie der Beklagte auf die BETRA; beide sind davon ausgegangen, das werde schon seine Richtigkeit haben. Für die vom Landgericht im Anschluss an die Klägerin angenommene Mitverschuldensquote von 1/3 spricht aber, dass der Beklagte, anders als der Geschädigte, konkreten Anlass hatte, sich nicht auf das Vorgefundene, hier die BETRA, zu verlassen: Er wusste, dass dort eine stromführende Leitung nicht erfasst war. Damit war er, anders als der arglose Geschädigte, „bösgläubig“ gemacht worden.

IV.

48
Der Klägerin steht der Anspruch auch in der geltend gemachten Höhe zu; daneben kann sie die Feststellung der Pflicht, weitergehende Schäden ersetzt zu erhalten, verlangen.

49
1. Keinen prozessualen Bedenken begegnet entgegen der Auffassung der Berufung, wenn die Klägerin die Feststellung der Ersatzpflicht auch der bereits entstandenen, ihr aber noch nicht bekannten Aufwendungen verlangt. Die ihr noch unbekannten, aber bereits entstandenen Aufwendungen kann die Klägerin derzeit noch nicht beziffern, so dass das Feststellungsinteresse besteht. Sie ist auch nicht gehalten, im laufenden Prozess den Leistungsantrag ständig zu erweitern. Befindet sich, wie hier, der Schaden noch in der Entwicklung, kann die Klägerin insgesamt im Wege der Feststellungsklage vorgehen (BGH Urteil vom 30.03.1983 – VIII ZR 3/82, NJW 1984, 1552 [554]; Prütting/Gehrlein/Geisler, ZPO, 3. Aufl., § 256 Rn. 12). Hätte die Klägerin danach insgesamt Feststellungsklage erheben können, war ihr unbenommen, einen Teil zu beziffern.

50
2. Die Kosten für die Heilbehandlung und medizinische Versorgung werden mit der Berufung nicht erheblich angegriffen.

51
Allein, dass der Beklagte – wie zuletzt mit Schriftsatz vom 15.09.2011 – meint, diese seien nicht schlüssig dargetan, da die Bezugnahme auf die Anlagen K 13 und K 14 nicht ausreiche, stellt keinen hinreichenden Angriff dar ebenso wenig ein ausreichendes Bestreiten. Auch wenn die – durch Bezugnahme auf Anlage K 13 und K 14 insoweit konkretisierte – Darlegung eher knapp ist, ist sie ausreichend. Ausreichend ist bereits die Widergabe der Umstände, aus denen sich die gesetzliche Folge ergibt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 138 Rz. 7b). Insoweit hat die Klägerin angegeben, sie habe zur Abmilderung der Folgen des Betriebsunfalles Zahlungen in der Klagehöhe erbracht. Aus der Anlage K 13 lässt sich entnehmen, dass u.a. Erstattung der Krankenhausrechnung – die stationäre Behandlung des Geschädigten hat der Beklagte nicht in Abrede gestellt -, für Kompressionskleidung und Physiotherapie im Regresswege geltend gemacht werden.

52
Die landgerichtlichen Feststellungen, die auch ansonsten keinen Zweifeln begegnen, sind daher allein um die von der Klägerin aufgezeigte rechnerische Unrichtigkeit von 70.489,96 EUR auf 73.972,94 EUR zu korrigieren.

53
3. Die Klägerin kann auch Ersatz von Verletztengeld verlangen.

54
a) Nicht eindeutig ersichtlich ist allerdings, ob das Landgericht der Klägerin Ersatz von Verletztengeld oder von Verletztenrente zugesprochen hat. Dies ist daher hier klarzustellen.

