Landgericht Bonn, Urteil vom 15.01.2014 – 5 S 7/13
Der Eigentümer oder Besitzer einer Wohnung, der sich durch einen Aufkleber an seinem Briefkasten gegen den Einwurf von Werbematerial wehrt, hat gegen den Werbenden einen Unterlassungsanspruch, wenn es dennoch zum Einwurf von Werbematerial kommt. Für die Störereigenschaft des Werbenden ist er beweispflichtig. Ein einmaliger und räumlich begrenzter Einwurf von Prospekten reicht nicht aus, um von einem Anscheinsbeweis ausgehen zu können.
(Leitsatz des Gerichts)
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 12.12.2012 – 110 C 213/12 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
I.
Die Darstellung des Tatbestandes entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Revision nicht zugelassen wurde und der erforderliche Beschwerdewert für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 26 Nr. 8 EGZPO) nicht erreicht wird, ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.
II.
1. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie richtet sich gegen das im Tenor genannte Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 12.12.2012, während das im weiteren Verlauf des Rechtsstreits erstinstanzlich ergangene Urteil vom 24.05.2013 nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Diese, auf den Einspruch des Beklagten gegen das Ergänzungsversäumnisurteil erlassene Entscheidung stellt vielmehr ein selbständiges Urteil dar, gegen das gesondert Berufung einzulegen ist, deren Zulässigkeit insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Beschwer oder eine Rechtsmittelzulassung gegeben sein muss (vgl. Zöller, Vollkommer, 29. Auflage, § 321 Rn 11 mwN). Es fehlt bereits an einer entsprechenden Erklärung des Beklagten, dass sich die Berufung auch gegen das weitere Urteil richtet. Zudem wäre der erforderliche Beschwerdewert von 600,00 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht erreicht. Da eine Zulassung der Berufung durch das Amtsgericht nicht erfolgt ist, wäre eine Berufung insoweit unstatthaft.
2. Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das amtsgerichtliche Urteil war daher im Hinblick auf § 513 ZPO wie im Tenor geschehen abzuändern.
Die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers gegen den Beklagten gemäß § 1004 Abs. 1 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB bzw. §§ 903, 862 BGB, gerichtet darauf, den Einwurf von Werbematerial – auch durch Dritte – zu unterlassen, liegen nicht vor.
Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass dem Eigentümer oder Besitzer einer Wohnung aus diesen Normen ein Unterlassungsanspruch zusteht, wenn er sich durch einen entsprechenden Aufkleber an seinem Briefkasten wehrt, es aber dennoch zum Einwurf von Werbematerial kommt; dabei kann sich der Betroffene bereits gegen den vereinzelten unerwünschten Einwurf solcher Materialien wehren (BGH, Urteil vom 20.12.1988, VI ZR 182/88, juris Rn 12 ff; Urteil vom 08.02.2011, VI ZR 311/09, juris Rn 9 ff.). Gerichtet ist der Anspruch gegen den Werbenden, dem der Einwurf des Werbematerials zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 20.12.1988, VI ZR 182/88, juris Rn 15).
Entgegen den Feststellungen des Amtsgerichts kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beklagten der Einwurf des Werbeflyers in den Briefkasten des Klägers am 06.05.2012 zuzurechnen ist, mithin er als Störer in Anspruch genommen werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Würdigung der erhobenen Beweise in der Berufung nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegt, da das Berufungsgericht an die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz grundsätzlich gebunden ist. Deshalb hat sich die Überprüfung im Wesentlichen darauf zu beschränken, ob das erstinstanzliche Gericht die erhobenen Beweise vollständig und widerspruchsfrei gewürdigt und ob es bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze verstoßen, Gesetze der Logik missachtet oder einschlägige Erfahrungssätze übersehen hat. Uneingeschränkt überprüfbar ist das Urteil hingegen auf eine Rechtsverletzung, § 546 ZPO. Eine solche Rechtsverletzung ist zu bejahen, wenn das erstinstanzliche Gericht die Beweislast unzutreffend verteilt hat; dabei sind auch die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises in der Berufung zu überprüfen (vgl. Zöller, a.a.O., § 546 Rn 13 m. w. N.).
