§ 323c StGB ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 255/11

§ 323c StGB ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.(Rn.7)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. August 2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
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Der Kläger, ein Gerichtsvollzieher, macht gegenüber der Alleinerbin des im Verlaufe des Revisionsverfahrens verstorbenen früheren Beklagten (i.F.: Beklagter) einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten wegen einer Schussverletzung geltend, die ihm der Sohn des Beklagten im Zusammenhang mit einer vom Beklagten beauftragten Räumung einer Wohnung zugefügt hat.

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Der Sohn des Beklagten, der zeitweilig unter Betreuung stand, hatte eine krankhafte Persönlichkeitsstörung entwickelt, die unter anderem zur Folge hatte, dass er zwanghaft Gegenstände sammelte, mit denen er die gesamte von ihm und dem Beklagten bewohnte Immobilie des Beklagten vollgestellt hatte. Der Beklagte hatte gegen seinen Sohn einen Räumungstitel erwirkt und den Kläger mit der Räumung beauftragt. Am vierten Tag der Räumung sollte mit der eigentlichen Räumung des Hauses begonnen werden. Der Kläger klingelte an der Haustür, die ihm vom Beklagten geöffnet wurde. Der hinter dem Beklagten stehende Sohn stieß seinen Vater beiseite und schoss auf den Oberkörper des Klägers mit einer halbautomatischen Pistole, die er zuvor am Morgen vor dem Eintreffen des Klägers dem Beklagten gezeigt hatte. Dabei wurde der Kläger schwer verletzt.

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Er macht den Beklagten für die Tat mitverantwortlich und hat ihn mit der vorliegenden Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld (mindestens 20.000 €) und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten als Gesamtschuldner mit seinem Sohn verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 10.000 € sowie weitere 775,64 € vorgerichtlicher Kosten jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht verneint mit dem Landgericht eine Haftung des Beklagten wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen mangels einer Garantenstellung aus pflichtwidrigem Vorverhalten. Insbesondere könne dies nicht aus dem Vollstreckungsauftrag als solchem hergeleitet werden, weil eine Garantenstellung nicht aus einem rechtmäßigen Vorverhalten entstehen könne. Allein der Umstand, dass der Beklagte tatsächlich in der Lage gewesen wäre, das spätere Geschehen zu verhindern, reiche zur Begründung einer Garantenstellung nicht aus. Eine Haftung des Beklagten ergibt sich jedoch nach der Auffassung des Berufungsgerichts aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323c StGB als Schutzgesetz. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts dient der Schutzzweck der Strafbestimmung des § 323c StGB nicht nur dem Interesse der Allgemeinheit an solidarischer Schadensabwehr in akuten Notlagen, sondern jedenfalls auch den bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgütern des in Not Geratenen. Auch die unmittelbar bevorstehende Straftat eines Dritten sei als Unglücksfall einzustufen, wenn erheblicher Schaden drohe. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt gewesen. Ein Einschreiten des Beklagten sei auch erforderlich gewesen. Ein verständiger Beobachter hätte aufgrund der Gesamtumstände erkennen können, dass der Sohn des Beklagten vom Einsatz der geladenen und entsicherten Schusswaffe zur Beendigung der Räumung nicht zurückschrecken würde. Für den Beklagten habe auch die objektive Möglichkeit bestanden, die bevorstehende Straftat zu verhindern, indem er an diesem Morgen der Forderung seines Sohns nachgekommen wäre, die Räumung nicht fortzusetzen. Ein solches Vorgehen sei dem Beklagten bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen auch zumutbar gewesen. Auch der subjektive Tatbestand des § 323c StGB liege vor, da der Beklagte zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Hält der Hilfspflichtige die Tatbestandsverwirklichung für möglich und nimmt er sie aus Gleichgültigkeit in Kauf, so sei bedingter Vorsatz gegeben. Dass der Beklagte eine mögliche Gefährdung des Klägers gar nicht in Betracht gezogen habe, sei in Anbetracht der Umstände als bloße Schutzbehauptung zu werten. Nach diesen sei vielmehr davon auszugehen, dass er sich entschlossen habe, nun endlich die Räumung “durchzuziehen” unter Inkaufnahme des Risikos, dass sein Sohn die Schusswaffe gegen die an der Räumung beteiligten Personen einsetzen würde. Bei der Bemessung der Höhe des zuerkannten Schmerzensgelds von 10.000 € sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Beklagten nicht um den die Verletzung des Klägers unmittelbar verursachenden Straftäter handele, sondern dieser nur gegen die ihn im Rahmen des § 323c StGB treffende Pflicht zur Hilfeleistung verstoßen habe.

II.

5

Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht eine Haftung des Beklagten aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung bejaht.

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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 323c StGB Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist.

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a) Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl. Senatsurteile vom 16. März 2004 – VI ZR 105/03, VersR 2004, 1012; vom 3. Februar 1987 – VI ZR 32/86, BGHZ 100, 13, 14 f.; vom 2. Februar 1988 – VI ZR 133/87, BGHZ 103, 197, 199 und vom 18. November 2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 255, jeweils mwN). Bei diesem Verständnis bezweckt § 323c StGB zumindest auch den Schutz der Individualrechtsgüter des durch einen Unglücksfall Betroffenen (so zutreffend OLG Düsseldorf, NJW 2004, 3640, 3641; OLG Hamm, VersR 2005, 1689; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 323c Rn. 1; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 – 4 StR 392/01, NJW 2002, 1356; a.A. OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, 794; differenzierend BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 136 und 546 zu § 330c StGB).

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b) Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das Gesetz allein dem Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz eines funktionierenden und auf Solidarität beruhenden Gemeinwesens dienen soll. Zwar wird in der amtlichen Begründung zum Gesetzesentwurf der Gedanke der sozialen Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft herausgestellt, als Strafgrund wird jedoch auch die “Versäumung einer wirklichen Chance zu erfolgreicher Schadensabwendung” angeführt (Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode 1949, BT-Drucks. 3713 (1952), S. 44, Spalte 1). Damit ist jedenfalls auch das Ziel der Strafvorschrift erkennbar, individuelle Rechtsgüter des in Not Geratenen zu schützen und eine unterlassene Hilfeleistung in den Fällen strafrechtlich zu sanktionieren, in denen sie erforderlich und den Umständen nach zuzumuten war. Unter diesen Umständen steht die Verpflichtung zur Solidarität zwar im Allgemeininteresse, sie zielt jedoch im Einzelfall auch darauf ab, Schäden von Individualrechtsgütern, die in Gefahr geraten sind, abzuwenden.

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c) Soweit die Gegenmeinung darauf abstellt, dass der untätig Bleibende in den Haftungsfolgen nicht einem aktiv handelnden Täter gleichgestellt werden dürfe (vgl. etwa Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 3. Aufl. § 823 Rn. 178; OLG Frankfurt, NJW-RR 1989, 794, 795; Dütz, NJW 1970, 1822, 1824 f.), wird dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass der zivilrechtlich auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes in Anspruch Genommene im Rahmen des § 323c StGB, der insbesondere durch das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit begrenzt wird, selbst Täter ist. Darüber hinaus wird der Gegenmeinung zutreffend entgegengehalten, dass die zivilrechtliche Haftung durch das Erfordernis des Eintritts des Schadens und der Zurechnung einzelner Schäden als Folge der verletzten Hilfspflicht hinreichend begrenzt ist und der wegen unterlassener Hilfeleistung auf Schadensersatz in Anspruch Genommene die Möglichkeit eines Rückgriffs im Rahmen der §§ 840, 426 BGB gegen den Haupttäter hat (so zutreffend OLG Düsseldorf, NJW 2004, 3640, 3641). Fällt diese Möglichkeit fort, etwa weil ein aktiv handelnder Täter nicht vorhanden, nicht ermittelbar oder vermögenslos ist, kann hieraus eine Haftungsfreistellung für den untätig Bleibenden nicht hergeleitet werden, denn es ist kein Grund ersichtlich, den Verletzten in diesem Falle ohne Ersatzmöglichkeit gegen einen (Mit-) Verursacher des Schadens zu belassen (OLG Düsseldorf, aaO).

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2. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler das Vorliegen eines Unglücksfalls im Sinne des § 323c StGB bejaht. Nach § 323c StGB macht sich strafbar, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche Eigengefahr und ohne Verletzung anderer Pflichten möglich ist.

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a) Eine Straftat kann für das Opfer ein Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB sein, wobei es genügt, dass die Begehung der Straftat unmittelbar bevorsteht, die das Risiko einer erheblichen Verletzung beinhaltet (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 – 1 StR 792/92, bei Holtz MDR 1993, 721). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, wobei offenbleiben kann, ob die das Gefahrenurteil tragenden tatsächlichen Umstände – wie das Berufungsgericht meint – aus ex post-Sicht nach objektiven Maßstäben zu beurteilen sind (vgl. Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. § 323c Rn. 2 mwN) oder sich – wie die Revision meint – aus ex ante-Sicht beurteilen. Nachdem sich der Beklagte dem Wunsch seines Sohns, die Räumung zu beenden, nicht gebeugt hatte, hatte dieser den Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach dem Klingeln des Klägers mit gezogener, geladener und entsicherter Schusswaffe versucht daran zu hindern, zur Haustür zu gehen. In dieser Situation war aus objektiver Sicht damit zu rechnen, dass der Sohn des Beklagten die Schusswaffe auch einsetzen würde, um die Räumung zu verhindern. Davon, dass der Sohn des Beklagten die Waffe nur gegen sich selbst oder seinen Vater, den Beklagten, richten würde, konnte auch aus damaliger objektiver Sicht nicht ausgegangen werden.

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b) Das Berufungsgericht hat mit Recht ein Einschreiten des Beklagten in dieser Situation für erforderlich erachtet. Erforderlich ist die Hilfeleistung nach dem objektiven ex ante-Urteil eines verständigen Beobachters aufgrund der ihm erkennbaren Umstände dann, wenn ohne sie die Gefahr besteht, dass die von § 323c StGB erfasste Notlage sich zu einer nicht mehr unerheblichen Schädigung von Personen auswirkt (vgl. Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, aaO Rn. 12 mwN). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätte ein verständiger Beobachter aufgrund der Gesamtumstände die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Straftat erkannt. Ziel des Sohns des Beklagten war es gewesen, die Räumung zu verhindern. Spätestens als der Sohn des Beklagten, der im Umgang mit Waffen erfahren war, seinen Vater mit der geladenen und entsicherten Schusswaffe bedrohte, um ihn zur Beendigung der Räumung zu veranlassen, musste ein verständiger Beobachter davon ausgehen, dass der Sohn des Beklagten die Schusswaffe notfalls auch einsetzen würde. Davon, dass der Sohn des Beklagten die Waffe nur gegen sich selbst oder den Beklagten richten würde, konnte – entgegen der Darstellung des Beklagten – unter den Umständen des Streitfalles nicht ausgegangen werden. Hierzu hätte der Sohn des Beklagten – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – bereits dann Anlass gehabt, als sich der Beklagte auch angesichts der scharfen Waffe nicht von der Räumung hatte abbringen lassen, sondern sich zur Tür begab, um diese dem Kläger zu öffnen. Spätestens dann war hinreichend deutlich, dass die Drohung gegenüber dem Beklagten erfolglos war. Ein verständiger Beobachter musste in dieser Situation die Möglichkeit voraussehen, dass der Sohn des Beklagten – und sei es nur im Rahmen einer Kurzschluss- oder Panikreaktion – die geladene Waffe nicht nur, wie es ihm bereits vorher möglich gewesen wäre, gegen sich selbst oder seinen Vater einsetzen würde, sondern auch gegen denjenigen, der die Räumung im Auftrag seines Vaters durchführen sollte.

