OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.2007 – I-18 U 138/06
Zur Entschädigungshöhe des Frachtführers nach CMR bei Beschädigung des Frachtgutes infolge eines Unfalles
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 9. Kammer für Handelssa-chen des Landgerichts Düsseldorf (39 O 147/05) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.106,30 € nebst 5 % Zinsen seit dem 22.06.2005 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin 77 % und die Beklagte 23 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Schuldnerin darf die Voll-streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Ur-teils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstre-ckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin A. H. Maschinenfabrik GmbH & Co. KG in B. Schadensersatz, weil eine Wurstfüllmaschine, welche von der Beklagten nach Teheran zu transportieren war, unterwegs einen Totalschaden erlitt.
Der LKW, auf welchem die Wurstfüllmaschine verladen war, wurde am 16.06.2004 in der Türkei in einen Verkehrsunfall verwickelt. Im Anschluss nahm die örtliche Polizei ein Protokoll und das vom Assekuradeur der Verkehrshaftungsversicherer der Beklagten beauftragte Havariekommissariat B. ein Havarie-Zertifikat auf; wegen des Inhalts des Polizeiprotokolls wird auf Anl. B 1 (Bl. 31 – 35 GA) nebst als deutscher Übersetzung eingereichter Anl. B 1a (Bl. 83 – 91 GA) Bezug genommen, wegen des Inhalts des Havarie-Zertifikats auf Anl. B 3 (Bl. 37 – 48 GA) nebst als deutscher Übersetzung eingereichter Anl. B 3a (Bl. 93 – 99 GA).
Die Beklagte hat behauptet, der Unfall vom 16.06.2004 habe sich in der in dem Polizeiprotokoll und dem Havarie-Zertifikat geschilderten Weise abgespielt, und sich zum Beweis auf das Zeugnis des LKW-Fahrers, des Unfallgegners, des Havariekommissars und der Polizeibeamten bezogen. Andere Schadensereignisse habe es während des Transports nicht gegeben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Beklagte hafte nicht, weil erwiesen sei, dass der Schaden ausschließlich durch Umstände verursacht wurde, die sie nicht vermeiden konnte (Art. 17 Abs. 2 CMR). Nach den Anlagen B1/B 1a und B 3/B 3a stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Unfall so wie im Polizeiprotokoll niedergelegt ereignet habe, indem der Fahrer B. eines Kleinlastwagens den LKW mit der Maschine verbotenerweise überholen wollte und während des Überholvorgangs bei einer Brückenauffahrt mit dem rechten Vorderbereich seines Fahrzeugs mit dem linken Vorderbereich des LKW zusammenstieß, wodurch der LKW von der Brücke herunterfiel. Auch ein sorgfältiger Fahrer könne es bei einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug nicht vermeiden, von der Straße abzukommen und mit dem LKW umzustürzen. Eine Beschädigung der Maschine bereits vor dem Unfall sei so fernliegend, dass sie auszuschließen sei, eine weitere Verschlechterung nach dem Unfall angesichts des von dem Havariekommissar beschriebenen Schadensbildes unmöglich.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzliche Forderung weiter. Sie macht geltend, das Landgericht habe nicht allein aufgrund der Unterlagen und ohne Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen zu dem Schluss kommen dürfen, dass sich der Unfall vom 16.06.2004 so wie im Polizeiprotokoll niedergelegt ereignet habe. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, hätte es sich doch nicht um ein für die Beklagte unabwendbares Ereignis gehandelt. Im Gegenteil sei von ihrem qualifizierten Verschulden auszugehen, da sie ihre Darlegungsobliegenheit nicht erfüllt habe.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 70.864,84 € nebst 5 Prozent Zinsen seit dem 22.06.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen des Sachverhalts im übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.
I.
Die Beklagte schuldet der Klägerin nach Art. 17, 25, 23 CMR Schadensersatz in der zugesprochenen Höhe.
1.
Allerdings wendet sich die Berufung ohne Erfolg gegen die Feststellung des Landgerichts, dass sich der Unfall tatsächlich so abgespielt hat, wie es in dem Polizeiprotokoll (Anl. B 1/B 1a) geschildert ist.
a) Die Klägerin kann in diesem Zusammenhang zunächst nichts darauf stützen, dass das Protokoll unvollständig vorgelegt oder die deutsche Übersetzung unrichtig sei. In erster Instanz hat sie nichts dergleichen geltend gemacht, und ein Fall des § 531 Abs.2 ZPO liegt nicht vor.
Aus diesem als vollständig und als richtig übersetzt anzusehenden Protokoll den Schluss zu ziehen, dass sich der Unfall so wie darin festgehalten ereignet hat, ist nicht zu beanstanden. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Landgerichts verwiesen werden. Entgegenstehende Anhaltspunkte i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bringt die Berufung nicht vor, und sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
So trifft nicht zu, dass es nicht erkennbar sei, auf welchen Teil der zum Protokoll gehörenden Zeichnungen sich die unter „Skizze des Unfallorts“ übersetzten Textpassagen (S. 4/5 der Anl. B 1a, Bl. 86/86 GA) beziehen. Neben den deutschen Wörtern steht jeweils das türkische Original, welches sich in der Zeichnung auf S. 2 des Original-Protokolls (Bl. 32 GA) wiederfindet und somit zuzuordnen ist.
Unschädlich ist, dass es in Satz 2, 2. Halbsatz der „Kurzfassung des Unfallhergangs“ in Anl. B 1a (Bl. 85 GA) heißt, der Sattelschlepper sei mit dem Geländer bzw. den Leitplanken der Brücke zusammengestoßen, welche aus seiner Fahrtrichtung gesehen links von der Straße lagen, während nach dem Havariezertifikat (insbesondere dem Foto mit den Bremsspuren, Bl. 48 GA unten) der LKW rechts herabstürzte. Insofern handelt es sich nicht um einen Widerspruch des Polizeiprotokolls, sondern um einen offenbaren sprachlichen Lapsus entweder schon bei der Abfassung der „Kurzfassung des Unfallhergangs“ durch die türkischen Polizeibeamten oder bei der Übersetzung ins Deutsche. In den beiden zum Protokoll gehörenden Skizzen (Bl. 32, 33 GA) ist dargestellt, dass der abgestürzte LKW in Fahrtrichtung rechts von der Straße liegt und dass sich auch das beschädigte Geländer (Hasarli korkuluk) sowie die beschädigte Leitplanke (Hasarli Bariyer) bzw. zerbrochene Leitplanke (Kirik bariyer) auf der rechten Seite befinden.
Schließlich tut es der Überzeugungskraft des zeitnah vor Ort aufgenommenen Polizeiprotokolls keinen Abbruch, dass die Beklagte nicht zusätzlich einen abschließenden Ermittlungsbericht vorlegt. Es ist im übrigen nicht einmal ersichtlich, dass ein solcher existiert.
b) Nachdem die Unterlagen zu Recht die hinreichende Überzeugung des Landgerichts vom Unfallhergang begründeten, war es richtig, nicht zusätzlich die von der Beklagten benannten Zeugen zu vernehmen. Das Gericht ist nicht gehalten, alle vorsorglich angebotenen Beweismittel auszuschöpfen, wenn es die fragliche Tatsache auch ohne dies schon für erwiesen erachtet. Die Klägerin ihrerseits hat keinen Gegenbeweis angeboten und sich insbesondere nicht selbst auf die von der Beklagten angegebenen Zeugen berufen.
2.
Die aus dem Polizeiprotokoll ersichtlichen Tatsachen reichen jedoch nicht aus, um eine Unvermeidlichkeit des Unfalls für die Beklagte i.S.d. Art. 17 Abs. 2 CMR anzunehmen.
Es sind im Rahmen dieser knappen Schilderung nicht nur theoretisch und fernliegend Fallgestaltungen im Detail denkbar, bei denen der Fahrer des LKWs des Subunternehmers der Beklagten die Berührung der Fahrzeuge und damit den Unfall durchaus hätte vermeiden können. So geht aus dem Protokoll beispielsweise nichts dafür hervor, dass der LKW-Fahrer den überholenden Kleinlastwagen etwa nicht sehen konnte, auch nicht unter Zuhilfenahme der Spiegel, woraufhin ein „Idealfahrer“ seine Geschwindigkeit herabgesetzt und dem Kleinlastwagen Gelegenheit gegeben hätte, seinen – und sei es verbotenen – Überholvorgang zu Ende zu bringen.
Mangels jeder Darlegung der Beklagten zu den Einzelheiten des Unfallhergangs über das Polizeiprotokoll hinaus war es auch nicht möglich, die von der Beklagten benannten Zeugen zu vernehmen, um von ihnen gegebenenfalls die Beklagte entlastende Einzelheiten zu erfahren. Das wäre eine unzulässige Ausforschung gewesen.
3.
