OLG Koblenz, Beschluss vom 06. März 2019 – 12 U 692/18
Zu den Sorgfaltsanforderungen an einen Segway-Fahrer auf einem kombinierten Fuß- und Radweg
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 05.04.2019.
Gründe
1
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz des ihr anlässlich des Unfallereignisses vom 29.07.2016 entstandenen materiellen und immateriellen Schadens nicht zusteht. Die Klägerin hat den Eintritt dieses Schadensereignisses in zurechenbarer Weise selbst herbeigeführt; ein etwaiger geringfügiger Mitverursachungsanteil des Beklagten muss hinter diesem schuldhaften Verhalten der Klägerin zurücktreten.
2
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage einer hier allein in Betracht kommenden deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB.
3
Für die Herbeiführung des streitgegenständlichen Unfallereignisses ist die Klägerin in hohem Maße verantwortlich, indem sie beim Befahren des Geh- und Radweges auf der …[A] zwischen …[B] und …[C] die ihr obliegenden verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten missachtet hat.
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Nach § 7 Abs. 4, 5 Mobilitätshilfenverordnung (MobHV) hat, wer mit einer elektrischen Mobilitätshilfe am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt, unter Beachtung des Rechtsfahrgebotes auf gemeinsamen Verkehrsflächen für Fußgänger und Fahrzeuge Fußgängern den Vorrang zu gewähren und darauf zu achten, dass diese weder gefährdet noch behindert werden. Diesen Anforderungen wird das Verhalten der Klägerin nicht gerecht.
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Handelt es sich – wie im vorliegenden Fall – um einen mit dem Zeichen 240 zu § 41 StVO gekennzeichneten kombinierten Fuß- und Radweg, so treffen den Segway-Fahrer, der innerhalb wie außerhalb geschlossener Ortschaften diesen für Radfahrer freigegebenen Weg nach § 7 Abs. 3 MobHV pflichtgemäß zu befahren hat, gegenüber den dort befindlichen Fußgängern erhöhte Sorgfaltspflichten, die über die Rücksichtnahmepflichten der Fußgänger gegenüber den auf diesem Weg fahrenden Verkehrsteilnehmern hinausgehen (vgl. Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 41 StVO Rdn. 248 c zu Zeichen 240 [gemeinsamer Fuß- und Radweg]).
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Fußgängern ist es grundsätzlich gestattet, den gemeinsamen Fuß- und Radweg auf der ganzen Breite zu benutzen und dort auch stehenzubleiben (so auch OLG Frankfurt NJW-RR 2013, 600; Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht a.a.O.). Diese Vorrangstellung von Fußgängern auf gemeinsam für Fußgänger und Radfahrer ausgewiesenen Flächen kommt auch darin zum Ausdruck, dass nach der Verwaltungsvorschrift zu § 41 StVO zu Zeichen 240 eine solche Verkehrsfläche nur dann angelegt werden soll, wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger, insbesondere der älteren Verkehrsteilnehmer und der Kinder, im Hinblick auf die Sicherheit vertretbar erscheint.
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Da der Beklagte als Fußgänger auf dem kombinierten Fuß- und Radweg nach § 7 Abs. 5 MobHV somit den absoluten Vorrang hatte, brauchte er auch nicht fortwährend nach Radfahrern oder sonstigen auf dieser Strecke berechtigt fahrenden Verkehrsteilnehmern, die von hinten herannahen konnten, Ausschau zu halten (so auch OLG Frankfurt, a.a.O.). Der Beklagte durfte mithin im vorliegenden Fall darauf vertrauen, dass die den Weg mit einem Fahrrad oder einer elektrischen Mobilitätshilfe nutzenden Verkehrsteilnehmer gegebenenfalls Schrittgeschwindigkeit einhielten und durch Klingelzeichen oder sonstige akustische Signale rechtzeitig auf sich aufmerksam machen und insbesondere bei unklarer Verkehrslage sicherstellen würden, dass diese Warnsignale von ihm, dem Beklagten, auch rechtzeitig wahrgenommen und verstanden wurden.
