BGH, Urteil vom 01.03.1988 – VI ZR 190/87
1. Zu den Verkehrssicherungspflichten auf einem öffentlichen Kinderspielplatz.
2. Die Benutzung eines Kinderspielplatzes begründet kein Sonderrechtsverhältnis, aus dem sich das Kind, das durch ein nicht verkehrssicheres Spielgerät verletzt wird, ein Mitverschulden seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB zurechnen lassen muß.
3. Die Ersatzpflicht des Schädigers für die Verletzung eines Kindes wird nicht dadurch berührt, daß an der Schädigung die Eltern des Kindes mitbeteiligt gewesen sind, diese aber wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabes des § 1664 Abs. 1 BGB dem Kind nicht haften. Dem Schädiger steht in diesem Fall auch nicht ein (fingierter) Ausgleichsanspruch gegen die Eltern zu (Aufgabe von BGHZ 35, 317).
(Leitsatz des Gerichts)
Tatbestand:
Die Parteien streiten über ein angemessenes Schmerzensgeld wegen Verletzung der Verkehrsicherungspflicht.
Der zum Zeitpunkt des Unfalls 22 Monate alte Kläger erlitt im Mai 1985 auf einem öffentlichen, von der beklagten Stadt unterhaltenen Kinderspielplatz in M. erhebliche Verletzungen an Kopf und Schultern, als er von dem Podest einer dort aufgestellten Rutsche zu Boden stürzte. Das Podest der Rutsche lag mindestens 1,50 m über dem Boden, der an dieser Stelle aus Asphaltbeton bestand. An den Seiten des Podestes befand sich jeweils ein Holm mit weit ausgelegten Seitenräumen. Zu dem Sturz war es nach Darstellung des Klägers gekommen, als er sich zum Rutschen auf das Podest gesetzt, das linke Bein vorgestreckt habe und – während sein Vater an der Rutsche links neben ihm gestanden habe – in einem unbewachten Moment plötzlich nach rechts rücklings unter den Holm gerutscht und auf den Boden gefallen sei.
Der Kläger hat die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für alle weiteren Schäden in Anspruch genommen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Die Beklagte ist dem Klagebegehren entgegengetreten. Sie hat darauf verwiesen, daß das Spielgerät schon seit 1964 aufgestellt gewesen sei und vergleichbare Unfälle in der Vergangenheit nicht aufgetreten seien. Auch müsse sich der Kläger das Mitverschulden seines Vaters aus der Verletzung der ihm obliegenden Aufsichtspflicht entgegenhalten lassen.
Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 DM zugesprochen und den Feststellungsantrag für begründet erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Schmerzensgeld auf 8.000 DM ermäßigt, die weitergehende Berufung aber als unbegründet zurückgewiesen.
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht geht von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte aus. Sie habe die Benutzung der Rutsche, die an den seitlichen Holmen keine ausreichende Absturzsicherung für kleinere Kinder aufgewiesen habe, nicht mit einem Asphaltbeton als Bodenbelag im Bereich der Standfläche zulassen dürfen. Da es immer wieder vorkomme, daß Kinder von Spielgeräten abstürzten, bedürfe es nur dann keiner besonderen Sicherungsmaßnahmen, wenn das Gerät verhältnismäßig niedrig sei. Andernfalls sei, um Verletzungen zu vermeiden, ein aufprallhemmendener Unterboden zu wählen. Demgemäß sehe die bereits 1979 erlassene DIN-Norm 7926 für Spielgeräte mit Handlauf und einer Fallhöhe von 1 m bis 2 m als Bodenbeläge nur Rasen, Kunststoff, Fallschutzplatten oder Sand bez. Feinkies in einer Höhe von 200 mm vor.
