Falsche Strafanzeige des Mieters gegen den Vermieter kann fristlose Kündigung rechtfertigen

LG Karlsruhe, Urteil vom 17.06.2014 – 9 S 483/13

Falsche Strafanzeige des Mieters gegen den Vermieter kann fristlose Kündigung rechtfertigen

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 12.11.2013 – 4 C 408/13 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert

(1) Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr im Anwesen … im Erdgeschoss links angemietete Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, einem Korridor, einer Toilette sowie einem Kellerraum, zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

(2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 114,12 EUR außergerichtliche Kosten zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 30.09.2014 bewilligt.

Gründe
I.

Die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin, verlangt von der Beklagten Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Das Amtsgericht, das die Akten des Amtsgerichts Karlsruhe Az. 1 C 262/13 und die Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Az. 250 Js 16550/13 beigezogen hat, hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung stehe der Klägerin weder aus § 546 Abs. 1 BGB noch aus § 985 BGB zu, da das zwischen den Parteien geschlossene Mietverhältnis durch die Kündigung vom 30.07.2013 nicht beendet worden sei. Die fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB sei nicht wirksam, da es hier schon an einer vorher ausgesprochenen Abmahnung nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB fehle. Zudem liege kein Kündigungsgrund vor. Soweit die Klägerin die fristlose Kündigung damit begründe, dass die Beklagte ihre Betreuerin der Wahrheit zuwider wegen Beleidigung angezeigt, im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine falsche eidesstattliche Versicherung zu Lasten der Betreuerin abgegeben, den Hörer der Gegensprechanlage abgerissen, ihre Betreuerin beleidigt und mit einem Hausschuh geschlagen habe, habe sie diese von Beklagtenseite bestrittenen Verhaltensweisen nicht beweisen können. Soweit die Klägerin ausführe, hinsichtlich der Bezahlung einer Mietsicherheit sei eine gütliche Vereinbarung getroffen worden, habe sie für diese von Beklagtenseite bestrittene Behauptung schon keinen Beweis angeboten. Zudem sei die Kündigung ohnehin nicht auf die fehlende Kautionszahlung gestützt worden. Da die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung auf die gleichen Gründe gestützt sei, das Gericht jedoch von den klägerseits behaupteten Verhaltensweisen der Beklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit überzeugt sei, liege ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnissee gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vor.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlich geltend gemachten Räumungs- und Herausgabeanspruch weiter. Das Amtsgericht habe verkannt, dass entsprechend § 543 Abs. 3 Ziffer 1 und 2 BGB eine Abmahnung nicht erforderlich sei, weil zum einen eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg versprochen hätte und die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt sei. Auch habe das Amtsgericht übersehen, dass das Mietverhältnis nicht nur fristlos, sondern auch ordentlich hilfsweise zum 31.10.2013 gekündigt worden sei. Die Kündigung sei auf jeden Fall gemäß § 569 Abs. 2 BGB begründet, weil ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB vorliege, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig störe, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Beklagten und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Dies sei vorliegend der Fall. Die Störung des Hausfriedens sei durch die grundlose Strafanzeige genauso bewiesen wie durch die falsche eidesstattliche Versicherung und das klageabweisende Urteil im Verfahren 1 C 262/13 vor dem Amtsgericht Karlsruhe. Allein durch das Beiziehen der genannten Akten sei entgegen der Auffassung des Amtsgerichts der jeweilige Vertragsverstoß bewiesen. Die Beklagte habe eine Strafanzeige erstattet. Es sei jedoch nicht ihre eigene Sache, einen Negativbeweis antreten zu müssen. Weil durch das Verhalten der Beklagten der Hausfrieden und jedes Vertrauensverhältnis zerstört seien, habe es keiner Abmahnung mehr bedurft.

Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten des Amtsgerichts Karlsruhe Az. 1 C 262/13 und der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Az. 250 Js 16550/13 lagen auch im Berufungsverfahren vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung (§ 543 Abs. 1 BGB) gemäß § 546 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung.1.

