Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.08.2011 – L 1 KR 288/10
Die Bindungsfrist des § 175 Abs 4 SGB 5 gilt auch bei anschließenden Satzungsänderungen durch die gewählte Krankenkasse. (Rn.20)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der ehemals bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Kläger begehrt von dieser noch die Erstattung von Kosten für Präventionsmaßnahmen, welche aus seiner Sicht nur entstanden sind, weil die Beklagte ihm zu Unrecht ein Sonderkündigungsrecht versagt habe.
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Der 1962 geborene Kläger kündigte seine freiwillige Mitgliedschaft bei der Techniker Krankenkasse (= alte TK) am 30. Mai 2008 mit Wirkung zum 31. Juli 2008. Grund der Kündigung war, dass diese nicht mehr die Kosten für Präventionsmaßnahmen im bisherigen großzügigen Umfang übernahm. Er wechselte am 1. August 2008 zur IKK-Direkt, weil diese nach ihrer damaligen Satzung im Gegensatz zu der der Beklagten nicht nur zwei Präventionsmaßnahmen pro Jahr bis zu maximal je 75 € bezuschusste, sondern die vollen Kosten für Maßnahmen bis einem Höchstbetrag von 12 € je Kurseinheit von 1 Stunde und 18 € je Kurseinheit von 1,5 Stunden übernahm. Zum Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts zum Wechsel der Krankenkasse war dem Kläger nicht bekannt, dass die alte TK mit der IKK-Direkt fusionieren wollte. Nachdem der Kläger erfahren hatte, dass die Krankenkassen beabsichtigten, nach der Satzung der neuen fusionierten Kasse, der Techniker Krankenkasse (= neue TK, die Beklagte) der § 18 Abs. 3 Satzung der alten TK gelten sollte – nämlich die Gewährung von Zuschüssen für maximal 2 Kurse innerhalb eines Kalenderjahres zu je höchstens 75 € – kündigte der Kläger am 28. November 2008 die Mitgliedschaft bei der IKK-Direkt. Er bitte um einvernehmliche Beendigung der Mitgliedschaft zum 31. Dezember 2008. Weiter heißt es im Kündigungsschreiben vom 28. November 2008: „Sollten Sie einer Vertragsbeendigung im beiderseitigen Einvernehmen negativ gegenüber stehen, kündige ich meine Mitgliedschaft unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.01.2009.“ Zur Begründung führte er aus, die Bindefrist, welche ihn nach Ausübung des Wahlrechts für 18 Monate an die gewählte Kasse binde, ende in seinem Fall mit der Fusion, da die neue TK nicht nur Rechtsnachfolgerin der IKK-Direkt sei, sondern auch der alten TK sei, deren Mitgliedschaft er vor weniger als einem halben Jahr wegen Unzufriedenheit mit den Satzungsbedingungen gekündigt habe. Ihm stehe ein Sonderkündigungsrecht aus dem Umstand zu, dass mit der Fusion die Ausübung seines Wahlrechts ausgehebelt worden sei.
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Die IKK-Direkt antwortete dem Kläger mit Schreiben vom 2. Dezember 2008, seine Mitgliedschaft bestünde auch über den 31. Januar 2009 hinaus. Ab 1. Januar 2009 könne das Sonderkündigungsrecht nur noch in Anspruch genommen werden, wenn eine Krankenkasse zum Start des Gesundheitsfonds einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erhebe. Auf seinen Widerspruch hiergegen bestätigte die IKK-Direkt dem Kläger die Kündigung zum 31. Januar 2010.
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Die Fusion der alten TK mit der IKK-Direkt zur neuen TK erfolgte zum 1. Januar 2009.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Nach § 175 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei ein Versicherungsberechtigter an die Wahl der Krankenkasse für einen Zeitraum von 18 Monaten gebunden, wenn das Wahlrecht ab dem 1. Januar 2002 ausgeübt werde. Lediglich nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung sei eine kurzfristigere Kündigung erlaubt, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöhe. Entsprechend regele § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung die kurzfristigere Kündigung im Falle der Erhebung eines Zusatzbeitrages oder der Prämienverringerung. Ein Sonderkündigungsrecht für den Fall der Fusion zweier Kassen bestünde nicht. Die 18-monatige Bindungsfrist gemäß § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V beginne deshalb hier mit dem 1. August 2008 und ende am 31. Januar 2010.
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Hiergegen hat sich die am 6. Mai 2009 beim Sozialgericht Potsdam (SG) eingegangene Klage gerichtet. Zur Begründung hat der Kläger ergänzend vorgebracht, Artikel 2 Grundgesetz (GG) sei verletzt und sein Wahlrecht werde ausgehebelt. Aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sei das Recht abzuleiten, die Krankenkasse zu wählen, die den persönlichen Vorstellungen von dem, was zu Erhaltung bzw. Wiederherstellung der körperlichen Unversehrtheit notwendig sei, am nächsten komme. Bei einem Krankenkassenwechsel seien immer die aktuellen Versicherungsbedingungen das Motiv. Er habe sich mit der Kündigung der Mitgliedschaft bei der alten TK eindeutig gegen diese Kasse gewandt. Diese Abwahl werde durch die Fusion von alter TK und IKK-Direkt missachtet und sei zum 1. Januar 2009 wirkungslos geworden. Das Wahlrecht als Ausdruck des verfassungsmäßigen Persönlichkeitsrechts werde durch die Regel der 18-monatigen-Bindung an eine ausgeübte Wahl eingeschränkt. Der Gesetzgeber wollte damit dem Interesse der Kassen an einer Reduzierung des Verwaltungsaufwandes und an der Vermeidung von Planungsunsicherheiten nachkommen. Diese allgemein sinnvolle Einschränkung des Wahlrechtes dürfe aber nicht dazu missbraucht werden, ihn an eine gerade gekündigte Kasse und deren Satzungsbedingungen zu binden. Dies gelte umso mehr, weil mittlerweile mit der Einführung des Einheitsbeitrages Unterschiede der Krankenkasse nur noch bei den nicht gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Leistungen bestünden.
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Das SG hat die Klage abgewiesen, welche erstinstanzlich darauf gerichtet gewesen ist, den einschlägigen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und dem Kläger ein Sonderkündigungsrecht zum 31. Januar 2009 zu gewähren. Es könne dahinstehen, ob hier ein Anfechtungs- oder Feststellungsbegehren geltend gemacht werde. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin hätten ein Sonderkündigungsrecht zu Recht abgelehnt. Der Kläger habe das ihm gemäß § 173 SGB V zustehende Wahlrecht gegenüber der IKK-Direkt ausgeübt und sei gemäß § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V daran 18 Monate gebunden. Ein Sonderkündigungsrecht sei im Falle des Klägers nach § 175 SGB V nicht vorgesehen. Andere Sonderkündigungsrechte gebe es nach dem SGB V nur für Wahltarife. Außerdem habe der Kläger bislang sein Wahlrecht noch nicht zu Gunsten einer anderen Kasse wirksam ausgeübt.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 20. September 2010. Zu deren Begründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Sein ursprüngliches Kassenwahlrecht sei durch die Fusion – und die Kontinuität der alten mit der neuen TK– vereitelt worden. Ihm habe ein Rückabwicklungsrecht zugestanden.
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Er führt ergänzend aus, seine Kündigung sei mittlerweile auch nach Auffassung der Beklagten wirksam. Er habe sein Wahlrecht zugunsten einer dritten Krankenkasse ausgeübt, welche Präventionsmaßnahmen nach wie vor in dem von ihm gewünschten Umfange bezuschusse. Hätte er bereits zum 1. Februar 2010 dort Mitglied sein können, hätte er nicht 878 € aus eigenen Mitteln für Präventionsmaßnahmen aufwenden müssen.
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Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
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das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 2. Oktober 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 zu verurteilen, ihm 878 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie erhebt keine Einwände gegen die Klageänderung.
Entscheidungsgründe
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Es konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 23. Mai 2011 hingewiesen worden.