Ein etwaiges Mitverschulden des Vaters an dem Unfall könne dem Kläger nicht angerechnet werden.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die aus § 823 Abs. 1 BGB folgenden Sicherungspflichten bestimmt, die der Beklagten Stadt M. aus der Verkehrseröffnung auf dem Spielplatz, auf dem der Kläger den Unfall erlitten hat, erwachsen sind.
a) Nach dem Grundsatz, daß jeder, der Gefahren schafft, auch die notwendigen Vorkehrungen zur Sicherheit Dritter zu treffen hat, mußte die Beklagte die Sicherungsmaßnahmen ergreifen, die der Verkehr für diesen Gefahrenkreis für erforderlich hält. Der erkennende Senat folgt dem Berufungsgericht darin, daß sich Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten für einen öffentlichen Spielplatz aus der Notwendigkeit ergeben, den Spielplatz möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, und daß dabei das einzuhaltende Ausmaß der Sicherheit sich an dem Alter der jüngsten Kinder auszurichten hat, die für die Benutzung des betreffenden Spielgeräts in Frage kommen (so schon Hußla VersR 1971, 877 f.). Wenn das Berufungsgericht, weil gerade auch bei kleineren Kindern Übermut, Neugier oder Unerfahrenheit zu einem gefahrvollen Fehlverhalten führen können und Stürze von Spielgeräten infolge einer unglücklichen Bewegung, einer Störung des Gleichgewichts oder aufgrund der Einwirkung durch andere Kinder immer wieder vorkommen, von der Beklagten fordert, für Spielgeräte mit einer Fallhöhe wie hier von 1,50 m einen Untergrund mit aufprallhemmender Beschaffenheit im Bereich des Standorts des Geräts zu wählen, so ist dagegen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. An die Sicherheit der Spielgeräte eines Kinderspielplatzes sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich müssen Kinder und ihre Eltern uneingeschränkt darauf vertrauen dürfen, daß sich die Kinder gefahrlos der Spielgeräte bedienen können und insbesondere nicht so schwere Verletzungen erleiden können wie hier (vgl. Senatsurteil vom 28.04.1987 – VI ZR 127/86 = VersR 1987, 891, 892). Wegen der bei Kindern immer vorhandenen Gefahr des Sturzes von Spilegeräten ist jedenfalls bei Spielgeräten mit einer Fallhöhe von 1,50 m die Forderung nach einem geeigneten Bodenbelag, der Absturzunfälle weniger gefährlich macht, als elementare Sicherheitsforderung zu bezeichnen.
Dieser Maßstab für die einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten steht – im Gegensatz zur Ansicht der Revision – auch nicht in Widerspruch damit, daß auch Spielplätze und darauf befindliche Geräte nicht frei von allen Risiken sein müssen. Dabei kann es aber nur um überschaubare und kalkulierbare Risiken gehen, die für das Kind ihren erzieherischen Wert haben (vgl. Senatsurteile vom 25.04.1978 – VI ZR 194/76 = VersR 1978, 739 und vom 02.05.1978 – VI ZR 110/77 = VersR 1978, 762; BGB-RGRK 12. Aufl. § 823 Anm. 228). Um solche beherrschbaren Risiken handelt es sich aber nicht, wenn es wie hier um die Beschaffenheit des passenden Bodens zur Vermeidung von Verletzungen bei Abstürzen von Spielgeräten geht. Ob die Verkehrssicherungspflichten dann eingeschränkt sind, wenn der Kinderspielplatz bzw. bestimmte Spielgeräte nur für Kinder von einem höheren Lebensalter an zur Benutzung freigegeben sind, kann dahingestellt bleiben. Denn unstreitig war eine Beschränkung auf ein Mindestalter für die Benutzung nicht verfügt; vielmehr war der Spielplatz durch ein entsprechendes Schild zur Benutzung für alle Kinder bis zu zwölf Jahren freigegeben. Eine etwaige nach außen nicht erkennbare Erwartung der Beklagten, daß Rutschen der vorliegenden Art erst von Kindern ab drei Jahren benutzt werden würden, beschränkte ihre Verkehrssicherungspflichten nicht.