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Im vorliegenden Fall hätte sich die Klägerin als Fahrerin eines Segway, die die Belange von Fußgängern besonders zu berücksichtigen hatte, durch Blickkontakt mit dem Kläger Gewissheit darüber verschaffen müssen, dass der Beklagte sie wahrgenommen und zu erkennen gegeben hatte, dass er situationsangemessen reagieren würde. Diesen Sorgfaltsanforderungen wird das Verhalten der Klägerin nicht gerecht.
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Auch wenn die Klägerin – wie von ihr anlässlich ihrer Anhörung bei dem Landgericht ausgeführt – laut gerufen und geklingelt hat, bevor sie den Standort des Beklagten erreichte, hat sie ihren verkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten noch nicht hinreichend genüge getan.
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Der in erster Instanz vernommene Zeuge …[D] hat insoweit bekundet, er habe weder ein Klingeln noch ein Rufen der Klägerin wahrgenommen. Selbst wenn der Beklagte und der Zeuge …[D] dies möglicherweise überhört haben sollten, weil sie nicht hinreichend aufmerksam waren oder die Umgebungsgeräusche zu laut waren, war es an der Klägerin, durch Blickkontakt oder auf andere Weise eine Verständigung mit dem Beklagten zu suchen und herbeizuführen. Dies gilt in besonderem Maße vor dem Hintergrund, dass auf der Brücke im Unfallzeitpunkt nach Aussage der Zeugen …[E] und …[D] viel Betrieb herrschte und die Strecke insbesondere von Fußgängern stark frequentiert war, so dass selbst dann, wenn sich die Klägerin zuvor durch „akustische Signale“ bemerkbar gemacht haben sollte, nicht sichergestellt war, dass diese von dem Beklagten wahrgenommen und als Warnung erkannt und verstanden worden waren.
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Die Klägerin musste erforderlichenfalls Schrittgeschwindigkeit fahren, um jederzeit bremsbereit zu sein (so auch OLG Oldenburg NZV 2004, 360) und nötigenfalls ihr Fahrzeug sogar anhalten, wenn ein Fußgänger nicht auf ihre Warnsignale achtete.
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Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang bei ihrer Anhörung ausgeführt hat, ein Segway habe schon „einen gewissen Bremsweg“, vermag sie auch dieser Umstand nicht zu entlasten. Sie musste ihr Fahrverhalten auf diese Tatsache einstellen und ihre Fahrgeschwindigkeit entsprechend drosseln, so dass es ihr in jedem Fall möglich war, ihr Fahrzeug rechtzeitig anzuhalten.
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Insoweit brauchte auch der Frage, ob ein Segway bei der von der Gruppe gefahrenen Geschwindigkeit tatsächlich sehr schnell zum Stillstand zu bringen ist, wie der Zeuge …[F] bekundete, und inwieweit ein ungenügendes Fahrvermögen der Klägerin für eine nicht rechtzeitige Reaktion auf das Verhalten des Beklagten verantwortlich gewesen sein könnte, nicht nachgegangen zu werden. Jedenfalls hat die Klägerin ihr Fahrverhalten nicht der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Verkehrssituation und dem damit einhergehenden Gefährdungspotenzial für die dort befindlichen Fußgänger angepasst.
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Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie kenne das so, dass der Tourguide, hier der Zeuge …[F], dafür sorge, dass eine Gasse gebildet werde, damit die Segwayfahrer alle durchfahren könnten. Der Zeuge …[F] ist seinen diesbezüglichen Sorgfaltspflichten hinreichend nachgekommen, indem er nach eigenem Bekunden Blickkontakt zu dem Beklagten hielt und sich Gewissheit verschafft hatte, dass dieser ihn auch tatsächlich wahrgenommen hatte. Der Zeuge hat insoweit ausgesagt, der Beklagte habe ihn „angeguckt“. Als dem Zeugen …[F] nachfolgende Fahrerin eines Segways konnte die Klägerin jedoch nicht davon ausgehen, der Tourguide, der, entgegen den Ausführungen der Klägerin, nach eigenem Bekunden zuvor nicht geklingelt hatte, habe alle „Hindernisse aus dem Weg geräumt“ und für eine freie Fahrt gesorgt. Es war vielmehr Sache jedes einzelnen Fahrers, für ein behinderungsfreies Durchkommen Sorge zu tragen. Diese ihr obliegende Verantwortung hat die Klägerin verkannt und insoweit nicht hinreichend vorsichtig gehandelt.
