BGH, Urteil vom 15.12.1992 – VI ZR 115/92
Der Inhaber einer Reparaturwerkstatt, der durch falsche Einstellung der Handbremse eines Kraftfahrzeugs einen Verkehrsunfall verursacht, haftet demjenigen, der im Zeitpunkt des Unfalls Eigentümer des Fahrzeugs ist, wegen Verletzung einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz des Sachschadens.
(Leitsatz des Gerichts)
Tatbestand
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Der Kläger kaufte am 11. November 1989 bei der Firma Auto-L. in W. unter Ausschluß jeglicher Gewährleistung einen gebrauchten Pkw der Marke BMW Typ 318 i zum Preis von 16.900 DM. Das Fahrzeug sollte vereinbarungsgemäß am 15. November 1989 ausgeliefert werden. Zuvor, am 13. November 1989, ließ die Firma Auto-L. an dem Pkw durch den Beklagten verschiedene Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten durchführen, u.a. die Handbremse einstellen.
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Nach der Übernahme des Fahrzeugs am 15. November 1989 fuhr der Kläger zu seiner Wohnung in Sp. Dort wurde festgestellt, daß die hintere rechte Radfelge heißgelaufen war. Der Kläger entschloß sich deshalb, noch am selben Tage zur Firma Auto-L. nach W. zurückzufahren, um den Mangel beheben zu lassen. Bei der Rückfahrt geriet er, in einer Kolonne fahrend, auf die Gegenfahrbahn, wo er mit einem Kleinlastwagen zusammenstieß.
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Der Kläger behauptet, der Unfall sei darauf zurückzuführen, daß der Beklagte die Handbremse falsch eingestellt habe. Dies habe durch andauernde Bremseinwirkung zu dem Heißlaufen des rechten Hinterrades geführt, wodurch sich die Bremsflüssigkeit so stark erhitzt habe, daß die (Fuß-) Bremsen im Unfallzeitpunkt versagt hätten.
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Der Kläger verlangt vom Beklagten den Ersatz des an dem Pkw entstandenen Sachschadens, den er einschließlich Wertminderung und Unkosten auf 13.329,16 DM beziffert.
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Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht meint, vertragliche Ansprüche stünden dem Kläger nicht zu, da nicht er, sondern die Firma Auto-L. den Vertrag vom 13. November 1989 mit dem Beklagten abgeschlossen habe und diesem Vertrag auch weder eine Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers zukomme, noch die Firma Auto-L. dem Kläger etwaige vertragliche Ansprüche gegen den Beklagten abgetreten habe. Eine deliktische Haftung des Beklagten scheide ebenfalls aus, da er nicht als Hersteller der Bremsanlage anzusehen sei und durch eine mangelhafte Reparatur gegenüber dem Kläger auch kein Schutzgesetz verletzt habe.
II.
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Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in jeder Hinsicht stand.
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A. Das angefochtene Urteil unterliegt in vollem Umfang der rechtlichen Nachprüfung durch den erkennenden Senat. Das Berufungsgericht hat in der Urteilsformel die Revision uneingeschränkt zugelassen. Es hat zwar in den Entscheidungsgründen zur Begründung ausgeführt, daß die Frage einer deliktischen Haftung bei entsprechender Fallgestaltung noch nicht höchstrichterlich entschieden sei. Hierin liegt jedoch keine wirksame Ausklammerung vertraglicher Ersatzansprüche. Denn die Zulassung der Revision kann nicht auf einzelne von mehreren miteinander konkurrierenden Anspruchsgrundlagen beschränkt werden (BGH, Urteil vom 7. Juli 1983 – III ZR 119/82 – VersR 1984, 38; zur Zulassungsbeschränkung allgemein s. BGHZ 101, 276, 278 f).
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B. Mit der im Berufungsurteil niedergelegten Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.
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1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht dem Kläger vertragliche Schadensersatzansprüche versagt.