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c) Entgegen der Auffassung der Revision sind Rechtsfehler in der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht erkennbar. Soweit die Revision meint, mit der Eskalation der Ereignisse habe der Beklagte nicht rechnen müssen und es habe für den Beklagten außerhalb der Vorstellungskraft gelegen, dass der Kläger in der damaligen Situation würde Schaden nehmen können, versucht sie lediglich, ihre eigene Würdigung in revisionsrechtlich unzulässiger Weise an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts zu setzen, ohne Rechtsfehler aufzuzeigen. Dass sich der Sohn des Beklagten mit geladener und entsicherter Schusswaffe gegen die Fortsetzung der Räumung wandte, war dem Beklagten an jenem Morgen bekannt und ergab sich nicht erst durch Erkenntnisse, die sich erst durch die Äußerung des Sachverständigen im Strafverfahren ergeben haben. Darauf, dass der unter einer Persönlichkeitsstörung leidende Sohn des Beklagten die Waffe in einer Panikreaktion nicht einsetzen würde, konnte der Beklagte aus der Sicht eines verständigen Beobachters nicht vertrauen. Da der Beklagte die der Erforderlichkeit eines Einschreitens zugrunde liegenden Umstände auch kannte, musste das Berufungsgericht auch nicht – wie die Revision meint – einen Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB prüfen.

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d) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die objektive Möglichkeit für den Beklagten bejaht, durch seinen Einsatz die Tat zu verhindern. Nach den von Rechts wegen nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts war ihm ein entsprechendes Handeln auch zumutbar.

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aa) Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit, die Tat zu verhindern, darin gesehen, dass der Beklagte die Räumung zumindest am Tattag hätte beenden können. Soweit die Revision meint, dem Sohn des Beklagten sei es nicht einzig und allein darum gegangen, dass am Tattag nicht weiter geräumt wurde, sondern dass generell die Räumung eingestellt würde, und deshalb eine entsprechende Lüge des Beklagten erforderlich gewesen wäre, ändert dies nichts an der objektiven Möglichkeit, das Unglück zu verhindern, sondern ist dies vielmehr eine Frage der Zumutbarkeit.

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bb) Ein solches Vorgehen war dem Beklagten aber auch – wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat – zumutbar. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Frage, welche Hilfeleistungen dem Hilfspflichtigen zumutbar sind, anhand einer Wertentscheidung durch Abwägung der widerstreitenden Interessen zu beantworten ist, bei der die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts, Art und Ausmaß der drohenden Schäden, konkrete Rettungschancen einerseits, Art und Umfang der Interessen sowie mit der Rettungshandlung verknüpfte Risiken andererseits gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, aaO Rn. 19 mwN). Das Berufungsgericht hat als mögliche Handlungsoption dem Beklagten angesonnen, sich dem Wunsch seines Sohns (zunächst) zu beugen und die Räumung abzubrechen, um die Situation zu entschärfen. Wäre es gleichwohl zu einem Schuss auf den Kläger gekommen, wäre ihm dies dann nicht mehr im Rahmen des § 323c StGB anzulasten gewesen, da er dann das aus seiner Sicht Zumutbare getan hätte. Bei dieser Handlungsoption hat das Berufungsgericht zutreffend das Interesse des Beklagten an einer ungehinderten Fortführung der Räumung gegenüber der von einer entsicherten Waffe in der Hand eines völlig Verzweifelten ausgehenden erheblichen Gefahr für Leib und Leben aller sich im Umfeld der Waffe befindlichen Personen für nachrangig angesehen. Vor dieser Gefahr hatte ein – wenn auch berechtigter – Anspruch auf Räumung vor allem vor dem Hintergrund zurückzustehen, dass die Räumung zu einem späteren Zeitpunkt ohne den Sohn des Beklagten ungehindert hätte fortgeführt werden können. Die im Abbruch der Räumung liegende Hilfeleistung war dem Beklagten ohne erhebliche Eigengefahr zumutbar. Er hätte auch eine Eigengefährdung abwenden können, weil er nach seiner eigenen Darstellung davon ausging, dass sein Sohn die Schusswaffe gegebenenfalls auch gegen ihn richten würde. Soweit die Revision hiergegen meint, dem Beklagten sei es in dieser Situation nicht möglich gewesen, rational und folgerichtig zu agieren, und er hätte ohne eine Steigerung seiner eigenen Bedrohungssituation niemanden warnen können, wird übersehen, dass das Berufungsgericht gerade nicht eine Warnung des Klägers, sondern einen vorübergehenden Abbruch der Räumung für möglich und zumutbar gehalten hat. Die Revision zeigt keinen hinreichenden, vom Berufungsgericht übergangenen Sachvortrag auf, weshalb dem Beklagten angesichts der Bedrohung mit einer entsicherten Schusswaffe eine solch nahe liegende Überlegung nicht möglich gewesen wäre.

