LG Berlin, Urteil vom 15.02.2007 – 10 O 433/06
Keine Zustellung „demnächst“ bei falscher Anschriftenangabe.(Rn.16)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte als Bürgin eines Kredites in Anspruch, den sie der Hauptschuldnerin Frau G.K. mit Vertrag vom 06./17.01.2000 gewährt hatte. Nach der Insolvenz der Hauptschuldnerin kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 05.03.2002 (Anlage K 3) das Darlehen und stellte dieses fällig. Per 22.08.2003 errechnete sich eine offene Forderung in Höhe von 25577,53 €, die vorliegend gegenüber der Bürgin geltend gemacht wird.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte zunächst einen am 24.11.2005 bei Gericht eingegangenen Mahnantrag gestellt. Als Anschrift ist H.damm in B. angegeben. Der unter dem 28.11.2005 erlassene Mahnbescheid konnte unter angegebenen Adresse nicht zugestellt werden, was der Klägerin am 07.12.2005 mitgeteilt wurde.
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Die Klägerin richtete unter dem 23.12.2005 an das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eine Wohnungsanfrage (Anlage K 9) und baten am 27.12.2005 den bs service (Anlage K 10) um Ermittlung der Wohnanschrift. Die Melderegisterauskunft erfolgte am 16.02.2006 mit der Anschrift C.Str. in B.. Die gleiche Auskunft hatte der x service bereits unter dem 02.02.2006 erteilt. Nach der vorgelegten Anmeldebestätigung (Bl.25 d.A.) ist die Beklagte seit dem 01.02.2005 unter dieser Anschrift gemeldet.
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Am 10.02.2006 ging beim Mahngericht ein Antrag auf Neuzustellung des Mahnbescheides unter der Anschrift C-Str. in B. ein. Am 17.02.2006 wurde der Mahnbescheid der Beklagten durch Niederlegung zugestellt. Nach dem Widerspruch und einer diesbezüglichen Nachricht vom 07.03.2006 ging am 17.03.2006 ein Antrag auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides ein, der nicht bearbeitet werden konnte, weil bereits Gesamtwiderspruch eingelegt worden war.
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Am 30.08.2006 ging die Klagebegründung mit dem Antrag auf Abgabe an das Streitgericht ein.
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Die Klägerin ist der Auffassung, der Mahnbescheidsantrag habe die Verjährung rechtzeitig gehemmt, da dessen Zustellung demnächst erfolgt sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 25577,53 € nebst Zinsen mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 23100,82 € seit dem 23. August 2003 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie erhebt die Einrede der Verjährung. Sie ist der Ansicht, die Klägerin hätte durch die Angabe einer falschen Anschrift das Zustellungsverfahren verzögert und nicht für eine unverzügliche Anschriftenermittlung gesorgt. Über den Dienst der J. GmbH sei eine Anschriftenprüfung innerhalb von drei Werktagen möglich. Die Zustellung sei daher nicht “demnächst“ erfolgt.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet.
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Die Beklagte kann gegenüber der Klägerin die Leistung aus der Inanspruchnahme im Zusammenhang mit der Bürgschaft (§§ 765, 488 Abs.1 Satz 2 BGB) dauerhaft verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB), da der Bürgschaftsanspruch verjährt ist (§§ 194 Abs.1, 195 BGB).
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Der Leistungsanspruch aus der Bürgschaft unterlag ursprünglich der vierjährigen Verjährungsfrist der §§ 197, 201 BGB a.F. An deren Stelle ist mit Wirkung vom 01.01.2002 die neue Regelverjährung von drei Jahren getreten, so dass Ansprüche aus der Bürgschaft nach der Fälligstellung des zu Grunde liegenden Darlehens im Jahre 2002 mit Ablauf des 31.12.2005 verjährten, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB .
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Durch Einreichung des Mahnbescheidsantrages am 24.11.2005 hat die Klägerin die Verjährung schon deshalb nicht rechtzeitig gehemmt, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagten der Mahnbescheid „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zugestellt worden ist.
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Zwar ist die Regelung des § 167 ZPO nicht rein zeitlich zu verstehen; sie soll vielmehr den Kläger vor einer von ihm nicht verschuldeten verzögerlichen Sachbehandlung schützen.Der Zustellungsbetreiber muss jedoch innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens die möglichen Maßnahmen ergreifen, um eine zeitnahe Zustellung zu bewirken. Kommt er dieser Obliegenheit – ggf. fortwährend – nach, so schadet ihm selbst eine unter Umständen beträchtliche Verzögerung nicht. Nachlässigkeiten des Betreibers, die eine Verzögerung um mehr als zwei Wochen, im Mahnverfahren um mehr als einen Monat verursachen, stehen jedoch einer Rückwirkung gemäß § 167 ZPO entgegen. Das ist namentlich der Fall, wenn der Einreicher zwischen Kenntniserlangung vom Zustellungsmangel und Mitteilung einer neuen Zustellanschrift eine Zeitspanne von mehr als zwei Wochen bzw. einem Monat verstreichen lässt (vgl. BGHZ 131, 376 für Zustellung einer Klage; BGHZ 150, 221 für Zustellung eines Mahnbescheides; vgl. zu beidem BGH FamRZ 2004, 21 ). Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Klägerin auf die in dem Mahnantrag bezeichnete Adresse der Beklagten vertrauen durfte (vgl. BGH, NJW 2001, 885, 887 m.w.N.; hier zur Klageschrift).
