Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 21.04.2016 – 18 U 17/14
Zur Haftung bei Zerstörung des Frachtguts durch LKW-Brand infolge heißgelaufenen Radlagers
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld vom 13.11.2013 abgeändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen. Die Kosten der Streithilfe werden der Streithelferin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Gründe:
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A.
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Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche aus einem Transportvertrag anlässlich eines Schadensfalles vom 28.07.2011 geltend.
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Die Parteien stehen in ständiger Geschäftsbeziehung. Unter dem 20.11.2009 schloss die Niederlassung der Klägerin in A mit der Beklagten einen Rahmenvertrag über die Durchführung von Transporten im Straßengüterverkehr (Anlage K1), wobei dessen Geltung für die Niederlassung in B im vorliegenden Fall zwischen den Parteien streitig ist. Gem. § 14 Ziff. 1 erklärte die Beklagte, dass für im Auftrag übernommene Ladegefäße (Auflieger, Container, Wechselbehälter etc.) Kasko-Versicherungsschutz in ausreichender Höhe bestehe. Gem. § 14 Ziff. 2 trat sie – vorbehaltlich einer etwaig erforderlichen Zustimmung des Versicherers – ihre künftigen Ansprüche gegen diesen erfüllungshalber ab. Gem. § 18 sollte Bielefeld ausschließlicher Gerichtsstand sein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Rahmenvertrag Bezug genommen.
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Am 28.07.2011 erteilte die Niederlassung der Klägerin in B der Beklagten den Auftrag, eine Komplettladung Sammelgut in der Niederlassung in F zu übernehmen und zu ihren Niederlassungen in A und B sowie dem G in H zu befördern (vgl. Transportauftrag, Anlage K11). Es wurde ein Bordero-Nr. ###### über das zu befördernde Sammelgut aufgenommen (Anlage K2), das aus 43 Einzelsendungen bestand und dessen Gesamtgewicht 17.437 kg betrug. In der Zeit zwischen 19.30 und 20.10 Uhr verlud das Lagerpersonal in der Niederlassung in F das Sammelgut auf den im Eigentum der Klägerin stehenden Kühlauflieger X-X ###1 (vgl. Verladeprotokolle, Anlage K11a) und b)). Der Fahrer der Beklagten, der Zeuge L, übernahm den vorgeladenen und verschlossenen Kühlauflieger mit der Zugmaschine X-X ###2, wobei die Beklagte die Übernahme des Inhalts „Paket für Paket“ bestreitet (vgl. Bl. 37 d.A.). Auf der Bundesautobahn A# zwischen L und P, und zwar in Höhe Kilometer xxx zwischen der Anschlussstelle S und der Anschlussstelle U, geriet der Kühlauflieger in Brand. Der Auflieger mitsamt der Ladung brannte vollständig aus (vgl. Mitteilung der Polizeidirektion S v. 29.07.2011, Anlage K3).
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Die Klägerin holte ein Gutachten der E GmbH vom 18.08.2011 (Anlage K10) zu der Frage der Brandursache ein. Darin gelangt der Sachverständige W zu folgendem Ergebnis:
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„In der Beantwortung der hier gestellten Frage zur Brandursache kann ausgeführt werden, dass der Brand seinen Ausgang im Reifen vorne rechts hat. Es gibt keine deutlichen Anzeichen, die auf eine festsitzende Bremse als Brandursache hindeuten. Der durch den Fahrzeugführer dargestellte Schadensverlauf kann anhand der Feststellungen und Untersuchungen angenommen werden. Warum es zum Entlüften des Reifens vorne rechts kam, kann nicht mehr festgestellt werden. Mögliche Ursachen sind z.B. Luftverlust aufgrund Beschädigung durch Hindernisse oder Eindringen von Fremdkörpern während der Fahrt.
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Die Frage zur Vermeidbarkeit des Brandes kann wie folgt beantwortet werden: Die Untersuchungen haben ergeben, dass aus technischer Sicht davon auszugehen ist, dass der Reifenschaden für den Fahrzeugführer zunächst nicht bemerkbar war. Der bei der Besichtigung noch festgestellte Zustand der vorhandenen Reifen bzw. Reifenteilte zeigt auch, dass sich die Reifen in Bezug auf die Profiltiefe in einem ordnungsgemäßen und entsprechend guten Zustand befunden haben, so dass bei der erforderlichen Zustandskontrolle des Fahrzeugs vor Fahrtbeginn ein Schaden, der zum Ausfall der Reifens führen konnte nicht zwingend erkennbar sein musste. Der Fahrzeugführer hätte den Brand nur verhindern können wenn er den sich ankündigenden Reifenschaden rechtzeitig bemerkt hätte, hierzu bestand jedoch aus fahrtechnischer Sicht kein Anlass. Unter diesen Voraussetzungen war eine Vermeidbarkeit für den Fahrzeugführer nicht gegeben.“
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Außerdem holte die Klägerin zwei weitere Gutachten der E GmbH ein, und zwar bezüglich des Schadens an dem Kühlauflieger (Anlage K4) und der Ladung (Anlage K5). Für den Kühlauflieger wurde ein Wiederbeschaffungswert von netto 41.100,00 € netto ermittelt und ein Restwert von netto 3.790,00 €. Der Schaden an den Waren wurde mit ca. 63.000,00 € bewertet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Gutachten Bezug genommen. Die E GmbH stellte der Klägerin für die Erstellung der Gutachten Beträge in Höhe von netto 757,46 €, 350,00 € und 850,00 €, also insgesamt 1.957,46 €, in Rechnung (vgl. Anlagen K7.1, 7.2 und 7.3).
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Mit einem auf den 09.11.2011 (richtig: 13.03.2012) datierenden Schreiben (Anlage K8) forderte die Klägerin die Z Versicherung, den Verkehrshaftpflichtversicherer der Beklagten, mit Fristsetzung zum 19.03.2012 zur Schadensregulierung auf. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25.05.2012 (Anlage K9) machte die Klägerin gegenüber der Z Versicherung Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 99.720,03 € unter Fristsetzung bis 08.06.2012 geltend. Mit weiterem Anwaltsschreiben vom 02.01.2013 (Anlage K13) forderte sie die Z Versicherung zur Regulierung des Schadens an dem Auflieger bis 09.01.2013 auf. Eine Zahlung erfolgte nicht.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte gem. § 425 HGB für den entstandenen Schaden, da dieser nicht unvermeidbar i.S.d. § 426 HGB gewesen sei. Für das transportierte Sammelgut könne sie – die Klägerin – im Wege der Drittschadensliquidation Ersatz verlangen. Darüber hinaus hafte die Beklagte aber auch für die Beschädigung des Kühlaufliegers, da es sich bei diesem ebenfalls um Transportgut i.S.d. § 407 HGB gehandelt habe. Jedenfalls aber sei die Beklagte gem. § 14 des Rahmenvertrages verpflichtet gewesen, für den Auflieger Kaskoschutz einzudecken, der unstreitig nicht bestehe, so dass sich allein schon unter diesem Gesichtspunkt eine Haftung ergebe.
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Hierzu hat die Klägerin behauptet, nach dem Gutachten Anlage K10 sei davon auszugehen, dass ein Druckverlust zur Erhitzung und zum anschließenden Brand des Reifens geführt habe. Ein Fahrzeugmangel scheide insofern aus, insbesondere hätten sich die Reifen in ordnungsgemäßem Zustand befunden. Diese seien im Übrigen regelmäßig gewartet worden: Die letzte Hauptuntersuchung am 30.03.2011 habe keine Mängel ergeben (Anlage K12b), ebenso eine Sicherheitsüberprüfung am 30.03.2011 (Anlage 12c). Zuletzt habe die Fa. Q am 27./28.07.2011 anlässlich von Montagearbeiten die Reifen aller auf dem Betriebshof befindlichen Fahrzeuge geprüft (Anlagen K12). Der Verlust des Reifendrucks könne daher nur darauf zurückzuführen sein, dass der Fahrer während der Fahrt über ein Hindernis gefahren sei oder jedenfalls durch ein Fahrmanöver den Druckverlust herbeigeführt habe. Zudem sei der Zeuge L mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe – insofern unstreitig – keinen Feuerlöscher mit sich geführt.
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An dem Kühlauflieger sei Totalschaden entstanden, dessen Höhe die Klägerin mit 37.310,00 € beziffert hat. Gem. Gutachten der E GmbH (Anlage K4) betrage der Wiederbeschaffungswert 41.000,00 € netto, der Restwert belaufe sich auf 3.790,00 €. Der Wert der vernichteten Waren habe 60.452,57 € betragen (Anlagen K6 und K6.1-22). Der geltend gemachte Schaden liege innerhalb der Gewichtshaftung des § 431 Abs. 1 HGB.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 99.720,03 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.01.2012 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 1.780,00 € zu zahlen.
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Die Streithelferin hat sich diesem Antrag in Höhe von 9.193,14 € angeschlossen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld gerügt, weil der Rahmenvertrag mit der Niederlassung der Klägerin in A geschlossen worden sei und daher auf einen von der Niederlassung in B erteilten Auftrag keine Anwendung finde.
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Außerdem hat die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten und hierzu behauptet, die geltend gemachten Schäden seien bereits durch die jeweiligen Versicherer reguliert. Gem. § 7a GüKG sei sie – die Beklagte – verpflichtet gewesen, für die transportierten Güter eine Verkehrshaftungsversicherung einzudecken, was sie auch getan habe (Anlage B4). Auch habe die Klägerin selbst hinsichtlich des streitgegenständlichen Trailers eine Kaskoversicherung unterhalten. Die Ansprüche, die die Klägerin geltend mache, seien daher nach § 86 Abs. 1 VVG auf die jeweiligen Versicherer übergegangen.
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Die Beklagte hat zudem gemeint, dass es sich bei dem Kühlauflieger schon nicht um „Gut“ im Sinne des Frachtvertrages gehandelt habe, so dass eine Haftung nach §§ 425ff. HGB nicht in Betracht komme. Jede andere Anspruchsgrundlage erfordere Verschulden, das die Klägerin indes selbst nicht behaupte. Selbst wenn man dies anders beurteilen wolle, sei der Kühlauflieger Verpackung i.S.d. § 411 HGB, so dass eine Haftungsbefreiung nach § 427 Abs. 1 Nr. 2 HGB eingreife. Dies folge im Übrigen auch aus der Wertung des § 414 Abs. 1 Ziff. 1 HGB und aus § 425 Abs. 2 S. 1 HGB. Jedenfalls aber sei sie gem. § 426 HGB von einer Haftung befreit, da der Schadenseintritt unvermeidbar gewesen sei.
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Hierzu hat die Beklagte behauptet, der Zeuge L habe ca. eine Stunde nach Fahrtantritt, ohne dass ihm ein Fahrfehler unterlaufen sei, einen lauten Knall gehört. Bei einem Blick in den Rückspiegel habe er festgestellt, dass der Reifen des Kühlaufliegers geplatzt sei und in Flammen gestanden habe. Der Brand habe auf das gesamte Fahrzeug übergegriffen, was für den Fahrer nicht zu verhindern gewesen sei. Der Schaden sei nur durch einen nicht erkennbaren Mangel oder ein unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis zu erklären (vgl. Bl. 34/36, 108f d.A.).
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Außerdem hat die Beklagte unter Hinweis auf eine Ladungsverfügung des OLG Köln – 3 U 162/10 – (Anlage B2) sowie die dort zitierte Entscheidung BGH NJW 2011, 296, 299 die Ansicht vertreten, die Klägerin müsse sich die Haftungsbegrenzung des § 431 Abs.1 HGB entgegenhalten lassen.
