BGH, Urteil vom 22. April 2010 – I ZR 31/08
Die dreijährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB ist auch auf Primärleistungsansprüche und vertragliche Aufwendungsersatzansprüche aus Frachtverträgen anzuwenden.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Nichterfüllung einer Vereinbarung über den Einsatz von Transportfahrzeugen im Februar 2004 auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. Die Parteien standen seit April 2003 in Geschäftsbeziehungen zueinander. Ab 15. Oktober 2003 führte der Kläger für die Beklagte mit bis zu neun Fahrzeugen Transporte im Nahverkehr durch. Die Vergütung der Fahrten erfolgte in der Weise, dass nicht der Kläger Rechnungen stellte, sondern die Beklagte dem Kläger Gutschriften erteilte.
Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 29. Januar 2004 die Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses „zum 31.1.2004“. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass das Vertragsverhältnis erst zum 29. Februar 2004 beendet worden sei. Er hat behauptet, zwischen ihm und der Beklagten sei eine Kündigungsfrist von einem Monat (jeweils zum Monatsende) vereinbart worden.
Mit der am 9. Mai 2006 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger Zahlung in Höhe von 52.077,88 € nebst Zinsen geltend, und zwar den Umsatzverlust für den Monat Februar 2004 (51.266 €) und die Kosten des vorprozessualen Anwaltsschreibens vom 8. Juli 2005 (811,88 €).
Die Beklagte hat die geltend gemachten Ansprüche nach Grund und Höhe bestritten und zudem die Einrede der Verjährung erhoben. Sie hat die Ansicht vertreten, das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien sei nach den frachtrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Demzufolge gelte hinsichtlich der für Februar 2004 geltend gemachten Frachtvergütungsansprüche die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB. Ein qualifiziertes Verschulden i.S. von § 439 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit § 435 HGB könne ihr nicht angelastet werden, da sie von der Wirksamkeit ihrer Kündigung zum 31. Januar 2004 habe ausgehen dürfen.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger für Februar 2004 eine Vergütung in Höhe von 30.985,27 € und 649,02 € für außergerichtliche Anwaltskosten zu zahlen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Vergütungsanspruch für die im Februar 2004 entgangenen Umsätze wegen Annahmeverzugs der Beklagten aus den zwischen den Parteien abgeschlossenen „Lohnfuhrverträgen“ i.V. mit § 615 BGB analog in Höhe von 30.985,27 € zu, der nicht verjährt sei. Dazu hat es ausgeführt:
Zwischen den Parteien seien in Bezug auf einzelne Tagestouren (Dauer-)Rahmenfrachtverträge geschlossen worden. Der Vergütungsanspruch des Klägers ergebe sich aus der Nichtannahme der in den Rahmenverträgen festgelegten Leistungen durch die Beklagte. Dementsprechend sei § 615 BGB analog Anspruchsgrundlage für das Zahlungsbegehren des Klägers, weil die Rahmenfrachtverträge wegen ihrer weitgehenden Festlegungen hinsichtlich der täglich durchzuführenden Touren eine starke dienstvertragliche Komponente aufwiesen.
Die Kündigung zum 31. Januar 2004, die die Beklagte am 29. Januar 2004 ausgesprochen habe, sei unwirksam gewesen. Ein Recht zur fristlosen Kündigung der Rahmenfrachtverträge wegen einer Schlechtleistung des Klägers habe nicht bestanden. Bei einem frachtvertraglichen Dauerschuldverhältnis beurteile sich die Kündigungsfrist zwar nach § 621 BGB analog, wenn anderweitige Abreden fehlten; die gesetzliche Kündigungsfrist habe somit gemäß § 621 Nr. 1 BGB an sich einen Tag betragen, weil die Touren nach Tagen abgerechnet worden seien. Im Streitfall hätten die Parteien jedoch eine § 621 BGB verdrängende Abrede getroffen. Das Landgericht sei aufgrund von Zeugenaussagen rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte bei der Kündigung der Rahmenfrachtverträge eine Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende habe einhalten müssen. Dementsprechend habe die Kündigung vom 29. Januar 2004 die Rahmenfrachtverträge erst zum 29. Februar 2004 beendet. Die Darlegungen des Landgerichts zur Höhe des dem Kläger zustehenden Anspruchs seien ebenfalls zutreffend.
