Zur Frage des Vorliegens einer gefährlichen Körperverletzung durch eine von der Mutter an ihrer Tochter vorgenommenen Tätowierung

OLG Hamm, Beschluss vom 02.09.2021 – 4 RVs 84/21

Zur Frage des Vorliegens einer gefährlichen Körperverletzung durch eine von der Mutter an ihrer Tochter vorgenommenen Tätowierung

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen – mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen einer vorsätzlichen Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB – aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe
I.

Das Amtsgericht hatte die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Auf die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht die Freiheitsstrafe auf sechs Monate herabgesetzt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte die Angeklagte das gemeinsame Sorgerecht für ihre damals vierzehnjährige Tochter zusammen mit dem Kindesvater. Das Jugendamt der Stadt A war Ergänzungspfleger für die Bereiche Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmungsrecht. Im Juli/August 2019 stach die Angeklagte ihrer Tochter mit ihrem Tätowiergerät eine Tätowierung am rechten Unterarm, ohne dass hierfür eine wirksame Einwilligung vorlag. Das Landgericht hat in dem Tätowiergerät ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gesehen. Es hat den Strafrahmen eines minderschweren Falles zu Grunde gelegt.

Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision, mit der sie eine Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision hat zumindest vorübergehend teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache in dem aus den Tenor ersichtlichen Umfang (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO), im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

Soweit das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt hat, tragen die bisher getroffenen Feststellungen eine solche nicht.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. nur: Fischer, StGB, 68. Aufl., § 224 Rdn. 14). Die bisherigen Feststellungen ergeben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen (welche hier nicht in Frage steht), sondern diese muss auch erheblich sein (Hardtung in: MK-StGB, 4. Aufl. § 224 Rdn. 20). Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter zu leiden hat (Paeffgen/Böse in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, StGB § 224 Rn. 16). Ein Tätowiergerät hat nicht per se eine solche Eignung, sondern es kommt auf die konkrete Art seiner Verwendung an. Eine Tätowierung kann nach den heute gesellschaftlich allgemein vorherrschenden Vorstellungen nicht an sich schon als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes in dem o.g. Sinne angesehen werden. Auch der Vorgang des Tätowierens begründet nicht an sich schon ein erhebliches Leiden. Allerdings erscheint eine Eignung zum Hervorrufen erheblicher Verletzungen denkbar, etwa wenn das Tätowiergerät nicht hinreichend desinfiziert wurde und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn sie in der Hand eines Ungeübten falsch verwendet wird und deswegen gravierendere Verletzungen (etwa durch falsche Aufstellung oder übermäßigen Druck in tieferen Gewebeschichten) hervorruft. Vorliegend ist lediglich festgestellt worden, dass die Angeklagte keine gelernte Tätowiererin ist, aber offenbar bei sich selbst bereits mehrere Tätowierungen angebracht hatte. Außerdem war ihr die Infektionsgefahr bei mangelnder Hygiene bewusst. Dies war gerade der Grund, warum sie selbst die Tätowierung bei ihrer Tochter vornehmen wollte. Es hätte vorliegend daher näherer Feststellungen zur Art des Gerätes bedurft (etwa, ob es so gebaut ist, dass auch bei ungeübter Verwendung ein Vordringen in tiefere Gewebeschichten ausgeschlossen ist) sowie auch zur Erfahrung und Übung der Angeklagten bei Anbringung von Tätowierungen, also insbesondere, ob die Tätowierungen aus der Laienhand der Angeklagten nicht zwangsläufig entstellend wirken und welche Hygienemaßnahmen sie ergriffen hat. Ferner kann für die konkrete Art der Verwendung von Bedeutung sein, in welcher Weise die Angeklagte das Tätowiergerät eingesetzt hat (etwa: Umfang der Druckausübung; Beeinträchtigung der Bedienfähigkeit nach Konsum berauschender Mittel etc.).

Hingegen sind die Feststellungen, soweit sie das eigentliche Körperverletzungsgeschehen (i. S. einer einfachen Körperverletzung) und das Fehlen einer wirksamen Einwilligung in dieses betreffen, frei von Rechtsfehlern. Die insoweit zu Grunde liegenden Feststellungen bedurften daher eine Aufhebung nicht.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Strafrahmens des § 223 StGB zu einer geringeren Bestrafung der Angeklagten gelangt wäre.

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