Zur Anwaltshaftung im Rahmen des Erwerbs einer unfertigen Eigentumswohnung

BGH, Urteil vom 20.10.1994 – IX ZR 116/93

1. Erklärt der Mandant, der eine unfertige Eigentumswohnung erworben und nicht nur den Kaufpreis gezahlt, sondern darüber hinausgehende Vermögensverluste erlitten hat, er wolle vom Vertrag zurücktreten und die Wohnung möglichst weiterverkaufen, so verletzt ein Rechtsanwalt seine Beratungspflicht, wenn er seinem Mandanten zum Rücktritt statt zu einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Vertrages rät und dem Mandanten nicht zugleich von der beabsichtigen Veräußerung abrät, die weitere Verluste verursachen würde.

2. Zum Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden des Mandanten und der anwaltlichen Pflichtverletzung sowie zum Schutzbereich der verletzten Beratungspflicht in einem solchen Falle.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 23. April 1993 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 67.733,38 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. Oktober 1990 abgewiesen wurde.

Die Anschlußrevision der Beklagten gegen das genannte Urteil wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt von den beklagten Rechtsanwälten Schadensersatz wegen Verletzung einer Beratungspflicht des Beklagten zu 1). Die Beklagten zu 1) bis 3) waren bis Mitte des Jahres 1990 eine Sozietät, deren Angestellter der Beklagte zu 4) war.

2
Am 10. November 1987 kaufte die Klägerin vom Steuerberater D. eine Eigentumswohnung für 280.000 DM; der Verkäufer verpflichtete sich in dem Vertrage, restliche Innenarbeiten bis zur Übergabe der Wohnung am 15. Dezember 1987 und Außenarbeiten im Jahre 1988 auszuführen. Die Klägerin zahlte den Kaufpreis vertragsgemäß bei Übergabe und wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

3
Im Herbst 1988 beauftragte die Klägerin den Beklagten zu 1), weil der Verkäufer die übernommenen Arbeiten nicht vorgenommen hatte. Mit Schreiben vom 4. November 1988 teilte der Beklagte zu 1) als Vertreter der Klägerin dem Verkäufer mit, ihm werde zur Übergabe der bezugsfertigen Wohnung eine Frist bis zum 18. November 1988 gesetzt, nach fruchtlosem Fristablauf werde die Klägerin vom Vertrage zurücktreten und Klage auf Wandelung erheben; außerdem wurden in dem Schreiben Ersatz eines entgangenen Mietzinses von monatlich 1.000 DM für die Zeit von Januar bis November 1988 gefordert und weitere Schadensersatzforderungen vorbehalten. Darüber unterrichtete der Beklagte zu 1) die Klägerin mit Schreiben vom 4. November 1988, in dem es heißt, nach Fristablauf werde „unverzüglich Klage auf Wandelung, d.h. auf Rücktritt des Vertrages und Rückgängigmachung des Kaufvertrages“ erhoben. Mit Schreiben an den Verkäufer vom 8. Dezember 1988 erklärte der Beklagte zu 1) – unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 4. November 1988 – „den Rücktritt“ der Klägerin vom Kaufvertrag. An demselben Tage entwarf der Beklagte zu 1) eine Klage „wegen Wandelung“ mit dem Antrag, den Verkäufer zu verurteilen, den Kaufpreis an die Klägerin zurückzuzahlen und ihr den Zinsschaden infolge Inanspruchnahme von Bankkredit zu ersetzen „gegen Rückgabe“ des Wohnungseigentums. In der Klagebegründung wurde – unter Bezugnahme auf das Schreiben des Beklagten zu 1) an den Verkäufer vom 4. November 1988 – auf den „Rücktritt vom Vertrag“ am 8. Dezember 1988 verwiesen; sodann heißt es:

4
„Lediglich fürsorglich erklärt die Klägerin mit beiliegender Original-Vollmacht … nochmals den Rücktritt vom Vertrag.