Unter Berücksichtigung des Inhalts der beigezogenen Akten des Amtsgerichts Karlsruhe und der Staatsanwaltschaft Karlsruhe geht das Berufungsgericht davon aus, dass aufgrund der gegebenen Umstände ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB vorliegt und somit die außerordentliche fristlose Kündigung der Klägerin wirksam ist.a)

Gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragspartei, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Wie bereits durch das Amtsgericht festgestellt, kann die Erstattung einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder einer anderen Behörde eine erhebliche Vertragsverletzung in diesem Sinn darstellen. Hierbei ist über die Kündigung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel entsprechend der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dem Verhalten des Angezeigten kommt dabei eine maßgebliche Bedeutung zu. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Anzeige im Rahmen der Wahrnehmung staatsbürgerliche Rechte erfolgt ist oder ob der Anzeigeerstatter mit der Anzeige eine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt hat (Blank in Schmidt-Futterer, 11. Aufl., § 543 BGB Rn. 193). Zwar ist vorliegend die Strafanzeige nicht gegenüber der Klägerin selbst, sondern gegen deren Betreuerin gerichtet worden; allerdings besteht kein sachlicher Grund, diesen Fall anders zu behandeln als den Fall, dass die Anzeige gegenüber der Klägerin selbst erstattet worden wäre.

In der Regel ist die Kündigung berechtigt, wenn die Anzeige auf erfundenen Tatsachen beruht. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die Klägerin nicht beweispflichtig dafür, dass die Beklagte vorsätzlich eine falsche Anzeige erstattet hat. Vielmehr geht ein unaufgeklärter Sachverhalt nicht zu Lasten des Angezeigten, sondern zu Lasten des Anzeigenden. So muss der Angezeigte lediglich beweisen, dass der Gekündigte die Anzeige erstattet hat. Der Anzeigeerstatter dagegen muss darlegen und beweisen, dass und aus welchen Gründen er die Tatsache für wahr erachtet hat (Blank in Schmidt-Futterer a.a.O. Rn. 194 m.w.N.).

Vorliegend hat die Beklagte bei der Polizei Strafanzeige erstattet hat mit der Behauptung, die Betreuerin der Klägerin habe sie verbal beleidigt; das Ermittlungsverfahren ist durch die Staatsanwaltschaft jedoch gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Dieser Sachverhalt ist unstreitig und ergibt sich im Übrigen aus den beigezogenen Akten. Unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast in diesen Fällen hätte die Beklagte nunmehr nachweisen müssen, dass die behaupteten und von der Klägerin bestrittenen Beleidigungen tatsächlich begangen worden sind. Allerdings ist diesbezüglich bereits kein Beweisangebot der Beklagtenseite erfolgt.

Aufgrund all dessen war die außerordentliche fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB bereits aufgrund der Strafanzeige berechtigt.b)

Darüber hinaus stellt auch das weitere Verhalten der Beklagten einen Kündigungsgrund nach § 543 Abs. 1 BGB dar:

Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Betreuerin der Klägerin hat die Beklagte vor dem Amtsgericht Karlsruhe, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Betreuerin gestellt mit dem Inhalt, der Betreuerin zu untersagen, in die Wohnung der Beklagten gegen deren Willen ohne Vorankündigung einzudringen und die Beklagte dabei zur Seite zu drängen (Amtsgericht Karlsruhe Az. 1 C 262/13). Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts ist der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung abgewiesen worden mit der Begründung, dass die Beklagte – im dortigen Verfahren Verfügungsklägerin – das Bestehen eines Verfügungsanspruchs nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist dieses Prozessverhalten der Beklagten vergleichbar mit der Erstattung der Strafanzeige, zumal der Vortrag der Beklagtenseite in dem dortigen Verfahren auch den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens der Betreuerin der Klägerin (Hausfriedensbruch gemäß § 123 StGB) beinhaltet. Auch in diesem Fall stellt es für die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied dar, ob der Antrag gegen die Vermieterin selbst oder gegen deren Betreuerin gerichtet war.