Die Vergütungsforderung des Klägers sei nicht verjährt, weil der geltend gemachte Anspruch einer dreijährigen Verjährungsfrist unterliege und die Klage am 12. Mai 2006 zugestellt worden sei. Bei dem Vergütungsanspruch des Klägers aus § 615 BGB analog handele es sich um einen übergreifenden Anspruch, der über die einzelnen Transportfahrten hinausgehe und daher gemäß § 195 BGB in drei Jahren verjähre. Aber auch dann, wenn der streitgegenständliche Anspruch dem Anwendungsbereich des § 439 Abs. 1 HGB unterfalle, sei keine Verjährung eingetreten, weil die Voraussetzungen des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB erfüllt seien. Die Beklagte habe den Ausfall der Transportfahrten im Februar 2004 vorsatzgleich i.S. von § 435 HGB herbeigeführt.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung mit Recht nicht durchgreifen lassen.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Parteien im Jahre 2003 für einzelne vom Kläger zu bedienende Touren (beispielsweise für die Touren E. und S.-Stadt) auf Dauer angelegte Rahmenverträge mit frachtrechtlichem Inhalt geschlossen haben. In den zwischen dem Kläger und der Beklagten zustande gekommenen Dauerschuldverhältnissen sind bereits alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere konkrete Touren und die Höhe der von der Beklagten zu zahlenden Vergütung – entweder eine Tagespauschale oder Abrechnung nach Leistung -, festgelegt worden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sollte der Kläger als Subunternehmer für die Beklagte Transportfahrten im Nahverkehr durchführen. Mithin stand die Beförderung von Frachtgut und nicht die Überlassung von Transportmitteln und Fahrerpersonal im Vordergrund der rechtlichen Beziehungen der Parteien zueinander. Die Revisionserwiderung wendet sich auch nicht gegen die Annahme eines frachtrechtlichen Rahmenvertrags.
2. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die als Dauerschuldverhältnisse ausgestalteten Rahmenverträge seien aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 29. Januar 2004 nicht – wie von der Beklagten angestrebt – bereits zum 31. Januar, sondern erst zum 29. Februar 2004 beendet worden, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
a) Die Beklagte hat ihre Kündigung zwar auf ein außerordentliches Kündigungsrecht gestützt, da sie zur Begründung angeführt hat, die Qualität der Fahrer des Klägers entspreche nicht ihrem Niveau, so dass die Kündigung „leider unumgänglich“ sei. Mit Recht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass das Vorbringen der Beklagten für eine sofortige Beendigung der Vertragsbeziehungen durch eine außerordentliche Kündigung nicht ausreicht. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargelegt, dass sie dem Kläger zuvor eine gemäß § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderliche angemessene Frist zur Abhilfe von konkret erhobenen Beanstandungen gesetzt hatte.
b) Bei einem Dauerschuldverhältnis mit frachtrechtlichem Inhalt richtet sich die Kündigungsfrist grundsätzlich nach § 621 BGB analog (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl., § 415 HGB Rdn. 33; Heymann/Schlüter, HGB, 2. Aufl., § 415 Rdn. 14). Da die einzelnen Touren tageweise abgerechnet werden sollten, hätte die Frist für eine ordentliche Kündigung nach § 621 Nr. 1 BGB analog einen Tag betragen mit der Folge, dass die Kündigung vom 29. Januar zum 31. Januar 2004 wirksam gewesen wäre. Die Anwendung des § 621 BGB kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Parteien keine anderweitige Abrede hinsichtlich der Kündigungsfrist getroffen haben. Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, haben die Parteien in einer Besprechung am 12. Dezember 2003 vereinbart, dass die Beklagte die mit dem Kläger geschlossenen Rahmenfrachtverträge – abgesehen von einer Kündigung aus wichtigem Grund – nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende kündigen können sollte. Danach hat die Kündigung der Beklagten vom 29. Januar 2004 die Rahmenverträge – wie vom Berufungsgericht angenommen – erst zum 29. Februar 2004 beendet. Die Revision nimmt diese Beurteilung auch hin.