5
Die Klägerin begehrt daher Rückgängigmachung des Kaufvertrages.“

6
Diese Klageschrift wurde mit einer Erklärung der Klägerin, in der deren Prozeßbevollmächtigten „Vollmacht“ u.a. „wegen Wandelung und Rücktritt“ erteilt wurde, im Auftrag des Beklagten zu 1) bei Gericht eingereicht und dem Verkäufer am 15. Dezember 1988 zugestellt. Der Klage wurde durch Versäumnisurteil vom 16. Januar 1989 stattgegeben, das den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 23. Januar 1989 und dem Verkäufer am folgenden Tage zugestellt wurde. Dieses Urteil wurde bis auf die Zinsforderung rechtskräftig.

7
Am 9. Januar 1989 schrieb der Beklagte zu 1) der Klägerin, ein Makler habe einen Interessenten, der ihre Eigentumswohnung für 250.000 DM kaufen wolle, falls die Innenarbeiten fertiggestellt würden; zur näheren Erörterung des weiteren Vorgehens werde die Klägerin gebeten, ihn – den Beklagten zu 1) – am 16. Januar 1989 aufzusuchen. Diesem teilte die Klägerin durch Schreiben vom 29. Januar 1989 mit, die Wohnung werde durch den Verkäufer fertiggestellt und könne wahrscheinlich für 278.000 DM demnächst verkauft werden, so daß nur ein Schadensersatz von etwa 40.000 DM eingeklagt werden müsse. Am 2. Februar 1989 veräußerte die Klägerin ihre Wohnung für 278.000 DM mit der Verpflichtung, Innenarbeiten bis zum 1. April 1989 auszuführen. Da die Klägerin diese Pflicht nicht erfüllte, leistete sie den Erwerbern Schadensersatz.

8
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klägerin Ersatz eines Teils ihrer Schäden infolge des Erwerbs der Eigentumswohnung in Höhe von 22.576 DM (9.576 DM Maklerkosten und 13.000 DM Zinsverlust infolge der Kaufpreiszahlung) zuerkannt und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Ersatz von Schäden infolge der Veräußerung der Wohnung in Höhe von 67.733,38 DM weiter. Diese Schäden betreffen Aufwendungen der Erwerber, die durch die unterlassene Fertigstellung der Wohnung entstanden und durch die Klägerin ersetzt worden sein sollen, den Unterschied zwischen dem von der Klägerin gezahlten Kaufpreis und dem niedrigeren Verkaufserlös, Maklerkosten für die Vermittlung der Wohnungserwerber sowie Zinsverluste, die darauf beruhen sollen, daß die Erwerber die Kaufpreiszahlung verzögert haben, weil die Klägerin ihrer vertraglichen Fertigstellungspflicht nicht nachgekommen ist. Mit ihrer Anschlußrevision beantragen die Beklagten, das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe
9
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit dieses angefochten wird, und zur Zurückverweisung der Sache. Die Anschlußrevision ist erfolglos.