Auf der anderen Seite trifft die Beklagte kein qualifiziertes Verschulden i.S.d. Art. 29 CMR, § 435 HGB.
Ein entsprechendes Verschulden des LKW-Fahrers am Unfallgeschehen ist nicht ersichtlich. Die Überlegungen der KIägerin, der LKW-Fahrer könne den Unfall z.B. wegen Übermüdung oder gar dadurch herbeigeführt haben, dass er sich mit dem späteren Unfallgegner ein Rennen lieferte, sind rein theoretischer Natur und haben keinen Anknüpfungspunkt im vorliegenden Sachverhalt. Selbst derjenige, der die Unabwendbarkeit eines Unfallgeschehens beweisen muss, braucht nicht solche Unfallverläufe auszuschließen, welche zwar denkmöglich sind, für die aber keinerlei tatsächlicher Anhalt festgestellt ist (BGH 17.02.1970, VersR 1970, 423, 424 zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.). Erst recht gilt dies für die Frage des grundsätzlich vom Anspruchsteller zu beweisenden qualifizierten Verschuldens.
Qualifiziertes Verschulden ist auch nicht deshalb zu vermuten, weil die Beklagte ihre Darlegungsobliegenheit nicht erfüllt hätte. Vielmehr ist dieser Obliegenheit durch die Bezeichnung und Schilderung des Verkehrsunfalls vom 16.06.2004 Genüge getan. Die Klägerin zieht in diesem Zusammenhang zu Unrecht eine Parallele zu dem vom BGH am 16.01.1997, TranspR 1997, 291, entschiedenen Fall. Dort ging es um einen ungeklärten Verlust aus einem Lager und daran anschließend die Frage, ob die Lagerorganisation des Beklagten ausreichend war. Hier steht demgegenüber die Schadensursache fest – Verkehrsunfall vom 16.06.2004 bei verbotswidrigem Überholen durch einen Dritten und anschließendes Umstürzen des LKW -, und um ein Organisationsverschulden geht es nicht.
4.
Die Haftung der Beklagten für den im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgehalten, unstreitigen Totalschaden an der Maschine in Höhe von 70.294 € ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 23 Abs. 3 CMR auf 16.106,30 € beschränkt (Sendungsgewicht 1.690 kg x 8,33 Sonderziehungsrechte/kg x 1,1441 €/SZR).
Dieser Betrag erhöht sich nicht um die 570,84 € für das Gutachten der J. E.-S. (Anl. K 3, Bl. 7 – 10 GA). Unter Art. 23 Abs. 4 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 CMR fallen diese Begutachtungskosten nicht, denn sie entstanden nicht „aus Anlass der Beförderung“, sondern erst aus Anlass des Schadens (vgl. Senat 30.06.1983, VersR 1984, 980, 981 zu Sortier- und Neuverpackungskosten). Ob sie unmittelbar als Teil der nach Art. 25 Abs. 1 CMR maßgeblichen Wertminderung zu ersetzen sein können, wenn die Begutachtung zwar der Realisierung eines Restwertes des beschädigten Transportguts dienen soll (hierzu Senat 21.04.1994, NJW-RR 1994, 1253, 1255; OLG Hamm 12.11.1998, TranspR 2000, 361, 363; s. auch Senat 14.07.1983, TranspR 1984, 16, 17), sich als Begutachtungsergebnis letztlich aber kein Restwert herausstellt, braucht nicht entschieden zu werden. Die von Art. 25 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 23 Abs. 3 CMR gezogene Wertgrenze wird bereits durch den reinen Sachschaden (70.294 €) ausgeschöpft.
5.
Der Anspruch ist nicht verjährt. Weniger als ein Jahr nach dem von der Beklagten behaupteten Entladedatum, dem 29.06.2004, erklärten die Klägervertreter der Beklagten mit Telefax vom 22.06.2005 die Inanspruchnahme (Anl. K 11, Bl. 69 GA) und führten so die Hemmung der Verjährung gem. Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR herbei. Anschließend verzichtete die Beklagtenseite nahtlos auf die Einrede der Verjährung, nämlich zunächst unter dem 30.06.2005 bis zum 22.09.2005 (Anl. B 4, Bl. 49 GA) und weiter unstreitig unter dem 26.08.2005 bis zum 22.11.2005. Die Klage wurde am 21.11.2005 per Fax und nochmals am 22.11.2005 im Original eingereicht und anschließend alsbald zugestellt.
6.
Der Zinsanspruch beruht auf Art. 27 Abs. 1 CMR.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt.