AG Simmern, Urteil vom 19.04.2017 – 32 C 571/16
Zur Frage der Wirksamkeit der Vereinbarung ausländischen Rechts mit einem Fluggast und der Zuständigkeit ausländischer Gerichte
Tenor
1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 327,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.7.2016 zu zahlen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/5 und die Beklagte 3/5.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 543,36 € festgesetzt.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger buchte über das Internetportal der in Irland ansässigen beklagten Luftfahrtgesellschaft am 7.6.2015 für sich und einen I T einen Hin- und Rückflug von Hahn nach Marrakesch für zunächst den 29.9.2015. Hierfür zahlte er einen Ticketpreis inkl. Steuern pp. in Höhe von 364,25 €.
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In den AGB der Beklagten heißt es in Art. 10.1., dass alle bei der Beklagten gekauften Flugtickets nicht erstattungsfähig seien. Gemäß Art. 4.2.1. kann, falls eine Reise nicht angetreten wird, per Antrag die Erstattung der gezahlten Gebühren und Steuern verlangt werden abzüglich einer Verwaltungsgebühr.
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In Art. 2.4. der AGB der Beklagten heißt es:
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„2.4 Rechtswahl und Gerichtsstand
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Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag, diese Beförderungsbestimmungen und unsere Regelungen dem Irischen Recht. Die irischen Gerichte sind für die Entscheidung sämtlicher Klagen oder Verfahren und/oder zur Beilegung sämtlicher Streitigkeiten zuständig.“
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Der Kläger stornierte die Flüge am 5.8.2015 und verlangt mit der vorliegenden Klage Rückzahlung der im Ticketpreis enthaltenen Steuern und Gebühren sowie im Ergebnis Rückzahlung des Ticketpreises.
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Der Kläger, der mit der Klage ursprünglich einen Betrag von 543,36 € geltend gemacht hat, hat die Klage in Höhe von 179,11 € zurückgenommen.
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Der Kläger trägt vor, die Klausel Art. 10.1. in den AGB der Beklagten sei unwirksam gemäß §§ 308 Nr. 7 b, 309 Nr. 5 b BGB; § 649 BGB könne nur durch Individualvereinbarung ausgeschlossen werden.
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Irisches Recht sei im Hinblick auf Formulierung in den AGB der Beklagten nicht wirksam einbezogen worden. Im Übrigen trage die Beklagte im Hinblick auf das irische Recht keine einschlägigen Vorschriften vor.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 364,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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Die Beklagte trägt vor, die Rechtswahlklausel sei zulässig, so dass irisches Recht anzuwenden sei. Aufgrund der wirksam einbezogenen AGB sei die Erstattung des Ticketpreises nicht geschuldet. Die Klausel verstoße auch nicht gegen die europäische Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Auch nach deutschem Recht sei die Klausel wirksam. Die Vorschrift des § 649 BGB sei disponibel; es bestünden gewichtige Interessen der Beklagten daran, Flüge als nicht stornierbar auszugestalten.
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Die zu erstattenden Steuern und Gebühren seien unstreitig nicht höher als die gemäß den AGB zu erhebende Verwaltungsgebühr.
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Wegen des Sach- und Streitstandes in seinen Einzelheiten wird auf die von den Parteien zu der Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist – soweit sie nunmehr nach teilweiser Klagerücknahme noch anhängig ist – überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach der Stornierung des Beförderungsvertrags einen Anspruch auf Rückzahlung des Ticketentgelts in Höhe des aus dem Tenor ersichtlichen Betrags.
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Auf den vorliegenden Fall ist deutsches Recht anzuwenden. Die Klausel in den AGB der Beklagten, wonach auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag irisches Recht anzuwenden sei, ist gemäß § 307 BGB unwirksam. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt vom Wortlaut her eine eindeutige Rechtswahl zu Gunsten des irischen Rechts getroffen wurde, ist jedenfalls die Klausel in ihrer Gesamtschau unwirksam. Im Falle einer Flugbeförderung kann ein Luftfahrtunternehmen auch mit Verbrauchern Rechtswahlvereinbarungen treffen (Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 4 b ROM-I-VO). Die Form des Vertrages und auch die Frage, ob AGB wirksam sind, sind jedoch nach deutschem Recht zu beurteilen (Art. 11 Abs. 4 ROM-I-VO).