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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte zu 1) habe seine anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt, indem er der Klägerin zum Vertragsrücktritt geraten und diesen in deren Namen mit der Klageerhebung gegen den Verkäufer erklärt und gerichtlich durchgesetzt habe, statt den Verkäufer auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Anspruch zu nehmen. Die Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückübertragung des Wohnungseigentums hätte auch mit einem solchen Ersatzanspruch erreicht werden können; darüber hinaus hätte die Klägerin – anders als nach dem Vertragsrücktritt – Ersatz weiterer Schäden verlangen können. Diese Möglichkeit sei durch den Rücktritt verlorengegangen. Die Beklagten zu 1) bis 3) als Mitglieder der Sozietät schuldeten der Klägerin Schadensersatz als Gesamtschuldner; auch der Beklagte zu 4) hafte in gleicher Weise, weil die Beklagten nach außen hin den Anschein einer Sozietät erweckt hätten. Als Nachteile infolge des Wohnungserwerbs seien der Klägerin die Maklerkosten von 9.576 DM und Zinsverluste von 13.000 DM infolge der Kaufpreiszahlung zu ersetzen. Zwar hätte die Klägerin mit einer Weiterveräußerung der Wohnung den Erfolg einer Schadensersatzklage vereiteln können. Die Beklagten hätten aber den Eintritt einer solchen schadensstiftenden Reserveursache nicht behauptet und bewiesen. Der Ersatzanspruch der Klägerin erstrecke sich allerdings nicht auf den Schaden, der im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung der Wohnung entstanden sei. Solche Nachteile beruhten nicht auf der Pflichtverletzung des Beklagten zu 1), sondern auf einer eigenen Willensentschließung der Klägerin, und fielen außerdem nicht in den Schutzbereich der Gefahren, zu deren Abwendung die verletzte Beratungspflicht bestimmt gewesen sei. Weitere schadensursächliche Pflichtverstöße habe die Klägerin nicht bewiesen.

11
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

I.

12
Die Revision der Klägerin macht zu Recht geltend, daß die behaupteten Schäden infolge der Weiterveräußerung der Eigentumswohnung – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – adäquate Folgen einer Pflichtverletzung des Beklagten zu 1) und diesem haftungsrechtlich zuzurechnen sind.

13
1. Zutreffend und unbeanstandet ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß für eine Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages alle Beklagten als Gesamtschuldner haften (§§ 427, 714, 675 BGB; vgl. BGHZ 56, 355, 359 ff; 70, 247, 249; 124, 47, 48 f).

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2. Es hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß der Beklagte zu 1) (fortan: der Beklagte) seine Vertragspflicht schuldhaft verletzt hat.

15
a) Sein Mandat erstreckte sich nach der unangegriffenen tatrichterlichen Feststellung darauf, die Klägerin wegen der Verletzung der Pflicht des Verkäufers D. zur Fertigstellung der verkauften Eigentumswohnung zu beraten und insoweit ihre Interessen wahrzunehmen. Bei sachgerechter Beratung durfte der Beklagte nicht der Klägerin zu einem Vertragsrücktritt raten, sondern mußte ihr einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung empfehlen; zugleich mußte er ihr raten, von der beabsichtigten Veräußerung der Eigentumswohnung abzusehen.

16
Der um Rat gebetene Rechtsanwalt ist seinem Auftraggeber zu einer umfassenden und erschöpfenden Belehrung verpflichtet. Der Anwalt muß den ihm vorgetragenen Sachverhalt dahin prüfen, ob er geeignet ist, den vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen. Dem Mandanten hat der Anwalt diejenigen Schritte zu empfehlen, die zu dem erstrebten Ziel führen können. Er muß den Auftraggeber vor Nachteilen bewahren, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Anwalt seinem Mandanten den sichersten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann; Zweifel und Bedenken, zu denen die Sachlage Anlaß gibt, muß der Anwalt darlegen und mit seinem Auftraggeber erörtern (u.a. BGH, Urt. v. 5. November 1992 – IX ZR 200/91, WM 1993, 610, 613 f; v. 20. Januar 1994 – IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211, 1212).

17
Der Beklagte hatte die Klägerin über ihre Rechtsstellung bei der angestrebten Abwicklung des Kaufvertrages zu beraten. Nach eigener Behauptung des Beklagten, die mit dem Klagevortrag im Kern übereinstimmt (GA I 81, 117), hatte die Klägerin dem Beklagten bei ihrer Besprechung am 24. Oktober 1988 erklärt, sie wolle vom Kaufvertrag unverzüglich zurücktreten, gleichgültig wie dies geschehe und was dies koste, und sie wolle die Wohnung, wenn möglich, sofort weiterverkaufen (GA I 59, II 59, 97). Diese Äußerung hat der Beklagte nach seinem eigenen Vorbringen zutreffend dahin gewertet, daß die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises begehrte und die Wohnung zurückgeben oder veräußern wollte (GA II 59 f). Dieser Sachverhalt hätte den Beklagten zu einer Beratung im folgenden Sinne veranlassen müssen:

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Der Vertrag war – gemäß den zutreffenden und unbeanstandeten Ausführungen des Berufungsgerichts – bezüglich der Fertigstellungspflicht des Verkäufers nach Werkvertragsrecht zu beurteilen (vgl. BGHZ 108, 164, 167; BGH, Urt. v. 29. Juni 1981 – VII ZR 259/80, NJW 1981, 2344, 2345; v. 7. Mai 1987 – VII ZR 129/86, NJW 1987, 2373, 2374, jeweils m.w.N.). Die Klägerin hatte an der unfertigen Wohnung kein Interesse, weil diese nicht wie vorgesehen vermietet werden konnte. Die Klägerin durfte entweder vom ganzen Vertrag zurücktreten (§ 636 Abs. 1 Satz 1 mit §§ 327 Satz 1, 634 Abs. 1 BGB und § 636 Abs. 1 Satz 2 mit §§ 326 Abs. 1, 327 Satz 1 BGB) oder von D. Schadensersatz wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages verlangen (§ 636 Abs. 1 Satz 2 mit §§ 326 Abs. 1, 325 Abs. 1 Satz 2, § 280 Abs. 2 BGB), nachdem dem Verkäufer vergeblich eine Frist zur Fertigstellung der Wohnung – dies war eine vertragliche Hauptpflicht des Verkäufers – gesetzt worden war mit der Erklärung, daß eine Annahme seiner Vertragsleistung nach fruchtlosem Fristablauf abgelehnt werde.

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Die Klägerin konnte mit einem Vertragsrücktritt die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung der Wohnung verlangen (§§ 327, 346 ff BGB) und Ersatz von Verzugsschäden fordern, die bis zum Rücktritt entstanden waren (vgl. BGHZ 88, 46, 48 f). Wählte die Klägerin den Rücktritt, so durfte sie die Wohnung nicht veräußern, weil sie sich sonst gegenüber dem Verkäufer schadensersatzpflichtig machte, dem sie dann das Wohnungseigentum nicht mehr zurückübertragen konnte (§§ 347, 989 BGB). Mit der Ausübung des Rücktrittsrechts verlor die Klägerin den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (vgl. BGHZ 88, 46, 48; BGH, Urt. v. 10. Februar 1982 – VIII ZR 27/81, WM 1982, 512, 514; v. 22. Oktober 1987 – IX ZR 175/86, WM 1987, 1516, 1518; v. 6. Juli 1988 – VIII ZR 256/87, NJW 1988, 2877), der Folgeschäden umfaßt, die bei einem Vertragsrücktritt nicht auszugleichen sind. Deswegen schlossen sich Rücktritt und Weiterveräußerung der Wohnung grundsätzlich aus.

20
Vermögensverluste, die über die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz von Verzugsschäden hinausgingen, die bis zum Rücktritt entstanden waren, konnten allein mit dem Schadensersatzanspruch gegen den Verkäufer geltend gemacht werden. Solche Schäden kamen in Betracht, weil die Klägerin Maklerkosten für den Wohnungserwerb aufgewandt hatte, ihr Wohnungsmieten entgingen und Zinsverluste infolge der Kaufpreiszahlung entstanden. Wollte die Klägerin die Wohnung nicht behalten, so konnte sie mit dem Schadensersatzanspruch – neben dem Ausgleich anderer adäquater Nachteile infolge des Vertragsbruchs des Verkäufers – gegen Rückgabe der Wohnung auch die Rückzahlung des Kaufpreises im wirtschaftlichen Ergebnis erreichen, da der Gläubiger einen entsprechenden Betrag als Mindestschaden geltend machen darf (RGZ 134, 83, 90; BGHZ 62, 119, 120; BGH, Urt. v. 10. Februar 1982 – VIII ZR 27/81, aaO); auch ein Verspätungsschaden wurde Teil des Nichterfüllungsschadens, wenn der Berechnung des Schadens der Zeitpunkt des Verzugseintritts zugrunde gelegt wurde (RGZ 90, 423, 425; 94, 203, 206; 96, 158, 160). Wählte die Klägerin diesen Weg, so durfte sie die Wohnung nicht veräußern. In ihrem Abwicklungsverhältnis mit dem Verkäufer hatte die Klägerin diesem die Wohnung im Rahmen eines umfassenden Schadensersatzanspruchs anzubieten, um den Schaden möglichst gering zu halten. Den Ersatzberechtigten trifft nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB die Obliegenheit, nach Möglichkeit und im Rahmen des Zumutbaren zur Minderung des vom Schuldner zu ersetzenden Schadens beizutragen; läßt der Gläubiger diejenige Sorgfalt außer acht, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Sache beachten würde, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, so muß er den Verlust oder die Kürzung seines Ersatzanspruchs hinnehmen (BGH, Urt. v. 26. Mai 1988 – III ZR 42/87, NJW 1989, 290, 291 m.w.N.). Bei einer Veräußerung der Wohnung drohten weitere Schäden, weil die Wohnung noch fertigzustellen war und die Klägerin einen Makler zur Vermittlung von Interessenten beauftragen wollte; verstieß die Klägerin durch eine Veräußerung gegen ihre Schadensminderungspflicht, so hatte sie die dadurch verursachten Mehrkosten selbst zu tragen. Ein Anwachsen des Schadens wurde vermieden, wenn der Verkäufer die bereits entstandenen Nachteile der Klägerin unter Erstattung des Kaufpreises ersetzte und die Wohnung zurücknahm. Erst wenn sich später herausgestellt hätte, daß der Verkäufer einen solchen Schadensersatz nicht leisten konnte oder wollte, hätte die Rechtslage sich ändern können.

21
Danach mußte der Beklagte mit Rücksicht darauf, daß der Klägerin bereits über die Zahlung des Kaufpreises hinausgehende Vermögensverluste infolge der Vertragsverletzung des Verkäufers entstanden waren und weitere Nachteile (entgangener Mietzins und Zinsverlust) drohten, der Klägerin empfehlen, gegen den Verkäufer einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Vertrages unter Rückgabe der Eigentumswohnung geltend zu machen. Dieser Anspruch gewährte der Klägerin den mit einem Vertragsrücktritt verbundenen Vorteil sowie darüber hinaus Erstattung nutzloser Aufwendungen für Abschluß und Durchführung des Vertrages und sonstiger Folgeschäden. Daher war die Wahl und Geltendmachung dieses Anspruchs der beste und sicherste Weg, bereits entstandene und künftige Nachteile infolge des Vertragsbruchs des Verkäufers auf diesen abzuwälzen.

22
Danach hat das Berufungsgericht die Beratungspflicht des Beklagten zu eng gefaßt. Der Beklagte hatte der Klägerin nicht nur zum Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung statt zum Vertragsrücktritt zu raten, sondern der Klägerin zusätzlich davon abzuraten, gemäß ihrer erklärten Absicht die Eigentumswohnung zu veräußern.

23
b) Diese Beratungspflicht hat der Beklagte nach den rechtsfehlerfreien und damit bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts verletzt.

24
Die tatrichterliche Feststellung, der Beklagte habe der Klägerin nicht den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung empfohlen, wird nicht beanstandet. Der Beklagte hat einen solchen Rat selbst nicht behauptet. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den Vertragsrücktritt im Namen der Klägerin erklären lassen, indem im Auftrag des Beklagten die von ihm entworfene Klage vom 8. Dezember 1988 auf Rückabwicklung des Vertrages dem Verkäufer am 15. Dezember 1988 zugestellt wurde (§ 349 BGB), wird von der Revisionserwiderung und der Anschlußrevision mit der Verfahrensrüge angegriffen, die jedoch nicht durchgreift (§ 565 a ZPO).