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Von einem solchen Vertrauen kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
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Zu Recht weist nämlich das OLG Düsseldorf im dortigen Fall darauf hin, dass nach Ablauf von 5 Jahren Veranlassung bestanden hätte, vor Mahnantragstellung die alte Anschrift zu überprüfen, da in einer solchen Zeitspanne Veränderungen immer möglich sind (OLG Düsseldorf, JurBüro 2002, 653 f.; sowie MDR 1999, 1462). Nichts anderes kann dann gelten, wenn zwischen der letzten behaupteten Kontaktaufnahme am 05.03.2002 (Anlage K 7) und der Einreichung des Mahnantrages ca. 3 ½ Jahre vergangen sind.
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Doch auch wenn davon ausgegangen wird, dass es der Klägerin ohne konkrete Anhaltspunkte nicht obliegt, vor der Antragstellung im Mahnverfahren beim zuständigen Einwohnermeldeamt die ihr bekannte Anschrift der Anspruchsgegnerin zu überprüfen (in diesem Sinne BGH, NJW 1993, 2614, 2615), hat die Klägerin die Anschriftenprüfung nicht mit dem notwendigen Nachdruck betrieben. Vorliegend liegt zwischen der Nachricht über die Nichtzustellung des Mahnbescheides vom 07.12.2005 und dem Antrag auf Neuzustellung des Mahnbescheides unter Angabe einer neuen Anschrift vom 10.02.2006 ein Zeitraum von mehr als 5 Wochen, wenn darauf abgestellt wird, dass unter Ausnutzung der vorhandenen Fristen, der Mahnbescheidsantrag erst am letzten Tag des Jahres 2005 hätte eingehen müssen. Dies ist nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Zugrundelegung von maximal 4 Wochen zu lang.
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Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie alles ihr Mögliche zur Anschriftenfeststellung getan hätte. Vielmehr hat sie auf die Mitteilung der Nichtzustellung des Mahnbescheide vom 07.12.2005 erst am 23.12.2005 eine Anfrage an das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten gerichtet und am 27.12.2005 den b. service eingeschaltet. Danach hat sie offensichtlich ohne weitere Nachfragen abgewartet, wann die eingeholten Auskünfte eintreffen.
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Dies ist ihr als Nachlässigkeit anzulasten.
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Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 167 ZPO nicht allein den gläubigerschützenden Zweck hat, den Zustellungsbetreiber vor den Rechtsfolgen von ihm nicht verschuldeter Verzögerungen zu bewahren, sondern auch das Vertrauen des Adressaten schützt, eine durch Zeitablauf erlangte Rechtsposition nicht zeitlich unbegrenzt wieder verlieren zu können (vgl. hierzu und zum Folgenden KGR Berlin 2004, 414-417). Ausschluss- und Verjährungsfristen sollen dem Schuldner einen durch Zeitablauf erdienten Rechtsfrieden verschaffen, ihn vor dem Verlust von Beweismitteln schützen und ihn von der Bürde entlasten, sich wegen eines Anspruchs, vor allem auch wegen eines aus seiner Sicht ungewissen Anspruchs, unbegrenzt leistungsbereit zu halten; nicht dagegen sollen sie den Gläubiger für seine Säumigkeit bestrafen. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass die Schutzwürdigkeit des Gläubigerinteresses, die Verzögerungsfolgen zu vermeiden, mit zunehmender Dauer der Zustellungsverzögerung jedenfalls nicht zunimmt, die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Schuldners in die Rechtswirkungen des Fristablaufs aber wohl.
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Danach hätte die Klägerin sich nicht damit begnügen dürfen, die Antworten auf ihre Anfragen abzuwarten, wenn diese nicht zeitnah in einem Zeitfenster bis 2 Wochen beantwortet werden. Wenn sich schon die Erfahrung gebildet hat, dass das Einwohnermeldeamt eine solche zeitnahe Antwort nicht leisten kann, sind andere Wege der Anschriftenprüfung zu beschreiten. In Frage kommen eine Postanfrage, die Einsichtnahme in das örtliche Telefonbuch oder aber der vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten aufgezeigte Weg der Einschaltung des EMA-Service der J. GmbH mit dem dort möglichen elektronischen Datenabgleich mit dem Landeseinwohneramt innerhalb von drei Werktagen. Es ist nicht dem Schuldner anzulasten, wenn solche Wege nicht beschritten werden und es zu einer Zustellungsverzögerung kommt. Bei mehr als 4 Wochen erfolgt die Zustellung unter diesen Umständen nicht mehr “demnächst“.
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Die Klägerin kann sich nach Ansicht des erkennenden Richters auch nicht mit Erfolg auf die Bestimmungen der Ziffern 3.9 des Bürgschaftsvertrages i.V.m. Ziffer 11 (1) der AGB-Banken berufen, wonach der Kunde der Bank Änderungen seiner Anschrift unverzüglich mitzuteilen hat. Zum einen können die vorgelegten Bedingungen (Fassung April 2002) nicht für einen Vertrag aus dem Jahre 2000 herangezogen werden und zum anderen betrifft die entsprechende Obliegenheit schon nach seinem Wortlaut nicht den Bürgen sondern den Kunden der Bank. Die Beklagte als Bürgin ist nicht in gleicher Weise wie die Bankkundin zur Kooperation verpflichtet, da sie ohnehin nur im Bürgschaftsfall haftet. Es würde auch eine unbillige Belastung (§ 9 AGBG a.F.) darstellen, wenn die Bürgin verpflichtet wäre, auf von ihr nicht abschätzbare Zeit Anschriftenänderungen an einen nur potentiell Anspruchsberechtigten mitzuteilen. Eine bloße Obliegenheitspflichtverletzung würde zudem allenfalls Schadensersatzansprüche auslösen, jedoch nicht die Klägerin von eigenen Versäumnissen entlasten.
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Danach erfolgte die am 17.02.2006 erfolgte Zustellung nicht mehr in unverjährter Zeit, da diese nicht demnächst erfolgte und daher nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnantrages zurückwirkte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.