LG Berlin, Urteil vom 15.03.2011 – 65 S 59/10
Die Lärmbelästigung durch das wiederholte zeitweilige Spielen von E-Gitarre und Schlagzeug in einer Nachbarwohnung kann eine Mietminderung von 5% rechtfertigen (Rn. 15).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 13. Januar 2010 – 215 C 201/09 unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise abgeändert und neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 514,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 23. Oktober 2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin zu 31 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 69 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 2, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
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1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist teilweise begründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
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Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung weiterer Miete für die Monate Februar 2009 bis Juni 2009 aus § 535 Abs. 2 BGB besteht in Höhe von 514,89 €; im Übrigen steht dem Anspruch die Herabsetzung der Miete gemäß § 536 Abs. 1 BGB entgegen.
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Teilweise zu Recht machen die Beklagten geltend, durch Lärm in der Nutzung der von ihnen inne gehaltenen Wohnung eingeschränkt zu sein. Lärmbelästigungen können einen Mangel der Mietsache begründen, dies unabhängig davon, ob sie vom Vermieter, von Mitmietern oder Dritten ausgehen. Wann Einwirkungen noch hinnehmbar bzw. aufgrund des Zusammenlebens nicht vermeidbar sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu klären (vgl. Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Auflage, 2011, § 536 Rn. 98).
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a) Das Maß hinzunehmender Einwirkungen ist für den hier gegenständlichen Zeitraum hinsichtlich der von den Mietern … ausgehenden Beeinträchtigungen durch das Spielen von Schlagzeug und einer Elektrogitarre auch unter Berücksichtigung des Umstandes überschritten, dass die Beklagten eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus im Innenstadtbereich gemietet haben.
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Das Musizieren in der eigenen Wohnung ist nach allgemeiner Ansicht zwar grundsätzlich in den Schutzbereich des Grundrechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einbezogen (vgl. Eisenschmid, a.a.O., Wertungen in BVerfG, Kammerbeschluss v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08 in NJW 2010, 754ff., zit nach juris). Fest steht aber auch, dass die Belange der (nicht musizierenden) Mitmieter, insbesondere das Recht auf Ruhe und Entspannung in der selbst gewählten Form verfassungsrechtlich geschützt sind. Gelöst werden kann der Interessenkonflikt nur durch eine auf den Einzelfall abgestimmte, am Gebot der Rücksichtnahme orientierte Abwägung, in die etwaige Regelungen der Hausordnung einzubeziehen sind.
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Zugrunde zu legen ist danach zum einen die im Mietvertrag in Bezug genommene Hausordnung, deren Vorlage zu verlangen das Amtsgericht gemäß § 139 ZPO gehalten war. Danach sind ruhestörende Geräusche zu vermeiden, bei Hausmusik und dem Spielen von Tongeräten soll Zimmerlautstärke eingehalten werden, besonders in der Zeit von 13.00 bis 15.00 Uhr sowie ab 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr; Tätigkeiten, die mit unvermeidbaren Ruhestörungen verbunden sind, sollen zudem nach Möglichkeit nur werktags unter Einhaltung der vorgenannten Ruhezeiten ausgeführt werden.
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Ohne Weiteres unterstellt werden kann zum anderen, dass das Üben und Spielen einer Elektrogitarre ebenso wie das von Schlagzeug in einem Mehrfamilienhaus zu jeder Tageszeit und in den Abendstunden – wenn es sich wie hier nach der Beweisaufnahme bestätigt – von Hausbewohnern, die im privaten Rückzugsbereich ihrer Wohnung Ruhe und Entspannung suchen, als störend empfunden werden kann und dem gewünschten Effekt entgegensteht. Dies gilt insbesondere für die in der Hausordnung in Bezug genommenen Zeitfenster in den Mittags- und den Abendstunden, die letztlich – ebenso wie etwa die Ausführungsvorschriften zum Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin, die für Sonn- und Feiertage für die Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr ein regelrechtes Verbot der Störung der Nachtruhe aussprechen – dem natürlichen Ruhe- und Schlafrhythmus von Menschen unterschiedlicher Altersgruppen Rechnung tragen. Mit dem Grundrecht auf Ruhe und Entspannung unvereinbar ist es, wenn einzelne Mieter den Mitmietern ihre Lebensgewohnheiten und –rhythmen dadurch aufzwingen, dass sie unvermittelt in der Zeit vor der gesetzlich geschützten strikten Nachtruhe besonders laute Tätigkeiten wie das Musizieren unter Einsatz von Schlagzeug und Verstärkern ausüben. Das unterstützenswerte Anliegen der breiten Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit unter Einschluss einer musikalischen Ausbildung – wie die Zeugen Duma es geltend machen – lässt sich auch nicht etwa nur dann verwirklichen, wenn das Kind allein seinen eigenen Neigungen folgt. Die frühzeitige Erziehung zur Rücksichtnahme auf Mitmenschen darf als Bestandteil der Ausbildung sozialer Kompetenzen als wenigstens gleichwertiges Ziel angesehen werden.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Mieter … die durch die Hausordnung und das Gebot der Rücksichtnahme gezogenen Grenzen in dem hier gegenständlichen Zeitraum nicht eingehalten und dadurch den Gebrauch der Mietsache durch die Beklagten nicht nur unerheblich beeinträchtigt haben.