25
Der Beklagte hat zwar behauptet, er habe die Klägerin bei der Besprechung am 24. Oktober 1988 darüber belehrt, daß ein Rücktritt vom Kaufvertrag mit einer sofortigen Veräußerung der Eigentumswohnung nicht zu vereinbaren sei (GA I 59, II 59, 97). Selbst wenn diese – von der Klägerin bestrittene (GA II 85) – Behauptung richtig sein sollte, so ändert dies an der Pflichtverletzung nichts. Nachdem – infolge der unzureichenden Beratung des Beklagten – Klage gegen den Verkäufer auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Wohnung erhoben worden war, hat der Beklagte in seinem Schreiben an die Klägerin vom 9. Januar 1989 den Eindruck erweckt, diese dürfe trotz ihrer Klage gegen den Verkäufer die Wohnung weiterveräußern. In diesem Schreiben hat der Beklagte mitgeteilt, in der Sache gegen den Verkäufer zeichne sich „eine erfreuliche Wendung der Angelegenheit“ ab; ein Makler habe einen Interessenten, der die Eigentumswohnung der Klägerin für 250.000 DM kaufen wolle, falls die Innenarbeiten fertiggestellt würden. Dieses Schreiben durfte die Klägerin dahin werten, daß der Beklagte trotz der erhobenen Klage gegen D. die Weiterveräußerung der Wohnung befürworte. Deswegen hätte der Beklagte einen früheren Hinweis, ein Vertragsrücktritt – und ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung – sei mit einer Veräußerung der Wohnung unvereinbar, wiederholen müssen, um die Klägerin vor einem entsprechenden Rechtsirrtum zu bewahren. Der Beklagte hat nicht behauptet, daß er dies getan habe; infolgedessen ist die Klägerin, wie sich aus ihrem Schreiben an den Beklagten vom 29. Januar 1989 ergibt, dem Irrtum erlegen, sie könne die Wohnung veräußern, ohne ihre Rechtsstellung gegenüber D. zu verschlechtern.

26
c) Die anwaltliche Pflichtverletzung beruht auf Fahrlässigkeit (§ 276 BGB). Der Beklagte hätte bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit seines Vorgehens erkennen und die sich daraus ergebenden Folgen für die Klägerin vermeiden können und müssen.

27
3. Im Rahmen ihrer Schadensersatzpflicht haben die Beklagten die Klägerin so zu stellen, wie diese bei pflichtgemäßem Anwaltsverhalten stünde (§§ 249 ff BGB).