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch allerdings nicht aus § 615 BGB analog, sondern gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 241 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Da die aus den Rahmenverträgen resultierenden Einzelansprüche der Höhe nach nicht feststehen, kommt nur die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs in Betracht. Dem Kläger steht für Februar 2004 dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung zu, weil die zwischen den Parteien im Jahre 2003 geschlossenen Rahmenverträge nicht bereits zum 31. Januar, sondern erst zum 29. Februar 2004 beendet worden sind und die Beklagte sich ab dem 1. Februar 2004 unstreitig geweigert hat, dem Kläger weiterhin Transportaufträge zu erteilen.
a) Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung kommen grundsätzlich auch bei Verletzung der aus einem Rahmenvertrag resultierenden Pflichten in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1992 – VII ZR 159/91, NJW-RR 1992, 977, 978; Urt. v. 3.11.1999 – I ZR 145/97, TranspR 2000, 214, 217). Es ist zudem anerkannt, dass die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs bei Dauerschuldverhältnissen dann gegeben sind, wenn eine Kündigung schuldhaft ohne Grund erfolgt (vgl. BGHZ 89, 296, 302 f. zur Kündigung eines Mietverhältnisses; BGH, Urt. v. 14.1.1988 – IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268, 1269 zur Kündigung eines Pachtvertrages; BGH TranspR 2000, 214, 217 f.).
b) Das Verschulden der Beklagten wird gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet und ist demzufolge von ihr zu widerlegen. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe sich für berechtigt gehalten, die Vertragsbeziehungen zum Kläger durch eine Kündigung sofort beenden zu können. Entweder befand sie sich hierbei in einem Rechtsirrtum, wobei sie das Risiko einer unzutreffenden Beurteilung zu tragen hätte (vgl. BGHZ 89, 296, 303; BGH TranspR 2000, 214, 218), oder handelte gar – wie das Berufungsgericht angenommen hat – vorsätzlich (dazu unten unter II 5 c).
4. Das Landgericht, dessen Ausführungen sich das Berufungsgericht auch insoweit zu eigen gemacht hat, hat für Februar 2004 einen Umsatzverlust des Klägers aufgrund der unterbliebenen Erteilung von Frachtaufträgen in Höhe von 30.985,27 € netto festgestellt. Darüber hinaus hat es einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 649,02 € für begründet erachtet. Dagegen wird von der Revision ebenfalls nichts erinnert.
5. Ohne Erfolg bleiben die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greife nicht durch.
a) Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Umsatzausfalls unterliegt allerdings nicht – wie das Berufungsgericht in erster Linie angenommen hat – der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Maßgeblich ist vielmehr die spezielle frachtrechtliche Verjährungsvorschrift des § 439 Abs. 1 HGB. Die zwischen den Parteien geschlossenen Rahmenverträge enthalten konkrete frachtvertragliche Einzelabreden und unterfallen damit § 407 HGB. Der Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 241 Abs. 2 BGB beruht darauf, dass die Beklagte den Kläger trotz bestehender Vertragsbeziehungen im Februar 2004 nicht wie in den Rahmenverträgen vorgesehen mit der Durchführung von Transporten beauftragt hat. Damit resultieren die vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus den – den §§ 407 bis 452 HGB unterliegenden – Beförderungen (vgl. BGH TranspR 2000, 214, 217 f.; BGH, Urt. v. 15.1.2009 – I ZR 164/06, TranspR 2009, 132 Tz. 16).
b) Gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche aus einer den §§ 407 bis 452 HGB unterliegenden Beförderung grundsätzlich ein Jahr. Danach wäre hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruches Verjährung eingetreten, da der Lauf der Verjährungsfrist gemäß § 439 Abs. 2 Satz 2 HGB spätestens am 1. März 2004 eingesetzt hat und die Klage erst am 9. Mai 2006 beim Landgericht Stuttgart eingereicht worden ist. Nach § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB verlängert sich die Verjährungsfrist bei Vorsatz oder einem dem Vorsatz gemäß § 435 HGB gleichstehenden Verschulden allerdings auf drei Jahre. Für die im Streitfall erhobene Forderung gilt diese dreijährige Verjährungsfrist.
aa) Der Kläger verlangt der Sache nach eine Frachtvergütung für die im Februar 2004 nicht erteilten Einzelaufträge, wie auch seine Berechnung der geltend gemachten Schadensersatzforderung zeigt, die sich an den im Januar 2004 erzielten Umsätzen orientiert. Wirtschaftlich gesehen macht der Kläger mithin einen sekundären Erfüllungsanspruch für Februar 2004 geltend. In einem solchen Fall verjährt der Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit § 241 Abs. 2 BGB in derselben Zeit wie der ursprüngliche Erfüllungsanspruch (vgl. BGH, Urt. v. 21.3.1968 – VII ZR 84/67, NJW 1968, 1234; Urt. v. 21.1.2004 – IV ZR 44/03, NJW 2004, 1161, 1162).
bb) Ob die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf primäre Erfüllungs- und vertragliche Aufwendungsersatzansprüche aus Frachtverträgen anwendbar ist, ist umstritten. Die eine Anwendbarkeit ablehnende Auffassung weist vor allem darauf hin, dass andernfalls jede Zahlungsverweigerung zu einer Verlängerung der einjährigen Verjährungsfrist führe, weil diese praktisch immer vorsätzlich erfolge. Auch der Wortlaut des Gesetzes spreche gegen eine Anwendung des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf primäre Erfüllungs- oder Aufwendungsersatzansprüche. Der Begriff des Vorsatzes sei im deutschen Recht wie im internationalen Transportrecht ein schadensersatzrechtlicher Begriff. Er beziehe sich auf die Verletzung von Verhaltensnormen die zu einer Schädigung von Rechtsgütern oder Vermögenspositionen Dritter führten (OLG Frankfurt a.M., TranspR 2005, 405 f.; MünchKomm.HGB/Herber/Eckardt, 2. Aufl., § 439 Rdn. 12; Köper TranspR 2006, 191 ff.).
Die eine Anwendung befürwortende Auffassung verweist demgegenüber darauf, dass der Wortlaut des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB sowohl Primär- als auch Sekundärleistungsansprüche erfasse. Die objektive ratio legis des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB passe für beide Anspruchsformen. Eine Differenzierung nach Primär- und Sekundärleistungspflichten führe auch zu Wertungswidersprüchen, weil die Schlechterstellung des Erfüllungs- gegenüber dem Schadensersatzanspruch nicht zu begründen sei (vgl. Koller, VersR 2006, 1581 ff.; ders., Transportrecht, 6. Aufl., § 439 HGB Rdn. 27; Schaffert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 439 Rdn. 18; Andresen in Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, § 439 HGB Rdn. 19; Rabe in Gedächtnisschrift für Helm, 2001, 301, 303).
cc) Der Senat schließt sich der Ansicht an, die eine Anwendung des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf Primärleistungsansprüche bejaht.
Die Verjährungsvorschrift des § 439 Abs. 1 HGB orientiert sich nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Transportrechtsreformgesetzes in ihren Grundentscheidungen allerdings weitgehend an Art. 32 Abs. 1 CMR (BT-Drucks. 13/8445, S. 77). Für die dreijährige Verjährungsfrist gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR hat der Senat im Jahre 1981 eher beiläufig entschieden, dass diese Regelung auf den vertraglichen Erfüllungsanspruch des Frachtführers nicht anwendbar ist, sondern sich lediglich auf Schadensersatzansprüche und gegebenenfalls auf gesetzliche Ansprüche ähnlichen Inhalts bezieht (BGH, Urt. v. 11.12.1981 – I ZR 178/78, VersR 1982, 649, 650). Hieran hält der Senat nicht mehr fest.
(1) Weder die Bestimmung des Art. 32 Abs. 1 CMR noch die des § 439 Abs. 1 HGB differenzieren nach der Art der Ansprüche. Nach ihrem Wortlaut erfassen beide Bestimmungen alle Leistungs- und sonstigen Verhaltenspflichten, die vorsätzlich oder qualifiziert vorwerfbar missachtet werden können.
(2) Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8445, S. 77 f.) bieten für die Bestimmung des Anwendungsbereichs von § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB kein klares Bild. Zu § 439 Abs. 1 HGB heißt es, dass die Vorschrift gegenüber § 196 Abs. 1 Nr. 3 BGB (a.F.) lex specialis sei. Als Anwendungskriterium sei allein der Umstand maßgeblich, dass sich der geltend gemachte Anspruch „aus einer den Vorschriften dieses Unterabschnitts [damit sind die §§ 407 bis 452 HGB gemeint] unterliegenden Beförderung“ ergebe (BT-Drucks. 13/8445, S. 77). Die Verjährungsregelung gelte unabhängig davon, von welcher Seite der Anspruch geltend gemacht werde und auf welchem Rechtsgrund er beruhe. Erfasst würden alle vertraglichen Ansprüche, auch solche aus der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten, soweit diese unmittelbar zur „Beförderung“ gehörten und sich nicht etwa aus einer selbständigen vertraglichen Abrede ergäben. Ein Hinweis auf eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf Sekundärleistungsansprüche findet sich in den Gesetzesmaterialien nicht.
Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf reine Schadensersatzansprüche kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass es in der Gesetzesbegründung heißt, die Vorschrift entspreche in der Sache weitgehend dem geltenden Recht in Art. 32 Abs. 1 Satz 1 und 2 CMR, § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 lit. c KVO, § 439 Satz 1 i.V. mit § 414 Abs. 1 und 2 HGB (a.F.), § 94 Abs. 1 Satz 1 und 2 lit. c EVO (a.F.) und Art. 58 § 1 Satz 1 und 2 lit. c CIM (1990). Es fällt zwar auf, dass Art. 58 § 1 Satz 2 lit. a und b CIM, § 94 Abs. 1 Satz 2 lit. a und b EVO und § 40 Abs. 1 Satz 2 lit. a und b KVO, die die Ansprüche auf Auszahlung einer eingezogenen Nachnahme bzw. des Verkaufserlöses in die verlängerte Verjährungsfrist einbezogen hatten, in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt werden. Über die hierfür maßgeblichen Gründe finden sich in den Materialien jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Eine verjährungsrechtliche Schlechterstellung der Primärleistungsansprüche gegenüber den Sekundäransprüchen kann auf diesen Umstand jedenfalls nicht gestützt werden.
In anderen Vertragsstaaten der CMR wird die Frage, ob die dreijährige Verjährungsfrist des Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR auch für Erfüllungs- und erfüllungsgleiche Ansprüche gilt, nicht einheitlich beurteilt (eine Anwendung bejahend: Clarke, CMR, 5. Aufl. [2009], S. 128 Fn. 134; vgl. auch Paris BullT 1989, 46, 47; verneinend österr. OGH, Entscheidung v. 5.11.1980 – 6 Ob 740/80).
(3) Es ist auch kein plausibler Grund ersichtlich, der eine frühere Verjährung von Primärleistungsansprüchen gegenüber Schadensersatzansprüchen bei Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens des Schuldners rechtfertigt. Es wäre vielmehr widersprüchlich, wenn Schadensersatzansprüche gegenüber sonstigen Leistungsansprüchen, die vorsätzlich nicht erfüllt werden, privilegiert würden (Koller aaO § 439 HGB Rdn. 27; ders., VersR 2006, 1581, 1583).