Dies zugrunde gelegt, weist das angefochtene Urteil einen in der Berufungsinstanz zu beachtenden Rechtsfehler auf. Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass zugunsten des Klägers die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises dahingehend anzunehmen sind, dass der Beklagte das Einlegen des Werbeflyers in den Briefkasten des Klägers veranlasst hat.
Der allgemein anerkannte sog. Prima-facie-Beweis erlaubt bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs oder eines schuldhaften Verhaltens ohne exakte Tatsachengrundlage, sondern auf Grund von Erfahrungssätzen. Nach dem bereits zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.12.1988 kann dem Betroffenen bei einem unerwünschten Einwurf von Werbematerial ein Anscheinsbeweis dahingehend zugutekommen, dass die Verteiler, die für das werbende Unternehmen tätig geworden sind, die Handzettel im Zuge von Werbeaktionen eingeworfen haben, da es sich insofern um einen typischen Vorgang handle; maßgeblich sind insofern die Umstände des Einzelfalles (BGH, a.a.O., Rn 15). Ein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass ein Anscheinsbeweis in jedem Fall dafür streitet, dass ein Werbeflyer stets auf Veranlassung des beworbenen Unternehmens in einen Briefkasten einlegt worden ist, lässt sich dieser Rechtsprechung nicht entnehmen. Er ließe sich mit den Grundsätzen des Anscheinsbeweises auch nicht vereinbaren.
Ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ist es vorliegend einmal, Anfang Mai 2012, dazu gekommen, dass an den insgesamt fünf Briefkasten im Haus des Klägers ein Flyer des Pizza-Unternehmens des Beklagten eingeworfen worden ist. Dem Tatbestand sowie dem weiteren Vorbringen des Klägers in der Berufung lässt sich weder entnehmen, dass auch in der näheren Umgebung entsprechende Flyer verteilt worden sind, noch, dass es an anderen Tagen zu einem Einwurf des Werbematerials gekommen ist. Dies wären indes typische Vorgänge bei der Verteilung von Werbematerial durch ein Unternehmen im Zuge einer nicht an ausgewählte Adressaten gerichteten allgemeinen Werbeaktion. Regelmäßig werden in solchen Fällen, um viele Interessenten zu erreichen, in einem Gebiet flächendeckend in Briefkästen Werbeflyer verteilt. Dies entspricht allgemeiner Übung, die auch der Kammer aus eigener Erfahrung bekannt ist.
Deshalb kann aufgrund der festgestellten Umstände nicht prima-facie davon ausgegangen werden, dass die fünf Flyer auf Veranlassung des Beklagten verteilt worden sind. Vielmehr könnten auch, wie von dem Beklagten dargestellt, möglicherweise Dritte diese fünf Handzettel eingeworfen haben. Der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag demgegenüber zugrunde, dass ursprünglich Werbesendungen unstreitig auf Veranlassung der dortigen Beklagten eingeworfen worden waren; nach Abmahnung unterblieb dies zunächst, bis der dortige Kläger wiederum mehrfach Wurfsendungen in seinem Briefkasten vorgefunden hat. Dementsprechend verweist der Bundesgerichtshof auf die Umstände des Einzelfalles bei seiner Überlegung, dass das Argument fernliegend sei, wonach Dritte das Material eingebracht haben.
Da ihm die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht zugutekommen, hätte der Kläger den vollen Beweis dafür erbringen müssen, dass der Einwurf des Flyers durch den Beklagten veranlasst worden ist. Es fehlt bereits an einem entsprechenden Beweisantritt. Ergänzend weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gegen einen Einwurf auf Veranlassung des Beklagten die Aussage des von dem Beklagten benannten und durch das Amtsgericht vernommenen Zeugen B spricht. Nachvollziehbare Gründe dafür, warum das Amtsgericht den Zeugen als unglaubwürdig und seine Aussage als unglaubhaft erachtet hat, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Insbesondere überzeugt das hierzu wesentlich angeführte Argument nicht, dass der Beklagte in seinem Internetauftritt mit einem auch rechtsrheinischen Einzugsgebiet werbe; dies beinhaltet nicht, dass dort zwingend Werbeflyer verteilt werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die sich auf die Entscheidung eines Einzelfalls beschränkende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO). Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. Die Beurteilung des Streitfalls beruht auf einer Würdigung des Einzelfalles.