28
a) Die sich daraus ergebende Frage, was geschehen wäre, wenn der Beklagte vertragsgerecht beraten hätte, und wie die Vermögenslage der Klägerin dann wäre, hat das Berufungsgericht dahin beantwortet, daß die Klägerin bei pflichtgemäßer Beratung die Eigentumswohnung nicht veräußert und den für sie günstigsten Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gegen den Verkäufer D. geltend gemacht und durchgesetzt hätte. Danach haben die Beratungsfehler des Beklagten die Schäden der Klägerin insoweit verursacht, als sie durch den Verlust des Schadensersatzanspruchs gegen D. wegen Nichterfüllung des Vertrages und darüber hinaus infolge der Weiterveräußerung der Wohnung entstanden sind. Dem angefochtenen Urteil ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Tatrichter ein beratungsgerechtes Verhalten der Klägerin gemäß § 287 ZPO festgestellt oder in Anwendung der Regeln über den Beweis des ersten Anscheins angenommen hat, die Lebenserfahrung stütze eine solche tatsächliche Vermutung, die der Beklagte nicht erschüttert habe. Dies ist in jedem Falle im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine tatrichterliche Feststellung gemäß § 287 ZPO wird nicht gerügt. Näher liegt nach den Ausführungen des Berufungsgerichts eine Anwendung des Anscheinsbeweises. Dieser erleichtert dem Auftraggeber den Beweis des haftungsausfüllenden Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung seines Rechtsberaters und dem geltend gemachten Schaden, falls die Lebenserfahrung die tatsächliche Vermutung stützt, daß der Mandant bei sachgerechter Belehrung einen Rat, Hinweis oder eine Warnung befolgt hätte; der Rechtsberater hat eine solche Vermutung zu erschüttern, indem er Tatsachen darlegt und beweist, die darauf schließen lassen, daß der Mandant sich über einen vertragsgerechten Rat hinweggesetzt hätte (BGHZ 123, 311, 315 = WM 1994, 78, 79 f; BGH, Urt. v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1516, jeweils m.w.N.). Das Berufungsgericht hat zum Ausdruck gebracht, die Klägerin hätte – gemäß ihrem Vorbringen (GA I 83, 151, II 39) – bei pflichtgemäßer Belehrung durch den Beklagten den für sie vorteilhaftesten Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewählt und die Eigentumswohnung nicht weiterveräußert; für eine solche Vermutung spricht die Lebenserfahrung. Dementsprechend hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, die Beklagten hätten nicht dargelegt und bewiesen, daß die Klägerin auch bei ordnungsmäßiger Beratung die Wohnung veräußert hätte. Dies bedeutet, daß die Beklagten die Anscheinsvermutung zugunsten der Klägerin nicht erschüttert haben. Danach ist die Anwendung des Anscheinsbeweises entgegen der Rüge der Anschlußrevision rechtsfehlerfrei. Im Ergebnis ist unschädlich, daß das Berufungsgericht die Regeln des Anscheinsbeweises dahin eingeordnet hat, die Beklagten müßten eine schadensstiftende Reserveursache in einem hypothetischen Geschehensablauf beweisen (vgl. dazu BGHZ 104, 355, 359 f).

29
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schließt eine willentliche Handlung des Geschädigten, die seinen Vermögensverlust mitverursacht hat, nicht aus, den Schaden demjenigen zuzurechnen, der die schädigende Ursachenkette in Gang gesetzt hat. Der adäquate Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und der Pflichtverletzung des Schädigers kann fehlen, wenn der Geschädigte in ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache auslöst, die den Schaden erst endgültig herbeiführt; diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn für die Zweithandlung des Geschädigten ein rechtfertigender Anlaß bestand oder diese durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf das Ereignis darstellt (BGH, Urt. v. 28. Juni 1990 – IX ZR 209/89, WM 1990, 1917, 1922; v. 3. Dezember 1992 – IX ZR 61/92, WM 1993, 510, 513; v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1517; v. 17. Juni 1993 – IX ZR 206/92, WM 1993, 1798, 1800).

30
Die behaupteten Schäden der Klägerin infolge der Weiterveräußerung der Eigentumswohnung sind dem Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen. Er hat die Veräußerung herausgefordert, weil er die Klägerin trotz ihrer bekundeten Verkaufsabsicht pflichtwidrig nicht darüber belehrt hat, daß ein solches Vorgehen weder mit einem Rücktritt von ihrem Vertrag mit D. noch mit einem gegen diesen gerichteten Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu vereinbaren ist. Es war deswegen keine fernliegende, ungewöhnliche Reaktion, daß die Klägerin die Wohnung veräußerte, weil die Klägerin – dies wußte der Beklagte nach seinem Schreiben an den Verkäufer vom 4. November 1988 – die erworbene Wohnung vermieten wollte, dies aber wegen der ausstehenden Fertigstellungsarbeiten nicht konnte. Der Beklagte selbst hat die Klägerin in seinem Schreiben vom 9. Januar 1989 auf eine Verkaufsmöglichkeit hingewiesen. Die Gestaltung des Vertrages mit den Erwerbern kann ein Mitverschulden der Klägerin an den geltend gemachten Schäden begründen (§ 254 BGB), wie noch ausgeführt wird, beseitigt aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht den haftungsrechtlichen Zusammenhang zwischen den behaupteten Schäden infolge der Weiterveräußerung der Wohnung und der Pflichtverletzung des Beklagten.