Das vom OLG Frankfurt (TranspR 2005, 405, 406) und Herber/Eckardt (MünchKomm.HGB, 2. Aufl., § 439 Rdn. 12) gegen eine Anwendung von § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auf Primärleistungsansprüche ins Feld geführte Bedenken, es käme dann zu einer Umkehrung des im Gesetz bestimmten Regel-/Ausnahmeverhältnisses der ein-/dreijährigen Verjährungsfrist, weil praktisch betrachtet jede Nichterfüllung eines vertraglichen Vergütungs- oder Aufwendungsersatzanspruches vorsätzlich geschehe, ist nicht begründet. Diese Sichtweise berücksichtigt nicht genügend, dass im Zivilrecht – anders als im Strafrecht – ein Rechtsirrtum entsprechend den jeweils maßgeblichen Verschuldensformen entlastend wirkt. Der Vorsatz entfällt, wenn der Schuldner – aus welchen Gründen auch immer – der Ansicht ist, nicht zu schulden, bereits aufgerechnet zu haben oder ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen zu können. Eine die Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auslösende vorsätzliche Nichtzahlung ist dem Schuldner erst dann vorzuwerfen, wenn er entgegen besserem Wissen die Existenz eines Anspruchs abstreitet oder wider besseres Wissen behauptet, dass der gegen ihn gerichtete Anspruch nicht in der geltend gemachten Höhe entstanden sei (Koller, VersR 2006, 1581, 1583; Köper, TranspR 2006, 191, 194). Liegt auf der Hand, dass die vom Schuldner für die Leistungsverweigerung genannten Gründe nur vorgeschoben sind, gibt es keinen vernünftigen Grund, ihm die Rechtswohltat der besonders kurzen Verjährung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB zugute kommen zu lassen (vgl. Koller, VersR 2006, 1581, 1583; ebenso zu Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR MünchKomm.HGB/Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 32 CMR Rdn. 11).
c) Das qualifizierte Verschulden i.S. von § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB muss sich auf das den Schaden verursachende Verhalten des Schuldners beziehen. Dementsprechend kommt § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB zur Anwendung, wenn der Schuldner seine ihm dem Gläubiger gegenüber obliegenden Pflichten vorsätzlich oder zumindest leichtfertig und rechtswidrig nicht erfüllt. Auf welcher Grundlage der Schadensersatzanspruch gestützt wird, ist grundsätzlich ohne Bedeutung, so dass § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB auch bei einem Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 HGB zum Tragen kommt (Koller aaO § 439 HGB Rdn. 27; ders., VersR 2006, 1581, 1583; Schaffert aaO § 439 Rdn. 18; a.A. Köper, TranspR 2006, 191, 195 f.).
Das Berufungsgericht hat das qualifizierte Verschulden der Beklagten darauf gestützt, dass sie die vom Kläger angebotene Durchführung der vereinbarten Transporte wider besseres Wissen und damit leichtfertig i.S. von § 435 HGB abgelehnt hat. Die Beklagte habe bei Ausspruch der Kündigung am 29. Januar 2004 gewusst, dass eine ordentliche Kündigung zum 31. Januar 2004 nicht möglich gewesen sei. Daher habe sie eine „fristlose“ Kündigung aus wichtigem Grund auszusprechen versucht. Diese sei jedoch wirkungslos gewesen, weil eine fristlose Kündigung gemäß § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB – der bei der Kündigung von Rahmenfrachtverträgen Anwendung finde – nur nach erfolgloser Abmahnung oder angemessener Fristsetzung zur Abhilfe möglich sei. Dies sei der Beklagten als im Geschäftsleben erfahrener Unternehmerin auch bewusst gewesen. Diese Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
III. Danach ist die Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.