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Die Zeuginnen … und … haben aus der Erinnerung heraus sachlich und ohne Eigeninteresse anschaulich geschildert, dass und in welcher Weise in der Wohnung der Mieter … Schlagzeug und Elektrogitarre unter Einsatz eines Verstärkers gespielt wurden, dies zu unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlich lange. Insbesondere die Zeugin … , die im Jahr 2008 lang andauernd erkrankt war, bestätigte die Behauptung der Beklagten, dass die Musik zur Mittagszeit und abends nach 20.00 Uhr besonders störend war. Beide Zeuginnen gaben übereinstimmend an, dass Unterhaltungen zwar noch möglich waren, aber gestört wurden; der Ton des Fernsehers musste teilweise lauter gestellt werden. Beide Zeuginnen empfanden die Musik übereinstimmend auch deshalb als besonders störend, weil sie zu jeder Tages- und Abendzeit einsetzen konnte, die Dauer unvorhersehbar war, der Versuch, die Mitmieter zu mehr Rücksichtnahme zu veranlassen, allenfalls kurzzeitig von Erfolg war.
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Unerheblich ist, dass die Zeuginnen – infolge des Zeitablaufs nachvollziehbar – aus der Erinnerung heraus die genauen, im Lärmprotokoll der Beklagten dargestellten Zeiten für einzelne Tage nicht zu bestätigen vermochten. Unerheblich ist auch, ob die Ruhezeiten in dem Zeitraum September 2008 bis Oktober 2009 addiert über insgesamt 3 Stunden 25 Minuten gestört haben (so das Amtsgericht) oder ob dies in der Summe fast 16 Stunden sind. Entscheidend ist, dass die Beklagten – ebenso wie die Zeuginnen – der Musik ausgeliefert waren, ohne zu wissen, wann und über welche Dauer die Störung anhalten wird.
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Den Sachverhalt bestätigt haben – wenngleich mit Einschränkungen – auch die von der Klägerin benannten Zeugen … , von deren Wohnung die Beeinträchtigungen ausgingen. Rechtlich irrelevant ist, dass die Musik im Wesentlichen vom minderjährigen Sohn der Mieter und dessen Freunden ausgeübt wird. Entscheidend ist, dass sie bestätigt haben, dass in ihrer Wohnung Schlagzeug und Elektrogitarre gespielt wurde bzw. wird. Dies haben die Zeugen für den hier gegenständlichen Zeitraum bestätigt, wobei sie auch eingeräumt haben, dass dies auch sonntags geschehen ist.
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Soweit die Zeugen … Beeinträchtigungen in Abrede gestellt haben, sind ihre Angaben in sich widersprüchlich und daher nicht überzeugend. Einerseits geben sie an, es werde meist mit Kopfhörern gespielt, andererseits wollen sie ihren Sohn jedoch ermahnt haben, nicht zu laut und nicht innerhalb der Ruhezeiten zu spielen. Soweit sich die Lautstärke insbesondere beim Schlagzeug überhaupt nennenswert beeinflussen lässt, bleibt der Widerspruch zur Angabe, unter Einsatz von Kopfhörern zu spielen. Wenn dem so wäre, würde sich ein Hinweis erübrigen, weil ohnehin keine Geräusche nach außen dringen. Hinzu kommt, dass die Einlassung auch deshalb nicht überzeugt, weil die Beklagten auf Nachfrage einräumen mussten, nicht sicher sagen zu können, ob und in welcher Lautstärke ihr Sohn spielt, wenn sie selbst abwesend sind. Die Aussagen der Zeugen … ist dabei – soweit sie überhaupt von den Angaben der Zeuginnen … und … abweichen – nicht geeignet, deren Einlassungen in Frage zu stellen.