55
aa) Im Urteil ist unter Bezugnahme auf den die Verletztenrente regelnden § 56 SGB VII von Verletztenrente die Rede, zugleich aber auch von einer Entgeltersatzfunktion. Der Ersatz von Entgeltausfall ist jedoch Funktion des Verletztengeldes gem. §§ 45 SGB VII und nicht der Verletztenrente. Diese dient vielmehr dem Ausgleich des durch den Versicherungsfall bedingten abstrakten Schadens im Erwerbseinkommen. Abstrakt deshalb, weil, anders als nach der konkreten Schadensberechnung des Zivilrechts, nicht auf einen tatsächlichen Entgeltschaden und seine Höhe abgestellt wird, sondern allein auf den abstrakt bemessenen Verlust von Erwerbsmöglichkeiten auf Grund eines verbliebenen Gesundheitsschadens (Kasseler Kommentar/Ricke, a.a.O., § 56 SGB VII Rn. 2). Allein daraus, dass das Landgericht explizit darlegt, hier nur über den Zeitraum zu entscheiden, in welchem der Geschädigte nicht erwerbstätig gewesen ist, wird letztendlich deutlich, dass das Landgericht materiell über das Verletztengeld (mit der Lohnersatzfunktion) entscheiden wollte und entschieden hat.

56
bb) Im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen in den §§ 45 ff. SGB VII genau aufgelistet sind, unter denen in welcher Höhe und für welchen Zeitraum Verletztengeld zu zahlen ist, hätte das Landgericht, wenn es schon im Ausgangspunkt als Vortrag die Bezugnahme auf eine stichwortartige Liste ausreichen lässt (und an anderer Stelle als qualifizierten Klagevortrag bezeichnet), darauf hinweisen müssen, dass von der Klägerin konkreterer Vortrag zu der Erwerbsunfähigkeit des Geschädigten erforderlich war. Da ein Bescheid über das Verletztengeld nicht ergangen ist, wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 24.08.2011 mitteilt, war näherer Vortrag auch nicht wegen der Bindungswirkung des § 108 SGB VII entbehrlich . Ein entsprechender Hinweis mit der Aufforderung zu näherem Vortrag wäre im Übrigen hier auch deshalb erforderlich gewesen, weil dem Landgericht offensichtlich selbst nicht so ganz klar war, worum es hier eigentlich geht: Ausgleich für Lohnausfall oder Ausgleich für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der jetzige klarstellende Vortrag der Klägerin (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes vom 11.10.2010, Bl. 156 dA) ist daher zu berücksichtigen.

57
b) Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des von ihr an den Geschädigten gem. §§ 45 ff. SGB VII gezahlten Verletztengeldes zu.

58
aa) Der Geschädigte war vom Unfalltag 02.07.2005 bis zum 27.10.2006 und somit über ein Jahr aufgrund des Unfalls arbeitsunfähig; ein Erwerbsschaden liegt somit für den Zeitraum nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlung (14.08.2005) durch den Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 S. 1 EntgFzG) bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit am 30.10.2006 offensichtlich vor. Dies entspricht dem Zeitraum, für den die Klägerin Erstattung des Verletztengeldes verlangt.

59
bb) Die Höhe des dem Geschädigten zu zahlenden Verletztengeldes richtet sich nach §§ 46, 47 SGB VII und entspricht damit maximal dem Nettolohn, den er in dieser Zeit anderenfalls erzielt hätte. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass der Geschädigte vor seinem Unfall und nachher bei dem selben Arbeitgeber in derselben Funktion beschäftigt war, so dass auf der Hand liegt, dass er ohne den Unfall dasselbe Einkommen durchgängig erzielt hätte. Die einzelnen Berechnungsgrundlagen können den vorgelegten Abrechnungen entnommen werden.

V.

60
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 269 III ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.

61
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor; insbesondere sind die von Beklagtenseite insoweit problematisierten Fragen der Kenntniszurechnung bei Behörden und öffentlichen Anstalten und die hiervon abzugrenzende Frage des Organisationsverschuldens höchstrichterlich geklärt. Der Senat weicht hiervon auch nicht ab.

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