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Auf die Eindeckung von Kaskoversicherungsschutz für den Trailer habe die Klägerin bei den jährlich stattfindenden Audits verzichtet (Bl. 153ff. d.A.). Die erfüllungshalber erfolgte Abtretung der Ansprüche gegen den Verkehrshaftpflichtversicherer nach § 14 Ziff. 2 des Rahmenvertrages stelle, so hat die Beklagte gemeint, ein sog. pactum de non petendo dar.
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Das Landgericht hat die Parteien bzw. deren Vertreter persönlich angehört und den Zeugen L (vgl. Protokoll v. 25.01.2013, Bl. 124Rff. d.A.) sowie den Zeugen M (vgl. Protokoll v. 13.11.2013, Bl. 252R d.A.) vernommen. Durch Urteil vom 11.12.2013 (Bl.275ff. d.A.) hat es die Beklagte zur Zahlung von 98.870,03 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
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Dagegen wendet die Beklagte sich mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel einer Klageabweisung weiterverfolgt.
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Sie trägt wiederholend und vertiefend vor, das Landgericht habe zu Unrecht seine örtliche Zuständigkeit angenommen. Gem. § 512a ZPO sei sie nicht gehindert, ihre Berufung mit der fehlenden örtlichen Zuständigkeit zu begründen, weil das Landgericht diese willkürlich angenommen und ihr dadurch den gesetzlichen Richter entzogen habe. Selbst wenn der Rahmenvertrag Anlage K1 auf das vorliegende Vertragsverhältnis Anwendung finde, sei die Klägerin jedenfalls aufgrund eines pactum de non petendo an der Geltendmachung ihrer Ansprüche gehindert, da sie den Schaden gegenüber der Z Versicherung als zuständigem Verkehrshaftungsversicherer habe abwickeln müssen. Jedenfalls aber habe eine Verurteilung nur Zug um Zug gegen eine Rückabtretung der Ansprüche erfolgen dürfen.
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Ferner habe das Landgericht zu Unrecht angenommen, dass sie (auch) für den Verlust des Aufliegers nach §§ 425ff HGB einzustehen habe. Bei dem zur Herbeiführung des Beförderungserfolges eingesetzten Kfz, dessen Zubehör, Container o.ä. handele es sich nicht um Gut im Sinne des § 407 Abs. 1 HGB, wenn es von dem Beförderer im eigenen Interesse zum Zwecke der einfacheren Beförderung gestellt werde. Etwas anderes gelte nach der von dem Landgericht zitierten Entscheidung OLG Saarbrücken TransportR 2011, 25 allenfalls dann, wenn es dem Absender (allein) auf die Verbringung des Beförderungsmittels vom Abgangs- zum Bestimmungsort angekommen sei. Dies sei hier indes nicht der Fall, weil der streitgegenständliche Auflieger in sog. Rundläufen eingesetzt gewesen sei. Dafür, dass es sich bei dem Auflieger nicht um Gut i.S.d. § 407 Abs. 1 HGB gehandelt habe, spreche auch der Umstand, dass nach dem Vortrag der Klägerin Kasko-Versicherungsschutz bestanden habe bzw. einzudecken gewesen sei. Dafür habe indes keine Veranlassung bestanden, wenn für den Auflieger im Rahmen der von ihr – der Beklagten – eingedeckten Verkehrshaftungsversicherung Versicherungsschutz existiert hätte.
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Auch sei der Schaden entgegen der Annahme des Landgerichts unvermeidbar gewesen. Das Landgericht habe seine gegenteilige Auffassung damit begründet, der Zeuge L habe die Reifen vor Fahrtantritt nicht hinreichend untersucht. Indes habe der Zeuge L glaubhaft angegeben, dass er die Reifen des Aufliegers sehr wohl in Augenschein genommen habe und ihm aufgefallen wäre, wenn ein Reifen „drückt“. Zudem habe die Klägerin selbst auf S. 6 ihres Schriftsatzes vom 05.11.2012 (Bl. 66 d.A.) – unter Vorlage einer Erklärung der Q GmbH vom 29.05.2012 (Anlage K12) – vorgetragen, dass unmittelbar vor Übernahme des streitgegenständlichen Aufliegers durch die Beklagte ein versierter Fachbetrieb die Reifen des Aufliegers überprüft und keinerlei Mängel festgestellt habe. Diesen Vortrag habe sie – die Beklagte – unstreitig gestellt. Das Landgericht habe ferner übersehen, dass nach den übereinstimmenden Feststellungen der Polizei (Anlage B3) und des Gutachtens Anlage K10 die Entlüftung des Reifens nicht schon vor, sondern erst während der Beförderung stattgefunden habe. Schadensursächlich könne daher nur ein von außen einwirkendes Ereignis während der Fahrt gewesen sein. Dass ein weiteres Gutachten existiere, sei erst durch einen Verweis in dem als Anlage K5 überreichten Gutachten aufgefallen. Bezeichnenderweise habe die Klägerin dieses erst auf ausdrücklichen Antrag und eine entsprechende Auflage des Landgerichts hin vorgelegt. Durch die Vorlage des Gutachtens Anlage K10 habe die Klägerin dieses zum Gegenstand ihres eigenen Vortrages gemacht. Daher hätte das Landgericht als unstreitig unterstellen müssen, dass der Eintritt des Schadens für sie – die Beklagte – unvermeidbar i.S.d. § 426 HGB gewesen sei. Dadurch, dass das Landgericht ihren Beweisangeboten nicht nachgegangen sei, habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Soweit es von einer Unaufklärbarkeit der Schadensursache ausgegangen sei, stelle dies eine unzulässige Beweiswürdigung dar. Im Übrigen habe der Zeuge L glaubhaft ausgesagt, dass er äußerst aufmerksam gefahren sei und insbesondere keine Hindernisse überfahren habe. Mehr könne auch ein sog. Idealfahrer nicht tun, zumal zum Zeitpunkt des Unfallereignisses tiefste Dunkelheit geherrscht habe.