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Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Klage in der in zweiter Instanz geänderten Form. Eine solche Klageänderung ist nach §§ 153 Abs. 1 i. V. m. 99 Abs. 1 SGG zulässig, weil die Beklagte eingewilligt hat und sie außerdem sachdienlich ist: Da der Kläger mittlerweile Mitglied einer anderen Krankenkasse ist, richtet sich sein Begehr nunmehr nur noch auf Erstattung der Kosten für Präventionskurse, die ihm nach seiner Auffassung zu Unrecht entstanden sind.
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Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat in dem angegriffenen Urteil, auf dessen Begründung nach § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verwiesen wird, zutreffend ein Sonderkündigungsrecht des Klägers abgelehnt. Er konnte erst ab 1. Februar 2011 und nicht bereits ein Jahr früher Mitglied einer anderen Krankenkasse werden:
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Die Kündigung der Mitgliedschaft vom 28. November 2008 hat die Mitgliedschaft bei der Beklagten erst zum 31. Januar 2010 beendet. Einem früheren Zeitpunkt stand die Bindung der Kündigung vom 30. Mai 2008 für 18 Monate nach § 175 Abs. 4 S. 1 SGB V entgegen:
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Der Kläger macht letztlich geltend, seine erste Kündigungsentscheidung habe sich erledigt, weil mit der Fusion seiner Wahlkrankenkasse mit der abgewählten Kasse die alte Wahl obsolet geworden sei. Er habe die alte Krankenkasse wegen der aus seiner Sicht ungünstigen Satzungsregelung zu den Präventionsmaßnahmen gekündigt. Er habe die erneute Kündigung aber nicht wegen dieser Fusion an sich ausgesprochen, sondern erst und nur, weil sich abgezeichnet habe, dass in der neuen TK die aus seiner Sicht günstigere Kostenerstattungsregeln für Präventionsmaßnahmen nach der Satzung der IKK-Direkt nach der Fusion nicht mehr gälten, sondern die Satzungsregelungen der alten TK. Er rügt demnach, dass sein Kündigungswahlrecht durch die zeitlich nachfolgende Satzungsänderung ausgehebelt worden sei.
20
Das Gesetz sieht jedoch ein Sonderkündigungsrecht für den Fall, dass sich die Satzung der gewählten Krankenkasse ändert, nicht vor.
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Die Einschränkung der Handlungsfreiheit eines Versicherten – auch im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG – welche die Vorschrift des § 175 Abs. 4 S. 1 SGB V mit der achtzehnmonatigen Bindung bedeutet, ist nicht unzumutbar:
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG wird nicht verletzt.
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Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG – das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde – sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (BVerfG, B. v. 18.08.2010 -1 BvR 811/09, Rdnr. 14).
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Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Wahl der Krankenkasse zu diesem autonomen Privatbereich gehört:
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Ein Kernbereich der Persönlichkeit ist nicht tangiert. Dem Kläger geht es um einen möglichst hohen Geldzuschuss für Präventionsmaßnahmen, also „nur um Geld“.
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Die Rechtsbeeinträchtigung ist jedenfalls gerechtfertigt:
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Mit jedem Beitritt zu einer Körperschaft unterwirft sich das neue Mitglied den entsprechenden internen Satzungsregelungen. Das Neumitglied kann diese Regelungen nicht einseitig ändern und kann auf Satzungsänderungen nur mit Kündigung unter Wahrung der Kündigungsfrist reagieren, wenn sich aus seiner Sicht günstige Regelungen ändern.
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Der Kläger selbst verweist zutreffend darauf, dass eine Krankenkasse Planungssicherheit braucht und dass ein „Krankenkassenhopping“ zur Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes eingeschränkt sein darf. Eine „Zwangsmitgliedschaft“ für maximal 18 Monate ist deshalb nicht unangemessen.
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Ein Anspruch auf Zahlung von 878,00 Euro besteht vor diesem Hintergrund nicht.
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Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen. Dem Rechtsstreit kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil es sich um einen ausgesprochenen Einzelfall handelt.