Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.01.2017 – 6 W 95/16
Der Betreiber eines Online-Marktplatzes, der auf eine klare Rechtsverletzung eines Nutzers konkret hingewiesen wird, darf in Erfüllung seiner ihm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliegenden Pflichten das betroffene Angebot einschränkenden Maßnahmen unterwerfen ohne den Nutzer vorher anzuhören und ohne die vorgetragene Rechtsverletzung einer Prüfung zu unterziehen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Prozesskostenhilfe verweigernden Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 05.07.2016 – 2 O 302/15 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO).
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In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Erfolgsaussichten der vom Antragsteller beabsichtigten Klage verneint (§ 114 ZPO), mit welcher der Antragsteller von der Antragsgegnerin Schadensersatz wegen unberechtigter Sperrung bzw. Beschränkung seines Nutzer-Accounts bei dem von der Antragsgegnerin betriebenen Internet-Marktplatz begehrt.
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1. Der Antragsteller tätigte als gewerblicher Kunde Veräußerungsgeschäfte über die Internetplattform der Antragsgegnerin. Diese teilte dem Antragsteller am 21.03.2014 mit, sein Account sei wegen Patentverletzung gesperrt bzw. einschränkenden Maßnahmen unterworfen worden, da ihr sei seitens eines Rechteinhabers diese Verletzung bekannt gemacht worden sei. Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller die Emailadresse des Rechteinhabers mit und verwies auf ihr V…-Programm.
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Nach dem Vortrag des Antragstellers hat dieser mit dem vermeintlichen Rechteinhaber einen Rechtsstreit erfolgreich ausgefochten und das Urteil der Antragsgegnerin bekannt gemacht. Mit Email vom 12.06.2014 teilte die Antragsgegnerin mit, die Sperrung sei aufgehoben und das Angebot des Antragstellers wieder hergestellt worden, sie bedauere entstandene Unannehmlichkeiten.
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2. Mit der beabsichtigten Klage macht der Antragsteller geltend, es liege eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung der Antragsgegnerin der Gestalt vor, dass diese ohne Anhörung seiner Person bzw. Einholung einer Stellungnahme sein Nutzerkonto gesperrt habe auf die bloße Mitteilung des vermeintlichen Rechteinhabers hin.
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Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten. Der Rechteinhaber habe am 04.03.2016 über das V…-Programm konkret eine Patentverletzung des Antragstellers angezeigt. Sie habe daraufhin entsprechend § 4 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Sperrung des Accounts des Antragstellers eingeleitet.
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Mit seiner, die Prozesskostenhilfe verweigernde Entscheidung angreifenden Beschwerde macht der Antragsteller weiter geltend, die Antragsgegnerin habe gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, indem sie auf den unbegründeten Vorwurf eines „Neiders“, also quasi aufgrund eines bloßen Verdachtes hin sein Nutzerkonto gesperrt habe, ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Vorwurf zu geben. Das Verhalten der Antragsgegnerin sei willkürlich und habe ihn, den Antragsteller, in seiner Existenz bedroht.
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3. Mit dem vom Antragsteller zur Begründung seiner beabsichtigten Klage vorgetragenen Sachverhalt lässt sich eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung der Antragsgegnerin (§ 280 BGB) nicht feststellen.
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a. Die Antragsgegnerin ist mit der Sperrung des Accounts ihren Prüf- und Schutzpflichten nachgekommen, die ihr durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als Betreiber einer Internet-Plattform auferlegt sind. Danach trifft den Betreiber eines Online-Marktplatzes, wenn ihn ein Rechteinhaber auf eine klare Verletzung seines Rechtes durch ein auf den Marktplatz eingestelltes Verkaufsangebot hinweist, die Verpflichtung, derartige Verletzungen zu unterbinden. Die Diensteanbieter im Sinne von §§ 8 bis 10 TMG trifft keine allgemeine Prüfpflicht für die von Nutzern auf deren Server eingestellten Dateien, dem steht die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG entgegen. Danach sind Diensteanbieter nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten (BGH, Urteil vom 17.08.2011 – 1 ZR 57/09 – Stiftparfüm, Rn. 21- zit. nach juris). Der Betreiber eines Online-Marktplatzes, der auf eine klare Rechtsverletzung konkret hingewiesen worden ist, muss allerdings das betroffene Angebot unverzüglich sperren und auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt (BGH, a.a.O., Rn. 52; BGHZ 158, 236 Rn. 49- zit. nach juris).