b) Es begegnet auch keinen Bedenken, daß das Berufungsgericht zur Feststellung von Inhalt und Umfang der die Beklagte treffenden Verkehrssicherungspflichten die im Dezember 1976 erlassene DIN-Norm 7926, Teil 1, mit herangezogen hat, die für ein Spielgerät mit Handlauf und einer Fallhöhe von 1 m bis 2 m als Bodenbeläge nur nicht gebundene Böden nach DIN 18034 wie Naturboden, Rasen oder Sand bzw. Feinkies vorsieht. Auch wenn es sich bei DIN-Normen nicht um mit Drittwirkung versehene Normen im Sinne hoheitlicher Rechtsetzung, sondern um auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen des “DIN Deutschen Instituts für Normung e.V.” handelt (vgl. Senatsurteil vom 10.03.1987 – VI ZR 144/86 = VersR 1987, 783, 784), so spiegeln sie doch den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen in besonderer Weise geeignet (vgl. Senatsurteil vom 11.12.1979 – VI ZR 141/78 = NJW 1980, 1219, 1221 = VersR 1980, 380, 382 und vom 28.04.1987 aaO). Ob bei Einführung neuer DIN-Normen für eine Übergangszeit die bestehenden Einrichtungen ohne Veränderung weiterbetrieben werden dürfen, kann hier dahingestellt bleiben. Eine solche Anpassungszeit – ließe man sie zu – wäre jedenfalls, wie das Berufungsgericht zu Recht festgestellt hat, längst verstrichen gewesen, als es mehr als acht Jahre nach Erlaß der einschlägigen DIN-Norm zu dem Unfall kam. Soweit die Revision sich darauf beruft, Rutschen der in Rede stehenden Art seien noch nach Inkrafttreten der DIN-Norm überwachungstechnisch nicht beanstandet worden, handelt es sich um erstmals in der Revisionsinstanz gebrachten und daher unzulässigen Tatsachenvortrag. Im übrigen könnte eine solche Praxis die Beklagte nicht entlasten, da die vom Standort des Spielgeräts ausgehende Gefahr für sie als Träger des Spielplatzes ohne weiteres erkennbar war.
2. Fehl geht auch der Angriff der Revision, der sich gegen die Nichtberücksichtigung eines möglichen Mitverschuldens des Vaters des Klägers bei der Haftung der Beklagten wendet.
a) Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß sich der Kläger ein Mitverschulden seines Vaters an dem Unfall gemäß §§ 254 Abs. 1, 278 BGB nur im Rahmen eines schon im Augenblick des Unfalls bestehenden Schuldverhältnisses oder eines einem Schuldverhältnis ähnlichen Sonderrechtsverhältnisses zu der Beklagten zurechnen lassen muß (vgl. Senatsurteil vom 20.05.1980 – VI ZR 185/78 = NJW 1980, 2090 = VersR 1980, 938 mwN..). Sie meint jedoch, eine solche Sonderverbindung habe vorliegend bei Schadenseintritt bestanden, weil die Schildertafel auf dem Spielplatz den zugelassenen Personenkreis bezeichnet und bestimmte Verhaltensweisen untersagt habe. Damit sei ein Benutzungsverhältnis begründet worden. Zu Recht hat indes das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 29.10.1974 – VI ZR 159/73 = VersR 1975, 133, 134 und vom 29. März 1977 – VI ZR 64/76 = NJW 1977, 1392, 1394 = VersR 1977, 668) diesen Umstand als nicht ausreichend erachtet, um über die allgemeinen deliktischen Rechte und Pflichten hinausgehende besondere schuldrechtliche oder schuldrechtsähnliche Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten entstehen zu lassen. Auch wenn es für die Benutzung des Spielplatzes eine Satzung gegeben haben sollte, ließe sich daraus allein nicht die Begründung eines vertragsähnlichen Benutzungsverhältnisses folgern (vgl. Senatsurteil vom 29. März 1977 aaO). Insbesondere ist nichts für eine besondere Interessenlage ersichtlich, die Anlaß zu einer derartigen gesteigerten Rechts- und Pflichtenstellung für beide Seiten hätte geben können. Vielmehr erscheinen die Interessen beider Seiten durchaus schon durch die allgemeinen deliktischen Beziehungen hinreichend gewahrt.