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Rechtsirrig sei ferner die Auffassung des Landgerichts, der Zeuge L könne möglicherweise unglaubwürdig sein, weil er sich nicht mehr (richtig) daran erinnert habe, welcher Reifen zuerst in Brand geraten sei. Abgesehen davon, dass dies mehr als eineinhalb Jahre nach dem Schadensereignis mehr als menschlich sei, sei es für die Frage der Unvermeidbarkeit schlicht unerheblich. Nicht nachvollziehbar sei, warum das Landgericht (auf einmal) habe ausschließen können, dass umgekehrt möglicherweise der Sachverständige W die in Betracht kommenden Reifen verwechselt habe.
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Schließlich habe das Landgericht übergangen, dass sie – die Beklagte – die Höhe des geltend gemachten Schadens erheblich bestritten habe. In der mündlichen Verhandlung am 25.11.2013 habe die Klägervertreterin erklärt, dass mit den Geschädigten „unterschiedliche Lösungen gefunden“ worden seien. Indes könne die Klägerin bei einer vergleichsweisen Erledigung nicht den vollen Schadensbetrag ersetzt verlangen.
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Auch seien die Sachverständigenkosten nicht nach § 430 HGB erstattungsfähig.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage – unter Aufhebung des am 13.12.2013 zugestellten Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 01.12.2013, Az. 16 O 57/12 – abzuweisen,
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hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Berufung könne nicht auf eine vermeintlich fehlende örtliche Zuständigkeit gestützt werden. Im Übrigen beziehe sich der Rahmenvertrag aber nicht nur auf Aufträge einer bestimmten Niederlassung, so dass das Landgericht seine Zuständigkeit zu Recht bejaht habe.
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Die Klagbarkeit scheitere auch nicht daran, dass die Beklagte ihre Ansprüche gegen den Verkehrshaftungsversicherer erfüllungshalber an sie – die Klägerin – abgetreten habe. Unstreitig habe die Z Versicherung die Ansprüche zurückgewiesen.
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Ferner habe das erstinstanzliche Gericht zutreffend festgestellt, dass der Auflieger zum transportierten Gut i.S.d. § 407 HGB gehöre. Der Frachtvertrag habe sich nicht nur auf die Beförderung der Sendungsgüter bezogen, sondern auch auf den Auflieger selbst. Denn der Fahrer habe den Auflieger samt Inhalt mit seiner Zugmaschine von F zu ihrer Niederlassung nach A befördern sollen.
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Zutreffend sei das Landgericht davon ausgegangen, dass der Schaden für die Beklagte nicht unvermeidbar i.S.d. § 426 HGB gewesen sei.
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Was die Schadenshöhe betreffe, so sei diese durch Vorlage sämtlicher Lieferscheine und Rechnungen belegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelte in diesem Fall ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Sendungsgüter auch tatsächlich zum Versand gekommen seien. Der Schaden an dem Auflieger sei durch das Gutachten nachgewiesen. Konkrete Einwendungen habe die Beklagte hiergegen nicht erhoben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen L. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.12.2014 (Bl. 416f. d.A.) sowie den Berichterstattervermerk (Bl. 418 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Außerdem hat der Senat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 15.01.2015 (Bl. 463 d.A.). Wegen des Ergebnisses wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. T vom 21.07.2015 nebst ergänzender Stellungnahme vom 03.02.2016 verwiesen, welches der Sachverständige im Senatstermin am 03.03.2016 mündlich erläutert hat. Insofern wird auf das Sitzungsprotokoll vom 03.03.2016 (Bl. 669 ff. d.A.) sowie den Berichterstattervermerk (Bl. 678 ff. d.A.) Bezug genommen.
47
B.
48
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur vollumfänglichen Klageabweisung.
49
I.
50
Ohne Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht seine örtliche Zuständigkeit bejaht hat. Gem. § 513 Abs. 2 ZPO – der von der Beklagten zitierte, inhaltlich gleichlautende § 512a ZPO ist mit der ZPO-Reform zum 01.01.2002 außer Kraft getreten – kann die Berufung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Soweit einige Obergerichte eine Ausnahme für den Fall der willkürlichen Annahme der Zuständigkeit oder der Verletzung des rechtlichen Gehörs bejahen wollen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil v. 26.03.1998 – 8 U 215/97 -, juris Rn. 16; KG NJW-RR 1987, 1203), ist eine solche im vorliegenden Fall jedenfalls nicht gegeben. Das Landgericht hat sich eingangs der Entscheidungsgründe mit der Frage der örtlichen Zuständigkeit befasst. Dabei hat es sich mit den Argumenten der Beklagten auseinandergesetzt und ist lediglich zu einer anderen rechtlichen Wertung gelangt. Ob diese Erwägungen zutreffend sind, ist gem. § 513 Abs.2 ZPO der Nachprüfung durch das Berufungsgericht entzogen.
51
II.
52
In der Sache stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
53
1.
54
Insbesondere ergibt sich der durch das Landgericht ausgeurteilte Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz in Höhe von 98.870,03 € nicht aus § 425 Abs. 1 HGB. Nach dieser Vorschrift haftet der Frachtführer für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung bis zur Ablieferung entsteht.
55
a.)
56
Unabhängig von der Frage, ob für die vertraglichen Beziehungen der Parteien der Rahmenvertrag vom 20.11.2009 (Anlage K1) Anwendung findet, haben die Parteien einen wirksamen Frachtvertrag geschlossen. Die Klägerin beauftragte die Beklagte am 28.07.2011 mit der Beförderung von Sammelgut von ihrer Niederlassung in F zu ihren Niederlassungen in A und B sowie einem Empfänger in H (vgl. Transportauftrag, Anlage K11). Den Transport hatte die Beklagte in eigener Verantwortung durchzuführen.