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e) Schließlich hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler auch den subjektiven Tatbestand des § 323c StGB als erfüllt angesehen, der auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB maßgeblich ist. Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung (vgl. Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, aaO § 15 Rn. 87 mwN) zutreffend davon ausgegangen, dass nach der neueren Rechtsprechung bedingter Vorsatz dann vorliegt, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und – im Rechtssinne – billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen wenigstens mit ihm abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (vgl. Fischer, aaO § 15 Rn. 9 b; BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 221/07, NStZ 2007, 700 Rn. 7; vgl. auch Senatsurteile vom 15. Juli 2008 – VI ZR 212/07, VersR 2008, 1407 Rn. 30 und vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11, VersR 2013, 200 Rn. 32). Die Annahme einer “Billigung des Erfolgs” liegt beweisrechtlich dann nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, oder wenn er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Im Rahmen des § 323c StGB unterlässt derjenige die Hilfeleistung vorsätzlich, der die konkrete Handlung kennt, durch die er die erforderliche Hilfe leisten könnte. Das Bewusstsein, zur Hilfeleistung verpflichtet zu sein, gehört hingegen nicht zum Vorsatz. Mangelndes Gebotsbewusstsein ist vielmehr ein dem Verbotsirrtum des § 17 StGB gleichzustellender Gebotsirrtum (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, aaO § 15 Rn. 94). Hält der Hilfsbedürftige die Tatbestandsverwirklichung für möglich und nimmt er sie aus Gleichgültigkeit in Kauf, so ist bedingter Vorsatz gegeben (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, aaO Rn. 98). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kannte der Beklagte die tatbestandsmäßige Situation. Er wusste, dass sein Sohn, dem alles daran lag, die weitere Räumung zu verhindern, eine scharfe Waffe in der Hand hielt, mit der er umzugehen verstand. Er wusste auch, dass sein Sohn aufgrund seiner – des Beklagten – Weigerung, die Räumung abzubrechen, davon ausgehen musste, dass die Räumung mit dem Eintreffen des Klägers unmittelbar bevorstand. Ferner hat er selbst in seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt, dass sein Sohn nicht der Mensch sei, dem man so etwas wie die geschehene Tat zutrauen könne, es sei denn, er komme in eine Paniksituation wie mit dem Kläger.

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f) Auf dieser Grundlage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Beklagten sei eine Gefährdung des Klägers erkennbar gewesen, aus Rechtsgründen ebenso wenig zu beanstanden wie die daraus gewonnene Überzeugung, dass das Vorbringen des Beklagten, eine mögliche Gefährdung des Klägers gar nicht in Betracht gezogen zu haben, in Anbetracht der Umstände als bloße Schutzbehauptung zu werten sei. Nach diesen sei vielmehr davon auszugehen, dass der Beklagte sich entschlossen gehabt habe, nun endlich die Räumung “durchzuziehen”, und die möglicherweise mit diesem Entschluss verbundenen Folgen in Kauf zu nehmen, zu denen neben einem möglichen Suizid seines Sohns auch das Risiko gehört habe, dass dieser auf ihn oder die die Räumung durchführende Person schießen würde. Diese Gleichgültigkeit gegenüber den möglichen Folgen, mögen ihm diese auch höchst unerwünscht gewesen sein, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler für die Annahme eines bedingten Vorsatzes als ausreichend erachtet. Soweit die Revision hierzu meint, der Beklagte habe irrtümlich angenommen, sich durch seinen Einsatz zu gefährden, was den Vorsatz entfallen lasse, wird wiederum verkannt, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Irrtum bei der vom Beklagten erwarteten Handlung, nämlich die Räumung vorerst abzubrechen, nicht festgestellt hat, da in diesem Fall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Selbstgefährdung des Beklagten nicht vorgelegen hätte.

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3. Die Höhe des zuerkannten Schmerzensgelds und der vorgerichtlichen Anwaltskosten hat die Revision nicht angegriffen. Rechtsfehler sind diesbezüglich auch nicht erkennbar.

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