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Die Antragsgegnerin hat daher in Erfüllung der ihr obliegenden rechtlichen Pflichten gehandelt, indem sie nach einem entsprechenden Hinweis eines sich als Rechteinhabers bezeichneten Nutzers den Account des Antragstellers sperrte. Zugleich diente dies der Wahrnehmung ihrer eigenen berechtigten Interessen, nämlich nicht von Markeninhabern gerichtlich oder außergerichtlich in Anspruch genommen zu werden (s. Beschluss des Senats vom 09.03.2010, 6 W 175/09).
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b. Entgegen der Ansicht des Antragstellers oblag der Antragsgegnerin im vorliegenden Falle nicht die Verpflichtung, Nachforschungen anzustellen, ob die gemeldete Schutzrechtsverletzung berechtigt ist oder aber vor der Sperrung den Antragsteller anzuhören und sodann die vorgetragenen Umstände einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dürfen Diensteanbietern im Sinne des TMG keine Anforderungen auferlegt werden, die ihr von der Rechtsordnung gebilligtes Geschäftsmodell gefährden oder ihre Tätigkeit unverhältnismäßig erschweren (BGH, Urteil vom 22.07.2010 – 1 ZR 139/08, Kinderhochstühle, Rn. 38- zit. nach juris; BGH, Urteil vom 11.03.2004 – 1 ZR 304/01, Rn. 49- zit. nach juris). Die Prüf- und Überwachungspflichten des Diensteanbieters sind auf zumutbare Maßnahmen zu beschränken.
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Die Antragsgegnerin hat mit dem V…-Programm deshalb eine solche Maßnahme geschaffen, indem sie den Plattformnutzern die Möglichkeit gibt, nach Verletzungen ihnen zustehender Schutzrechte selbständig zu forschen und diese ihr als „Marktplatzbetreiber“ anzuzeigen.
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Dass im vorliegenden Falle die Antragsgegnerin leichtfertig auf eine behauptete Schutzrechtsverletzung hin die Verfügung über den Account des Antragstellers beschränkt hatte, kann nicht festgestellt werden. Der Antragsteller selbst hat vorgetragen, dass er einen Rechtsstreit mit einem sich als Schutzrechtsinhaber gerierenden Dritten geführt hat. Dieser Dritte, der die Umstände zur behaupteten Schutzrechtsverletzung durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, war derjenige, der den Antragsteller bei der Antragsgegnerin angezeigt hat. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller den Anzeigeerstatter namhaft gemacht, damit der Antragsteller sich mit dem Anzeigeerstatter auseinandersetzen kann.
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Das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin wäre infrage gestellt, wenn sie in einem Fall der vorliegenden Art gehalten wäre, die Meldung des vermeintlichen Rechteinhabers einer besonderen Prüfung zu unterziehen oder sogar eigene Nachforschungen anzustellen. Eine über eine reine Plausibilitätskontrolle hinausgehende Nachprüfungspflicht obliegt der Antragsgegnerin, wenn der Anzeigeerstatter seine Behauptungen durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft macht, nicht.
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Soweit der Antragsteller behauptet, die Anschwärzung durch den Dritten wegen Schutzrechtsverletzung sei unberechtigt erfolgt, muss er sich an diesen halten. Die Funktion der Antragsgegnerin besteht allein darin, Nutzern eine Plattform zu bieten, auf denen diese Geschäfte abwickeln können. Der Einsatz von Juristen, um schutzrechtliche Streitigkeiten prüfen zu können, obliegt der Antragsgegnerin nicht.
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4. Daneben kann dahinstehen, dass der vom Antragsteller mit der beabsichtigten Klage verfolgte Schadensersatz in keiner Weise schlüssig dargetan ist. Der Antragsteller stellt lediglich auf Umsätze ab, die er nach seiner Behauptung entsprechend dem Geschäftsmodell der Antragsgegnerin in einem bestimmten Zeitraum hätte tätigen können. Der Antragsteller legt bereits nicht hinreichend dar, dass er den von ihm in dem angeführten Zeitraum behaupteten Umsatz überhaupt hätte erreichen können, indem ihm die Antragsgegnerin kontinuierlich höhere Verkaufslimits gestattet hätte. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin gibt es keine automatische Erhöhung des Verkaufslimits. Die Anhebung des Limits ist vielmehr von verschiedenen individuellen Faktoren abhängig.
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Zudem lässt der vom Antragsteller behauptete Umsatz keinen Schluss auf die Höhe des entgangenen Gewinns zu, da jegliche Angaben betreffend die beim Antragsteller anfallenden Kosten (Materialeinsatz, Betriebskosten, Steuern etc.) fehlen. Damit wäre auch eine Schätzung nach § 287 ZPO nicht möglich.
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Die Nebenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.