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a) Im Ergebnis mit Recht und von der Revision insoweit auch unangefochten nimmt das Berufungsgericht an, daß der Kläger nicht in den Schutzbereich des zwischen der Firma Auto-L. und dem Beklagten am 13. November 1989 abgeschlossenen Werkvertrages über Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten einbezogen war. Ob dies freilich, wie das Berufungsgericht meint, schon daraus folgt, daß dem Kläger aus dem Kaufvertrag vom 11. November 1989 grundsätzlich eigene – hier jedoch vertraglich ausgeschlossene – Gewährleistungsansprüche gegen die Firma Auto-L. zugestanden haben, erscheint allerdings fraglich. Denn anderweitige eigene Vertragsansprüche des Geschädigten lassen sein Schutzbedürfnis gegenüber dem aus der Rechtsbeziehung zu einem anderen kraft besonderer Umstände auch zu seinem (des Geschädigten) Schutz verpflichteten Schädiger nur dann entfallen, wenn die eigenen Vertragsansprüche des Geschädigten denselben oder jedenfalls einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen, die er auf dem Weg über eine Einbeziehung in den Schutzbereich des zwischen seinem Vertragspartner und dem Schädiger abgeschlossenen Vertrages in Anspruch nimmt (vgl. BGHZ 70, 327, 330; Senatsurteil vom 13. Februar 1990 – VI ZR 354/88 – VersR 1990, 540 f). So liegen die Dinge hier in Bezug auf die Verträge vom 11. und 13. November 1989 jedoch nicht; denn Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Erfüllung haben bei einem Kaufvertrag (§ 463 BGB) andere Voraussetzungen als bei einem Werkvertrag (§ 635 BGB). Dennoch erweist sich das Ergebnis des Berufungsgerichts letztlich als richtig. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers hat ihm die Firma Auto-L. bei Kaufabschluß am 11. November 1989 zugesagt, das Fahrzeug vor der Übergabe noch einer sorgfältigen Durchsicht in einer Fachwerkstatt unterziehen zu lassen und mit der Inspektion, insbesondere auch dem Einstellen der Handbremse, dann am 13. November 1989 den Beklagten beauftragt. Falls diese Umstände überhaupt ausreichen, um entgegen der Regel (BGHZ 51, 91, 96) den Kläger in den Schutzbereich des von der Firma Auto-L. mit dem Beklagten abgeschlossenen Vertrages einbeziehen zu können, was das Berufungsgericht offen läßt, so bilden sie zugleich die Grundlage dafür, den Beklagten als Erfüllungsgehilfen der Firma Auto-L. im Rahmen der von ihr gegenüber dem Kläger übernommenen Verpflichtung zur Überprüfung der Bremsen anzusehen. Dann aber hätte die Firma Auto-L. dem Kläger für ein Verschulden des Beklagten nach § 278 BGB in gleicher Weise einzustehen. Der Verzicht des Klägers auf seine Rechte durch den mit der Firma Auto-L. vereinbarten Gewährleistungsausschluß würde dann seinem Schutzbedürfnis auch für den Vertrag dieses Unternehmens mit dem Beklagten entgegenstehen.
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b) Im Ergebnis mit Recht verneint das Berufungsgericht auch einen Ersatzanspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der (im Berufungsurteil als Drittschuldnerliquidation bezeichneten) Drittschadensliquidation. Selbst wenn im Streitfall, was das Berufungsgericht offen läßt, die für eine Drittschadensliquidation erforderliche Schadensverlagerung zu bejahen wäre (s. dazu BGHZ 51, 91, 93 ff), so geht doch die Rüge der Revision fehl, das Berufungsgericht habe den Kläger gemäß §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO auf die Möglichkeit hinweisen müssen, sich die Gewährleistungsansprüche der Firma Auto-L. gegen den Beklagten abtreten zu lassen, um seine Klage dann auch auf diese abgetretenen Ansprüche zu stützen. Eines solchen Hinweises bedurfte es nämlich schon deshalb nicht, weil der Kläger im Berufungsrechtszug selbst vorgetragen hatte, daß auch werkvertragliche Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Beklagten in Betracht kämen, und der Beklagte seinerseits stets betont hatte, daß er aus dem mit der Firma Auto-L. geschlossenen Werkvertrag allein diesem Auftraggeber hafte. Damit lag das Erfordernis einer Abtretung solcher Ansprüche, wenn der Kläger sie geltend machen wollte, auf der Hand. Ein dies noch einmal herausstellender Hinweis des Berufungsgerichts war umso weniger geboten, als der Beklagte sich angesichts seiner bei Klageerhebung bereits mehr als sechs Monate zurückliegenden Arbeiten darauf berufen hatte, daß etwaige Gewährleistungsansprüche der Firma Auto-L. ohnehin verjährt seien, und der Kläger dem nicht entgegengetreten war. Fehlt es damit schon an dem von der Revision gerügten Verfahrensfehler des Berufungsgerichts, so kann offenbleiben, ob die darauf gestützte Rüge auch deshalb erfolglos bleiben müßte, weil der Kläger eine Zession der Ansprüche seitens der Firma Auto-L. offensichtlich bis heute nicht bewirkt hat.