57
Dass die Klägerin den Kühlauflieger für den Transport der Waren gestellt hatte, führt auch nicht zur Annahme eines sog. Schleppvertrages. Bei diesem handelt es sich um einen Werkvertrag, bei dem das geschleppte Fahrzeug, z.B. ein Seeschiff im Hafen, unter selbständiger Leitung bleibt (vgl. RGZ 112, 41, 42). Wird hingegen das geschleppte Fahrzeug in die Obhut des Schleppers genommen, vor allem wenn es unbemannt ist, ist ein solcher Vertrag als Frachtvertrag zu qualifizieren (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil v. 24.02.2010 – 5 U 345/09 -, juris Rn.18; OLG Köln VersR 2004, 1438; Koller, Transportrecht, 8. Aufl., § 407 Rdnr. 19; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, § 407 Rdnr. 14). Letzteres ist hier der Fall. Nach der Übernahme des Kühlaufliegers durch die Beklagte hatte die Klägerin keine Möglichkeit der Einflussnahme mehr. Ihr Personal war am Transportvorgang nicht beteiligt.
58
b.)
59
Voraussetzung einer Haftung gem. § 425 Abs. 1 HGB ist ferner eine Beschädigung des zu transportierenden Gutes innerhalb des Obhutszeitraums der Beklagten. Unstreitig brannte der Kühlauflieger mitsamt den zu befördernden Waren während des Transports auf der BAB7 zwischen der Anschlussstelle S und der Anschlussstelle U aus. Bei den Waren handelt es sich um Güter i.S.d. § 407 HGB. Ob das Landgericht auch den Kühlauflieger zu Recht als Transportgut angesehen hat, kann hier jedoch dahinstehen.
60
c.)
61
Zugunsten der Beklagten greift der Haftungsausschluss gem. § 426 HGB ein. Nach dieser Vorschrift ist der Frachtführer von der Haftung befreit, soweit der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist auf Umständen beruht, die der Frachtführer auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab orientiert sich, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, in Anlehnung an § 7 Abs. 2 StVG a.F. an einem „idealen“ Frachtführer, der eine über den gewöhnlichen Durchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Rahmen des Menschenmöglichen an den Tag legt (vgl. BGHZ 113, 164, 165 zu § 7 StVG a.F.; OLG Köln, Urteil v. 29.07.2003 – 3 U 49/03 -, juris Rn. 7; Schaffert, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2009, § 426 Rdnr. 5; Koller, aaO, § 426 Rdnr. 4). Der Frachtführer hat Anstrengungen zur Schadensverhütung bis zu dem Punkt zu erbringen, an dem diese bereits auf den ersten Blick als unzumutbar erscheinen. Das Vorliegen höherer Gewalt wird daher gerade nicht vorausgesetzt (vgl. Schaffert, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, aaO).
62
Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen des § 426 HGB trägt nach allgemeinen Regeln der Frachtführer. Er hat deshalb entweder die konkrete, unvermeidbare Schadensursache zu beweisen oder darzutun und nachzuweisen, dass der Schaden nicht durch irgendeinen bei größter Sorgfalt vermeidbaren oder in seinen Folgen abwendbaren Umstand herbeigeführt worden sein kann (vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 21.07.2004 – 7 U 189/02, juris Rn.20f; 8; Koller, aaO, § 426 Rdnr. 20).
63
In Anwendung dieser Grundsätze gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
64
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senates (§ 286 ZPO) fest, dass der Reifenbrand sowie der dadurch bedingte Verlust von Waren und Kühlauflieger durch ein defektes Radlager verursacht wurden und für die Beklagte bzw. deren Fahrer L (§ 428 HGB) auch bei größtmöglicher Sorgfalt nicht zu vermeiden waren.
65
aa.)
66
Vor Fahrtantritt führte der Fahrer der Beklagten hinreichende visuelle Kontrollen durch.
67
(1.)
68
Der Zeuge L hat bei seiner erneuten Vernehmung durch den Senat glaubhaft bekundet, vor Antritt der Fahrt eine Sichtkontrolle der Reifen durchgeführt zu haben.
69
(2.)
70
Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen L hat der Senat nicht. Er hat detailreich und lebensnah geschildert, dass er noch auf drei Paletten warten musste und die Wartezeit für entsprechende Kontrollen genutzt hatte. Zwar hat der Zeuge im Rahmen seiner Aussage vor dem Landgericht bekundet, der rechte Reifen an der B-Achse sei in Brand geraten, während er noch gegenüber dem vorgerichtlich von der Klägerin eingeschalteten Privatgutachter W angegeben hatte, der rechte Reifen der A-Achse sei geplatzt und habe sich entzündet (Anlage K 10, dort Seite 5). Auf Vorhalt des Senates hat er sodann wieder die Richtigkeit seiner gegenüber W getätigten Angaben bestätigt, wonach der Brand von dem rechten Reifen der A-Achse ausgegangen sei. Dieses wechselnde Aussageverhalten wertet der Senat indes nicht als Anzeichen für bewusst wahrheitswidrige Angaben. Vielmehr mag dies der mit zunehmendem Zeitablauf schlechteren Erinnerung des intellektuell ohnehin eher schlicht strukturierten Zeugen geschuldet sein. Allein der Umstand, dass es sich bei dem Zeugen um einen Arbeitnehmer der Beklagten handelt, rechtfertigt jedenfalls kein Misstrauen gegenüber seinen Angaben. Schließlich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass L eigene Versäumnisse zu vertuschen versuchte, da auch der Sachverständige T davon ausgeht, dass der Reifen – worauf im Weiteren noch einzugehen sein wird – nicht vorgeschädigt und bis zu dem von dem Zeugen vernommenen Knall intakt war.
71
(3.)
