Zur Verkehrssicherungspflicht von Kaufhäusern hinsichtlich Auswahl und Unterhalt des Fußbodens

BGH, Urteil vom 05.07.1994 – VI ZR 238/93

An die Sorgfaltspflichten der Inhaber großer Kaufhäuser und Verbrauchermärkte sind hinsichtlich der Auswahl und der Unterhaltung des Fußbodens strenge Anforderungen zu stellen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Juni 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 5. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, die zahlreiche Kaufhäuser betreibt, Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer Sturzverletzung, die sie sich am 21.8.1990 in dem Kaufhaus der Beklagten in H. zugezogen hat.

2
Die Klägerin hatte am Unfalltag das Warenhaus der Beklagten aufgesucht und dort etwa eine Stunde lang Einkäufe getätigt. Gegen 11.30 Uhr wollte sie das Kaufhaus an dem Ausgang zur G.-Straße verlassen. Der Eingangs-/Ausgangsbereich war dort wie folgt gestaltet: Vor der Eingangstür befand sich eine Überdachung; in den Boden war ein Rost mit Warmluftgebläse eingelassen. Hinter der Tür lag eine Schmutzfangmatte. Im Eingangsbereich war ein Verkaufsstand für Backwaren aufgestellt. Davor stand eine vierkantige Spiegelsäule. Auf dem Boden war an dieser Stelle ein PVC-Belag verlegt.

3
Am Unfalltag hatte es bereits seit dem Morgen ausgiebig geregnet. Infolgedessen war der Boden im Eingangsbereich des Kaufhauses zumindest feucht. In unmittelbarer Nähe des Backwaren-Verkaufsstandes glitt die Klägerin aus, prallte gegen die Spiegelsäule und stürzte zu Boden. Sie zog sich dabei eine komplizierte Oberschenkelhalsfraktur zu.

4
Die Klägerin mußte deswegen zweimal operiert werden; sie befand sich in der Zeit vom 21. August bis 20. November 1990 und vom 14. Mai bis 16. Juli 1991 in stationärer Behandlung. Ihr wurde dabei am rechten Bein ein Teil des Oberschenkelhalses entfernt und ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt.

5
Die Klägerin hat behauptet, sie habe das Warenhaus gegen 10.30 Uhr über den Eingang Sch.-Straße betreten und habe sich nach einigen Einkäufen zuletzt an dem Backwarenstand hinter dem Eingang G.-Straße aufgehalten. Der Boden sei dort regennaß gewesen. Das Warmluftgebläse unter dem Rost vor der Eingangstür sei nicht eingeschaltet gewesen. Beim Verlassen des Kaufhauses sei sie auf dem PVC-Boden, der bei Feuchtigkeit rutschig sei, ausgeglitten, gegen die Spiegelsäule geprallt und dann zu Boden gestützt. Entweder durch den Sturz auf den Boden oder bereits durch Anprall an die Spiegelsäule habe sie sich den Oberschenkelhalsbruch zugezogen.

6
Die Beklagte hat behauptet, die Kunststoffplatten des Fußbodenbelags seien vor allem für Kaufhäuser mit starkem Kundenaufkommen gefertigt worden. Sie zeichneten sich durch besondere Strapazierfähigkeit und Rutschsicherheit aus. Die Reinigung der Geschäftsräume habe sie einem renommierten Gebäudereinigungsunternehmen übertragen, dessen Aufgabe es auch gewesen sei, bei Regen- oder Schneefall während der Geschäftszeiten sofort Nässe oder Schmutz aufzunehmen. Dabei seien “im Rundgang” die drei Eingänge kontrolliert worden. Das sei auch am Tage des Unfalles geschehen.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.

Entscheidungsgründe
I.

8
Das Berufungsgericht stellt fest, daß bei Regenfällen im Kaufhaus der Beklagten ein Kontroll- und Reinigungsdienst eingesetzt war, der auch an dem Unfalltag im bestimmten Rhythmus die Feuchtigkeit aufgewischt habe. Es geht weiterhin davon aus, daß Nässe von Schuhen und Regenschirmen der Kaufhausbesucher bereits abgetropft sei, ehe diese das Kaufhaus betreten hätten, da man den Eingang von der G.-Straße erst betrete, nachdem man zunächst einige Meter unter einem Überbau vor der Eingangstür und damit im Trockenen zurückgelegt habe. Aus den von der Klägerin vorgelegten Fotos vom Eingangsbereich entnimmt das Berufungsgericht darüber hinaus, daß der Rost, der vor dem Betreten des Unfallbereiches zu überqueren ist, ebenfalls Feuchtigkeit aufnimmt, auch wenn die Lüftung nicht eingestellt ist.

9
Aus den Fotos ist nach Auffassung des Berufungsgerichts ferner genügend deutlich ersichtlich, daß es sich bei den im Eingangsbereich des Kaufhauses der Beklagten verlegten Bodenplatten um einen allgemein verwandten PVC- Fußboden handele, der bei Feuchtigkeit nicht mehr oder weniger glatt sei als vergleichbare Fußböden, die häufig in den dem Publikumsverkehr zugänglichen Räumen anzutreffen seien.

10
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, bei Regenfällen sei eine gewisse Feuchtigkeit des Bodens in einem Kaufhaus von den Kunden hinzunehmen, da die Feuchtigkeit bei anhaltendem Regen niemals völlig beseitigt werden könne und andernfalls an solchen Tagen der Kaufhausbetrieb gänzlich ruhen müßte. Zwar erstrecke sich die Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhausinhabers auch darauf, daß die Fußböden der dem Publikumsverkehr gewidmeten Räume während der Geschäftszeiten frei von Gefahren zu halten seien. Dieser Verpflichtung sei jedoch in der Regel genügt, wenn die Gewähr bestehe, daß sich der Kaufhausbesucher bei normalem, vernünftigem Verhalten sicher in den freigegebenen Räumen bewegen könne, und daß er sich nicht solchen Gefahren ausgesetzt sehe, denen er auch bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnen könne, insbesondere keine versteckten, unerwarteten Gefahren vorhanden seien.

11
Die Klägerin habe damit rechnen müssen, daß die Fußböden auch noch in einiger Entfernung von der Eingangstür feucht seien und daß dadurch eine erhöhte Rutschgefahr hervorgerufen werde. Da es auch bereits in dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin das Kaufhaus betreten habe, in größerem Umfange geregnet habe, hätte sie auch Kenntnis von etwaiger Nässe gehabt und hätte deshalb für den Ausgangsbereich G.-Straße mit einer erhöhten Rutschgefahr rechnen müssen.

II.

12
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in jeder Beziehung stand.

13
1. Rechtsfehlerfrei bestimmt das Berufungsgericht allerdings Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten des Inhabers eines Kaufhauses. Sie erstreckt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, auch darauf, daß die Fußböden der dem Publikumsverkehr gewidmeten Räume während der Geschäftszeiten frei von Gefahren zu halten sind. An die Sorgfaltspflichten der Inhaber großer Kaufhäuser und Verbrauchermärkte sind sogar hinsichtlich der Auswahl und der Unterhaltung des Fußbodens strenge Anforderungen zu stellen (Senatsurteil vom 11. März 1986 – VI ZR 22/85VersR 1986, 765 zu einem Verbrauchermarkt). Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß dieser Verpflichtung in der Regel genügt ist, wenn die Gewähr besteht, daß sich der Kaufhausbesucher bei normalem vernünftigem Verhalten sicher in den freigegebenen Räumen bewegen kann, und daß der Kaufhausinhaber nur diejenige Sicherheit zu schaffen und zu bieten hat, die man bei Berücksichtigung der jeweils gegebenen Verhältnisse und der Art und Weise des in Frage kommenden Publikumsverkehrs, allgemein erwarten darf und muß (vgl. z.B. OLG Bamberg mit NA-Beschluß des Senats vom 2. Oktober 1990 – VI ZR 95/90 – VersR 1991, 935 zu den Sicherungspflichten in einem Amtsgebäude; vgl. auch Senatsurteil vom 11. Dezember 1984 – VI ZR 218/83VersR 1985, 336, 337).

14
2. Ohne Erfolg bleiben im Ergebnis auch die Rügen, mit denen sich die Revision dagegen wendet, daß das Berufungsgericht der Beklagten keine Pflichtverletzung hinsichtlich der Entstehung bzw. der Beseitigung auftretender Feuchtigkeit bzw. Nässe anlastet.

15
a) Es liegt kein Rechtsfehler darin, daß das Berufungsgericht allein aus der Einlassung der Beklagten, es werde eingeräumt, daß der Fußboden im Bereich des Sturzes der Klägerin feucht gewesen sei, noch nicht den Schluß auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte gezogen hat. Das Berufungsgericht mußte entgegen der Ansicht der Revision nicht aufgrund der Lebenserfahrung davon ausgehen, daß sich an der Stelle, an der die Klägerin gestürzt ist, so viel Feuchtigkeit befand, daß es dort gefährlich glatt war. Zwar mag ein Anscheinsbeweis dafür sprechen, daß ein Ausrutschen auf feuchtem Boden durch die Feuchtigkeit mitbedingt ist. Daraus allein ergibt sich jedoch noch nicht, daß infolge der Feuchtigkeit bereits ein objektiv verkehrswidriger Zustand bestand, was der Klägerin zu Beweiserleichterungen bezüglich des von ihr zu erbringenden Verschuldensnachweises hätte verhelfen können (vgl. zu den Beweiserleichterungen Senatsurteil vom 11. März 1986 – VI ZR 22/85 – aaO).

16
b) Das Berufungsgericht war auch nicht verpflichtet, Beweis über den Umfang der Feuchtigkeit zu erheben.

17
Abgesehen davon, daß es, wie die Revisionserwiderung zutreffend hervorhebt, keinen Erfahrungssatz gibt, daß frisch entstandene Wasserlachen rutschgefährlicher sind als bloße Feuchtigkeit, wäre der Grad der Feuchtigkeit für die Entscheidung des Streitfalles nur dann von Bedeutung, wenn die Beklagte ihrer Pflicht zur Vermeidung bzw. Beseitigung der Feuchtigkeit nicht in ausreichendem Maße nachgekommen wäre. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Berufungsgericht jedoch rechtlich einwandfrei verneint.

18
aa) Das Berufungsgericht konnte in diesem Zusammenhang berücksichtigen, daß unter dem Überbau vor dem Eingang bereits ein Teil der Nässe von Schuhen und Kleidern sowie Regenschirmen der Kaufhausbesucher abgetropft war und daß auch der in dem Boden vor der Eingangstür angebrachte Metallrost und die Saug- bzw. Schmutzfangmatte weitere Feuchtigkeit aufgenommen hatte, selbst wenn am Unfalltage der Klägerin die Lüftung nicht angestellt war. Diese von der Beklagten angebrachten Vorrichtungen waren, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, geeignet, im Innern des Kaufhauses von den Kunden hereingetragene Nässe in gewissem Umfange zu vermeiden.

19
bb) Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, weitere saugfähige Matten im Eingangsbereich ihres Kaufhauses auszulegen. Es ist schon nicht sicher, ob weitere Matten sämtliche Feuchtigkeit hätten aufnehmen können, die von Schuhen, Mänteln und Schirmen abtropfte. Ihrer Pflicht zur Beseitigung etwa für die Kaufhausbesucher gefährlich werdender Nässe konnte die Beklagte jedenfalls auch dadurch nachkommen, daß sie an Regentagen einen Reinigungs- und Wischdienst einsetzte, der von Zeit zu Zeit die hereingetragene Nässe entfernte (BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdn. 226). Es liegt kein Rechtsfehler darin, daß das Berufungsgericht die diesbezügliche Organisation der Beklagten für ausreichend gehalten hat. Die Anforderungen an eine solche Organisation dürfen nämlich nicht überspannt werden (BGB-RGRK, aaO; OLG Nürnberg VersR 1967, 1083; OLG Hamm, MDR 1979, 1022). Im Streitfalle war von der Klägerin nicht bestritten, daß ein solcher Wischdienst eingesetzt war, der in einem bestimmten Turnus, nämlich jeweils nacheinander (“im Rundgang”) die drei Kaufhauseingänge kontrollierte und Feuchtigkeit aufwischte. Damit hat die Beklagte hinsichtlich der Reinigung die von ihr zu beachtende Sorgfalt erfüllt, auch wenn dadurch feuchte Stellen nicht sofort beseitigt werden konnten. Es kann deshalb nicht, wie die Revision meint, davon ausgegangen werden, daß die im Unfallzeitpunkt herbeigekommene Frau mit Putztuch und Schrubber schon längst vorher hätte kommen und aufwischen müssen.

20
3. Die weitere Verfahrensrüge der Revision greift jedoch durch, mit der sie beanstandet, daß das Berufungsgericht über die Gefährlichkeit der im Kaufhaus der Beklagten verlegten Kunststoffplatten bei Nässe nicht den von der Klägerin beantragten Sachverständigenbeweis erhoben hat.

21
Mit den Maßnahmen zur Reduzierung von Feuchtigkeit in den Innenräumen ihres Kaufhauses und der Organisation des Reinigungsdienstes hätte die Beklagte nur dann ihre Sorgfaltspflichten umfassend erfüllt gehabt, wenn sie einen Bodenbelag ausgewählt hatte, der bei Feuchtigkeit und Nässe die bestmögliche Rutschfestigkeit besitzt. Die Sicherungspflicht eines Kaufhausinhabers wird entscheidend auch dadurch bestimmt, daß es in der Nähe von Ein- und Ausgängen zu Gedränge kommen kann, und daß Kunden, die ihr Augenmerk auf die Auslagen und Verkaufsstände richten, nicht ständig auch auf die Bodenbeschaffenheit achten (Senatsurteil vom 11. März 1986 – VI ZR 22/85 – aaO). Er hat deshalb auch für sichere Bodenbeläge zu sorgen (BGB-RGRK, aaO). An die Sorgfaltspflichten des Betreibers eines großen Kaufhauses oder Großmarktes sind daher auch hinsichtlich der Auswahl des Fußbodens strenge Anforderungen zu stellen (Senatsurteil vom 11. März 1986 – VI ZR 22/85 – aaO). Im Streitfalle kam hinzu, worauf auch die Revision hinweist, daß Kunden, die sich schon längere Zeit in dem Kaufhaus aufgehalten hatten, nicht ohne weiteres damit rechnen mußten, daß die Fußböden noch in einiger Entfernung vom Eingang, wie hier zwischen Backwarenstand und Spiegelsäule, feucht sein könnten.

22
Die Verneinung einer diesbezüglichen Pflichtverletzung der Beklagten durch das Berufungsgericht beruht auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht konnte nicht allein den von der Klägerin vorgelegten Lichtbildern entnehmen, daß es sich bei dem Bodenbelag im Kaufhaus der Beklagten um einen PVC-Fußboden handelte, der bei Feuchtigkeit nicht mehr oder weniger glatt ist als vergleichbare Fußböden. Eine solche Schlußfolgerung war schon deshalb verfehlt, weil die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe einen Fußboden ausgewählt, der den besonderen Anforderungen in Kaufhäusern entsprach, auch was die Rutschsicherheit betreffe. Schon daraus ging hervor, daß es offenbar erhebliche Unterschiede bei PVC-Belägen gab und daß die im Handel befindlichen PVC-Platten unterschiedlich rutschfest sein konnten. Da die Klägerin bestritten hatte, daß der Fußbodenbelag im Hause der Beklagten von einer solchen Qualität war und das Berufungsgericht allein aufgrund der Fotoaufnahmen diese Qualität nicht beurteilen konnte, mußte es eine Beweisaufnahme durchführen. Dies war nur mit Zuhilfenahme eines Sachverständigen möglich (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1993 – VI ZR 84/92VersR 1993, 764, 765).

III.

23
Bei dieser Sachlage muß das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

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