31
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fallen diese Schäden bei wertender Betrachtung in den Schutzbereich der verletzten Beratungspflicht. Zu ersetzen sind nur solche Schadensfolgen, zu deren Abwendung die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde (BGH, Urt. v. 18. März 1993 – IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1379; v. 27. Mai 1993 – IX ZR 66/92, WM 1993, 1513, 1517; v. 17. Juni 1993 – IX ZR 206/92, WM 1993, 1798, 1800 f). Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bestand das dem Beklagten zu 1) erteilte Mandat darin, die Klägerin wegen der Verletzung der Vertragspflicht des Verkäufers D. zur Fertigstellung der verkauften Eigentumswohnung zu beraten und insoweit die Interessen der Klägerin wahrzunehmen. Dazu gehörte die Pflicht des Beklagten zu 1), voraussehbare und vermeidbare Nachteile für die Klägerin aus dem Vertragsbruch des Verkäufers zu verhindern, die bei der beabsichtigten Weiterveräußerung der unfertigen Wohnung entstehen konnten. Deswegen erstreckte sich der Schutzbereich der verletzten Vertragspflicht des Beklagten nach ihrem Zweck darauf, von der Weiterveräußerung abzuraten, weil diese sowohl mit einem Rücktritt vom Vertrag mit D. als auch mit einem gegen diesen gerichteten Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung unvereinbar war.

32
4. Danach beruht das Berufungsurteil, soweit es mit der Revision angefochten ist, auf einem Rechtsfehler, so daß im Umfang der Anfechtung das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO).

33
Dieses wird die Streitfrage zu klären haben, ob die behaupteten Schäden entstanden sind.

34
Weiterhin wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Klägerin ein schadensursächliches Mitverschulden zu tragen hat (§ 254 BGB). Dieses kann sich zunächst daraus ergeben, daß sie die Eigentumswohnung veräußert hat, ohne sich insoweit zuvor vom Beklagten – gemäß dessen Angebot vom 9. Januar 1989 – beraten zu lassen. Außerdem können Ersatzleistungen der Klägerin an die Erwerber auf einem Mitverschulden der Klägerin beruhen, weil sie bei der Veräußerung eine Pflicht zur Fertigstellung der Wohnung übernommen, aber nicht erfüllt hat; allerdings wird insoweit zu berücksichtigen sein, daß sonst die unfertige Wohnung zu einem geringeren Preis verkauft worden wäre.

II.

35
Die Anschlußrevision macht – über die bereits erörterten, unbegründeten Rügen hinaus – erfolglos geltend, die Klägerin treffe im Verhältnis zu den Beklagten ein Mitverschulden, weil sie den Kaufpreis für eine fertige Wohnung an D. gezahlt habe, obwohl diese noch unfertig gewesen sei. Nach dem Kaufvertrag hatte die Klägerin den Kaufpreis bei der Übergabe der Wohnung zu zahlen. Es kann dahinstehen, ob der Klägerin vorzuwerfen ist, daß sie den Kaufpreis entrichtet hat, obwohl der Verkäufer zu diesem Zeitpunkt vertragswidrig die Innenarbeiten nicht vorgenommen hatte. Es war die Aufgabe der Beklagten, für den Ersatz der dadurch entstandenen Schäden zu sorgen. Nach der unbeanstandeten, rechtsfehlerfreien Feststellung des Berufungsgerichts hätte ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gegen den Verkäufer durchgesetzt werden können.

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