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2. Als nicht rechtsfehlerfrei erweisen sich jedoch die Erwägungen, aus denen das Berufungsgericht dem Kläger auch deliktische Schadensersatzansprüche versagt.
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a) Das Berufungsgericht verneint eine Einstandspflicht des Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung, weil er nach der Legaldefinition des § 4 ProdHaftG nicht als Hersteller der schadhaften Bremsanlage anzusehen sei. Diese Sicht greift zu kurz.
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aa) Das am 1. Januar 1990 in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2198) mit seiner in § 1 Abs. 1 ProdHaftG angeordneten verschuldensunabhängigen Haftung gilt zwar gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nur für den Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts, als der hier der Beklagte nicht anzusehen ist. Auf eine Einstandspflicht nach diesem Gesetz kommt es aber im Streitfall auch gar nicht entscheidend an, da der vom Kläger geltend gemachte Schaden vor dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes eingetreten ist und für die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB die einschränkende Umschreibung des haftenden Personenkreises in § 4 ProdHaftG nicht gilt (vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Bd. III/1 Rdn. 4.488 und 4.490).
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bb) In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß der Inhaber einer Reparaturwerkstatt auch deliktisch wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht haften kann, wenn er infolge fehlerhafter Bearbeitung oder Wartung einer Sache für die Rechtsgüter anderer eine Gefahr schafft (vgl. BGHZ 55, 392, 394 f; BGH, Urteile vom 17. Oktober 1961 – VI ZR 117/61 – VersR 1962, 43; vom 6. April 1967 – VII ZR 298/64 – VersR 1967, 707 f und vom 30. Mai 1978 – VI ZR 113/77 – VersR 1978, 722, 723; Schmidt-Salzer, aaO, Rdn. 4.165, 4.331 und 4.490).
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Nach dem vom Berufungsgericht unterstellten und deshalb revisionsrechtlich zugrundezulegenden Sachverhalt ist der Verkehrsunfall des Klägers zumindest auch auf eine mangelhafte Einstellung der Handbremse durch den Beklagten zurückzuführen, und bei diesem Unfall ist an dem Fahrzeug ein erheblicher Sachschaden entstanden. Hiernach sind die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung des Beklagten erfüllt.
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b) Dem vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch steht auch nicht der vom Beklagten in den Tatsacheninstanzen ins Feld geführte Umstand entgegen, daß der Kläger zu der Zeit, als der Beklagte die Handbremse eingestellt hat, noch nicht Eigentümer des BMW war. Deliktische Pflichten zum Schutz vor Beschädigung des Fahrzeugs hatte der Beklagte nicht nur gegenüber seinem Auftraggeber, wie das Berufungsgericht offenbar annimmt, sondern gegenüber demjenigen Eigentümer, bei dem sich die vom Beklagten gesetzte Gefahr realisierte. Die Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB knüpft an die Verletzung des Eigentums an, und diese ist im Streitfall nicht schon durch die fehlerhafte Einstellung der Handbremse, sondern erst durch den dadurch verursachten Verkehrsunfall mit der Beschädigung des Fahrzeugs eingetreten. Zu dieser Zeit war aber auch nach dem vom Berufungsgericht zugrundegelegten Sachverhalt der Kläger bereits Eigentümer des BMW (zu ähnlichen Fallgestaltungen s. BGH, Urteile vom 6. April 1967 und vom 30. Mai 1978 = jeweils aaO).
III.
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Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.