LG Augsburg, Urteil vom 30. Juni 2015 – 31 O 4554/14
Ein Rechtsanwalt ist gewohnheitsrechtlich verpflichtet, bei Verhandlungen auch vor dem Amtsgericht eine Robe zu tragen
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz im Wege der Amtshaftung in Anspruch.
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Der Kläger hat mit seinem Mandanten am 10.11.2014 vor dem Amtsgericht Augsburg – Zivilgericht – einen Termin wahrgenommen. Der Kläger war dabei ohne Robe erschienen. Als Begründung gab er an, er habe keine Robe dabei. Der Amtsrichter weigerte sich daraufhin, die Verhandlung durchzuführen und beraumte als neuen Termin den 22.12.2014 an.
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Der Kläger sieht in dem Verhalten des Richters eine schadensersatzbegründende Amtspflichtverletzung. Nach seiner Auffassung bestehe für Rechtsanwälte keine Pflicht zum Erscheinen in Robe vor den Amtsgerichten in Zivilsachen. Dies komme auch in § 20 BORA zum Ausdruck. Ein evtl. früher insoweit bestehendes Gewohnheitsrecht habe sich geändert.
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Durch die unberechtigte Weigerung des Richters, die Verhandlung ohne Robe durchzuführen, sei ihm ein Schaden durch zusätzliche Reisekosten sowie Verdienstausfall entstanden.
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Der Kläger beantragt,
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der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 770,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2014 zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Er ist der Meinung, dass nach wie vor das Tragen einer Robe auch vor den Amtsgerichten in Zivilsachen gewohnheitsrechtlich begründet sei. Es gäbe zwar einige wenige Amtsgerichte, bei denen keine Roben getragen würden, das Amtsgericht Augsburg gehöre jedoch nicht dazu.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG, weil der Amtsrichter durch die Zurückweisung des Klägers keine Amtspflicht verletzt hat.
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 18.02.1970 (BVerfGE 28, 21) ausgeführt, dass seit rund hundert Jahren in Deutschland einheitlich aufgrund Gewohnheitsrechts Rechtsanwälte verpflichtet seien, in öffentlichen Verhandlungen jedenfalls der Landgerichte und der ihnen im Rang entsprechenden sowie der im Instanzenzug höheren Gerichte in Amtstracht aufzutreten. Sie beruhe in den Ländern, die insoweit keine gesetzliche Regelung erlassen haben, auf Gewohnheitsrecht, das durch längere tatsächliche Übung entstanden sei, die dauernd und ständig, gleichmäßig und allgemein war und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wurde. Diese herrschende Rechtsüberzeugung sei nicht nur von den Richtern aller Gerichte vertreten, sondern auch von der Rechtsanwaltschaft in ihrer Gesamtheit geteilt worden. In den meisten Ländern sei zudem die Verpflichtung der Rechtsanwälte, vor Gericht eine Amtstracht zu tragen, durch Verwaltungsvorschrift statuiert worden. In Bayern geschah dies durch die Bekanntmachung des Staatsministeriums der Justiz vom 16. Oktober 1956 in der Fassung der Änderung vom 26.04.1968. Diese landesrechtliche Regelung stellt eine inhaltliche Konkretisierung des bundeseinheitlichen Gewohnheitsrechtes dar (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.07.2006, 2 Ws 679/06 und 2 Ws 684/06; OLG Braunschweig, Beschluss vom 27.04.1995, Aktenzeichen 1 W 12/95). Diese Verwaltungsvorschrift entfaltet zwar keine unmittelbare Bindungswirkung gegenüber den Rechtsanwälten, konkretisiert jedoch das verpflichtende Gewohnheitsrecht dahingehend, dass neben Richtern und Staatsanwälten auch Rechtsanwälte eine Robe in den zur Verhandlung oder zur Verkündung einer Entscheidung bestimmten Sitzungen der Gerichte zu tragen haben.
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Diese Verpflichtung gilt für Amtsgericht und Landgericht gleichermaßen. Durch die Amtstracht werden Richter wie Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege kenntlich gemacht. Die Person tritt dabei hinter den Dienst an Gesetz und Recht zurück. Dass bei den Landgerichten Anwaltszwang herrscht, bei den Amtsgerichten dagegen nicht, rechtfertigt keine Differenzierung (so OLG Braunschweig, a.a.O.). Es erscheint im Gegenteil gerade vor Amtsgerichten wichtig, dass Rechtsanwälte durch das Tragen einer Robe als Organe der Rechtspflege kenntlich gemacht werden, schon um sie von evtl. Beiständen (§ 90 ZPO) zu unterscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht, a.a.O.).
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2. An diesem in den vorgenannten Gerichtsentscheidungen festgestellten Gewohnheitsrecht hat sich auch bis heute, jedenfalls am Amtsgericht Augsburg, nichts geändert. Zwar ist das Gewohnheitsrecht als gewachsenes Recht äußeren Einwirkungen ausgesetzt und einer inhaltlichen Weiterentwicklung zugänglich. Dabei kommt es auf die Erwartungen und Vorstellungen aller Verfahrensbeteiligten, also nicht nur der Rechtsanwälte sondern auch der Gerichte an (vgl. OLG München, a.a.O.).
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Die vom Kläger behauptete Änderung des Gewohnheitsrechts hat er nicht näher dargelegt. Alleine die behauptete Tatsache, dass der Kläger, der überwiegend vor den Landgerichten auftritt, noch nie von einem Richter am Amtsgericht wegen des Fehlens der Robe gerügt worden sei, begründet noch keine Änderung des Gewohnheitsrechts. Es handelt sich vielmehr um möglicherweise erfolgte Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Nach eigenen Angaben ist der Kläger in einem Zeitraum von ca. 15 Jahren etwa zehn bis zwölf Mal vor dem Amtsgericht Augsburg in Zivilsachen ohne Robe aufgetreten. Es mag sein, dass der Kläger in diesen Fällen nicht beanstandet wurde. Dabei handelt es sich jedoch um Einzelfälle. Nach Kenntnis des Gerichts, das bis 2007 selbst am Amtsgericht Augsburg in Zivilsachen tätig war, wurden jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt in Zivilverfahren vor dem Amtsgericht Augsburg von den Rechtsanwälten ausnahmslos Roben getragen. Wenn ein Rechtsanwalt keine Robe dabei hatte, was vielleicht zwei bis drei Mal im Jahr vorkam, entschuldigte er sich hierfür, was zum Ausdruck bringt, dass den Anwälten allgemein die Rechtspflicht zum Tragen einer Robe jedenfalls vor dem Amtsgericht Augsburg bekannt war. An diesem Gewohnheitsrecht hat sich auch in den letzten Jahren nichts geändert. Ein seit nunmehr über 140 Jahren bestehendes Gewohnheitsrecht ändert sich nicht innerhalb weniger Jahre, zumal es wie zuvor bereits erwähnt, nicht nur auf die Ansichten der Rechtsanwälte, sondern auch diejenigen der Richter ankommt. Der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen. Er hat im Gegenteil eingeräumt, dass er bereits zu Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit vor dem Amtsgericht Augsburg in den Jahren 1999/2000 eine entsprechende Änderung des Gewohnheitsrechts festgestellt haben will, die damals nach Kenntnis des Gerichts definitiv nicht vorlag. Auch von Seiten der Anwaltschaft – auch auswärtiger Rechtsanwälte – wurde das Tragen einer Robe vor dem Amtsgericht Augsburg nie in Frage gestellt.
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Soweit sich der Kläger auf die am Amtsgericht München bestehende Übung, in Zivilsachen keine Robe zu tragen, bezieht, handelt es sich um eine auf das Amtsgericht München beschränkte Ausnahme, die sich nach Kenntnis des Gerichts an anderen Bayerischen Amtsgerichten, jedenfalls am Amtsgericht Augsburg, nicht durchgesetzt hat. Bezeichnenderweise konnte der Kläger auch neben dem Amtsgericht München kein weiteres Bayerisches Amtsgericht benennen, an dem generell keine Robe getragen wird. Auch räumte er ein, dass vor dem Amtsgericht München seit Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit im Jahr 1998 schon immer keine Robe getragen wurde. Aus dieser Praxis lässt sich deshalb keine in den letzten Jahren erfolgte Änderung des Gewohnheitsrechts für die übrigen Gerichte herleiten.
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3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 20 BORA. Denn die Frage, ob die Rechtsanwälte in der mündlichen Verhandlung vor Gericht eine Amtstracht zu tragen haben, ist keine Frage, die ausschließlich oder auch nur überwiegend zum Berufsrecht der Anwaltschaft gehört. In erster Linie handelt es sich hierbei um einen Gegenstand des Gerichtsverfassungsrechts (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.).
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4. Nachdem der Kläger zum Verhandlungstermin ohne Robe erschienen war, war der Amtsrichter berechtigt, ihn gemäß § 176 GVG für den anberaumten Verhandlungstermin als Prozessbevollmächtigten zurückzuweisen (Bundesverfassungsgericht, a.a.O.; OLG Braunschweig, a.a.O.; OLG München, a.a.O.).
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Kosten: § 91 ZPO.
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Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.