OLG Köln, Urteil vom 26.07.2017 – I-11 U 16/17, 11 U 16/17
Zu den Voraussetzungen der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Unterhaltsschäden der Eltern eines tödlich verunglückten Sohnes
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.01.2017 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 10 O 109/16 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.)
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Den Klägern steht kein Anspruch gemäß § 844 Abs. 2 BGB auf die Feststellung zu, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch Schadensersatz durch Entrichtung einer Geldrente an die Kläger zu leisten haben, soweit die Kläger von ihrem am 21.09.2014 durch ein Unfallereignis getöteten Sohn T Unterhalt hätten verlangen können.
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1. Die auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftige Unterhaltsschäden gerichtete Klage ist auf der Grundlage der zutreffenden und zu Recht unwidersprochen gebliebenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
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2. Die Klage ist indes unbegründet.
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Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 03. Dezember 1951 – III ZR 119/51 –, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 18. November 2002 – 12 U 1035/01 –, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 06. September 2007 – 7 U 34/07 –, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Oktober 2008 – 3 U 111/08 –, juris; OLG Hamm, Urteil vom 23. November 2012 – I-9 U 179/11 –, juris) kann ein gemäß § 1601 BGB unterhaltsberechtigter Elternteil Feststellung einer Ersatzverpflichtung gem. § 844 Abs. 2 BGB beantragen, wenn die Möglichkeit im Raum steht, dass der verunglückte Sohn bei eigener Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit der Eltern unterhaltspflichtig werden würde. Begründet ist das Begehren dann, wenn nach der Erfahrung des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die spätere Verwirklichung dieses Unterhaltsanspruchs nicht ausgeschlossen ist – an die Beweiswürdigung ist dabei kein strenger Maßstab anzulegen; zu berücksichtigen sind das Alter des Verpflichteten, dessen Gesundheit und geistige Befähigung, seine Schul- und Berufsausbildung, die Arbeitswilligkeit und die Erwerbsmöglichkeiten (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht aaO); ein Unterhaltsanspruch darf aber auch nicht ganz fernliegend sein.
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Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen nicht vor.
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Ein – zukünftiger – Unterhaltsschaden der Kläger setzte voraus, dass sie selbst bedürftig würden mit der Folge eines nach § 1601 BGB entstehenden Unterhaltsanspruchs gegen ihren Sohn. Auf der Grundlage ihres Sachvortrags ist allerdings nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres festzustellen, dass Bedarf und Bedürftigkeit der beiden Kläger sich künftig in einer Weise entwickeln würden, die den Bezug ergänzender Unterstützung und solcherart einen von ihren Kindern bzw. dem verstorbenen Sohn zu leistenden Unterhalt erforderte.
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Nach dem Stand im Berufungsverfahren beziehen die Kläger Renten von monatlich 1.235,76 € bzw. 447,53 €; sie leben, wie sie in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, im eigenen Haus. Angaben über ihr Vermögen machen sie nicht. Neben dem verstorbenen Sohn der Kläger haben sie im Übrigen auch eine, potentiell unterhaltspflichtige, Tochter. Eine Prognose dergestalt, dass die derzeit auskömmliche und eine Unterhaltspflicht ihres Sohnes nicht begründende Lebenssituation sich grundlegend, etwa im Fall schwerer Krankheit oder bei Pflegebedürftigkeit, ändern könnte, wäre mithin rein hypothetischer Natur.
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Bei den Klägern ist auf dieser Grundlage eine künftige Bedürftigkeit nicht zu erwarten, wenn auch nicht vollkommen ausgeschlossen. Ob die bloß theoretische Möglichkeit einer künftigen Bedürftigkeit den Feststellungsanspruch bereits auszufüllen vermag, kann letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an der weiteren Voraussetzung einer Leistungsfähigkeit des Sohnes i.S. des § 1603 Abs. 1 BGB.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2017 – XII ZB 118/16 –, Rn. 16, juris; BGH, Beschluss vom 09. März 2016 – XII ZB 693/14 -, juris) findet die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt nach § 1603 Abs. 1 BGB dort ihre Grenze, wo der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt des Berechtigten zu gewähren. § 1603 Abs. 1 BGB gesteht damit jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu; ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt.
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Maßgebend ist beim Elternunterhalt die Lebensstellung, die dem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang des Verpflichteten entspricht, mithin der gesamte individuelle Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung. Dieser angemessene Eigenbedarf kann also nicht durchgängig mit einem bestimmten festen Betrag angesetzt werden, sondern ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu ermitteln; hierbei besteht Einigkeit dahingehend, den Kindern gegenüber ihren Eltern von dem den Freibetrag übersteigenden Einkommen einen weiteren Anteil zusätzlich zu belassen.
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Das zu versteuernde Jahreseinkommen des Sohnes der Kläger aus nicht-selbständiger Arbeit (Briefzusteller) und aus der Vermietung des ihm gehörenden Hauses betrug für 2013, dem Jahr vor seinem Tod, gemäß Anlage K 7 (Bl. 27) 25.317,00 €. Abzüglich der festgesetzten Einkommensteuer von 4.252,00 € verblieben 21.965,00 € jährlich = 1.755, 42 € monatlich netto.
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Zur Beurteilung der potentiellen Leistungsfähigkeit des zum Unfallzeitpunkt 52 Jahre alten Sohnes der Kläger sind die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der sog. Düsseldorfer Tabelle heranzuziehen. Diese sahen für das Vergleichsjahr 2013 zu Abschnitt D Ziffer I. für den Elternunterhalt einen angemessenen Selbstbehalt in Höhe von 1.600,00 € zuzüglich der Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens vor. Dies entspräche einem Selbstbehalt von 1.677,71 €.
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Bei der Ermittlung des für den Elternunterhalt einzusetzenden bereinigten Einkommens sind von den rechnerisch vom Nettoeinkommen verbleibenden 77,71 € aber weiter abzuziehen jedenfalls die Aufwendungen wegen berufsbedingter Aufwendungen (Fahrtkosten zu seinem Arbeitsplatz) sowie Altersvorsorgeaufwendungen (Altersvorsorgequote von 5 % des Bruttoeinkommens, vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2017 – XII ZB 118/16 –, Rn. 39, juris). Diese schätzt der Senat insgesamt (mindestens) auf den rechnerisch verbleibenden Betrag von 77,71 €. Eine Leistungspflicht des grundsätzlich unterhaltspflichtigen Sohnes der Kläger besteht danach nicht.
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Anhaltspunkte dafür, dass sich an dieser Einkommenssituation des Sohnes Nachhaltiges geändert hätte, sind in Ansehung seines erreichten Alters und des ausgeübten Berufs nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
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Unerheblich ist, dass der Sohn an seine Eltern bis zu seinem Tod monatlich 200,00 € „Haushaltgeld“ gezahlt hat. Unabhängig davon, ob es sich bei dieser monatlichen Leistung um eine solche zu Abgeltung von Unterkunft, Verpflegung, Wäschepflege oder Ähnlichem gehandelt haben sollte oder um einen freiwilligen Beitrag zum besseren Lebensstandard der Eltern, entsprang die Zahlung jedenfalls nicht einer Unterhaltsverpflichtung und ist deshalb im vorliegenden Kontext nicht zu berücksichtigen.
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3. Die prozessualen Nebenentscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung; die im Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen haben bereits eine Klärung durch die zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen gefunden, und die vorliegende Entscheidung steht aufgrund der dem Einzelfall Rechnung tragenden Umstände auch nicht in Widerspruch mit obergerichtlicher Rechtsprechung, so dass eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt 6.000,00 €.