BGH, Urteil vom 02.07.2013 – VI ZR 110/13
Erkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. In der Berufung ist deshalb eine Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen der ersten Instanz nicht gegeben (Rn. 7)
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 4. Februar 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 217.486,83 €
Gründe
I.
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Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.
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Der Beklagte betreute den 1952 geborenen Kläger medizinisch seit 2004 wegen eines diabetischen Fußsyndroms. Am 27. März 2009 verordnete er einen sogenannten Cast, um den linken Fuß vollständig ruhig zu stellen. Am 21. April 2009 kam der Kläger mit einer neu aufgetretenen Risswunde an der linken großen Zehe in die Praxis des Beklagten. Dieser nahm wegen Entzündungsanzeichen einen Wundabstrich. Am 23. April 2009, einem Donnerstag, versorgte der Beklagte die Wunde. Das Laborergebnis für den Abstrich lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Der für den nächsten Tag in Aussicht genommene Termin zum Verbinden wurde von einer Hilfskraft im Einverständnis mit dem Beklagten auf Montag, den 27. April 2009, verschoben, weil am 24. April 2009 keine Termine mehr frei waren. Der Beklagte war an diesem Tag nicht in der Praxis anwesend, doch war diese besetzt. Der Laborbefund für den am 21. April 2009 genommenen Wundabstrich ging am Nachmittag des 24. April 2009 in der Praxis ein. Er wies einen massiven Befall mit dem Keim Staphylococcus aureus auf. Der Befund wurde in der Praxis des Beklagten nicht beachtet. Am 25. April 2009 wurde der Kläger mit Fieber und Schüttelfrost von seinen Familienangehörigen in die Notaufnahme der medizinischen Hochschule H. gebracht. Dort wurde eine Antibiose mit Penicillin eingeleitet. Da sich bis zum 26. April 2009 abends keine Wirkung zeigte, wurde der Infektion mit dem gewebegängigen Antibiotikum Clindamycin entgegengewirkt. Bei einer Röntgenuntersuchung wurde festgestellt, dass der Kläger im Mittelfuß einen Ermüdungsbruch erlitten und sich an der Bruchstelle das Knochenmark entzündet hatte. Am 18. Mai 2009 musste eine Gelenkversteifung durchgeführt werden.
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Das Landgericht hat auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch. die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht nach entsprechendem Hinweisbeschluss einstimmig durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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1. Das Berufungsgericht hält sich gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen des Landgerichts für gebunden. Danach hätten sich Fehler bei der Kontrolle des Cast nicht auf den Entzündungsverlauf der Wunde ausgewirkt. Der Kläger habe die Kausalität eines etwaigen Fehlers des vom Beklagten verordneten Cast wegen der nicht vorhandenen Abrollsohle für den geltend gemachten Schaden nicht bewiesen. Die Entwicklung der Infektion könne schon deshalb nicht durch den Cast begünstigt worden sein, weil der Kläger ihn unstreitig am 24. April 2009 nicht mehr getragen habe. Die Wunde sei bis zum 23. April 2009 lege artis behandelt worden. Allein die Tatsache des Vorliegens einer infizierten Wunde rechtfertige keine Antibiose, zumal vor dem Vorliegen des Laborbefunds der voraussichtlich zu bekämpfende Keim nicht bekannt gewesen sei und damit das im konkreten Fall einzusetzende Antibiotikum nicht habe bestimmt werden können. Der Beklagte hafte auch nicht dafür, dass er den am 24. April 2009 eingegangenen Laborbefund mit dem positiven Nachweis einer Infektion mit Staphylococcus aureus nicht zur Kenntnis genommen und umgehend darauf reagiert habe. Allerdings habe der Beklagte es am 24. April 2009 fehlerhaft unterlassen, den Kläger über den Befund zu informieren und aufzufordern, sich bei einer Verschlechterung zu melden. Dieses Unterlassen habe sich aber nicht auf den weiteren Krankheits- bzw. Heilungsverlauf negativ ausgewirkt, weil es am 24. April 2009 medizinisch noch nicht geboten gewesen sei, eine Antibiose einzuleiten oder den Kläger in das Krankenhaus einzuweisen. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Sch. habe die in seinem schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 vertretene Auffassung bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 überzeugend und nachvollziehbar dahingehend revidiert, dass bei fehlenden Zeichen eines akuten Infektionsgeschehens habe abgewartet werden können. Dass der Sachverständige seine in seinem schriftlichen Gutachten getroffene Aussage in der mündlichen Verhandlung revidiert, relativiert oder spezifiziert habe, führe nicht zu einem Widerspruch, der seine Aussage als solche als unverwertbar und unglaubwürdig oder gar den Sachverständigen als befangen erscheinen lassen würde. Solche vermeintlichen Widersprüche ließen sich – wie vorliegend – mit der Klarstellung der rechtlich relevanten Anknüpfungstatsachen erklären und stellten damit nicht den Sachverstand des Gutachters als solches in Frage. Die Einholung eines Obergutachtens nach § 412 ZPO sei daher nicht erforderlich. Bei zutreffender Betrachtung sei der Sachverständige zu dem überzeugenden Ergebnis gekommen, dass zugewartet werden könnte, wenn sich der klinische Befund nicht wesentlich anders als am Vortag dargestellt habe, weil mit der dramatischen Wendung aufgrund der langen Krankengeschichte nicht zu rechnen gewesen sei. Dies habe der Sachverständige verständlich damit erläutert, dass der Staphylococcus aureus auch ein Hautkeim sei und sich ohne Blutnachweis nicht erkennen lasse, ob er pathogen auftrete und folglich mittels Antibiose zu behandeln sei. Dass sich der klinische Befund des Klägers am 24. April 2009 nicht wesentlich verändert habe und keine Anzeichen einer gravierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus vorhanden gewesen seien, sei unstreitig und werde vom Kläger mit der Berufung auch nicht geltend gemacht. Der Kläger könne nicht den Nachweis führen, dass sich das pflichtwidrige Zuwarten des Beklagten negativ auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt habe. Er könne sich nicht auf eine Beweislastumkehr berufen, da in der unterlassenen Berücksichtigung des Befundes am 24. April 2009 jedenfalls kein grober Befunderhebungsfehler zu sehen sei. Auch die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr bei einem einfachen Befunderhebungsfehler seien nicht gegeben. Es sei irrelevant, dass der Sachverständige in der mündlichen Anhörung bekundet habe, bei einer Antibiose am 24. April 2009 hätte die spätere Operation mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Die Kausalität müsse zwischen der vorwerfbaren Nichtreaktion – hier der unterlassenen Information und Aufklärung über den Laborbefund – und dem eingetretenen Schaden bestehen, nicht zwischen einem nachträglich wünschenswerten Handeln – der Antibiose. Entscheidend sei, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sei, dass sich am 24. April 2009 überhaupt ein deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte. Da die Wahrscheinlichkeit des deutlichen oder gravierenden Befunds Bedingung der Beweislastumkehr beim einfachen Befunderhebungsfehler sei, sei die Frage der fundamentalen Verkennung der fiktiven rechtzeitigen Befundauswertung irrelevant. Auch in der Gesamtbetrachtung des Gesamtgeschehens liege kein grober Behandlungsfehler vor.
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2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
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a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung nicht nachgegangen ist, dass die in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 geänderte neue Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den gerichtlichen Sachverständigen ohne schlüssige und nachvollziehbare Erklärung erfolgt ist (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2008 – VI ZR 259/06, VersR 2008, 1265 und vom 22. Mai 2007 – VI ZR 35/06, BGHZ 172, 254, 259 f. Rn. 20). Verfahrensfehlerhaft hat sich das Berufungsgericht an die Feststellungen des Landgerichts für gebunden gehalten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen nur gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 – VI ZR 230/03, BGHZ 159, 254, 258 und BGH, Urteil vom 12. März 2004 – V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 272; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 – VI ZR 361/02, NJW 2003, 3480, 3481; Begründung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/6036 S. 124). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind. In diesem Fall können unter anderem die – hier von der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten – die Geeignetheit in Frage stellenden Widersprüche des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 – VI ZR 361/02, aaO; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 529 Rn. 9). Versäumt das Gericht, Unklarheiten oder Widersprüche im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen aufzuklären, ist das ein Verfahrensfehler (Verstoß gegen § 286 ZPO). Erkennbar widersprüchliche Gutachten sind keine ausreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts. In der Berufung ist deshalb eine Bindung des Berufungsgerichts an die Feststellungen der ersten Instanz nicht gegeben (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Urteil unterliegt vielmehr auf Rüge der Aufhebung (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 249).
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bb) Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung zu den Widersprüchen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen und der mangelnden Eignung für die richterliche Überzeugungsbildung nicht in gebotener Weise nachgegangen ist. Dadurch, dass das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss die Ausführungen des Landgerichts lediglich weitgehend wiederholt hat, ohne den in der Berufungsbegründung erhobenen Einwänden des Klägers sachlich etwas entgegenzusetzen, verletzt es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.
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Dass der gerichtliche Sachverständige seine im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 vertretene Auffassung in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 entscheidend geändert hat, steht nicht in Frage. Der gerichtliche Sachverständige sah es im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 als schwerwiegenden Unterlassungsfehler an, dass der Beklagte am 24. April 2009 auf das Ergebnis des Wundabstriches vom 21. April 2009 nicht reagiert habe. Das Unterlassen von Maßnahmen am 24. April 2009 sei ein grober Behandlungsfehler. In der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht am 12. Juli 2012 beurteilte der gerichtliche Sachverständige es hingegen aus medizinischer Sicht zwar als fehlerhaft, dass der Beklagte nicht sichergestellt habe, dass ein möglicher Keimnachweis am Freitag, dem 24. April 2009, auch berücksichtigt werden könne. Allerdings seien diese Versäumnisse nicht als grob fehlerhaft zu bewerten, weil deutliche Infektionssymptome, nämlich Schüttelfrost und Fieber, erst am 25. April 2009 aufgetreten seien. Bei seiner schriftlichen Stellungnahme habe er vor allem den dramatischen Befund am 25. April 2009 im Blick gehabt. Zutreffend weist die Nichtzulassungsbeschwerde darauf hin, dass sich damit der Widerspruch nicht erklären lasse, weil dem gerichtlichen Sachverständigen bereits bei Erstellung des Gutachtens am 21. März 2012 bekannt gewesen sei, dass der Kläger erst am 25. April 2009 mit Schüttelfrost und Fieber in die Klinik eingewiesen worden ist. Es handelt sich mithin nicht um Umstände, die erst in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht zur Sprache gekommen wären und deshalb vom gerichtlichen Sachverständigen erst dann in seiner Begutachtung berücksichtigt werden konnten. Die Änderung der Auffassung lässt sich auch nicht damit begründen, dass für eine sofortige Behandlung der Nachweis der Keime im Blut des Klägers erforderlich gewesen wäre. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige, obwohl ihm bekannt war, dass beim Kläger der Keim Staphylococcus aureus nachgewiesen worden war, auch ohne Nachweis der Keime im Blut des Klägers eine sofortige Behandlung spätestens am 24. April 2009 für zwingend geboten gehalten. Schließlich ist nicht plausibel, weshalb eine lange Krankheitsgeschichte des Klägers eine andere Beurteilung der medizinischen Behandlung durch den Beklagten rechtfertigen könnte. Auch konnte das anstehende Wochenende den Beklagten gerade nicht entlasten. Vielmehr erscheint es im Hinblick auf eine sich aufgrund der Infektion abzeichnenden Behandlungsbedürftigkeit des Klägers eher geboten, für eine Verschlechterung des Zustandes während des Wochenendes Vorsorge zu treffen.
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b) Zutreffend macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, entgegen der Annahme des Berufungsgerichts sei nicht unstreitig, dass sich der klinische Befund am 24. April 2009 nicht wesentlich verändert habe und Anzeichen einer gravierenden Infektion über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus nicht vorhanden gewesen seien. Dem Berufungsgericht unterliegt nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines – wie hier – zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2004 – V ZR 257/03, aaO, Rn. 19, 20).