b) Auch soweit die Revision das Berufungsurteil unter dem Gesichtspunkt einer Einstandspflicht des Klägers für seinen Vater nach § 278 BGB bei der Erfüllung von Obliegenheiten zur Schadensabwendung oder Schadensminderung iSd. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Überprüfung stellt, weist dieses keinen Rechtsfehler auf. Richtig ist, daß sich ein Geschädigter im Rahmen seiner Obliegenheiten zur Abwendung oder Minderung des Schadens nach § 254 Abs. 2 BGB ein Verschulden dritter Personen nach § 278 BGB anrechnen lassen muß. Indes muß dazu die unerlaubte Handlung des Schädigers die Schadensentwicklung schon auf den Weg gebracht haben (BGHZ 5, 378, 384 f.). Anderes würde nicht nur die Beschränkung der Einstandspflicht des Geschädigten für ein Verschulden Dritter nach § 278 BGB auf Sonderrechtsverhältnisse gegenstandslos machen, sondern der Geschädigte stünde auch schlechter da als der Schädiger, der im Bereich der Schadensentstehung für Dritte grundsätzlich nur nach § 831 BGB deliktisch einzustehen hat. Deshalb reicht es nicht – wie die Revision meint – aus, daß die durch die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten von der Beklagten ausgelöste Gefahr schon bestand, als der Kläger die Rutsche an der Hand seines Vaters bestieg. Ebensowenig genügt es, daß der gesetzliche Vertreter oder die von ihm mit der Beaufsichtigung betraute Person die Gefahr kannte, die dem Kind von einer Anlage oder einem Zustand droht (vgl. BGHZ 5, 378, 384 f.; BGB-RGRK/Alff 12. Aufl. § 254 Anm. 67). Nur soweit sich ein Mitverschulden für den eingetretenen Schaden auf die Phase bezieht, in der der Verletzungstatbestand bereits verwirklich ist, kommt demnach eine Zurechnung nach §§ 254 Abs. 2, 278 BGB in Frage.
Zuzurechnen ist das Verhalten des Vaters dem Kläger darüber hinaus auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Haftungseinheit, mit der die Revision eine entsprechende Kürzung der Ersatzverpflichtung der Beklagten zu begründen versucht. Der nicht deliktsfähige Kläger hat den Unfall nicht in zurechenbarer Weise mitverursacht. Er kann daher nicht in einer Zurechnungseinheit mit seinem Vater stehen (vgl. Senatsurteil vom 18.09.1973 – VI ZR 97/71 = VersR 1974, 34, 35; OLG Düsseldorf VersR 1982, 300, 301).
3. Zu folgen ist dem Berufungsgericht auch darin, daß der Anspruch, den der Kläger gegen die Beklagte besitzt, nicht aus dem Gesichtspunkt des gestörten Innenausgleichs unter Gesamtschuldnern zu kürzen ist. Dabei ist es unerheblich, nach welchem Haftungsmaßstab sich der Vater des Klägers bei der Beaufsichtigung seines Kindes auf dem Spielplatz beurteilen lassen muß und ob er danach bestehende Pflichten tatsächlich schuldhaft verletzt hat. In keiner der möglichen Fallgestaltungen ist das Haftungsverhältnis der Beklagten zum Kläger betroffen.
a) Nach § 840 Abs. 1 BGB haftet jeder von mehreren Schädigern dem Geschädigten für den von ihm zu verantwortenden Schaden ohne Rücksicht auf die Einstandspflicht der übrigen in vollem Umfang. Das Gesetz überläßt es dem Schädiger erst auf einer weiteren Stufe, Ausgleich für seine Inanspruchnahme bei den Mitschädigern zu suchen. Selbst wenn deshalb der Kläger nicht nur von der Beklagten, sondern auch von seinem Vater für seine Unfallverletzungen Ersatz verlangen könnte, würde das ihre volle Haftung ihm gegenüber grundsätzlich nicht berühren.
b) Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen in Fällen zugelassen, in denen dem Schädiger die Möglichkeit zum Ausgleich bei einem Mitschädiger dadurch genommen ist, daß dieser kraft Gesetzes dem Geschädigten gegenüber von seiner Haftung freigestellt ist. In diesen Fällen kann der Geschädigte den nicht privilegierten Schädiger nur auf den Anteil des Schadens in Anspruch nehmen, mit dem dieser im Innenverhältnis zu dem freigestellten Mitschädiger belastet bliebe, wenn die Möglichkeit zum Innenausgleich nicht durch die Haftungsprivilegierung versperrt wäre (vgl. BGHZ 61, 51; zuletzt Senatsurteil vom 17.02.1987 – VI ZR 81/86 = NJW 1987, 2669 = BGHR RVO § 636 Abs. – Arbeitnehmer 1). Zugrunde liegt dem die Erwägung, daß es unbillig wäre, den nicht privilegierten Schädiger mit der Haftungsfreistellung seines Mitschädigers zu belasten, die nach ihrem Sinn allein dessen Verhältnis zu dem Geschädigten betreffen soll.
c) Im weiteren Sinne kann auch bei § 1664 Abs. 1 BGB von einem “Haftungsprivileg” gesprochen werden. Nach dieser Vorschrift haben Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kinde gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Im Vergleich zu Schädigern, die nach dem allgemeinen Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB haften, ist ihre Einstandspflicht für einen von ihnen verursachten Schaden wegen ihrer familienrechtlichen Verbundenheit zu dem Geschädigten eingeschränkt (§ 277 BGB). Im Streitfall war zwar der Vater des Klägers nicht Sorgeberechtigter für diesen. Indes spricht vieles für die im Schrifttum vorherrschende Ansicht, auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil in analoger Anwendung des § 1664 BGB den mildernden Haftungsmaßstab jedenfalls dann zuzubilligen, wenn er – wie hier – in Ausübung seines Umgangsrechts (§ 1634 BGB) faktisch Personensorge für sein Kind ausübt (vgl. BGB-RGRK/ Adelmann 12. Aufl. § 1664 Anm. 4; Soergel/Lang, BGB 11. Aufl. § 1664 Anm. 3; MünchKomm/Hinz 2. Aufl. § 1664 Anm. 4; Palandt/Diederichsen, BGB 47. Aufl. § 1664 Abs. 1). Nach Auffassung des Senats würde der Anwendung des § 1664 BGB im vorliegenden Fall auch nicht schon entgegenstehen, daß es (auch) um deliktische Verhaltenspflichten des Vaters zum Schutz der Gesundheit seines Kindes geht. Jedenfalls wo diese Schutzpflichten in Fallgestaltungen wie hier ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, würde anderes auf eine Einschränkung des § 1664 BGB hinauslaufen, die mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre. Das besagt selbstverständlich nicht, daß ein für die Eltern so zentrales Schutzgut wie die Gesundheit ihrer Kinder einen besonderen Stellenwert nicht auch für ihre eigenübliche Sorgfalt und damit für ihre Haftungsverantwortung maßgebliche Bedeutung hätte. Dahinstehen kann, ob für den subjektiven Sorgfaltsmaßstab des § 277 BGB dort noch Raum ist, wo die Schutzpflichten der Eltern gegenüber dem Kind von ihren nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB zu bemessenden Pflichten gegenüber dem Verkehr kaum sachgerecht zu trennen wären, wie dies insbesondere für den Kreis der Verkehrssicherungspflichten, etwa der Aufsichtspflichten nach § 832 (vgl. RGZ 75, 251, 253, 254; OLG Karlsruhe VersR 1977, 232; OLG Stuttgart VersR 1980, 952; BGB-RGRK/Adelmann § 1664 Anm. 13; MünchKomm/Hinz § 1664 Anm. 6; Palandt/Diederichsen aaO § 1664 Anm. 1; aA Soergel/Lange aaO § 1664 Anm. 4) und für den Bereich der Teilnahme am Straßenverkehr (vgl. BGHZ 63, 51, 57 f.; BGB-RGRK/Adelmann Anm. 14; MünchKomm/Hinz § 1664 Anm. 6; Palandt/Diederichsen aaO § 1664 Anm. 1 mwN.) befürwortet wird. Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor.