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Insoweit hat sie bei ihrer Anhörung geschildert, sie habe den Beklagten erst bewusst wahrgenommen, als dieser weitergelaufen sei. Sie denke, dass der Beklagte ihr Rufen und Klingeln gehört habe, da sie wirklich laut gerufen habe. Sie könne jedoch nicht mehr sagen, ob sich der Beklagte zu ihr umgedreht habe. Der Beklagte habe, so glaube sie, ein Handy oder einen Fotoapparat oder so etwas in der Hand gehabt. Diese von Annahmen geprägte Schilderung zeigt, dass sich die Klägerin über die Verhältnisse in dem von ihr befahrenen Bereich nicht hinreichend vergewissert hat. Die Klägerin hat sich vielmehr zum einen darauf verlassen, der Zeuge …[F] werde dafür sorgen, dass die Gruppe die auf der Brücke befindlichen Fußgänger ohne Hindernis passieren konnte. Sie hat ferner pflichtwidrig, ohne entsprechende Rückmeldung des Beklagten, darauf vertraut, dass dieser ihre Warnrufe und ihr Klingeln in der an diesem Tag auf der Brücke herrschenden Betriebsamkeit rechtzeitig wahrnehmen und ihre Weiterfahrt schon nicht behindern würde, ohne sich jedoch bewusst zu machen und darauf einzustellen, dass eine Gefahrensituation drohte, die ihre jederzeit präsente Aufmerksamkeit und Reaktion erforderlich machen könnte.
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Die Klägerin ist daher den besonders hohen Sorgfaltsanforderungen nicht nachgekommen, die an sie als Segwayfahrerin auf einem kombinierten Fuß- und Radweg gestellt werden, der, anders als bei Zeichen 241 zu § 41 StVO nicht über eine separate Spur für Fußgänger und fahrende Verkehrsteilnehmer verfügt.
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Nur ergänzend, ohne dass es hierauf entscheidend ankommt, weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin nach § 7 Abs. 4 MobHV die Pflicht traf, möglichst weit rechts zu fahren, während sich das „Nutzungsrecht“ des Beklagten als Fußgänger – wie bereits ausgeführt – auf die gesamte Breite des kombinierten Geh- und Fahrwegs erstreckte.
18
Der Zeuge …[F] hat in diesem Zusammenhang bekundet, die Segwaygruppe sei mittig, „mit Tendenz eher rechts“ gefahren, da die meisten Segwayfahrer das erste Mal mit einem Segway unterwegs gewesen seien und man daher nicht direkt an der Straße hätte fahren können. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Teilnehmer der Gruppe, wie von der Klägerin ausgeführt, in einer Linie gefahren sind, erscheint auch hier die Annahme gerechtfertigt, dass die Fahrweise der Klägerin den Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des § 7 MobHV nicht gerecht geworden ist. Ob die Einhaltung einer zur Mittellinie hin orientierten Fahrlinie unter Umständen verkehrsbedingt erforderlich war, kann letztlich dahinstehen. Jedenfalls hätten sich die bei einer solchen Fahrweise ergebenden Sorgfaltspflichten in dieser Situation noch erhöht und die Klägerin wäre zu einem äußerst umsichtigen Verhalten beim Passieren von Fußgängern verpflichtet gewesen. Hieran mangelt es aus den dargestellten Gründen.
19
Bei dieser Sachlage trifft die Klägerin ein so hohes Verschulden an dem Zustandekommen des Unfallereignisses, dass eine denkbar bestehende Mitverantwortung des Beklagten infolge einer Unachtsamkeit seiner Schrittfolge auf der Brücke zurücktreten muss.
20
Da die Berufung somit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).