BSG, Urteil vom 06.03.2012 – B 1 KR 24/10 R
Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Basispflege bei Neurodermitis aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist rechtens
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin die ab Mai 2004 entstandenen Kosten für die Selbstbeschaffung von „Linola“, „Linola Fett“, „Anästhesinsalbe 20 %“, „Balneum-Hermal F“ sowie „Pasta zinci mollis“ zu erstatten und die Klägerin zukünftig mit diesen Mitteln zu versorgen. Die Klägerin hat nämlich weder kraft Satzung noch kraft Gesetzes einen Naturalleistungsanspruch auf die Mittel, ohne dass höherrangiges Recht entgegensteht.
Selbst wenn es sich bei „Linola“ um ein Arzneimittel und nicht lediglich um ein Kosmetikum handelt, scheidet ein Anspruch hierauf ebenso aus wie auf „Anästhesinsalbe 20 %“. Nach Arzneimittelrecht verkehrsfähig sind diese Mittel allenfalls wegen der verfahrensrechtlichen Aufrechterhaltung einer Alt-Zulassung nach dem AMG 1961. Ein solcher Zulassungsstatus genügt aber nicht, um die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen: Es fehlt an der erfolgreichen Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Mittel.
Die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel „Pasta zinci mollis“, „Balneum-Hermal F“ und „Linola Fett“ schließt § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich von der GKV-Versorgung aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat in seinen Richtlinien (AM-RL) für die Mittel keinen Ausnahmetatbestand vorgesehen. Er legt fest, welche nicht verschreibungspflichtigen (OTC-)Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat es rechtmäßig abgelehnt, die Versorgung mit Basistherapeutika bei Neurodermitis als verordnungsfähige Standardtherapie in die AM-RL aufzunehmen. Die Hautpflegemittel, die keine Arzneimittel sind, hat der Gesetzgeber von vornherein nicht in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen. Bei Bedürftigkeit Betroffener übernehmen andere Teile des Sozialsystems unter den dort genannten Voraussetzungen die Versorgung mit solchen Leistungen, etwa das SGB II und SGB XII. Dementsprechend durfte der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnungsfähigkeit von OTC-Arzneimitteln auch für Mischbereiche ablehnen, in denen alternativ zu Arzneimitteln kostengünstigere kosmetische Pflegemittel für vergleichbare Zwecke zur Verfügung stehen. Das gilt jedenfalls solange, als nicht ein zusätzlicher krankheitsspezifischer Nutzen der betroffenen Arzneimittel anhand belastbarer Statistiken gegenüber den anderen Pflegemitteln belegt ist. Es gilt erst recht, soweit die Qualifikation als Standardtherapeutikum nicht durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauert ist. So liegt es hinsichtlich „Linola Fett“, „Balneum-Hermal F“ sowie „Pasta zinci mollis“.
Die Regelungen widersprechen nicht Verfassungsrecht. Sie sichern die Versorgung Versicherter in Fällen schwerer Verlaufsformen der Neurodermitis mit dem allgemein anerkannten Therapiestandard, etwa der Anwendung lokal applizierter Glukokortikoide oder topischer Behandlung mit Calcineurin-Inhibitoren. Der Gesetzgeber hat in verhältnismäßiger Weise den Bereich der Eigenvorsorge ausgestaltet. Die Qualität der Mittel der Krankheitsbekämpfung und die Schwere der Krankheit, nicht aber die ökonomische Bedürftigkeit des Betroffenen bestimmen systemgerecht und verfassungskonform den Umfang des GKV-Leistungskatalogs.
Quelle: Medieninformation Nr. 7/12 des Bundessozialgerichts vom 06.03.2012