72
Die von L durchgeführte Sichtkontrolle war auch nach den Ausführungen des Sachverständigen T auf Seite 7 seines Erstgutachtens vom 21.07.2015 ausreichend. Dies hat der Sachverständige nachvollziehbar damit begründet, es gebe keinen Hinweis darauf, dass ein Reifendrucksystem installiert gewesen sei. Dementsprechend konnte der Fahrer den genauen Luftdruck vor Fahrtantritt nicht feststellen, sondern nur – wie von L glaubhaft bekundet – eine Sichtprüfung vornehmen und visuell jeden einzelnen Reifen begutachten. Wenn bei der entsprechenden Beladung alle Reifen, sei es Zugmaschine oder Sattelauflieger, etwa die gleiche Ausbeulung im Bereich der Aufstandsfläche hatten, gibt es – wie der Sachverständige weiter dargelegt hat – keinen Hinweis, dass bei dem einen oder anderen Reifen eindeutig zu geringer Reifenluftdruck vorliegt. Aus Sicht des Sachverständigen ist L, der hierbei nichts Auffälliges festgestellt hat, damit seiner Pflicht zur visuellen Prüfung hinreichend nachgekommen. Dafür, dass die Reifen keine optisch erkennbaren Mängel aufwiesen, spricht im Übrigen auch der Umstand, dass die Firma Q nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin am 27./28.07.2012 Reifenmontagearbeiten auf ihrem Betriebshof durchgeführt und dabei auch alle anderen dort vorhandenen Auflieger und Zugmaschinen einer Sichtkontrolle unterzogen hatte (Anlage K12).
73
bb.)
74
Eine thermische Überlastung durch eine überhitzte Trommelbremse vermochte der Sachverständige T auszuschließen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist das Fahrzeug mit einem BPW-Achsaggregat mit Trommelbremse gemäß Anlage A 12 des Erstgutachtens ausgerüstet gewesen. Der von der Klägerin eingeschaltete Privatgutachter W, welcher das Fahrzeug seinerzeit untersucht hatte, hatte die charakteristischen Anzeichen, die auf eine festsitzende Bremse als Brandursache hindeuten – sogenannte Anlassfarben –, nicht festgestellt (vgl. Gutachten vom 18.08.2011, dort Seite 6 und 7). Dessen aus technischer Sicht ohne weiteres nachvollziehbaren Ausführungen hat sich der gerichtlich bestellte Sachverständige angeschlossen.
75
cc.)
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Dass ein Fahren mit zu geringem Luftdruck über eine längere Strecke hinweg bei hoher Geschwindigkeit und hoher Beladung schadensursächlich war, hat der Sachverständige T ebenfalls mit überzeugenden Argumenten ausgeschlossen. Zwar sei das Fahrzeug mit ca. 17,4 t beladen und das Geschwindigkeitsniveau – wie von dem Zeugen L glaubhaft bekundet – bei überwiegender Autobahnfahrt mit ca. 85 km/h eher hoch gewesen. Nach technischem Verständnis könne jedoch mit einem frühzeitig beschädigten Reifen schon keine Strecke von 100 km bei Höchstgeschwindigkeit und Volllast gefahren werden, ohne einen frühzeitigen Reifenschaden zu erlangen.
77
Zudem hat der Sachverständige im Senatstermin am 03.03.2016 plausibel erläutert, dass er entgegen den Ausführungen des von der Klägerin beauftragten Privatgutachters X in dessen Stellungnahme vom 09.10.2015 (Anlage BB2, Bl. 606ff d.A.) eine Selbstentzündung des Reifens infolge thermischer Überlastung physikalisch ausschließt. Dies hat er nachvollziehbar damit begründet, dass der Reifen die Temperatur von 250-450°C, welche für eine Entzündung erforderlich ist (vgl. Anlage E1 zur ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.2016), nicht erreicht. Vielmehr zersetzt er sich, wie dem Sachverständigen aufgrund seiner langjährigen Erfahrung u.a. im Bereich der Konstruktion von Reifenprüfständen bekannt ist, von selbst, ehe er diese Temperatur erreicht. Dementsprechend tritt auf den Lichtbildern Anlage A4 auch kein Qualm aus dem Reifen aus, sondern – wie der Sachverständige mündlich erläutert hat – lediglich weißes Lösungsmittel.
78
dd.)
79
Soweit der Zeuge L kein Hindernis auf der Fahrbahn überfahren haben will, steht dies in Einklang mit den Feststellungen des Sachverständigen T. Dieser hat nachvollziehbar ausgeführt, dass die von dem vorgerichtlich für die Klägerin tätigen Privatgutachter W favorisierte Beschädigung durch Hindernisse oder Eindringen von Fremdkörpern während der Fahrt den Reifenbrand nach technischem Verständnis nicht zu erklären vermag. Hierzu hat er auf eine von ihm recherchierte Videosequenz verwiesen, die die Situation eines Reifenplatzers verdeutlicht (Anlage A4 zum Erstgutachten). Wenn ein Reifen von außen zerstört werde, so müsse das Fahrzeug eine lange Strecke fahren, damit der Reifen die entsprechende Erhitzung durch Walkarbeit erhalte. Das bedeute, die Karkasse werde sich durch diese lange andauernde Walkarbeit größtenteils lösen. Wenn es dann zum Knall komme und die Karkasse reiße, dann werde auch der restliche Reifen aufgrund der hohen Fahrgeschwindigkeit und der damit verbundenen schnellen Rotation des Rades abfliegen. Diese erhitzte, wegfliegende Karkasse würde zudem auch die Brandgefahr am Auflieger verringern. Dieser Ablauf lässt sich nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht mit dem vorgefundenen Schadensbild in Einklang bringen. Hierzu hat er in seinem Erstgutachten vom 21.07.2015 ausgeführt, dass, wenn man sich in diesem Zusammenhang die noch erkennbaren Reste der Reifen auf der rechten Seite anschaue, Anl. A5, man sehe, dass die Lauffläche auf den Reifen der B- und C-Achse noch vorhanden seien, auch der rechte Reifen auf der A-Achse werde über das obere Bild der Anl. A6 gezeigt. Der größte Teil der Lauffläche sei auf jeden Fall bis zum Schluss vorhanden gewesen. Auf der anderen Seite seien die Stahlgürtellagen zerstört worden. Auf dem Reifen der B-Achse sei noch die runde Gürtellage zu sehen. Ein Teil der Gürtellage des Reifens der A-Achse sei, so lasse das untere Bild erkennen, auf den anderen Reifen herübergeschlagen worden und damit letztlich durch die Hitze mit dem Reifen der B-Achse verschmolzen. Es lasse sich also feststellen, dass durch den Knall nicht – wie im beigezogenen Video – die gesamte Karkasse direkt nach dem Knall weggeflogen sei. Hieraus folgert der Sachverständige T, dass der Reifen nicht vorgeschädigt und bis zum Knall intakt gewesen ist, weil sich hier gerade nicht die gesamte Karkasse gelöst hatte.
80
ee)
81
Vielmehr sieht der Sachverständige T die Ursache für die thermische Überlastung des Reifens mit gegen 100% tendierender Wahrscheinlichkeit in einem defekten Radlager. Da – wie bereits ausgeführt – eine überhitzte Bremse nicht als Brandherd in Betracht kommt, ist die Ursache aus technischer Sicht in einem Lagerschaden und der damit verbundenen thermischen Überlastung der Radlager der A-Achse begründet.
82
(1.)
83
Hierzu hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.2016 nachvollziehbar ausgeführt, dass ein derartiger Schaden eine thermische Überlast der Achskomponenten, wie Nabe und Bremstrommel, mit sich bringe, die direkt mit den Lagern verbunden seien. Durch die massiv überhöhte Temperatur der Bauteile könne es zum Verflüssigen und Auslaufen der Schmierfette der Radlager kommen, so dass ein selbst verstärkender Effekt zu beobachten sei und die thermische Überlast weiter ansteige. Bei einem Reifenplatzer durch den thermisch bedingten Überdruck im Reifen und nach dem geschilderten Haltevorgang des Lkw-Fahrers komme es dann durch die Strahlwärme von Nabe, Lager und Felge zu einer Selbstentzündung des Reifens.
84
Diese deutliche Belastung der Felge und des Achsgehäuses ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch auf den Bildern des abgebrannten Sattelaufliegers zu erkennen. Im Gegensatz zu den Felgen der B- und C-Achse, deren Reifen ebenfalls größtenteils abgebrannt sind, weise die Felge der A-Achse keine Rußaufträge auf. Die Felgen der B- und C-Achse hingegen seien deutlich sichtbar verrußt. Dies lässt laut T auf eine deutlich höhere Bauteiltemperatur an der A-Achse durch ein defektes Radlager schließen.
85
(2.)
86
Soweit der von der Klägerin eingeschaltete Privatgutachter X ein defektes Radlager als Schadensursache als eher unwahrscheinlich ansieht und dies mit einem abweichenden Schadensbild begründet, vermag dies die in jeder Hinsicht gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen T nicht in Zweifel zu ziehen. X hat auf das Bild „Rechtes Rad der A-Achse“ (Anlage A1 zum Erstgutachten T) verwiesen, welches den Reifen im Bereich der Wulst und Seitenwand zeigt. Hier sei – so hat er in seiner Stellungnahme (Bl. 606 ff. der Akten) ausgeführt – der Reifen umlaufend im Bereich der Lauffläche und oberen Seitenwand zerstört, die Wulst und Seitenwand im unteren Bereich jedoch im halben Umfang nicht verbrannt. Dies weise zweifellos auf einen Brandverlauf hin, welcher nicht vom Radlager oder der Bremse ausgehe. Zudem zeige das Bild den Erkenntnissen nach im Bereich der Abschlüsse noch deutliche Farbreste und nur teilweise verbrannte Lackierung. Auch dies spreche nicht für eine Brandentstehung ausgehend vom Radlager.
87
(3.)
88
Dem ist der Sachverständige T mit gut begründeten Argumenten entgegengetreten. Da bei einer Entzündung der Reifen die Verbrennungswärme nach oben steigt, ist aus seiner Sicht nicht erkennbar, weshalb ein nicht vollständig verbrannter Reifen an der Unterseite des Rades – wie von X ausgeführt – einer Brandursache entgegenstehen soll, die in einem Radlagerschaden begründet ist. Dies hat der Sachverständige mündlich dahingehend erläutert, dass die Flamme nach oben geht, sobald der Lkw zum Stehen kommt. Aus diesem Grunde seien oben stärkere Abbrennungen zu sehen, zumal im unteren Bereich der Asphalt der Straße kühlt.
89
ff.)
90
Auch war der Schaden für die Beklagte bzw. deren Fahrer L (§ 428 HGB) aus Sicht des Sachverständigen T auch bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt nicht zu verhindern.
91
(1.)
92
Der Defekt des Radlagers war für den Zeugen L weder vor noch während der Fahrt zu erkennen. Vielmehr hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens betont, dass der Fahrer seines Erachtens alles richtig gemacht und geistesgegenwärtig reagiert hat. Insbesondere das Abkoppeln der Zugmaschine, durch welches ein Übergreifen des Brandes auf diese verhindert wurde, „koste Nerven“.
93
(2.)
94
Dass der Zeuge – wie von ihm zunächst erwogen – nicht weitergefahren war, damit sich die brennende Karkasse löst und so ein Ausbrennen des Aufliegers verhindert wird, war ebenfalls nicht sorgfaltswidrig. Laut T konnte der Fahrer nichts anderes machen, als – wie geschehen – rechts heranzufahren. Dadurch hat er einen weiteren Unfall verhindert. Wäre L weitergefahren, so wäre durch die abfallende Karkasse möglicherweise ein nachfolgender Verkehrsteilnehmer verletzt worden.
95
(3.)
96
Dass L keinen Feuerlöscher mit sich führte, begründet ebenfalls keinen Verstoß gegen Sorgfaltspflichten. Gemäß Anlage A 20 zum Erstgutachten des Sachverständigen T ist ein Feuerlöscher für diese Beladung nicht vorgeschrieben. Zudem hätte ein mitgeführter und dann benutzter Feuerlöscher nach den Ausführungen des Sachverständigen die Brandproblematik im vorliegenden Fall nicht zu beherrschen vermocht.
97
gg.)
98
Diesen in jeder Hinsicht gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, der methodisch nach dem „Ausschlussprinzip“ vorgegangen ist, schließt der Senat sich aus eigener Überzeugung an. Der Sachverständige verfügt als Diplom-Ingenieur über jahrzehntelange Erfahrung mit der Begutachtung technischer Vorgänge, wozu u.a. auch Reifenbrände gehört haben. Zudem hat er selbst Reifenprüfstände konstruiert und seine Schlussfolgerungen mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen begründet, welche er durch eigene frühere Untersuchungen verifiziert hat. Demgegenüber ist der von der Klägerin eingeschaltete Privatgutachter X für das Vulkaniseur- und Reifenmechaniker-Handwerk öffentlich bestellt und vereidigt und mag als solcher ausgewiesener Praktiker sein. Soweit er – entgegen T – ein defektes Radlager als Schadensursache als eher unwahrscheinlich bezeichnet und als Beleg hierfür ein abweichendes Brandbild angeführt hat, handelt es sich jedoch lediglich um eine durch nichts begründete These, welche T mit überzeugenden Argumenten widerlegt hat. Soweit X demgegenüber eine Selbstentzündung des Reifens für möglich gehalten hat, ist dies – wie T u.a. aufgrund eigener früherer Untersuchungen bekannt ist – physikalisch ausgeschlossen, da der Reifen sich, bevor er die hierfür erforderliche Temperatur erreicht, zersetzt.
99
2.
100
Die Beklagte ist der Klägerin auch nicht deshalb gem. § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie entgegen § 14 Abs. 1 des Rahmenvertrages keinen ausreichenden Versicherungsschutz eingedeckt hatte.
101
a.)
102
Die Beklagte hatte bei der I Versicherungsgesellschaft AG gem. Versicherungsschein (Anlage B4) Versicherungsschutz eingedeckt, welcher u.a. auch den Schaden an dem Auflieger umfasste. Ob sie gem. § 14 des Rahmenvertrages zur Eindeckung weitergehenden Versicherungsschutzes in Form einer Kasko-Versicherung verpflichtet war, kann hier dahinstehen.
103
Denn eine etwaige diesbezügliche Verpflichtung der Beklagten ist jedenfalls wirksam abbedungen worden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten (Bl. 119 d.A.) sowie den Angaben des Herrn C im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht (Bl. 130 d.A.) hatte die Klägerin für den Fall des Abschlusses einer Verkehrshaftpflichtversicherung unter Einschluss des Aufliegers, welcher gem. Anlage B4 bestand, auf eine zusätzliche Kaskoversicherung ausdrücklich verzichtet. Zudem wurde der eingedeckte Versicherungsschutz von der Klägerin sowohl zu Beginn des Vertragsverhältnisses als auch im Rahmen jährlicher Audits überprüft, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen wäre. Dieses Verhalten konnte und durfte die Beklagte nach ihrem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) dahingehend verstehen, dass die Klägerin den eingedeckten Versicherungsschutz als vertragsgemäß ansah.
104
b.)
105
Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Wirksamkeit einer entsprechenden Vertragsänderung nicht die in § 17 Nr. 2 des Rahmenvertrages vereinbarte doppelte Schriftformklausel entgegen.
106
aa.)
107
Die nachträgliche abändernde Vereinbarung in Bezug auf den einzudeckenden Versicherungsschutz hat als Individualabrede gemäß § 305b BGB Vorrang vor kollidierenden Bestimmungen des Rahmenvertrages, bei denen es sich prima facie um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin handelt (vgl. BGHZ 118, 238; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 305 Rn. 23). Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision bewusst geworden sind. Ebenso wenig stellt § 305b BGB darauf ab, ob die Individualvereinbarung ausdrücklich oder stillschweigend getroffen worden ist. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, somit auch dann, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt auch dann, wenn durch eine AGB-Schriftformklausel bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirksam sind. Der in § 305b BGB niedergelegte Grundsatz besagt, dass vertragliche Vereinbarungen, die die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch davon abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte gemacht werden können. Er beruht auf der Überlegung, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als generelle Richtlinien für eine Vielzahl von Verträgen abstrakt vorformuliert und daher von vornherein auf Ergänzung durch die individuelle Einigung der Parteien ausgelegt sind. Sie können und sollen nur insoweit Geltung beanspruchen, als die von den Parteien getroffene Individualabrede dafür Raum lässt. Wollen die Parteien ernsthaft – wenn auch nur mündlich – etwas anderes, so kommt dem der Vorrang zu. Das Interesse des Klauselverwenders oder gar beider Vertragsparteien, nicht durch nachträgliche mündliche Absprachen die langfristige beiderseitige Bindung zu gefährden, muss gegenüber dem von den Parteien später übereinstimmend Gewollten zurücktreten (vgl. BGH NJW 2001, 292; BGH, Versäumnisurt. vom 21.09.2005 – XII ZR 312/02; BGHZ 164, 133; OLG Koblenz, Urteil v. 03.03.2011 – 6 U 943/10 -, juris).
108
bb.)
109
Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für den hier vorliegenden Fall einer sogenannten doppelten Schriftformklausel, bei der auch für einen Verzicht bzw. eine Abänderung das Formerfordernis vereinbart ist (vgl. BAG NJW 2009, 316; OLG Koblenz, aaO, OLG Rostock, Beschl. vom 19.05.2009 – 3 U 16/09-, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.06.2006 – 10 U 1/06-, juris; Palandt/Grüneberg, aaO, § 305b Rn. 5).
110
III.
111
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
112
IV.
113
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).