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Danach gilt: Die Klausel ist gemäß § 307 BGB unwirksam. Über die Geltung des irischen Rechts hinaus wurde nämlich auch die Zuständigkeit irischer Gerichte vereinbart. Eine solche Klausel verstößt gegen § 38 ZPO und gegen Art. 16 (jetzt Art. 18) und Art. 17 (jetzt Art. 19) EuGVVO, wonach der Verbraucher auch vor seinem Heimatgericht klagen können soll und eine davon abweichende Vereinbarung erst nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werden kann.
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Aus einem Summierungseffekt, d. h. aus einer Kombination einer möglicherweise zulässigen, aber nicht unbedenklichen Klause (hier: 2.4. Satz 1 der von der Beklagten verwendeten AGB) mit einer unzulässigen Bestimmung (hier: 2.4. Satz 2) ergibt sich sodann die Gesamtunwirksamkeit der Klausel. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die gesamte Klausel offensichtlich nur den Zweck hat, Verbraucher von der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte abzuhalten.
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Die Klausel 10.1. der AGB der Beklagten ist gemäß § 308 Nr. 7 BGB unwirksam. Nach dieser Vorschrift ist eine Bestimmung in AGB unwirksam, nach der der Verwender der AGB für den Fall, dass eine Vertragspartei vom Vertrag zurücktritt oder den Vertrag kündigt, eine unangemessen hohe Vergütung oder einen unangemessen hohen Ersatz von Aufwendungen verlangen kann. Ob die Beklagte einen unangemessen hohen Ersatz von Aufwendungen verlangt, beurteilt sich nach § 649 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer die vereinbarte Vergütung verlangen, er muss sich jedoch das anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird vermutet, dass danach der Unternehmer 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Danach reicht der bloße Hinweis der Beklagten auf das margenschwache Fluggeschäft und die Unzumutbarkeit, einen gekündigten Flug mit erhöhtem Personalaufwand nicht mehr erneut verkaufen zu können, nicht aus. Nach Auffassung des Gerichts ist es der Beklagten zumutbar, einen verkauften Flug, wenn die Kündigung – wie hier – so rechtzeitig erfolgte, dass der Wiederverkauf der zurückgegebenen Tickets ohne weiteres möglich ist, diesen Weg des anderweitigen Erwerbs auch zu beschreiten. Hierzu hat die Beklagte aber nichts vorgetragen. Es oblag folglich der Beklagten vorzutragen, dass ihr nach der Anrechnung gemäß § 649 Satz 2 BGB eine Vergütung zustand, die 5 % der Vergütung übersteigt. Demgegenüber hätte der Kläger substantiiert vortragen müssen, dass der Beklagten weniger als 5 % der gemäß § 649 Satz 3 BGB vermuteten Aufwendungen zustehen. Insoweit reicht der Vortrag des Klägers zu den von Fluggesellschaften regelmäßig vorgenommenen Überbuchungen nicht aus.
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Hinsichtlich der Rückerstattung der Steuern steht dem Kläger kein Anspruch zu. Das Gericht sieht die Klausel, wonach für die Rückerstattung eine von der Beklagten so benannte Verwaltungsgebühr anfällt, die im konkreten Fall 20,00 € beträgt, als wirksam an. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten, wonach die zu erstattenden Steuern die Verwaltungsgebühr nicht übersteigen, nicht bestritten.
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Dem Kläger steht also hinsichtlich des gezahlten Ticketpreises von 364,25 € ein zurückzuerstattender Betrag von (364,25 € abzüglich Verwaltungsgebühr von 20,00 € =) 344,25 € und hiervon 95 % = 327,04 € zu.
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Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 286 ff., 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 269 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 713 ZPO.