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b) Die nach den vorstehenden Feststellungen gegebenen Belästigungen beeinträchtigen die Beklagten im Gebrauch der gemieteten Wohnung nicht nur unerheblich. Ihre Wohnung liegt im 6. Obergeschoss, ist von der im 4. Obergeschoss gelegenen Wohnung der Mieter … demnach eine Etage weiter entfernt als die (damalige) Wohnung der Zeugin … bzw. die Wohnung der Zeugin … . Nach den Schilderungen der Belästigungen durch die Zeuginnen und der hier verwendeten Instrumente gibt es für die Kammer keinen Zweifel, dass die Musik auch in der Wohnung der Beklagten deutlich zu vernehmen und geeignet war, die Nutzung der Wohnung als Ort des Rückzuges und der Entspannung im vertraglich vorausgesetzten Maß zu beeinträchtigen.
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Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beeinträchtigungen nur zeitweise sowie teilweise nur kurzzeitig auftraten und je nachdem, ob auch das Schlagzeug zum Einsatz kam, von unterschiedlicher Intensität waren, schätzt die Kammer die aufgrund des Mangels eingetretene Herabsetzung der Miete um 5 %, wobei entsprechend dem Wortlaut des § 536 Abs. 1 BGB und dem folgend der Rechtsprechung des BGH die Bruttomiete als Bezugsgröße heranzuziehen ist.
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Für den hier gegenständlichen Zeitraum Februar – Juni 2009 ergibt sich damit, dass die bis einschließlich April 2009 geschuldete Miete von 909,43 € monatlich um 45,47 € herabgesetzt war, in den Monaten Mai und Juni ergibt sich eine Herabsetzung der in Höhe von 923,81 € geschuldeten Miete um monatlich 46,19 €. Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch besteht demnach nicht in Höhe von 228,79 €.
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c) Ohne Erfolg wenden die Beklagten sich jedoch gegen die Feststellungen des Amtsgerichts zu den behaupteten Beeinträchtigungen durch die geänderte Nutzung des Geländes der benachbarten Kirchengemeinde.
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aa) Vom Spielplatz ausgehende Geräusche müssen die Beklagten nach § 6 Abs. 1 Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin i. d. F. vom 3. Februar 2010 und dessen Ausführungsvorschriften, insbesondere unter Ziffer 6 Abs. 1 hinnehmen. Den Intentionen des Landesgesetzgebers trägt nunmehr auch der Bundesgesetzgeber Rechnung, wie sich aus dem vom Bundeskabinett am 16. Februar 2011 beschlossenen Gesetzentwurf ergibt.
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Die Neufassung der Berliner Rechtsvorschriften entspricht im Übrigen den bereits seit langem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, denen die Kammer folgt (vgl. Nachweise in Schmidt-Futterer, a.a.O., § 536 Rn. 112). Die Beklagten haben in tatsächlicher Hinsicht keine Umstände vorgetragen, die es rechtfertigen könnten, hier andere Maßstäbe anzuwenden.
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Soweit die Beklagten sich in der Berufung darauf beziehen, dass die Änderung der Nutzung des Parkplatzes in einen Spielplatz nach Mietvertragsschluss vorgenommen wurde, ist dies ohne Bedeutung. Ihr Ansatz ist bereits im Ausgangspunkt unzutreffend: Geräusche durch spielende Kinder sind sozial adäquat und damit zumutbar. Ob im Einzelfall – wie die AV LImSchGBln es vorsieht – Lärmminderungsmaßnahmen in Betracht kommen können, muss hier nicht entschieden werden, denn die Beklagten haben keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme stützen könnten, hier sei das sozial-adäquate, zumutbare und damit hinzunehmende Maß überschritten. Die Beklagten stört der Kinderlärm als solcher.
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bb) Soweit die Beklagten auch an von den Räumen der Kirchengemeinde ausgehenden Lärmbelästigungen durch Proben einer Blasmusikgruppe, Konzerte und die Nutzung des Gemeindehauses als Partyraum festhalten, ist ihr zugrunde zu legender erstinstanzlicher Vortrag nicht ausreichend. Die Beklagten wohnen im 6. Obergeschoss. Offen lassen sie, wie Aktivitäten in den Räumen des Gemeindehauses die Nutzung der von ihnen gemieteten Räumlichkeiten beeinflussen. Über die Lage der Räume und andere relevante Anknüpfungstatsachen wird nichts mitgeteilt. Dem Lärmprotokoll lassen sich zudem lediglich einzelne Ereignisse entnehmen, wobei etwa die Angabe „laute Versammlung“ nichts sagend ist. Sie wird auch schriftsätzlich nicht durch Sachvortrag konkretisiert.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern.