BGH, Urteil vom 18.06.1996 – VI ZR 121/95
Bei einem Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß durch Angabe falscher Umsatzzahlen muß der Schädiger die Behauptung des Geschädigten widerlegen, er hätte bei zutreffender Angabe von dem Vertragsschluß Abstand genommen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Februar 1995 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger, der als Schreiner ein Montageunternehmen betrieb, strebte eine neue Existenz als Gastwirt an. Durch “Kauf- und Übernahmevertrag” vom 5. März 1990 erwarb er von dem Beklagten die vollständige Einrichtung und Betriebsausstattung des Gaststättenlokals “C. I.” in E. für 250.000 DM. Die Parteien vereinbarten, daß der Gaststättenbetrieb am 1. April 1990 nahtlos auf den Kläger übergehen sollte. Ab dem gleichen Zeitpunkt mietete der Kläger die Gaststättenräumlichkeiten von Dr. K. für zehn Jahre an.
2
Vor Unterzeichnung des Kauf- und Übernahmevertrages hatte sich der Kläger mehrfach in dem Lokal aufgehalten, um sich ein Bild von dem Geschäftsbetrieb zu machen. Anläßlich eines dieser Besuche hatte der Beklagte ihm ein Schreiben seines Steuerberaters überreicht, in dem die Umsatzzahlen für das Lokal mitgeteilt wurden. Darin heißt es, das Bistro habe im ersten Jahr seiner Eröffnung, nämlich vom 11. Juli 1987 bis zum 15. Juli 1988 einen Bruttoumsatz von 503.000 DM erwirtschaftet; vom 16. Juli 1988 bis 15. Juli 1989 sei ein Bruttoumsatz von 486.700 DM erzielt worden. Anmerkend fügte der Steuerberater hinzu, daß die Zahlen im zweiten Wirtschaftsjahr bedingt durch das “Sommerloch” 1989 leicht rückläufig gewesen seien. Nach den vorliegenden Umsatzzahlen für die Monate August, September und Oktober 1989 sei mit einem Jahresumsatz für 1989/1990 von ca. 530.000 DM zu rechnen.
3
Die in diesem Brief bescheinigten Umsatzzahlen lagen ca. 10 bis 12 % über den Umsätzen, wie sie sich aus den Buchführungsunterlagen des Steuerberaters ergaben. Dies war dem Beklagten, der das Schreiben veranlaßt hatte, bekannt.
4
Kurz nach Übernahme des Lokals entstanden zwischen dem Kläger und der weiterbeschäftigten Geschäftsführerin K. Streitigkeiten, die dazu führten, daß der Kläger das Beschäftigungsverhältnis mit Frau K. fristlos kündigte und ab Juli 1990 das Lokal für sechs Wochen geschlossen hielt. Auch nach Wiedereröffnung gingen die Umsätze zurück und entsprachen nicht den Erwartungen des Klägers.
5
In der Folgezeit kam der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Vermieter Dr. K. nicht nach, so daß dieser das Mietverhältnis fristlos kündigte. Der Kläger gab die Gaststätte auf, der Vermieter verwertete die Einrichtung aufgrund seines Vermieterpfandrechts und machte gegenüber dem Kläger Schadensersatzansprüche geltend. Aus Grundschulden, die der Kläger dem Beklagten sicherheitshalber abgetreten hatte, wurde die Zwangsversteigerung des Grundstücks des Klägers in H. betrieben.
6
Der Kläger wirft dem Beklagten vor, er habe ihn durch die Angabe unzutreffender Umsatzzahlen arglistig getäuscht. Er macht geltend, daß er das Lokal in Kenntnis der tatsächlichen Umsätze nicht übernommen und die Verträge mit dem Beklagten und dem Vermieter nicht geschlossen hätte. Er begehrt die Feststellung, daß der Beklagte ihm im Wege des Schadensersatzes diejenigen Beträge zu erstatten habe, die er an die Grundschuldgläubiger und an den Vermieter zu leisten habe.
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Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
8
Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Beklagte den Kläger darüber getäuscht hat, daß die Umsätze selbst unter Einschluß nicht in den Buchführungsunterlagen vermerkter Einnahmen 10 bis 12 % hinter den angegebenen Zahlen zurückgeblieben seien. Es hat jedenfalls nicht die Überzeugung gewinnen können, daß eine eventuelle Täuschung des Beklagten über die in den Vorjahren erzielten Umsätze für die vom Kläger getroffenen Vermögensverfügungen (Abschluß des Kauf- und Übernahmevertrages und des Mietvertrages sowie Abtretung der Grundschulden) mitursächlich gewesen sei. Das Berufungsgericht hält vielmehr für möglich, daß der Kläger, der sich durch mehrfache Besuche in dem Lokal ein offensichtlich zufriedenstellendes Bild von den Umsätzen verschafft habe, seine Umsatz- und Gewinnerwartungen maßgeblich an diesen Lokalbesuchen orientiert habe.
II.
9
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
10
Dem Berufungsurteil liegt die Auffassung zugrunde, der Kläger müsse den Beweis führen, daß er bei zutreffender Aufklärung über die Umsätze in den Vorjahren von den Vertragsschlüssen Abstand genommen hätte; diesen Beweis habe er nicht führen können, weil Zweifel an der Kausalität einer eventuellen Täuschung des Beklagten für die Vermögensverfügungen des Klägers und den daraus resultierenden Schaden verblieben. Diese Auffassung über die Beweislast des Klägers trifft jedenfalls nicht für die vertragliche Haftung des Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zu.
11
Die im Revisionsrechtszug zu unterstellende Angabe falscher Umsatzzahlen stellt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, auch eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten des Beklagten dar, für die er unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo) schadensersatzpflichtig sein kann. Bei einer Inanspruchnahme aus diesem Rechtsgrund ist es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht Sache des Klägers zu beweisen, daß die unzutreffenden Angaben des Beklagten für den Vertragsschluß, auf dem der geltend gemachte Schaden beruht, ursächlich geworden sind. Vielmehr muß der Beklagte die Behauptung des Klägers widerlegen, er hätte bei Angabe richtiger Umsatzzahlen vom Vertragsschluß Abstand genommen (BGH, Urteile vom 16. Januar 1985 – VIII ZR 317/83 – NJW 1985, 1769, 1771 zu 4.; vom 11. November 1987 – VIII ZR 304/86 – WM 1988, 124, 125; vgl. auch BGHZ 124, 151, 159 ff. m.w.N.).