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Die Annahme, der Zustand des Klägers habe sich am 24. April 2009 nicht wesentlich gegenüber dem Zustand am Vortag verändert, ist nicht vereinbar mit dem Zustand des Klägers, den der gerichtliche Sachverständige im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 seinen Ausführungen zugrunde gelegt hat. Dort ist der gerichtliche Sachverständige von einer Verschlechterung des Zustands des Klägers am 24. April 2009 in häuslicher Umgebung bei Auftreten von Schmerzen und Hitzegefühl im gesamten Fuß bzw. durch eine Schwellung ausgegangen. Schon danach durfte das Berufungsgericht seiner Entscheidung nicht als unstreitig zugrunde legen, dass sich der klinische Befund am 24. April 2009 gegenüber dem Vortag nicht wesentlich verändert habe. Der Kläger hat außerdem in erster Instanz vorgetragen, der klinische Befund habe sich am 24. April 2009 über das Vorhandensein der offenen Wunde hinaus mit Anzeichen einer gravierenden Infektion verändert. Er habe sich am 24. April 2009 veranlasst gesehen, den Cast abzulegen, da er massive Schmerzen gehabt und der gesamte Fuß regelrecht gekocht habe. Diesen Vortrag hat der Kläger unter Beweis gestellt durch seine Ehefrau, die Zeugin H. Im Schriftsatz vom 21. März 2011 hat der Kläger des Weiteren vorgetragen, dass er sich am Freitag, dem 24. April 2009, schlapp und unwohl gefühlt habe. Er habe Fieber bekommen und habe den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht geschlafen. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, irgendwo hin zu gehen. Auf diesen Vortrag hat der Kläger im Schriftsatz vom 4. Juni 2012 erneut hingewiesen und Beweis durch das Zeugnis seiner Ehefrau angeboten. Diesem Vortrag ist das Landgericht nicht nachgegangen. Es hat deshalb verfahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG) angenommen, dass nach wie vor deutliche klinische Anzeichen am 24. April 2009 für eine gravierende Infektion gefehlt hätten. Obwohl der Kläger in der Berufungsbegründung sein in erster Instanz getätigtes Beweisangebot durch Vernehmung der Zeugin H. nur pauschal wiederholte, oblag dem Berufungsgericht aufgrund des Verfahrensfehlers des Landgerichts nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2004 – V ZR 257/03, aaO).
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c) Die Gehörsverletzungen sind auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers und einer Aufklärung der Widersprüche in den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
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Das Berufungsgericht hat wie das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass der Beklagte dafür Sorge hätte tragen müssen, dass der Befund am 24. April 2009 zur Kenntnis genommen und der Kläger umgehend und zeitnah über das Ergebnis der Laboruntersuchung in Kenntnis gesetzt wird. Mit Recht hat das Landgericht deshalb dem Beklagten jedenfalls einen einfachen Befunderhebungsfehler angelastet. Sollten sich aufgrund der gebotenen Beweisaufnahme deutliche klinische Anzeichen einer gravierenden Infektion am 24. April 2009 erweisen, wird gegebenenfalls mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu klären sein, ob die Verkennung des Befundes oder seine Nichtbehandlung als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Nach der Rechtsprechung des Senats erfolgt auch bei einer nicht grob fehlerhaften Unterlassung der Befunderhebung eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. Senatsurteile vom 13. Februar 1996 – VI ZR 402/94, BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 27. April 2004 – VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56; vom 23. März 2004 – VI ZR 428/02, VersR 2004, 790, 791 f.; vom 7. Juni 2011 – VI ZR 87/10, NJW 2011, 2508 Rn. 7 und vom 13. September 2011 – VI ZR 144/10, VersR 2011, 1400). Dabei ist nicht erforderlich, dass der grobe Behandlungsfehler die einzige Ursache für den Schaden ist. Es genügt, dass er generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht zu sein. Eine Umkehr der Beweislast ist nur ausgeschlossen, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2004 – VI ZR 34/03, aaO, 56 f.; vom 7. Juni 2011 – VI ZR 87/10, aaO).
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Die Nichtzulassungsbeschwerde weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass, hätte der Beklagte dem Kläger den Befund mitgeteilt und ihm Anweisungen gegeben, die Antibiose zwei Tage früher begonnen worden wäre. Aber auch wenn sich der Kläger erst am 25. April 2009 in die Klinik begeben hätte, wäre der Umweg über die Penicillin-Behandlung entfallen, weil dann sofort eine Infektion durch den Staphylococcus aureus in Betracht gezogen und zielgerichtet bekämpft worden wäre. Nach der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen im schriftlichen Gutachten vom 21. März 2012 hätte bei einer wirksamen Antibiose am 24. April 2009 das Ausmaß der befallenen Knochensubstanz schätzungsweise um 50 % verringert werden können.
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Der Beklagte kann sich nicht damit entlasten, dass sich der Kläger nicht in der Praxis gemeldet hat und er infolge dessen von dem Zustand des Klägers keine Kenntnis erlangen konnte. Eine mangelnde Mitwirkung des Patienten bei einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler dann nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 157/08, VersR 2009, 1267). So liegt der Fall aber hier.
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3. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht einen haftungsbegründenden Behandlungsfehler des Beklagten durch die Verwendung eines ungeeigneten Cast verneint hat, hat der Senat die Rügen für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weiteren näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. ZPO abgesehen.