d) Selbst wenn indes der Vater des Klägers allein wegen des mildernden Sorgfaltsmaßstabs des § 1664 BGB von einer Mithaftung für die Verletzungen des Klägers befreit wäre, käme das der Beklagten nicht zugute. Die im Schrifttum vorherrschende Meinung, auch in derartigen Fällen dürfe die gesetzliche “Haftungsprivilegierung” nicht zu Lasten des nicht privilegierten Schädigers gehen, sondern müsse durch eine entsprechende Kürzung der Ersatzansprüche des Geschädigten nach den zur gesetzlichen Haftungsfreistellung von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. die Nachweise bei Weber in: KVR Kraftverkehrsrecht von A-Z, Stichwort: Ehegatten, B I V. 2. S. 35; ferner BGB-RGRK/Adelmann Anm. 18; Soergel/ Lange aaO Anm. 7) oder durch Fingieren eines Innenausgleichs (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1978, 891) aufgefangen werden, vermag der Senat nicht zu teilen. Tragende Gründe, auf denen die Rechtsprechung zum sogenannten “gestörten” Gesamtschuldverhältnis beruht, fehlen hier.
In jenen Fällen sind zunächst alle Voraussetzungen für ein Gesamtschuldverhältnis nach § 840 Abs. 1 BGB erfüllt; dieses wird erst dadurch “gestört”, daß das Gesetz in Abweichung von dem Grundsatz des § 840 BGB den privilegierten Mitschädiger von seiner Haftung freistellt. In den Fällen dagegen, in denen die Mithaftung an § 1664 BGB scheitert, wächst der so “privilegierte” Mitschädiger schon gar nicht in die Regelung des § 840 Abs. 1 BGB hinein; es fehlt schon an den Grundlagen für ein Gesamtschuldverhältnis, das “gestört” werden könnte. Das ist nicht nur ein formaler, äußerlicher Unterschied. Es entspricht Wesen und System der Deliktshaftung, daß der Schädiger einen Mitverursacher des Schadens nur dann an seiner Haftpflicht beteiligen kann, wenn und soweit dieser den Schaden zurechenbar mitgesetzt hat. Nur wo das Haftungsprivileg ihm den Mitschädiger trotz dessen haftungsrechtlicher Mitverantwortung als Ausgleichsschuldner nimmt, ist es gerechtfertigt, von seiner die §§ 840, 426 BGB durchbrechenden Belastung mit dem Haftungsprivileg zu sprechen. Wenn dagegen ein Ausgleich schon am Fehlen einer zurechenbaren Mitbeteiligung des Ausgleichsschuldners scheitert, so ist das eine Folge des Ausgleichssystems, die im Rahmen der Deliktshaftung grundsätzlich allen Schädigern zugemutet wird.
An der Zurechenbarkeit fehlt es jedoch beim Vorliegen der Haftungsfreistellung nach §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB, solange die Pflichtverletzung nicht über die eigenübliche Sorgfalt hinausgeht bzw. sich als grob fahrlässig darstellt. Unterhalb dieser Schwelle besteht die Verantwortung des Elternteils für die Setzung eines Schadensbeitrags nicht. Dem Vater des Klägers ist daher, solange der Haftungsmaßstab der §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB nicht erreicht ist, ein für den eingetretenen Schaden mitursächliches Verhalten nicht zuzurechnen.
Bei Fehlen der Zurechenbarkeit wegen des milderen Sorgfaltsmaßstabs des § 1664 BGB kann das Versagen eines Ausgleichs für einen Mitschädiger ebensowenig als unbillige Sonderbelastung angesehen werden wie in jenen Fällen, in denen es an einer zurechenbaren Mitbeteiligung etwa wegen einer gesetzlich besonders angeordneten Aufgabenverteilung oder wegen der Deliktsunfähigkeit der Mitschädiger fehlt. Schon deshalb sieht der Senat keinen sachlichen Anlaß, nach Maßgabe seiner zur Haftungsfreistellung durch §§ 636, 637 RVO entwickelten Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung die gesetzliche Regelung für die Lastenverteilung bei Mehrbeteiligungen auch in den Fällen zu modifizieren, in denen ein Gesamtschuldverhältnis wegen des milderen Haftungsmaßstabs des § 1664 BGB nicht zustande kommt. Für eine derartige Lösung würde es zudem nicht nur an geeigneten Kriterien fehlen, den Beitrag des schädigenden Elternteils, dem §§ 1664, 277 BGB die Zurechenbarkeit gerade versagt, gleichwohl für eine Kürzung des Ersatzanspruchs zu bemessen. Sie würde auch zu dem schwerlich einleuchtenden Ergebnis führen, daß das geschädigte Kind bei einem Verhalten seiner Eltern, das als leicht fahrlässig iSv. § 276 BGB die Schwelle des § 277 BGB noch nicht erreicht hat, eine Kürzung seines Ersatzanspruchs hinzunehmen hätte, bei grobem Verschulden seiner Eltern dagegen nicht. Insoweit darf auch nicht vernachlässigt werden, daß in diesen Fällen – anders als im Anwendungsbereich der Haftungsprivilegierung der §§ 636, 637 RVO – dem Geschädigten für den genommenen Ersatzanspruch kein Äquivalent in Gestalt einer anderen Ausgleichslösung zuwächst.
Ebensowenig aber erscheint es dem Senat nach Überprüfung seines in BGHZ 35, 317 vertretenen anderen Standpunktes gerecht, den Schädiger von einem Teil seiner Haftungslast, die ihn wegen seines verantwortlich gesetzten Schadensbeitrages trifft, über die Fiktion eines gesamtschuldnerischen Innenausgleichs zu dem mitbeteiligten Elternteil auf dessen Kosten nur deshalb zu befreien, weil dieser an der Schädigung zwar beteiligt war, ohne aber dazu einen zurechenbaren Beitrag geleistet zu haben; dies um so weniger, als im wirtschaftlichen Ergebnis auch eine derartige Lösung in der Mehrzahl der Fälle auf Kosten letztlich auch des geschädigten Kindes gehen würde. Soweit die Ausführungen des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 27.06.1961 = BGHZ 35, 317, 322 f. zu dem milderen Haftungsmaßstab des § 1359 BGB unter Ehegatten dem entgegenstehen, hält der Senat hieran nicht mehr fest. Insbesondere erscheint ihm der dort angestellte Vergleich mit der Interessenlage bei einer vertraglich vereinbarten Haftungsmilderung als Begründung für die Fiktion eines gesamtschuldnerischen Innenausgleichs auch in den Fällen der gesetzlichen Haftungsmilderung des § 1664 BGB schon deshalb nicht ausreichend, weil diese Haftungsmilderung nicht auf einer den Beteiligten im Rahmen der Vertragsfreiheit überlassenen individuellen Gewichtung und Gestaltung ihrer Interessen mit der Möglichkeit zu entsprechenden Auffanglösungen beruht, sondern auf der gesetzgeberischen Würdigung und Bewertung der Familiengemeinschaft, die auch das “außenstehende” Rechtsverhältnis als solches angeht. Im übrigen hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Sachverhalte einer Schädigung im Straßenverkehr, wie sie Gegenstand der genannten Entscheidung in BGHZ 35,317 gewesen ist, inzwischen einer gerechten Lösung auf andere Weise zugeführt (vgl. BGHZ 53, 352; 61, 101; 63, 51). Aus allem folgt, daß die Beklagte im Streitfall sich der Klägerin gegenüber auch nicht unter Hinweis auf die Rechtsprechungsgrundsätze zum “gestörten Gesamtschuldnerausgleich” auf eine Beteiligung des Vaters des Klägers an dem Unfall berufen kann.