AG Hamburg-Barmbek, Urteil vom 17. Januar 2017 – 820 C 542/15
1. Im Fall der Beschädigung eines Verteilerschrankes mit anschließender Netzunterbrechung umfasst der Anspruch auf Schadensersatz auch den Sachfolgeschaden in Gestalt der eingetretenen Erlösminderung aus der Anreizregulierungsverordnung (§ 19 Abs. 1 ARegV).(Rn.19)
2. Eine entsprechende Schadenersatzleistung ist auch nicht im Rahmen der sonstigen Erträge nach § 6 ARegV in Verbindung mit §§ 4, 9 StromNEV kostenmindernd zu berücksichtigen und deshalb nicht auszuschließen.(Rn.23)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.117,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.11.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.117,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf (weiteren) Schadensersatz aufgrund der Beschädigung eines Verteilerschrankes in Anspruch.
2
Die Klägerin ist Betreiberin des Elektrizitätsverteilernetzes der Freien und Hansestadt Hamburg. Am 06.03.2012 beschädigte ein Versicherungsnehmer der Beklagten einen im Eigentum der Klägerin stehenden Stromverteilerschrank. Die alleinige Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte beglich den durch die Reparatur des Verteilerschrankes entstandenen Sachschadens in Höhe von 3.290,35 €. Die Beklagte macht mit der Klage nunmehr noch einen weiteren Schaden geltend, der im Zusammenhang mit den Regelungen in der Anreizregulierungsverordnung steht.
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Mit Beschluss vom 20.11.2013 legte die Bundesnetzagentur die nähere Ausgestaltung und das Verfahren für die Bestimmung des Qualitätselementes hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit für Elektrizitätsverteilernetze für die Jahre 2014 bis 2016 fest. Danach haben Elektrizitätsverteilernetzbetreiber auch solche Versorgungsunterbrechungen zu verantworten, die auf Einwirkungen Dritter beruhen. Ist die tatsächliche Nichtverfügbarkeit des Netzes bei einem Netzbetreiber höher als sein von der Bundesnetzagentur vorgegebener Referenzwert, so führt dies zu einem Abschlag auf die Erlösobergrenze gemäß § 19 Abs. 1 Anreizregulierungsverordnung. Dabei wirken sich Versorgungsunterbrechungen der Jahre 2010 bis 2012 auf die Bestimmung des Qualitätselements in den Jahren 2014 bis 2016 aus. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 28.08.2015 setzte die Bundesnetzagentur den allgemeinen Beschluss vom 20.11.2013 (Anlage K1) individuell für die Klägerin um. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Beschlusses wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 19.11.2015 lehnte die Beklagte eine (weitere) Schadensregulierung ab.
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Die Klägerin behauptet, die durch die konkrete Störung entstandenen Nichtverfügbarkeit des Niederspannungsnetzes berechne sich aus dem Quotienten aus dem Produkte der Anzahl der betroffenen Letztverbraucher und der gemittelten Dauer der Unterbrechung und der Zahl der im Niederspannungsnetz versorgten Letztverbraucher. Das Produkt aus der Anzahl der betroffenen Letztverbraucher und der gemittelten Dauer der Unterbrechung habe hinsichtlich des streitgegenständlichen Ausfalls 16.405 Lv*min betragen. Die Zahl der im Niederspannungsnetz versorgten Letztverbraucher habe sich auf 1.094.121 belaufen. Der sich daraus ergebende sogenannte SAI-DI-Wert habe demnach 0,014994 min/a betragen. Angesichts der individuellen Anreizrate von 207.882,99 € pro Jahr führe dies zu einem Erlösabschlag aufgrund der hier streitgegenständlichen Störung von insgesamt 3.117,– €, verteilt auf die Jahre 2014 bis 2016. Dieser Abschlag führe dazu, dass die Klägerin in den Jahren 2014 bis 2016 jährlich 1.039,- € niedrigere Erlöse aus Netzentgelten erwirtschaften könne.
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Die Klägerin ist der Auffassung, diese niedrigeren Erlöse seien als Sachfolgeschaden ebenfalls von der Beklagten zu ersetzen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.117,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.11.2015 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch stelle weder einen Sachschaden noch einen ersatzfähigen Sachfolgeschaden dar. Es handele sich vielmehr lediglich um eine möglicherweise geminderte Erwerbsaussicht oder einen theoretisch anzustrebenden Gewinn, welche nicht zu ersetzen seien. Zudem unterfalle der geltend gemachte Schaden auch nicht dem Schutzzweck der Norm des §§ 823 Abs. 1 BGB, und der Zurechnungszusammenhang sei jedenfalls durch die Entscheidung der Bundesnetzagentur unterbrochen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf (weiteren) Schadensersatz wegen der streitgegenständlichen Erlösminderung in Höhe von 3.117,- €.
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Die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Hinsichtlich der Schadenshöhe ist auch die Reduzierung der Erlösobergrenze infolge des streitgegenständlichen schädigenden Ereignisses als mittelbarer Sachfolgeschaden aus der Eigentumsverletzung an dem Verteilerschrank der Klägerin zu ersetzen. Durch die Beschädigung des Verteilerschrankes kam es zu einer Versorgungsunterbrechung, die wiederum eine Reduzierung der Erlösobergrenze nach den Regelungen der Anreizregulierungsverordnung zur Folge hatte. Hierbei handelt es sich um entgangenen Gewinn im Sinne von § 252 BGB. Als solcher gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
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a) Die Klägerin hat schlüssig dargelegt, dass ohne das schädigende Ereignis die Erlösobergrenze für die Jahre 2014 bis 2016 pro Jahr um 1.039,- €, insgesamt also 3.117,- € weniger reduziert worden wäre. Sie hat die insoweit anzuwendende Formel, anhand derer der Abschlag auf die Erlösobergrenze errechnet wird, schlüssig in der Klageschrift dargestellt und erläutert. Auch ohne die weiteren Ausführungen in der Anlage K3 ist die Formel verständlich. Die Klägerin hat zudem die konkreten Daten der von dem streitgegenständlichen Schadensereignis betroffenen Letztverbraucher und der gemittelten Unterbrechungsdauer vorgetragen. Insoweit kann das Ergebnis ihrer Berechnung ohne weiteres nachvollzogen werden. Vor diesem Hintergrund ist das einfache Bestreiten seitens der Beklagten, dass es durch das Unfallereignis zu einer Verschiebung der einzelnen Parameter zur Bestimmung „irgendwelcher maßgeblichen Grenzen“ gekommen ist, nicht ausreichend. Die Beklagte hätte angesichts des substantiierten Vortrags der Kläger konkrete Einwendungen gegen einzelne Aspekte der Berechnung vortragen müssen. Ihr pauschales Bestreiten genügt nicht.
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b) Die Reduzierung der Erlösobergrenze gemäß § 19 Abs. 1 ARegV führt auch zu einer Gewinnreduzierung auf Seiten der Klägerin. Gemäß § 5 Abs. 1 ARegV wird die Differenz zwischen den zulässigen Erlösen und den erzielbaren Erlösen jährlich auf einem Regulierungskonto verbucht. Eine Reduzierung der Erlösobergrenze hat damit direkte Auswirkungen auf den Gewinn der Klägerin.
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c) Entgegen der Auffassung der Beklagten entfällt der Schadensersatzanspruch auch nicht deshalb, weil es hinsichtlich des haftungsausfüllenden Tatbestandes an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt. Die Beschädigung des Verteilerschrankes ist sowohl äquivalent als auch adäquat kausal für die Reduzierung der Erlösobergrenze geworden. Es handelt sich nicht um einen gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf. Dies gilt schon deshalb, weil die Anreizregulierungsverordnung ein solches Vorgehen der Bundesnetzagentur vorsieht und deshalb bei einer Herbeiführung einer Versorgungsunterbrechung auch mit Auswirkungen auf die Erlösobergrenze zu rechnen ist. Auch der Schutzzweck der Norm ist gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Reduzierung der Erlösobergrenze aufgrund der vom Versicherungsnehmer der Beklagten schuldhaft verursachten Beschädigung des Verteilerschrankes nicht um eine Gefahr, die dem allgemeinen Geschäftsrisiko der Klägerin zuzurechnen ist. Dass Stromleitungen auch jederzeit durch einen technischen Defekt ausfallen können, ist insoweit irrelevant, da sich ein solcher technischer Defekte hier gerade nicht ausgewirkt hat. Die zur Reduzierung der Erlösobergrenze führende Versorgungsunterbrechung war vielmehr Folge einer Substanzbeschädigung durch den Versicherungsnehmer der Beklagten.
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Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Pönalisierung durch § 19 ARegV dem Schädiger nicht zuzurechnen sein soll. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen typischen Folgeschaden im Sinne von § 252 BGB, da aufgrund des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 20.11.2013 (Anlage K1) feststeht, dass auch Beschädigungen durch Dritte zur Reduzierung der Erlösobergrenze führen.
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Der Zurechnungszusammenhang wurde auch nicht dadurch unterbrochen, dass die Reduzierung der Erlösobergrenze nicht automatisch kraft Gesetzes, sondern erst aufgrund eines Beschlusses der Bundesnetzagentur erfolgt ist. Vielmehr wird die Zurechnung nicht dadurch ausgeschlossen, dass außer dem zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignisses auch noch andere Ursachen zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Insoweit gilt es im Übrigen zu berücksichtigen, dass die konkrete Berechnung der Reduzierung der Erlösobergrenze durch die Bundesnetzagentur nicht unter Ausübung von Ermessen erfolgte, sondern unter Anwendung der bereits zuvor festgelegten Formel. Es handelt sich lediglich um eine behördliche Festschreibung einer auch zuvor bereits errechenbaren Reduzierung. Der Zurechnungszusammenhang wird dadurch nicht berührt.
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Ebenso wenig ist ersichtlich, weshalb der Regulierungszweck der Anreizregulierung unterlaufen würde, wenn ein Netzbetreiber im Falle einer Beschädigung durch Dritte einen Abschlag bei der Ermittlung der Erlösobergrenze bei diesem Dritten wieder als Schaden geltend machen kann. Wenn es wie hier an jeglichem Mitverschulden des Netzbetreibers fehlt, so mag er zwar gegenüber der Bundesnetzagentur für die Versorgungsunterbrechung einstehen und eine Reduzierung der Erlösobergrenze hinnehmen müssen. Dies schließt aber nicht aus, dass er nach den allgemeinen zivilrechtlichen Schadensregeln beim Schädiger Regress nehmen und von diesem den entgangenen Gewinn ersetzt verlangen kann. Dass dadurch das Ziel der Anreizregulierungsverordnung, Versorgungsunterbrechungen so kurz wie möglich zu halten, unterminiert würde, ist nicht ersichtlich.
23
Schließlich entfällt ein zu ersetzender Schaden auch nicht deshalb, weil eine entsprechende Schadensersatzforderung im Rahmen der sonstigen Erträge nach § 6 ARegV in Verbindung mit §§ 4, 9 Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen wäre und in gleicher Höhe den Gewinn der Klägern wieder reduzieren würde. Bei diesem Argument der Beklagtenseite handelt es sich um einen Zirkelschluss. Selbst wenn die Schadensersatzforderung als sonstiger Ertrag zu berücksichtigen wäre, wäre dies erst die Folge eines zunächst zuzusprechenden Schadensersatzanspruches. Indes kann der Umstand, dass nach Erhalt von Schadensersatz dieser wiederum ganz oder zum Teil an Dritte gezahlt oder sonst verrechnet wird, den Schadensersatzanspruch nicht auszuschließen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der versagten Vorteilsausgleichung. Eine etwaige Berücksichtigung als sonstiger Ertrag soll nicht dem Schädiger zugutekommen.
24
2. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
II.
25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.