Entsprechend der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Fall der Erstattung einer Strafanzeige (s.o.) sieht es das Berufungsgericht unter den vorliegenden Umständen zugunsten der Klägerin als ausreichend an, dass die Durchführung des Verfügungsverfahrens feststeht. Nunmehr hätte die Beklagte nachweisen müssen, dass das von ihr behauptete (strafrechtlich relevante) Verhalten der Betreuerin tatsächlich vorgelegen hat. Dies ist ihr jedoch – wie zwischenzeitlich in dem dortigen Verfahren rechtskräftig festgestellt – nicht gelungen.

Nach alledem stellen sowohl die Strafanzeige der Beklagten als auch das von ihr durchgeführte Verfügungsverfahren bereits jeweils für sich genommen einen wichtigen Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB dar. Erst recht ist bei einer gesamten Berücksichtigung beider Verhaltensweisen der Beklagten gegenüber der Betreuerin der Klägerin davon auszugehen, dass der Klägerin eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Auf die darüber hinaus zwischen den Parteien streitigen Punkte kommt es daher nicht mehr an.2.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war vorliegend eine Abmahnung durch die Klägerin entbehrlich. Das Berufungsgericht kann der Auffassung des Amtsgerichts, die fristlose Kündigung sei (bereits) wegen Fehlens einer vorher ausgesprochenen Abmahnung – § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB – unwirksam, nicht folgen.

Nach dieser Vorschrift ist zwar im Fall, dass der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag besteht, grundsätzlich zunächst eine erfolglose Abmahnung des Vermieters erforderlich. Allerdings bestehen diesbezüglich Ausnahmen; das Amtsgericht ist zu Unrecht hierauf nicht eingegangen.

So ist anerkannt, dass es in den Fällen der Erstattung einer Strafanzeige, die unter den oben genannten Voraussetzungen einen wichtigen Kündigungsgrund darstellt, auf eine Wiederholungsgefahr nicht ankommt, eine Abmahnung somit entbehrlich ist (Blank in Schmidt-Futterer a.a.O. Rn. 194). Darüber hinaus sieht das Berufungsgericht auch bei Berücksichtigung der Gesamtsituation alleine anhand der unstreitig feststehenden Umstände die Voraussetzungen für eine Entbehrlichkeit der Abmahnung nach § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB als gegeben an, da eine sofortige Kündigung der Klägerin aufgrund des Verhaltens der Beklagten gegenüber deren Betreuerin – ohne Berücksichtigung der des Weiteren von Klägerseite behaupteten und von der Beklagten bestrittenen Verhaltensweisen – auf jeden Fall gerechtfertigt ist.

Nach alledem liegt eine wirksame außerordentliche fristlose Kündigung vor, so dass der Räumungs- und Herausgabeanspruch der Klägerin nach § 546 BGB entgegen der Feststellungen des Amtsgerichts begründet ist.3.

Die zugesprochenen außergerichtlichen Kosten ergeben sich aus § 280 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 7, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.III.

Gemäß § 721 Abs. 1 ZPO war der Beklagten eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren, ohne dass es diesbezüglich eines eigenen Antrages der Beklagtenseite bedurft hätte. Hierbei war zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts zunächst von einer unwirksamen Kündigung ausgegangen werden konnte und der Beklagten somit nunmehr noch ausreichend Zeit für die Suche nach Ersatzwohnraum zuzubilligen war. Des weiteren sind keine finanziellen Einbußen der Klägerin bei Räumung (erst) zum 30.09.2014 zu erwarten, da die monatliche Miete in der Vergangenheit von der Beklagten stets gezahlt worden ist.

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